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Kapitel 9

Deros, der 23. Tag, rote Sonne

Mond: Para – Stadt Parazen

Thomas stand neben Aragos auf einem der wenigen flachen Dächer von Parazen. Seine Aufmerksamkeit galt einem pompösen Fenster auf der anderen Straßenseite vier Ebenen unter ihm. Aragos scharrte nervös mit den Krallen übers Wohndach. Im gefiel Parazen nicht. In den letzten Tagen hatte Thomas alles versucht um seiner neuen Aufgabe gerecht zu werden und gleichzeitig seinen Freund an die fremden Eindrücke zu gewöhnen. Aragos akzeptierte sein Schicksal zwar in Parazen zu sein, aber Thomas war sich sicher, dass sein Freund diese Stadt genauso verabscheute wie er auch. Die riesigen Fabriken mit ihren ekelhaft qualmenden Schornsteinen, die einem die Luft nehmen, wenn man durch den Himmel von Parazen fliegt, die unzählig vielen Paraner, die sich dicht gedrängt in den Straßen der Stadt aufhielten und die vielen kleinen Ganoven, die ihn innerhalb von vier Tagen sieben Mal ausrauben oder meucheln oder vermutlich sogar beides antun wollten. Thomas legte das Fernglas zur Seite und gönnte seinen Augen ein paar Sekunden Ruhe. Seit Wochen beobachtete er das Haus des alten Generals und schien mittlerweile fast jedes Detail des Zusammenlebens des Generals und seiner Frau zu kennen. An welchen Tagen sie was aßen oder wann sie in den Park gingen. Mit wem sich die holde Gattin traf, während ihr Mann anderweitigen, zumal auch eher langweiligen Geschäften auf den zahlreichen Märkten von Parazen nachging. Wer alles zur Buchgruppe der Holden gehörte und mit welchen Veteranen sich der General im Ruhestand zu treffen pflegte, Pfeife rauchte und dabei einen aromatischen Gin trank. Das Leben von General Augustus Theodor von Eichenbruch und seiner geliebten Frau Hannelore schien eine Ansammlung von langweiligen und zumeist höchst pikierten gesellschaftlichen Ereignissen zu sein. „Was haben wir nur verbrochen Aragos, dass man uns diesen Auftrag erteilte. >>Beobachtet die Familie Eichenbruch in der Siegerstraße 18, prägt Euch ihre Lebensgewohnheiten genauestens ein und berichtet uns sofort, falls sich ein Herr Anfang bis Mitte 30 dem Haus nähert, der eine Mischung aus JM und Kopfjäger ist. << sagten sie. Und dann? Die Beschreibung könnte auf jeden fallen.“ Thomas holte eine Zeichnung aus seiner Hosentasche hervor, strich sie auf dem Hausdach glatt und schaute kniend auf allen vieren nochmals, gefühlt zum tausendsten Mal auf die Zeichnung die man ihm gegeben hatte. „Er würde vermutlich nun etwas älter aussehen meinten sie. Älter ist gut Aragos. Der Kerl soll 27 auf diesem Bild gewesen sein. Jetzt müsste er ca. 36 sein, niemand weiß wo er sich die letzten Jahre rumgetrieben hat, Gerüchte über einen Kopfjäger und Geist der tiefen Schluchten im Süden des Mondes sollen auf ihn zurückzuführen sein und dass er ein höchst gefährlicher Mann wäre, der nichts zu verlieren hat. Ist das nicht ein wunderbarer Auftrag?“ Thomas schaute zu Aragos herauf. Sein Freund schien zu lächeln. So gut halt ein riesiger Adler lächeln konnte. Thomas musste bei diesem Anblick selbst etwas lächeln. Ein Wildhüter und sein Riesenadler aus dem letzten Provinzeck des Mondes, sollen in einer Großstadt, die nur mit Schienen erreichbar ist, einen der gefährlichsten Männer des Mondes fangen. Alles indem sie einen alten Mann beobachteten und dabei langsam den wunderbaren Geruch von sauberer Luft, Laub- und Pinienwäldern, Getreidefeldern, Gewürzfeldern und vielen weiteren angenehmen Gerüchen gegen den Geruch von Schweiß, Ruß und anderen Paranern auf zu dichtem Raum annahmen. Kurz gesagt, sie begannen langsam nach dem zu stinken, was die Parazener aus dem Fenster zu werfen schienen. Da half einfach keine Dusche des gesamten Atlantis Systems, solange sie hierblieben. Der Geruch blieb und wurde jeden Tag ein wenig stärker. „Wir sind schon arm dran was, Aragos?“, seufzte er seinem mit stolz geschwellter Brust sitzenden Freund entgegen. „Da magst du recht haben, du Spanner“, kam auch sofort die Antwort zu ihm zurück.

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Da saß er, schaute auf die Dächer herab und sprach mit einem riesigen Vogel, der friedlich neben ihm saß. Manchmal schien es ihm, als würde das Vieh sogar antworten. Was war es überhaupt? Ein Habicht, eine braune Krähe, Adler oder ein aus den Laboren der Runenschmiede entlaufenes Experiment. Wir haben ja auch KDP, warum nicht auch KDV. So anders ist das ja nicht. Und da dieses Vieh zu verstehen scheint, was der Kerl da quatscht, muss es aus Blech und Zahnrädern bestehen. Vielleicht schieß ich mal kurz drauf um seine Aufmerksamkeit zu erhaschen. Andererseits könnte dieser Psychopathenspanner auch irgendwas eingebaut haben, dass uns alle und dieses Gebäude in die Luft fliegen lässt. Er könnte auch ein Öko-Terrorist sein, der für diese >>ProNatura – ContraStadtleben<< Vereinigung arbeitet. Marcelus kletterte die letzten paar Stufen zum Dachgeschoss herauf und ging einige Schritte auf den unbekannten Spanner zu. Vorsichtig und mit leisen Sohlen, damit sich dieser Mistkerl nicht ertappt fühlt, bis es zu spät ist. „Wir sind schon arm dran was, Aragos?“, seufzte sein Gegenüber und griff nach dem Fernglas um seiner Spannerarbeit weiter nachzugehen. Bei so einer Vorlage konnte er sich einfach nicht bremsen und eh er sich stoppen konnte, war sein Mund bereits schneller. „Da magst du recht haben, du Spanner“, warf er dem Typen entgegen, der sich daraufhin abrupt umdrehte. „Wer seid Ihr und warum schleicht Ihr euch an mich heran?“, donnerte der Spanner ihm auch noch in einem Befehlston zurück. Also der hatte vielleicht Nerven. Einen auf Opfer machen wollen oder was? „Da Ihr schon so überaus nett fragt, werde ich es Euch sagen. Ich bin derjenige, der Euch Manieren beibringen wird. Ihr werdet von mir lernen was es bedeutet, die Privatsphäre von ehrwürdigen und guten Paranern zu respektieren.“ Marcelus griff nach seinem Teleskopeisenstab, den er seit einem Zwischenfall in einer Hafenkneipe immer bei sich trug, und ließ diesen zur vollen Länge ausfahren. Sein gegenüber wappnete sich zum Kampf. Marcelus setzte vorsichtig einen Schritt vor den anderen und achtete auf jede noch so kleine Bewegung des Fremden. Allzu oft hatte er erlebt, dass gute Männer bei der kleinsten Unachtsamkeit von einem heranfliegenden Messer getroffen wurden und sofort zu Boden gingen, da sich die Klinge an einer ungünstigen Stelle in den Körper gebohrt hatte. Unachtsamkeit war der schlimmste aller Feinde eines Gesetzeshüters wie ihm. Marcelus bewegte sich so, dass er von rechts auf seinen Gegner zukommen würde und verlagerte daher bei jedem Schritt sein Gewicht leicht nach rechts, während seine Augen fest auf den Fremden gerichtet waren. „Sprecht“, sprach Marcelus den Fremden mit harscher Stimme an. „Warum beobachtet Ihr tagtäglich dieses Haus? Für wen arbeitet Ihr? Seid Ihr ein Späher, der die Lage vorher sondieren soll? Seid Ihr mehrere?“ Marcelus ratterte seine Fragen wie eine Drehgewehr herunter, dass seine Patronen mit höchster Genauigkeit in den geistigen Leib des Fremden schoss. „Ihr habt viele Fragen für jemanden, der einem unbewaffneten, harmlosen Mann auflauert“, antwortete der Fremde Marcelus. „Ich kann Euch versichern, dass meine Absichten gut sind und Ihr Euch nicht vor mir fürchten müsst. Bitte legt den Stock in Eurer Hand weg und lasst mich das tun, für das man mich beauftragt hat.“ Der Fremde hielt seine Arme ganz ruhig vor seinem Körper und machte keine Anstalten eine Waffe oder dergleichen zu ziehen. Entweder war er total verrückt, überheblich oder er hatte irgendeinen fiesen Plan, der ihn noch in tiefe Schwierigkeiten bringen würde. „Kniet Euch hin und nehmt die Hände hoch. Ich nehme Euch hiermit fest, im Namen der paranischen Zentralregierung.“ Marcelus holte mit der linken Hand seine Marke hervor, auf der gut leserlich ins Messing die Worte „Elite-Sheriff Zentralregierung“ am Rand einer runden Scheibe gestanzt waren. Die Wirkung auf den Fremden war genau die, die Marcelus auch wollte. Er hatte ihn verunsichert. In ein paar Sekunden würde er sich ergeben und von Marcelus mit Handschellen gefesselt werden. Was er jedoch mit dem Vogel machen sollte, war ihm noch nicht ganz klar. Aber eins nach dem anderen. Erst diesen Typen in Wildhüterklamotten in einen Käfig stecken und dann geht’s an den Tierfang.

„Es tut mir leid, Sheriff. Aber ich kann Eurer Bitte nicht nachkommen. Mein Arbeitgeber braucht mich auf freiem Fuß und nicht in irgendeiner Zelle. Die Sicherheit einiger wichtiger Leute hängt von mir ab. Da ich Euch keine Marke zeigen oder verraten kann wer mein Arbeitgeber ist, werde ich nun von hier verschwinden. Ihr solltet Euch besser daran machen Verbrecher zu jagen, als Leute, die auf eurer Seite sind und Para einen Dienst erweisen.“ Nach diesen Worten drehte der Fremde sich wieder zum Dachsims um und stieß sich ab. „ARAGAOS!“, schrie er noch, als er bereits einige Meter vom Dach entfernt auf dem Weg nach unten war. Marcelus traute seinen Augen nicht was gerade geschehen war. War Konrad so gefährlich geworden, dass sich seine Lakaien freiwillig in den Tod stürzten? In wenigen Augenblicken, die weniger waren, als ein Augenblinzeln, war er am Dachsims und sah dem Fremden nach wie er stetig dem Boden näherkam. Was bedeutet Aragos? Schoss es ihm in diesem Moment durch den Kopf, als der große Vogel neben ihm sich ebenfalls in die Tiefe stürzte und den Fremden auffing. Das also ist ein Aragos. Aber mir entkommst du nicht. Ohne einen weiteren Gedanken zu verschwenden stürzte sich auch Marcelus vom Dach.

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Aragos sauste zwischen den Häusern des Patriziers- und Bürokratenviertels vorbei und versuchte so gut er konnte das Gleichgewicht zu halten. An einem mit scharfen Schindeln bestückten, sechs Stockwerke großen Prunkbau, bog er nach rechts ins nächste Viertel ein. Seine äußeren Federn schrammten dabei über die Schindeln, die wie gierige Raubtierkrallen nach ihm und seiner geduldeten und nicht geduldeten Fracht schnappten. Trotz immenser Geschwindigkeit drehte Aragos den Kopf und begutachtete seine Flügel. Die äußersten Federn waren durch die Schindeln angegriffen worden und hingen unschön in alle Richtungen weg. Aber kein Grund zur Beunruhigung. Aragos war sich bewusst, dass dieser kleine Zwischenfall seinen Flugkünsten nichts anhaben konnte und richtete seinen Blick wieder nach vorn. Gerade noch rechtzeitig, um die Brücke zu entdecken, die gerade von einer langen Dampfbahn befahren wurde. Wie eine der vielen stinkenden Maschinen, so warf auch dieses Metallmonster stinkenden Rauch in die Luft und machte ihm das Atmen schwer. Und zu allem Überfluss fiel der schwere Rauch auch noch zu Boden anstatt sich in der Luft aufzulösen. Schnell korrigierte er die Flugrichtung nach links, tauchte durch den Rauch, der ihm Tränen in die Augen brachte und zog kurz die Flügel ein um zwischen den beiden Standpfeilern der Dampfbahnbrücke hindurchzujagen. Auf der anderen Seite schlug er diese dann augenblicklich wieder auf um sich durch die warmen Winde unter der Brücke nach oben katapultieren zu lassen. Ein Manöver, welches er sonst nur am Kristallsee durchführte, wenn der Kristallwasserfall in den warmen Tagen eine angenehme Hitze produzierte. Aragos machte sich um seinen Freund Thomas gar keine Gedanken. Er wusste, dass sein paranischer Freund mit ihm auf einer Wellenlänge war und jede Richtungsänderung, jedes Manöver und jede Gefühlsregung miterlebte.

Nach einem kurzen Blick nach hinten, sah er auch, dass Thomas immer noch mit dem Rücken nach vorn zu ihm saß und mit einem Messer versuchte den ungebetenen Mitreisenden abzustoßen. Verärgert stieß Aragos einen Schrei aus. Das Brückenmanöver sollte den Fremden eigentlich von ihm abschütteln. Stattdessen hielt dieser sich immer noch am oberen Ende seines Steuerschwanzes fest und machte nicht die kleinste Anstalt herunterzurutschen. Stattdessen kam es Aragos so vor, als ob der Griff des Fremden zunahm. Erneut schrie er auf und versuchte durch schütteln seines Schwanzes den störenden, zusätzlichen Ballast abzuwerfen. Doch auch dies erwies sich als nicht sonderlich erfolgreich und führte auch noch dazu, dass er einen unfreiwilligen Sturzflug verursachte. Mit voller Geschwindigkeit fiel er samt seiner Fracht zwischen die dampfenden Schornsteine mit ihrem dunklen, schwarzen und roten Rauch. In dieser Enge war es fast unmöglich richtig zu gleiten, was ihn mehr Kraft kostete als er wollte. In einem halsbrecherischen Manöver zog er die Schwingen ein, breitete sie wieder aus, schlug sie ein paar Mal um an Höhe zu gewinnen und ließ sich des öfteren fallen um einen Zusammenstoß zu vermeiden. Und das alles zum Leidwesen seiner Passagiere. Ein weiterer Schrei durchdrang die stickige Luft zwischen den Fabrikschornsteinen, als er nach Thomas schaute und erkennen musste, dass durch seinen unfreiwilligen Absturz, der Fremde es auf seinen Rücken geschafft hatte und nun mit Thomas um sein Jagdmesser rang. Mehrere blutige Striemen im Gesicht beider Männer und blutige Stofffetzen waren Beweis genug für ihn, dass der Kampf auf seinem Rücken um Leben und Tod ging. Er musste etwas tun um Thomas zu helfen, bevor der Fremde seinem Freund ernsthaften Schaden zufügen konnte. Aragos schaute wieder nach vorn. Die Rauchschwaben machten die Sicht schwer und ließen nur wenig Licht und saubere Luft an ihn heran. Er flog schnell, sehr schnell. Hier wollte er nicht länger bleiben, hier konnte er Thomas nicht gegen den Fremden helfen und hier wurde er langsam müde. Weniger durch die Anstrengung als durch den schwarzen Rauch, der friedlich seinen Weg zum Boden suchte. Immer wieder musste er Schornsteinen und plötzlich auftauchenden Dächern ausweichen, in einem Bruchteil einer Sekunde aufsteigen oder sich in das dunkle Nichts unter ihm fallen lassen. Auf seinem Rücken schien der Kampf um die Übermacht stärker geworden zu sein. Thomas kämpfte nun noch verbissener. Er konnte spüren, dass auch ihm der Rauch stark zu schaffen machte und es nur noch eine Frage der Zeit wäre, bis sein Freund den Kampf verlor. Den Fremden jedoch schien die Situation nichts auszumachen. Er vollführte einen rechten Haken und rammte Thomas fast zeitgleich sein Jagdmesser in die Seite. Er, Aragos schrie auf, wollte seinen Freund warnen, aufwecken. Er ließ seinen Schrei lange und laut durch das Labyrinth aus Schornsteinen dröhnen. Thomas schien die Warnung zu verstehen und riss sich noch einmal zusammen, packte das Messer, sein Jagdmesser in der Hand des Fremden und entriss ihm das lange 30cm Messer mit einer Kraft, die tief aus seinem Inneren kam.

Wieder schrie er, diesmal jedoch aus Freude, dass sein Freund den tödlichen Hieb abwenden konnte. Thomas wartete auch nicht lange, drehte das Jagdmesser in seiner Hand und stach nach dem Fremden. Dieser jedoch war schnell, zu schnell für Thomas. Der Fremde lenkte die Klinge ab und trieb sie ihm in den Rücken. Ein tiefer Schmerz jagte durch Aragos Nervenbahnen und entlud sich mit all seiner Macht in seinem Kopf, an einer Stelle, die sich zwischen den Augen befand. Für einen Moment verlor Aragos die Sicht und die Konzentration, die er brauchte, um in diesem Nebel fliegen zu können. Eine Sekunde später machte sich seine Unachtsamkeit schlagartig bemerkbar. Vor Aragos tauchte wie aus dem Nichts eine Wand auf. Durch ein Loch, etwas weiter unten, wurden Gondeln mit, vermutlich Kohle, ins Innere der Wand befördert. „Aragos, dreh ab. Schnell. Klapp einfach deine Flügel zusammen und … aarrrrhhhhhh.“ Der Fremde nutzte Thomas Ablenkung und trieb ihm das Jagdmesser in die Brust. Sofort kippte Thomas von Aragos runter und stürzte in die Tiefe. Die Wand vor Aragos kam näher, er schaute zu den Gondeln. Das Loch war eng und die Gondeln machte es noch enger. Nur einen kurzen Moment blieb der Spalt breit genug, dass er zwischen den Gondeln hindurch schlüpfen könnte. Er machte sich bereit, fixierte seinen Freund und ließ sich fallen. Der Fremde rechnete natürlich nicht mit seinem Fall und wurde ruckartig vom Rücken geschleudert. In aller letzter Sekunde schaffte der Fremde es jedoch sich an seiner Wunde festzuhalten. Ein weiterer, diesmal viel stärkerer Schmerz schoss die Nervenbahnen in ihm entlang und machte sich wieder in seinem Kopf zwischen den Augen breit.

Augenblicklich erschlafften seine Flügel und er stürzte unkontrolliert und sich um seine eigene Achse drehend in die Tiefe. Der Fremde hielt sich weiterhin in seiner Wunde fest. Er schnappte im Fall mit seinen Krallen nach Thomas und bekam ihn zu fassen. Der Schmerz in seinem Kopf wurde durch den Griff des Fremden immer stärker und dröhnender. Nicht mehr lange und er würde sein Bewusstsein verlieren und in den dunklen Tod unter ihm stürzen. „Aragos“, schrie eine ihm bekannte Stimme von irgendwoher zu. „Deine Flügel. Breite sie aus und schlag ein paar Mal mit ihnen. JETZT LOS.“ Er tat es. Warum wusste er nicht. Aber die Stimme war ihm bekannt und er wusste, dass er öfters schon auf diese Stimme mit Taten geantwortet hatte, die er seltsam und unmöglich fand. Aragos breitete seine Flügel aus, bremste kurz seinen Sturz, bevor er wieder ins Tiefe schwarz herabfiel. Jetzt aber trudelte er nicht mehr und konnte so zwei Mal mit den Flügeln schlagen. Ein Ruck durchlief seinen gesamten Körper und warf ihn mit seinen beiden Passagieren nach vorn, in die Richtung, in die die Gondeln mit ihrer Fracht verschwanden. Der Fremde krallte sich immer noch in ihm fest und durch seinen abrupten Neustart fühlte es sich für ihn an, als würde der Fremde ihm die Haut abziehen und ihn dabei gleichzeitig das Fleisch aus der Seite mit herausreißen. Aber er hatte es geschafft. Er steuerte geradewegs auf die Gondeln und das kleine Loch zu. Immer wieder verdeckten die Gondeln das rettende Loch, verschlangen dabei das Licht aus dem Inneren und spuckten es erst wieder aus, wenn sie ganz im Loch verschwunden waren. Er hielt genau darauf zu. Sein Bewusstsein begann langsam sich zu verabschieden. Er nahm das sich näherkommende Loch immer weniger wahr. Der Schmerz raubte ihm jegliche Aktionsmöglichkeiten. „ARAGOS! ZIEH DIE BEINE AN!“ Er tat es. Er hoffte zumindest, dass er es tat. Er kannte die Stimme, er mochte die Stimme, die Stimme war ein Freund. Er kam dem Loch näher, sein gewaltiger Adlerkörper fiel nach links ab und streifte eine Gondel. Kohlestücke stoben in alle Richtungen weg, die Stimme schrie. Eine weitere Stimme mischte sich in das Geschrei ein. Nur er schrie nicht mehr, seine Kraft war weg, er war auch gleich weg. Sein Adlerkörper prallte von der Gondel ab und schlug in die Wand ein. Irgendwas wurde eingedrückt. Ein weiterer Schmerz mischte sich zum ersten. Er war aber nicht mehr in der Lage zu unterscheiden, ob es sich nicht sogar um den gleichen handeln könnte. Die Schreie um ihn herum ebbten nicht ab. Dann entließ ihn die Wand wieder, wie sie einen Springball entließ, den man an eine Wand warf, nur um zu beobachten, wie sich dieser verhielt. Kinder spielten oft mit diesen Bällen erinnerte er sich. Thomas erzählte ihm, dass Kinder damit spielerisch ihre Reflexe testeten. Nun war er dieser Springball, der von der Wand wegflog. Unter ihm schnitten die Kohlen seine Haut auf. Das Zugseil brannte eine tiefe Schneise in sein Fleisch. Es stank nun nach verbranntem Vogel, nach ihm. Die Gondel wurde weitergezogen und ließ ihn fallen. Wo oben und unten war, wusste er schon lange nicht mehr. Nur die nicht aufhörenden Schreie der Stimmen sagten ihm, dass er immer noch da war. Dann ein weiterer Stoß. Wieder wurde er nach vorne geworfen. Irgendwas riss und er spürte eine große Wärme an dieser Stelle entstehen. Das Geschrei wurde leiser.

Eine der Stimmen war verschwunden. Er erkannte, dass es sich um die unbekannte Stimme handelte. „ARAGOS!“ Wieder diese bekannte Stimme. Sie war also noch da. Dann wieder ein Stoß und noch einer und dann noch ein dritter und ein helles Licht drang in seine Augen ein. Er stieß einen Schrei aus, zumindest hoffte er es, dann wurde es dunkel.

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