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MONTAG, 17. FEBRUAR 2020

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Der kleine Koffer ist gepackt. Normalerweise verwende ich ihn für kurze Städtetrips oder Wellness-Wochenenden, die wir gerne machen. Diesmal ist es leider alles andere als ein Urlaub mit Sauna, Dampfbad und Massage, für den ich Trainingsanzug, Waschzeug und meinen Laptop einpacke. Heute wird es ernst. Um 8 Uhr haben mich die Ärzte auf die Abteilung für Onkologie des Kaiser-Franz-Josef-Spitals bestellt. 3. Medizinische Abteilung, Station D. Die Nacht war recht kurz, vor lauter Aufregung konnte ich wenig schlafen. Auch das Frühstück schmeckt mir nicht so richtig.

Kurz vor halb acht machen Alexander und ich uns auf den Weg. Hunderte Male bin ich diese Strecke schon gefahren. In die Richtung, in die wir heute abbiegen, allerdings noch nie. Als mit einem Druck auf den automatischen Öffner die Türe zur Station aufgeht, wiederholen sich die Bilder, die ich schon wenige Tage zuvor gesehen hatte. Hauptsächlich ältere, krank aussehende Menschen, die an einen Tropf angehängt durch den zwar modern gebauten, aber eher geschmacklosen Gang wandeln oder zusammengekrümmt in einem Bett liegen. Die äußerst sympathische und energisch wirkende Stationsschwester begleitet Alexander und mich zum »Tagesraum«, ein Abschnitt mitten am Gang mit einigen Tischen und Stühlen und einer kleinen Kaffeebar, an der es auch Obst gibt. Neben uns sitzen einige ältere Herren, ebenfalls mit gepackten Taschen. Die meisten von ihnen dürfen heute nach Hause gehen, erfahre ich durch ihre Gespräche, die sie in ziemlich hoher Lautstärke führen. Der Patient neben uns, ein Mann um die sechzig mit schütterem Haar, sorgt bei uns zumindest kurzzeitig für einen Lacher. Denn plötzlich legt er die kleine Boulevardzeitung, die er eben noch gelesen hatte, zur Seite und beginnt, sich mitten auf der onkologischen Station die Nägel zu schneiden. Seine abgezwickten Nägel wischt er mit dem Handrücken einfach auf den Boden. Alexander setzt schon an, sich darüber lauthals zu echauffieren, doch ich beruhige ihn und wir nehmen es mit Humor.

Nach zweistündigem Warten ist mein Zimmer fertig. Ein Einzelzimmer mit kleinem Tisch, zwei Sesseln, einem Bett und sogar einem kleinen Balkon. Die Sonderklassenversicherung, die ich jahrelang eingezahlt habe, hat sich ausgezahlt. Auch, wenn ich sie lieber für einen etwas »angenehmeren« Spitalsaufenthalt in Anspruch genommen hätte. Als wir meine Sachen auspacken und uns einrichten, wird mir alles plötzlich viel bewusster. Ich bin wirklich im Krankenhaus, ich habe wirklich Krebs und morgen beginnt eine kräftezehrende und anstrengende Therapie. Sowohl der Chefarzt der Onkologie, der mich seit meinem ersten Besuch hier betreut hat, als auch der Stationsarzt klären mich noch einmal über die möglichen Nebenwirkungen auf. Die Haare werden mir ausfallen, meine Haut wird empfindlich auf Sonne reagieren, meine Schleimhaut im Mund anfällig für Infektionen und mein Sperma unfruchtbar. Ein Rundum-Sorgenpaket, das mit der Chemotherapie frei Haus mitgeliefert wird.

Auch meine Heilungschancen sind wieder Thema. Sie liegen bei neunzig Prozent. Kein schlechter Schnitt eigentlich, aber wenn einen diese Möglichkeit, zu den übrigen zehn Prozent zu gehören, plötzlich selbst betrifft, fühlt sich das schon ganz anders an. Auch wenn ich weiß, dass es auch bei viel harmloseren Krankheiten eine ähnlich hohe Wahrscheinlichkeit zu sterben gibt, die Angst davor ist in mir nach wie vor groß.

Doch bevor der Kampf gegen die bösen Zellen beginnen kann, muss ich noch einen kleinen Eingriff über mich ergehen lassen. Ein sogenannter »Port-a-Cath« wird mir eingesetzt. Ein kleines, grau-weißes rundes Teil, das mir in der Brust unter die Haut eingepflanzt wird und durch das die heilenden, giftigen Flüssigkeiten in den nächsten Monaten direkt in meine Venen geschossen werden können, ohne dafür ständig in die Armbeuge stechen zu müssen. Da würden die Venen nämlich über kurz oder lang irgendwann den Geist aufgeben, hat man mir erklärt.

Ein nach Schweiß und Zigaretten riechender Bettenschieber holt mich aus meinem Zimmer und schiebt mich vor die Tür meiner Station. Per Kleinbus werde ich dann auf die Angiologie chauffiert. Ich habe ein kleines Déjà-vu-Erlebnis, denn so ähnlich war es auch vor einer Woche, als man mir den Lymphknoten entfernt hat. Zwei äußert herzliche und lustige OP-Schwestern bereiten mich auf den Eingriff vor, bis der Arzt plötzlich neben mir steht. Er ist Halb-Kroate mit kleiner Tochter, wie er mir während der Operation erzählt, er setzt mir mit viel Routine und Geschick den Port-a-Cath ein und schließt ihn an meine Venen an. Es ist ein seltsames Gefühl. Aber während der Eingriffe oder Behandlungen ist meine Laune am besten und der Schmäh mit dem Krankenhauspersonal rennt gut. Vielleicht einfach eine gute Ablenkung von all den schlechten Nachrichten, die in den letzten Tagen nur so auf mich eingeprasselt sind.

Nach dreißig Minuten ist der Eingriff vorbei und ich liege wieder in meinem Einzelzimmer. Meine beste Freundin Eva ist jetzt auch da, sie hat mir ihren herrlichen Apfelkuchen mitgebracht. Als Nachspeise zur Kartoffel-Fisolen-Mischmasch-Krankenhauskost gibt es zumindest eine kulinarische Freude an diesem Tag. Wir reden noch lang über das Schicksal, die kommenden Monate und die Frage, warum es mich getroffen hat. Eine Antwort darauf finden wir freilich nicht, vielleicht finde ich sie in den kommenden Monaten. Was ich auf jeden Fall bis jetzt in meinem Leben gefunden habe, sind echte und wirklich gute Freunde. Und für die bin ich sehr dankbar. Heute mehr als je zuvor.

Einsiedlerkrebs

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