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Kapitel 10

Deros, der 30. Tag, rote Sonne

Irgendwo im Sternenmeer

Sie begann zu frieren. Zumindest glaubte sie das. Sie war sich selbst nicht sicher, ob man an diesem Ort überhaupt frieren konnte. Eigentlich hätten ihr auch die Beine wehtun müssen, doch sie stand immer noch neben dem Felsen. Einem Felsen, den sie nicht heraufklettern konnte, da er zu glatt war. Nicht mal als Anlehnfläche war er zu gebrauchen. Sie hatte es mehrfach versucht und war jedes Mal im Wasser gelandet. Tyrna hatte langsam die Schnauze gestrichen voll. Sie war nass, schlecht gelaunt und seit Stunden an diesen Ort gefesselt. Was auch immer sie versuchte, es gelang ihr nicht zu entkommen. Sie fühlte sich beinahe so wie an dem Tag auf Derun, als ihre dunkle Seite Besitz von ihr nahm. Es war der Tag an dem ihr Leben total aus dem Ruder lief. Der Tag, an dem sie alle Weichen gestellt hatte, die ihr eine Gratis Fahrkarte ins Gefängnis einbringen sollten, ihr Bruder sein Leben riskierte, um sie zu retten und sich ein Mädchen als ihre Gefährtin herausstellen sollte. Und obwohl dass alles nur nach totaler Dystopie klang, konnte Tyrna sich ein Grinsen nicht verkneifen. Sie mochte insgeheim ihre neue Kraft.

Sie machte sie stark. Und was noch wichtiger war, sie machte sie unabhängig. Das einzige was sie hasste, war die Tatsache, dass sie nicht in der Lage war diese Kraft zu kontrollieren. Sie heraufzubeschwören wann immer sie wollte. Ihre Kräfte weiter zu formen, bis sie die Gestalt annahmen, die sie bevorzugte. Ja, sie musste einen Weg finden um Herr über sich selbst zu werden. Sobald dieses Schiff gelandet ist, so schwor sie sich in diesem Moment, würde sie alles tun, um nach Hause zu kommen, einen Druiden, eine Hexe oder einen Hexer zu finden, der ihr beibringen könnte, wie man ihre Kräfte kontrollieren kann und dann, das schwor sie sich, würde sie es allen zeigen. Sie würde jedem zeigen aus welchem Holz sie gemacht war. Sie würde nach Blizz reisen und ihren Bruder aus dem Gefängnis holen, auch wenn es bedeuten müsste die ganze Stadt niederzureißen. Tyrna schaute sich um. Sie war anscheinend instinktiv durchs Wasser gelaufen als sie in Gedanken versunken war. Nun stand sie erneut an der Stelle, die ihr das vorwärtskommen beim letzten Mal erschwert hatte. Sie spürte erneut den starken Gegenstrom und das immer zäher werdende Wasser, das sich wie Honig um ihre Beine schloss. Mit Mühe hob sie ihre Beine und versuchte das Ufer ihres kleinen Wassergefängnisses zu erreichen. Je näher sie ihm kam, desto mehr drückte die aufkommende Strömung sie wieder in die Mitte des Sees. Ihre Kraftreserven zerflossen wie Butter im Sommer. Ihre Beine wurden ihr weich. Das Wasser schwappte an ihrer Seite empor, kleine Strudel sammelten sich zwischen ihren Beinen und zogen sie mit sich und jeder weitere Schritt schien das honigartige Wasser weiter zu verfestigen. Doch aufgeben wollte sie diesmal nicht. Es musste einen Weg geben. Eine Lösung, die es ihr ermöglichte irgendwie durchs Wasser zu kommen ohne dass sie knietief in einem Marmorblock aus Wasser stecken blieb. Sie hasste es ja so weggestoßen zu werden, blockiert zu werden. Daheim waren es ihre Eltern, dann die Priesterin, dann Ritter Marun, dann das Volk der Deruner und nun so ein blöder kleiner See in einer Ebene, die nur aus diesem See und einem Stein zu bestehen schien. Und was sie am meisten frustrierte war, dass diese Ebene nicht einmal echt war. Sie war in einer Traumwelt, die sie sich selbst erschaffen hatte. Warum war sie dann nicht in der Lage sie auch zu kontrollieren? Und wo ist überhaupt Shamiira? Sie sagte doch, dass sie helfen würde. Und was tut sie? Nichts! Wo ist sie? Nicht hier! „SHAMIIRA!“, schrie Tyrna mit all ihrer noch verbliebenen Kraft. „WO BIST DU VERDAMMTE AXT NOCHMAL. ICH KÖNNTE DEINE HILFE GEBRAUCHEN. ALSO SIEH ZU, DASS DU ENDLICH AUFHÖRST DÄUMCHEN ZU DREHEN UND ZU MIR HERKOMMST!“ Tyrna stieß ein frustrierendes Knurren aus, nachdem sie all die Wut, die sie hatte herausgeschrien hatte. Lange würde sie nicht mehr durchhalten können. Das zu Marmor erstarrte, ehemalige honigartige Wasser machte ihr zu schaffen. Sie spürte es unter ihren Füßen. Spürte wie ihr der Sand weggezogen wurde. Spürte, dass sie wieder in die Mitte gedrängt wurde.

„Lass dich fallen“, flüsterte eine Stimme aus dem Nichts. Tyrna konnte sie hören. Aber auf sie hören? Das kam gar nicht in Frage. Sie hatte es bis hierher geschafft. Nur noch zwei Meter trennten sie vom friedlichen Ufer; von der ewigen Freiheit. „Du willst nicht zum Ufer Tyrna. Freiheit und Gefangenschaft sind Illusionen deines Geistes. Lass dich fallen, Kind von Ataris. Lass dich fallen und sieh hinter die Oberfläche.“ „NEIN. Ich kann nicht aufgeben. Ich bin zu weit gekommen um jetzt einfach aufzugeben.“ Tyrnas Muskeln waren mittlerweile 100% angespannt. Lange würde sie es nicht mehr schaffen. Ihre Kraft floss ihr förmlich davon. Und je mehr sie es selbst merkte, desto verzweifelter wurde sie. Die ersten Tränen breiteten sich bereits auf ihrem Gesicht aus und bildeten die kleine Variante des tosenden Wassers, das um Tyrnas Beine herum brannte.

„Hör auf blödes Esoterikzeug zu labern und hilf mir, wenn du es kannst, Stimme. Ich darf nicht aufgeben. AHHHHHHHHHH!“ Tyrna schrie ihre Wut und Angst in die trostlose Welt hinaus. Versuchte ihre Aggressionen, ihre Verzweiflung, ihre letzten kleinen Emotionen in Kraft umzuwandeln. In die alles erlösende Kraft. „Du bist vom Weg abgekommen Tyrna? Dein eigener Antrieb hat dich blind für das gemacht, was du eigentlich selbst so dringend willst. Lass los. Lass dich fallen und schaue zuerst unter die Oberfläche.“ Sie fiel. Nicht weil sie es wollte, sondern, weil ihre Kraft aufgebraucht war. Hart schlug sie auf das marmorartige Wasser unter ihr auf, das tosende Wasser um sie herum brach wie ein Platzregen über ihr zusammen. Tränen der Schmerzen und des Versagens liefen ihr die Wangen herunter und vermischten sich mit dem tosenden Wasser. Nur langsam gab das harte Wasser Tyrna wieder frei und schob sie in die Mitte des Sees zurück. Immer wieder drang ihr das Wasser in Mund, Ohren und Nase und raubte ihr die Möglichkeit zu atmen. Das Wasser schmeckte genauso wie sie sich gerade fühlte. Leer. Es war komplett geschmacklos. Nach und nach löste sich das Marmorwasser auf und gab Tyrna endgültig dem normalen Wasser zurück. Immer noch von Schmerzen gezeichnet ließ sie sich treiben. Sie hatte keine Kraft mehr um irgendetwas zu tun. Sie trieb auf den Stein in der Mitte des Sees zu, treibend wie ein Stück totes Holz. Vorsichtig drehte sie den Kopf nach rechts und schaute einer roten Linie nach, die sich von dort wo sie gestanden hatte bis zu ihrer aktuellen Position gebildet hatte. „Blut? Meins?“ Sie wusste nicht mehr was sie noch tun konnte. Sie drehte ihren Kopf zurück, schaute zur unbewegten roten Sonne. „Ich liege doch auf dem Wasser. Es schmeckt nach nichts. Ich bin kraftlos, müde und wie mir scheint auch verletzt. Das Wasser ist nicht salzig und doch gehe ich nicht unter. Sag mir Stimme, wie kann ich unter die Oberfläche sehen, wenn ich nicht untergehen kann?“ Tyrna wartete, schaute zur Sonne hoch und wartete. Auf was wusste sie nicht. Auf irgendwas, etwas das ihr sagte was sie tun sollte. Die Zeit verging und nichts geschah. Alles blieb beim Alten. Die Sonne blieb rot, der Rand unerreichbar, die rote Linie schwamm auf dem Wasser neben ihr und der Stein an ihrem Kopf war glitschig wie eh und je. „Was erwartest du von mir Stimme? Was soll ich tun? Aufgeben etwa oder sogar hier sterben?“ Wieder keine Antwort. Wut, Verzweiflung und Angst mischten sich in ihre Gedanken und machten das lange Warten immer unerträglicher. Nichts tat sich hier. Nichts bewegte sich außer den wirren Angstgedanken in ihrem Kopf. Die Stille nagte an ihrem Verstand, machte sie immer panischer, immer unruhiger.

„OK“, schrie sie. „DU HAST GEWONNEN STIMME. ICH GEBE AUF.“ Nach diesen Worten, begann sie langsam zu sinken, nur Millimeter zu Beginn, doch je tiefer sie sank, desto mehr fiel alles von ihr ab. Alles was sie die letzten Minuten, Stunden oder vielleicht auch Tage gequält hatte. Und je mehr sie sich entspannen konnte, desto schneller begann sie im Wasser zu sinken. Nichts gab es was versuchte sie an der Oberfläche zu halten, kein Auftrieb, den normales Wasser eigentlich hatte. Sie sank wie ein Stein. Wasser drang ihr in den Mund und sie nahm es auf. Bereit das zu tun was die Stimme wollte, aufgeben. Das Wasser füllte ihre Lungen Stück für Stück aus, vertrieb Luft wo welche sein müsste und sickerte in die nächsten freien Bereiche ihrer Lunge. Über ihr wurde die rote Sonne leicht verschwommen und begann sich zu kräuseln. Tyrna aber sank weiter, einen Meter, zwei, drei. Die Sonne wurde immer kräuseliger und kleiner. Der Stein hinter Tyrna dagegen immer größer. Tyrna krümmte sich vor Schmerzen, als dass Wasser jede ihrer Poren erreichte. Mit jeder Sekunde, die verging, sendete ihr Körper starke Schmerzimpulse an ihr Gehirn, das die Impulse sofort in das umwandelten, was dafür sorgte, dass sie sich immer stärker krümmte. Ein zerreißender Schmerz. Doch so plötzlich wie er auch auftrat, so schnell war der unangenehme Schmerz auch wieder verschwunden. „Warum ertrinke ich nicht und wie kann es sein, das der See so tief ist? Ich konnte doch in ihm stehen? Stimme, bist du da?“ Tyrna begutachtete ihren Körper mit den Armen, prüfte einige Atemzüge und stellte dann verblüfft ein Bein nach dem anderen auf einen sandigen Untergrund. „Sand…“, stellte sie unnötigerweise fest. Vorsichtig ging sie in die Knie. Ihr Kopf versuchte immer noch alles zu verarbeiten. Ein Absinken in einem See, in den es sich nur Absinken ließ, wenn man es auch will. Und der Untergrund liegt mehrere Meter unter der Oberfläche, obwohl sie vor wenigen Sekunden noch auf diesem gestanden hatte. Und beim Absinken hatte sie keinen Boden erkannt und auf einmal war einer da. Und dann noch das Unterwasseratmen. „Vor dir Tyrna. Wage es und beginne einen Fuß vor den anderen zu setzen. Du wirst schon sehen, wohin dich deine Füße tragen.“ Wie auf einen Befehl hin, setzte Tyrna einen Fuß vor den anderen. Die Stimme hatte bisher immer recht gehabt. Um sie herum gab es nichts. Nichts woran man sich orientieren könnte, um auf dem richtigen Pfad zu bleiben. Keine Pflanzen wuchsen im sandigen Boden. Keine Fische umschwärmten sie. Auch unter dem Wasser war es wie an der Oberfläche, trist und einsam. Doch anders als auf dem See, gelangte sie tatsächlich ohne Hindernisse stetig vorwärts. Ihr Haar tanzte wie ein neugieriger Tintenfisch um sie herum und sorgte für die Illusion, dass sich in dieser nassen Tiefe noch mehr Lebewesen als sie selbst aufhalten müssten. Doch sie war allein hier unten. „STIMME! Verdammt nochmal! Wie lange soll ich hier unten noch geradeauslaufen? Müsste nicht schon längst sowas wie eine Wand kommen?“ Die Luftbläschen entschlüpften nur so ihrem Mund und flogen unbekümmert zur Oberfläche, über die sie dann ihrem Wassergefängnis entflohen. Und kaum ausgesprochen, entstand vor Tyrna eine massive Wand aus Stahl. Besser gesagt, ein ganzer Wald aus Stahlwänden in nicht einmal 30 Metern Entfernung. „Danke Stimme. Aber musste es gleich ein Labyrinth aus Eisen sein, dass mir den Ausgang versperrt?“ Tyrna wartete. Sie hoffte, dass sich die Stimme nochmal melden würde bevor sie sich allein in ein Labyrinth begab, dass in einem See lag, der unterirdisch größer war als an der Oberfläche. „Tyrna, ich muss dich enttäuschen. Das vor dir ist kein Labyrinth. Es ist ein Irrgarten. Verlauf dich nicht, denn jeder Schritt in die falsche Richtung könnte dein Ende bedeuten. Du würdest dich selbst verlieren.“ Man konnte förmlich die Traurigkeit in der Stimme der Stimme hören. Die ernsthaften Sorgen, so als würde sich jemand aus der Familie um jemanden sorgen, der mit erhöhter Temperatur und starkem Fieber im Bett lag. Ok, Stimme. Du machst mir nicht gerade Mut mit deinem Gerede. Tyrna stand nun vor dem Eingang der Stahlmauern. Links und rechts ragten mindestens fünf Meter hohe Wände Richtung Oberfläche. Hätte sie es nicht besser wissen müssen, so hätte sie vermutet, dass die Wände oben an der Oberfläche zu sehen sein müssten. Leicht zitternd trat sie in den Irrgarten ein. Eine Hand hatte sie auf das rostige Metall gelegt. Das Metall fühlte sich genauso an wie sie es erwartet hätte. Es war kalt und zeichnete rote Zeichen auf ihre Haut, die an manchen Stellen mit Rostpartikeln zusätzlich geschmückt waren. „Ein Fuß vor den anderen…“

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