Читать книгу Aus der emotionalen Achterbahn aussteigen - Patricia Zurita Ona - Страница 10

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Kapitel 2

Warum Ihre »schnellen Lösungen« nicht funktionieren

Wenn Ihre emotionale Maschinerie in Gang gesetzt wird, durchleben Sie ein Gefühl nach dem anderen – es ist wie eine emotionale Kettenreaktion – und wenn einige dieser Gefühle unangenehm sind, werden Sie natürlich, wie jeder Mensch, alles tun, um Ihr Unbehagen unmittelbar zu unterdrücken, abzumildern oder zu neutralisieren. Wir alle tun Dinge, die sich sofort auszahlen, besonders, wenn wir in Bedrängnis sind. Es ist, als ob es attraktiver wäre, heute ein Angebot von 100 Euro für einen Vortrag zu bekommen, als in der nächsten Woche ein Angebot von 150 Euro für denselben Vortrag.

Der Versuch, Gefühle durch schnelle Lösungen unter Kontrolle zu bringen

Hochsensible tun in bester Absicht, was sie nur können, um ihrer bedrückenden Gefühle Herr zu werden, und manchmal bringen sie sie mit schnellen Lösungen unter Kontrolle. Schauen wir uns jede einzelne kurz an.

SCOTCH, SEX, ARBEIT UND SCHOKOLADE

Es ist Montagabend, 23 Uhr. Jeff kehrt nach einem langen Arbeitstag nach Hause zurück und freut sich auf sein Abendessen. Zu Hause erwartet ihn Bob und fragt nach der Begrüßung: »Warum hast du heute Nachmittag nicht auf meine Nachricht geantwortet?« Jeff wirft ihm einen kurzen Blick zu und obwohl er müde ist, wird er wütend und schreit ihn an: »Ist das deine Begrüßung an einem Montagabend um 11, wenn ich nach einem langen Arbeitstag nach Hause komme? Das ist einfach unerträglich. Ich weiß nicht, was ich noch mit dir machen soll, und natürlich wirst du jetzt gleich deinen Dackelblick aufsetzen und mir das Gefühl geben, es sei meine Schuld, dass wir streiten. Warum hältst du nicht einfach deinen Mund?« Bob antwortet nicht und geht schnell in Richtung Wohnzimmer.

Jeff setzt Bob nun eine Stunde lang auseinander, dass er oft zur falschen Zeit das Falsche sagt und dass er sich mit einem guten Drink entspannen solle, weil es ihm helfen würde, sich zu kontrollieren und einzuschlafen. Bob sagt kein Wort; er fühlt sich wie gelähmt, verwirrt und betäubt. Er schaut auf sein Handy und liest seine Textnachricht vom Nachmittag: »Um wieviel Uhr kommst du heute nach Hause, damit ich das Essen rechtzeitig für uns fertig haben kann?« Jeff fährt fort zu trinken und sich über Bobs unangebrachte Nachricht zu beklagen.

Hier ist das Problem: Irgendwann haben Sie gelernt, mit den emotionalen Turbulenzen, die der Umgang mit anderen Menschen oder schwierige Lebenssituationen mit sich bringen können, umzugehen, indem Sie auf schnelle »Lösungen« zurückgreifen, die sich im Augenblick einfach gut anfühlen, Sie von Ihrem Schmerz ablenken und ihn sogar für eine Weile verschwinden lassen. All diese schnellen Lösungen wie Trinken, sexuelle Aktivitäten oder exzessives Arbeiten funktionieren so gut und fühlen sich so gut an, dass Sie immer wieder darauf zurückgreifen. In gewissem Sinne »überlernen« Sie sie.

»WENN DU FRÖHLICH BIST, DANN ISS EINEN SNACK«

Als ich kürzlich über die verschiedenen Strategien nachdachte, die eine meiner Klientinnen bei Schwierigkeiten mit ihrem Chef anwandte, erinnerte ich mich an einen alten Werbespot der Weight Watchers. Kennen Sie diesen Song noch? »Wenn du fröhlich bist, dann klatsche in die Hand …« In dem Werbespot war das Lied abgewandelt worden in:

»Wenn du fröhlich bist, dann iss einen Snack

Wenn du wütend bist, dann iss einen Snack

Wenn du traurig bist, dann iss einen Snack«

Wenn Sie sich verletzt fühlen oder leiden, ist es verständlich, dass Sie alles tun, um Ihr Unbehagen loszuwerden, und die Flucht an einen Ort, der angenehmer und erfreulicher ist, ist immer eine Option. Flüchten Sie manchmal vor einem unangenehmen oder verstörenden Gefühl, indem Sie Ihre Lieblingssnacks oder Süßigkeiten oder Lieblingsgerichte essen, um sich zu beruhigen? Oder versuchen Sie, diese niederschmetternden Gefühle in den Griff zu bekommen, indem Sie es vermeiden zu essen oder jeden Bissen zählen?

Verstörende oder Stress erzeugende Gefühle werden durch alle möglichen äußeren Ereignisse oder inneren Prozesse ausgelöst. Manchmal bekommen Hochsensible unangenehme Gefühle, wenn sie ihren Körper oder bestimmte Körperbereiche betrachten, oder haben unangenehme Körperempfindungen beim Anblick verschiedener Lebensmittel und Speisen.

»SHOPPEN«

Jedes Mal, wenn Anastasia mit ihrer Mutter gestritten hatte und sich dadurch frustriert fühlte, fuhr sie schnell ins Einkaufszentrum, um sich ein Paar Schuhe oder eine Handtasche zu kaufen. In ihrem Schrank befanden sich über zwanzig Handtaschen angesagter Marken und dreißig Paar Stilettos im Wert von insgesamt 25.000 Dollar.

Als Anastasia vor sechs Monaten ihren Job verlor, zog sie wieder zu ihren Eltern, weil sie die Lebenshaltungskosten nicht mehr allein tragen konnte, und sie belegte Online-Kurse, um ihre Karrierechancen zu verbessern. 25.000 Dollar für Handtaschen und Schuhe auszugeben lag deutlich über dem, was sie sich finanziell leisten konnte.

Anastasia hatte seit vielen Jahren Probleme mit ihrer Mutter; sie hatte das Gefühl, weder gesehen noch gehört zu werden und litt unter den Vergleichen mit ihrer Schwester. Jedes Mal, wenn sie einen Streit hatten, ganz gleich, wie er begonnen hatte, fühlte sich Anastasia, als ob in ihrem Körper ein Feuer entfacht würde und sie konnte das sogar äußerlich wahrnehmen, wenn sie sich im Spiegel betrachtete. »Es ist in dem Moment eine Mischung aus Gefühlen der Wut und Frustration«, sagte sie. Im Laufe der Jahre lernte Anastasia, dieser emotionalen Hölle zu entfliehen, indem sie sich mit Dingen beruhigte, an denen sie am meisten Freude hatte: Handtaschen und Stilettos. Auch wenn sie sich das nicht leisten konnte, war es eine schnelle Lösung.

Waren Sie jemals in Anastasias Lage?

LEBEN, STERBEN ODER RITZEN

Dorothy: »An meinem dreißigsten Geburtstag werde ich meinem Schmerz ein Ende bereiten.«

Matt: »Ich werde mein Leben am Valentinstag beenden.«

Chris: »Wenn meine Mutter stirbt, begehe ich Selbstmord.«

Stephanie: »Wenn mein Kind achtzehn Jahre alt wird, werde ich meinem Leiden ein Ende setzen.«

Das sind einige der Ankündigungen, die Hochsensible irgendwann in ihrem Leben gemacht haben. Durch die emotionale Hölle zu gehen ist anstrengend für hochsensible Menschen, und ihre Sensibilität im Hinblick auf Zurückweisung, Verlassenwerden und andere anhaltende negative Gefühle ist so hoch, dass sie einfach nur einen Ausweg daraus suchen.

Einer meiner Klienten, Joe, sagte einmal zu mir: »Ich lebe seit meinem zwölften Lebensjahr im emotionalen Elend. Jetzt bin ich 35 und fühle mich immer noch elend, es hört nicht auf.« Als ich ihm mehr Fragen über seinen inneren Kampf stellte, erfuhr ich, dass er oft mit intensiven Gefühlen der Einsamkeit und Verzweiflung zu kämpfen hatte. Er wird von diesen Gefühlen dann total überwältigt und kennt keinen anderen Weg, sie zu beenden, als seine Handgelenke zu ritzen; manchmal setzt er nur einen Schnitt, manchmal viele.

»Fantasy Island«: Der Versuch, Gefühle zu unterdrücken

Der Versuch, die Gefühle zu »stoppen«, ist eine andere Bewältigungsstrategie, die Hochsensible bei unangenehmen oder unerträglichen Gefühlen anwenden. Aber haben Sie schon einmal Ihre Hand unter einen Wasserhahn gepresst, während das Wasser läuft, um es am Fließen zu hindern? Wenn nicht, würde ich Ihnen wärmstens empfehlen, zu einem Waschbecken zu gehen und den Wasserhahn aufzudrehen. Lassen Sie das Wasser laufen und versuchen Sie nach ein paar Sekunden die Öffnung zu verschließen, indem Sie Ihre Handfläche dagegen pressen. Was passiert? Sie haben gerade eine kleine Sauerei angerichtet, nicht wahr? Jedes Mal, wenn ich diese Übung ausprobierte, spritzte das Wasser in alle Richtungen. Mit den Gefühlen ist es ähnlich: Wenn wir versuchen, sie zu unterdrücken, sprudeln sie an allen Ecken und Enden wieder hervor. Hier müssen wir Folgendes bedenken: Jede Emotion ist eine vielschichtige Erfahrung. Das müssen Sie mir nicht glauben, Sie können es einfach jetzt überprüfen. Rufen Sie sich ein schönes Erlebnis aus der letzten Woche ins Gedächtnis, bleiben Sie in Gedanken eine Weile dabei und nehmen Sie die unterschiedlichen Aspekte dieser emotionalen Erfahrung wahr: körperliche Reaktionen, damit einhergehende Gefühle, die Intensität dieser Gefühle, die Gedanken, die Ihnen in den Sinn kamen und sogar die Handlungsimpulse, die Sie in diesen Momenten hatten.

Was haben Sie bemerkt? Emotionen haben Mikro-Bestandteile – Gedanken, Körperempfindungen, Impulse, Bilder – und so komplex sie auch zu sein scheinen, sie haben einen Anfang und ein Ende. Wenn Sie sie einfach fließen lassen, ohne etwas dagegen zu unternehmen, wie Sie es in der vorhergehenden Übung gemacht haben, kommen und gehen sie. Sie müssen nicht im emotionalen Elend gefangen sein. Das Problem ist, dass manche Gefühle so verstörend und unerträglich sein können, dass Sie versuchen, sie zu stoppen. Doch jeder Versuch, solche unangenehmen Emotionen zu unterdrücken, bringt andere unangenehme Gefühle hoch und Sie sind in einer emotionalen Endlosschleife gefangen.

Können Sie sich befehlen, in diesem Moment glücklich oder traurig oder wütend zu sein? Funktioniert das? Wahrscheinlich überhaupt nicht. Der Versuch, die eigenen Gefühle zu unterdrücken, ist, als würde man ein Ticket für Fantasy Island lösen, denn es ist eine Illusion, zu glauben, man könne seine Gefühle kontrollieren, stoppen oder blockieren. Sie haben keine Kontrolle über das, was Sie fühlen. Sie haben nur Kontrolle über Ihr Handeln, wenn selbstzerstörerische Emotionen Sie im Griff haben.

Langfristige Lösungen

Vor Ihrem Schmerz zu flüchten, indem Sie Alkohol trinken, sexuell aktiv sind, zu viel arbeiten, sich mit Essen beruhigen, Dinge kaufen, die Sie sich nicht leisten können, sich selbst verletzen, den perfekten Tag für Ihren Selbstmord planen oder zu unterdrücken versuchen, was Sie fühlen, ist eine verständliche Reaktion angesichts der emotionalen Qualen, die Sie immer wieder durchmachen. Es sind keine idealen Reaktionen, doch sie sind verständlich. Hier eine zentrale Frage: Wie funktionieren diese schnellen Lösungen auf lange Sicht? Helfen sie Ihnen, die Person zu sein, die Sie sein möchten? Was passiert mit Ihren Beziehungen? Lassen Sie uns gemeinsam einen Schritt zurücktreten und schauen, ob Sie in Ihren persönlichen Spiegel blicken können, indem Sie die folgende Übung machen.

Übung: Bestandsaufnahme der schnellen Lösungen

Versuchen Sie die folgende Tabelle so vollständig wie möglich auszufüllen. Denken Sie an Zeiten, in denen Sie als Kind, Jugendliche/r, junger Erwachsene/r (und heute) schnelle Lösungen angewendet haben.

SituationSchnelle LösungLangfristiges Ergebnis für Sie und andere Beteiligte

Wenn Sie als emotional hochsensibler Mensch in Ihrem Schmerz gefangen sind, tun Sie verständlicherweise alles, um Ihrer emotionalen Hölle zu entkommen. Das Problem ist, dass all diese schnellen Lösungen nur kurzfristig funktionieren. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Ihr emotionaler Schalter wieder kippt, diese unerträglichen Gefühle aufs Neue aktiviert werden und Sie wieder genau am selben Punkt sind wie zuvor: von Ihren Gefühlen gequält alles tun, um ihnen zu entkommen.

Das Paradoxe daran ist: Je mehr Sie versuchen, diesen quälenden Gefühlen zu entfliehen oder sofort aufgrund dieser Gefühle zu handeln, desto stärker werden Sie in eine Endlosschleife hineingezogen, die Ihren Schmerz langfristig verstärkt. Sobald Sie den Kreislauf der emotionalen Flucht in Gang setzen, bleiben Sie in einem sich selbst erhaltenden Muster hängen, das Sie weit davon entfernt, die beste Version Ihrer selbst zu sein. Alle Emotionen sind akzeptabel, aber nicht alle Verhaltensweisen sind langfristig von Vorteil für Sie oder effektiv.

Heute sitzen Sie hier, lesen dieses Buch und spüren trotzdem eine innere Leere, weil Sie nicht das Leben leben, das Sie sich wünschen. So unglaublich es klingen mag: Es ist möglich, von da, wo Sie jetzt sind, dorthin zu gelangen, wo Sie sein möchten. Es gibt andere Optionen.

Veränderung ist möglich

Vor elf Jahren arbeitete ich mit einem Klienten, der innerhalb von sechs Monaten fünf Mal versucht hatte, sich das Leben zu nehmen. Er litt so sehr, dass kaum mit Worten zu beschreiben ist, was er durchmachte und wie es sich wohl anfühlen musste, in seiner Haut zu stecken, wenn er an den Punkt kam, wo die Verzweiflung so übermächtig wurde, dass er aufgeben wollte. Er kam zuverlässig zu unseren Sitzungen und lernte im Laufe der Zeit unter großen Mühen, mit seinem Schmerz umzugehen, indem er alle Techniken und Strategien einsetzte, die ich ihm vermittelte. Und er wandelte sich von einem Menschen, der sich ganz und gar verloren fühlte und das Leben aufgeben wollte, zu einem Vater von zwei Kindern, Firmeninhaber, großartigen Ehemann und verlässlichen Freund für die Menschen in seinem Umfeld. Unsere Arbeit war alles andere als einfach; es war immer wieder eine umfassende »Fehlersuche«, bei der wir herauszufinden versuchten, wie er mit all diesen furchtbaren Gefühlen, seinen sozialen Kontakten, Alltagsproblemen, Verabredungen, seinem Familienstress und ähnlichen Dingen umgehen könnte. Wenn ich zurückblicke, kann ich Ihnen sagen, dass wir uns jede Schwierigkeit, mit der er konfrontiert war, wieder und wieder angeschaut haben. Sein heutiges Leben spricht für sich, es ist das Ergebnis der gemeinsamen Arbeit. Inzwischen ist er nicht mehr mein Klient, denn er kann sein Leben nun ohne Therapie meistern. Wie groß Ihr emotionales Leiden auch ist: Veränderung ist möglich. Dieses Buch wird Ihnen Schritt für Schritt zeigen, wie Sie Ihre emotionale Maschinerie unter Kontrolle bringen können. Es warten neue Chancen auf Sie – und ein lebenswertes Leben.

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