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ОглавлениеKapitel 6
Deros, der 5. Tag, gelbe Sonne
Mond: Para – Stadt Parazen - Zentralstadt
Parazen ist eine der größten Städte von ganz Para und zudem auch noch die Hauptstadt des Mondes Para. Hier leben und arbeiten die wichtigsten politischen, militärischen und wissenschaftlichen Köpfe des gesamten Mondes. Parazen ist der Ort, von dem aus jedes Gesetz seinen Weg langsam in die Gesetzesbücher der einzelnen Städte, Dörfer und Höfe der Zentralregierung findet. Wer in Parazen wohnt, der lebt in einer Stadt, die nie zu schlafen scheint. Einer Stadt, die auf einem Felsbrocken erbaut wurde, der vollkommen freistehend aus einer Kilometer tiefen Grube herausragt und nur über acht massive Dampfbahnstahlbrücken mit dem Rest des Mondes verbunden ist. In der Mitte der Stadt befindet sich das womöglich größte multifunktionale Gebäude auf ganz Para. >>>Das Herz von Para<<<. Auf seiner untersten Ebene, der Ebene Nummer minus vier, befindet sich das Abwasser- und Frischwassersystem der Stadt. Das Frischwasser wird aus einem unterirdischen Vulkansee gepumpt, der seinen höchsten Punkt, die Wasseroberfläche exakt 50 Meter unter dem Wassersystem hat. Das Brauchwasser der Stadt wiederum, wird über ein verschachteltes Röhren-, Filter- und Pumpensystem zurück in den Vulkansee geleitet und dank des Vulkangesteins natürlich aufbereitet. Eine Ebene höher ist der Zentralfriedhof der Stadt eingerichtet. Für Besucher der Stadt wirkt es eher befremdlich auf einem Friedhof umherzuwandern als würde man gerade einen kleinen Hof besuchen. Für Parazener ist der Friedhof jedoch der beliebteste Park der Stadt, da auf Grund seiner einzigartigen Konstruktion kein Geräusch von außen in die dritte Ebene eindringen kann. Hier mischen sich Parazener, die ihre Verstorbenen besuchen wollen, mit den einfachen Besuchern, die einfach die Ruhe dieses Ortes in sich aufnehmen möchten. Auf den nächsten beiden Ebenen findet man den Zentralbahnhof der Stadt - die einzige Möglichkeit Parazen zu verlassen. Der Bahnhof ist ein Ort, der vom Dampf der Dampfbahnen ständig in einem leichten Nebel gehalten wird. Auf drei verschieden hohen Haltestationen kommen Dampfbahnen im 30 Minuten Takt im Bahnhof an und verlassen diesen auch wieder. Wer sich das erste Mal an diesem Ort befindet, sollte sich gut an die Beschilderung halten um sich nicht zu verlaufen. Über dem Bahnhof befindet sich die erste ebenerdige Fläche, die Ebene null des gewaltigen Zentrums von Parazen. Auf dieser nullten Ebene treffen die Hauptverkehrsstraßen von ganz Parazen zusammen. Die Transport- und Personen-Paternoster in der Mitte der Ebene können hier ganz offen betrachtet und genutzt werden und man hat die Möglichkeit über die zahlreichen Treppen zu jeder der vier oberen und unteren Ebenen zu gelangen. Auf den nächsten beiden Ebenen findet man den >>>großen schwebenden Markt<<< von Parazen. Der größte Warenumschlagsplatz auf ganz Para und der einzige mit einem chaotischen Standplatzzuweisungssystem.
Auf zwei Ebenen wird vermutlich alles gehandelt, was man sich vorstellen kann zu handeln. Dabei spielt es hier keine Rolle ob legal oder illegal. Um für maximale Sicherheit zu sorgen und eine perfekte Ausgangsposition für die WaPara von Parazen zu schaffen, wurde die gesamte dritte Ebene des >>>Herzens von Para<<< in eine Wachzentrale umgerüstet. Um in Kontakt mit den Kollegen der Wächterakademie zu bleiben, verfügt die dritte Ebene über einen eigenen Dampfbahnbahnhof, der nur den WaPara zur Verfügung steht und neben der Akademie noch weitere Punkte in der Stadt anfahren kann. Die letzte Ebene dieses gewaltigen Prunkbaus besteht aus einer halb offenen Kuppel, die im Notfall geschlossen werden kann. Hier befindet sich der Sternenhafen von Parazen. Die vierte Ebene kann man sich wie einen großen offenen Lagerplatz mit Last-Paternoster, Hebekränen und Standplätzen für Sternenschiffe vorstellen. Zwischen der hochkomplizierten Technik befinden sich dutzende an Arbeitern, die sich eifrig mit ihrer Zuteilung beschäftigen sowie Reisende, die frisch angekommen sind oder gerade abreisen möchten. Hier steht Zeit für bare Münze.
In dieses künstliche Herz von Parazen fuhr Thomas mit seinem guten Freund Aragos gerade hinein. Nach langen Diskussionen, hatte er sich tatsächlich breitschlagen lassen, die Dampfbahn bis nach Parazen zu nehmen anstatt zu fliegen. Er musste gestehen, dass die Dampfbahn von ihrer Geschwindigkeit locker mit Aragos hätte mithalten können, aber Aragos im Gegensatz zur Dampfbahn längere Pausen gebraucht hätte - dafür verschlang dieses mechanische Ungetüm vermutlich auch jede Menge Steuermünzen.
Wenn er ehrlich mit sich selbst war, hätte er es nicht in 25 Tagen bis zur Stadt Parazen geschafft. Obwohl, vielleicht schon, aber er und Aragos wären wesentlich erschöpfter gewesen als jetzt. Die Fahrt war für Aragos vermutlich sogar noch anstrengender als für ihn selbst. Immerhin konnte er sich durch die gesamte Dampfbahn bewegen und musste nicht eingesperrt in einem stinkenden Waggon mehrere Tage verbringen. Aber jetzt hatten sie es ja geschafft. Er war vor Jahren das letzte Mal in Parazen gewesen. Damals hatte er die Stadt verlassen um sich seiner letzten Prüfung als Wildhüter zu stellen. Er schaute aus dem kleinen Fenster, welches man in den Waggon eingebaut hatte. Seine Dampfbahn hatte mittlerweile den Tunnel hinter sich gebracht, welcher sie mitten ins >>>Herz von Para<<< gelotst hatte. Im Licht der Gaslaternen sah er seit langem Mal wieder den total verrückten Bahnhof. Die Dampfbahnen fuhren in unterschiedlichen Höhen in die Abfahrtshalle hinein. In der Mitte der Halle pulsierten die kleinen Personen- und die großen Lasten-Paternoster wie die schlagende Herzader eines paranischen Bärs. Wer sich dies alles ausgedacht hat, muss entweder ein Genie oder ein Verrückter gewesen sein. Oder vielleicht sogar beides. Die Lasten werden über die Mitte an die Händler und Verkaufsstände gebracht. Was für eine verrückte Idee, aber doch ganz logisch, wenn man mal so darüber nachdenkt. Thomas schielte zu Aragos rüber. Und du mein guter Freund? Dich werden sie vermutlich auch über diesen Kistentransporter rauffahren lassen müssen. Ob die uns einfach so in eine dieser Kisten stecken und dann hochfahren lassen? Thomas sah den Leuten hinter her, während seine Dampfbahn auf dem halbrunden Bahnsteg zum Stehen kam. Man hatte den Steg so angelegt, dass Waren schnell an die Last-Paternoster verladen werden konnten und gleichzeitig die Flut an Passagieren über versteckte Treppen und gut angelegte Einkaufspassagen aus dem Bahnhof herausgeführt wurde. Ich weiß immer noch nicht was ich von meiner Beförderung halten soll. Mondhüter von Para. Das klingt irgendwie falsch. Und warum soll ICH verdammt nochmal die Arbeit von WaPara machen, die besser ausgebildet sind als ich in dieser Hinsicht. Ja und dann noch die Tatsache, dass man mir einen Titel verliehen hat, den ich geheim halten soll. Thomas sank an der Wand seines Waggons herab. Man hatte ihn befördert, ihm mehr Privilegien gegeben, so er sie denn brauchen würde, aber einsetzen durfte er sie nur sehr dezent bis am besten garnicht. Er hatte die letzten Wochen damit verbracht geheime Schlüsselwörter auswendig zu lernen, die ihm jede Tür auf ganz Para öffnen sollten und studierte mindestens 20 verschiedene Lebensläufe und Profilbeschreibungen von den unterschiedlichsten Paranern, die seine Kontaktpersonen geworden waren. Leute, die er noch nicht einmal in seinem Leben getroffen, ihnen aber voll und ganz vertrauen sollte. Sein Leben hatte sich verändert. Es wurde eindeutig komplizierter.
Sein Zug kam mit lautem Quietschen zum Stehen. Thomas konnte die letzten Schnaufer der Zugmaschine hören und das verbrannte Metall und Schmieröl riechen das sich von den Schienen in seinen Waggon hineindrückte. Auch Aragos war der Geruch nicht entgangen. Sein Freund schüttelte heftigst den Kopf und ließ seinen Ärger mit schrillen Rufen freien Lauf. Dann ein weiterer Ruck und ein Gefühl von Schwerelosigkeit. Anscheinend hatte man seinen ganzen Waggon mit einem Kran vom Zug befreit und brachte ihn gerade über die überall angebrachten Lastenkräne zum großen Last-Paternoster. „Bald Aragos, bald dürfen wir aus diesem stickigen Gefängnis wieder heraus und uns in die Lüfte schwingen. Du wirst hoch über Parazen kreisen und den Leuten zum ersten Mal in ihrem Leben einen Riesenadler präsentieren. Die Luft wird erfüllt sein mit Staunen.“
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Parazen – 14:34
Dritte Ebene im Herzen der Stadt
„Entschuldigen Sie bitte EliteSheriff von Oberbrücken. Aber Sie sind noch nicht wieder ganz zusammengeflickt. Sie mögen zwar Wunden besser und schneller heilen können wie wir Normalsterblichen, aber dennoch brauchen sie jemanden wie mich, der sich um die hochsensible Mechanik in Ihrem Inneren kümmert.“, ermahnte Runenschmiedemeister Theodorus seinen Patienten Marcelus gerade zum gefühlt hundertsten Mal. Er, Theodorus war ein Pionier auf dem Gebiet der feinmechanischen Implantationschirurgie und Marcelus von Oberbrücken war sein größtes Meisterwerk. Bei keinem Anderen, ob Paraner oder von einem anderen Mond, hatte er das vollbracht, was er mit Marcelus geschafft hatte. Die perfekte Verschmelzung zwischen Maschine, Geist und Körper. Marcelus war praktisch einmalig im ganzen Sonnensystem. Theodorus warf noch einen letzten Blick in seine Konstruktionspläne und analysierte erneut für sich den genauen Ablauf, wie er einst das gesamte Knochenskelett des Sheriffs gegen Metall tauschte. Marcelus war in jeder Hinsicht perfekt. Er besaß einen eigenen Willen, sah aus wie ein normaler Paraner und hatte auch die typischen anatomischen Gedärme. Theodorus gestand sich ein, dass er eigentlich gar nicht so viel getan hatte. Er hatte einfach nur Knochen gegen Metall getauscht, ein zweites Herz eingebaut, das Lungenvolumen durch zwei kleine Lungenkammern erweitert, ein paar hydraulische Systeme eingebaut, um die Muskelkraft zu erhöhen und ein Rippenbasiertes Speicherrelais installiert. All dies hatte er geschafft ohne dass der Sheriff nun aussah, als wäre er aus der Konservenfabrik entlaufen. Er war einfach eine perfekte Verschmelzung von Fleisch und Metall. Es widerstrebte ihm aufs Neue den Sheriff für arbeitstauglich zu erklären, nur um im Nachhinein seine perfekte Schöpfung ins Labor getragen zu bekommen, um sie wieder zusammen zu flicken. „Nun dann Sheriff. Ich habe Eure Fehlstellen repariert und ein ganz neues Runenmodul eingebaut, das dafür sorgen soll, dass Ihr Verletzungen besser heilen könnt. Im Grunde zapft es die Leylinien an und sorgt dafür, dass eine Art Bypassleylinie entsteht, die in Eurem System über die neu hinzugefügten Verbindungsrunenkabel weitergetragen wird - also weitere Subbypassleylinien erschafft, die wiederrum in der Lage sind sich durch Eure fleischlichen Komponenten zu wühlen, um so einen erhöhten regenerativen Effekt auszulösen. Euer Körper beginnt also damit sich selbst mit neuen gesunden Bestandteilen zu versorgen. Ihr müsst nur das folg…“. „Lass gut sein Schmied, ich verstehe es doch sowieso nicht was du da von dir gibst. Sag mir einfach ob ich wieder arbeitstauglich bin. Ich sehe jetzt schon einen ganzen Stapel Briefe und Akten auf meinem Tisch sich auftürmen, die alle abgearbeitet werden wollen.“ Marcelus hob die Hand: „Und versucht garnicht erst es mir auszureden, Schmied. Ich habe keine Lust und Zeit um meinen Arsch in einem Bett auszuruhen oder früh aufzustehen und mir gemütlich das bunte Treiben der Märkte anzugucken.“ Marcelus stand auf, schnappte sich seine Klamotten, die man feinsäuberlich auf einem Stuhl in seiner Nähe aufgetürmt hatte. Das Laken, mit dem man ihn verhüllt hatte auf dem OP-Tisch, ließ er achtlos zu Boden fallen. Dass er nackt war schien ihn in diesem Moment nicht zu stören und dass die Assistenzdamen des Runenschmiedes nun mit vorgehaltener Hand ihn alle anstarrten, störte ihn noch weniger. Was waren diese Kesselflickerweiber schon im Gegensatz zu ihm oder besser gesagt zu Sarah, der einzigen Frau in seinem Leben, die es wert gewesen war sich näher mit ihr zu beschäftigen. Mit schnellen Schritten ging er auf die Tür des Labors zu, blieb kurz vor ihr stehen, drehte sich noch einmal um und begutachtete das Labor zum gefühlt 80. Mal ganz genau. Von der Decke hingen, wie bei den letzten Malen auch, die großen Greifarme. In der Mitte des Raums war der OP-Tisch des Runenschmiedes und um diesen herum standen im Abstand von ca. zwei Metern diverse Schränke mit lebenden und mechanischen Teilen herum.
Die Schränke der lebenden Teile konnte man sehr gut an den dutzenden Kabeln und austretenden Kühlwolken erkennen, die konstant eine Art natürlichen Bodennebel im Labor hervorriefen. Der Rest war eher unspektakulär. Hinter dutzenden Glasscheiben verbargen sich die Büros der Laborsklaven. Die Wände waren alle weiß gestrichen worden und der Raum wurde von einem permanenten Geruch aus Chlor, Desinfektionsmittel und Zitronenduft erfüllt. Es war richtig gewesen, sich dem Projekt dieses Runenschmiedes anzuvertrauen, aber ich kann diesen Ort dennoch nicht leiden. Und je öfter ich hierher muss, desto stärker wird meine Abneigung. Ich hoffe das liegt nicht an den Operationen oder den eingebauten Maschinen in meinem Körper. Wenn ich zur Waffe werden sollte, bring’ ich mich vorher um. Mit diesen Gedanken dreht er sich wieder der dicken eisenverstärkten Eichenlabortür zu, ließ all seine Sachen, bis auf den schweren Staubmantel, auf den Boden fallen, schlüpfte in den Mantel hinein und verließ das Labor unter heftigsten Protesten des Runenschmiedes.