Читать книгу Einsiedlerkrebs - Patrick Budgen - Страница 8

MITTWOCH, 12. FEBRUAR 2020

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Gerade noch bin ich gemütlich durchs Leben geschippert, plötzlich befinde ich mich mitten auf hoher See, die leider nicht vergleichbar ist mit dem warmen Meer in Thailand. Die Wellen peitschen mir kalt ins Gesicht, alles wackelt, dreht sich und macht es mir nicht einfach, fest am Boden zu stehen. Während weltweit (nur) etwas mehr als 45.000 Menschen an der neuen Lungenkrankheit COVID-19 erkrankt sind und das neue Virus in den Hauptnachrichten nicht einmal eine Kurzmeldung ist, bin ich seit heute mit einer völlig anderen Diagnose konfrontiert. Vor drei Tagen hat man mir de facto gesagt, dass ich Krebs habe. Krebs. Ein Wort, das ich schon so oft verwendet habe, das mir dabei aber immer ganz weit weg vorgekommen ist. Krebs, das trifft doch nur die anderen. Krebs, das haben alte Leute oder die, die ungesund leben, viel rauchen und trinken, sich nicht von der Couch bewegen. Aber jetzt bin ich es. 36, eigentlich kerngesund, mitten im Leben und bis jetzt unverwundbar, zumindest gefühlt.

Noch ist nicht klar, was genau da in meinem Körper schlummert. Eine bösartige Erkrankung der Lymphknoten nennt es der Arzt beim Gespräch nach den ersten Untersuchungen. Ein Gespräch, von dem man immer annimmt, dass man es selbst nie führen muss. Aber plötzlich sitze ich da in dem kleinen, eher schmucklos eingerichteten Büro des Ober-Krebs-Kapazunders und höre genau das, wovor ich mich mein Leben lang gefürchtet habe. Als Hypochonder hatte ich mir im Laufe der Jahre schon allerhand Krankheiten vorgestellt. Von Meningitis über mehrere Gehirntumore bis hin zu einer Blinddarmentzündung. Aber plötzlich ist es kein Hirngespinst mehr, plötzlich ist es wirklich da, ganz echt und es betrifft mich. In nur wenigen Tagen habe ich im Krankenhaus nun mehr Untersuchungen absolviert als in den 35 Jahren davor zusammen. Mir wurde gefühlt ein Liter Blut abgenommen, ich wurde von Kopf bis Fuß geröntgt und zuletzt hat man mich noch samt radioaktivem Material im Körper für dreißig Minuten in eine Röhre gesteckt. Das ist wohl nicht nur für einen ängstlichen Menschen wie mich ein absoluter Albtraum, einer, der aber nach dem Aufwachen in der Früh leider nicht aufhört.

Die genaue Diagnose steht in zwei Tagen fest. So wie es aussieht, dürfte es eine Form von Lymphdrüsenkrebs sein. »Unter Ärzten heißt es, wenn man sich einen aussuchen kann, dann den«, hat mir der Chefradiologe nach der Untersuchung gesagt. Und auch der Onkologe ist optimistisch, dass man die bösen Zellen in meinem Körper gut behandeln beziehungsweise sogar ganz heilen kann. Trotzdem macht mich die Ungewissheit wahnsinnig. Was kommt auf mich zu? Wie lange werde ich eine Chemotherapie brauchen? Fallen mir die Haare aus? Und die am meisten belastende Frage: Werde ich daran sterben? Zum ersten Mal in meinem Leben klopft der Tod an meine Tür. Zugegeben noch ganz leise, aber er verschafft sich zum ersten Mal Raum in meinem Leben und dieses Gefühl ist, ich kann es nicht anders beschreiben, scheiße.

Die Tage über versuche ich mich so gut es geht abzulenken. Meine Familie und meine Freunde kreisen seit der Diagnose wie eine Armee aus Schutzengeln um mich herum, sprechen mir Mut zu und sind für mich da. Ein wirklich schönes Gefühl. Auch weiter entfernte Freunde und Kollegen, die davon erfahren haben, melden sich plötzlich. Wobei sich manche SMS fast schon wie Nachrufe oder Kondolenzschreiben lesen, was nicht wirklich stimmungsaufhellend wirkt. Auch wenn ich rational weiß, dass die Chancen, diese Krankheit zu überleben, sehr hoch sind, bleibt die Angst in mir drinnen. Ich hoffe sehr, dass die genaue Diagnose und der Behandlungsplan diesen Zustand zumindest etwas ändern. Denn ich will leben, lachen und weiter die Welt sehen. Und mich nicht von einem Krebs, wie immer er auch heißt, davon abhalten lassen. Dass mich daran in nächster Zeit nicht nur der Krebs, sondern auch ein neuartiger Virus hindern wird, ahne ich zu diesem Zeitpunkt natürlich noch nicht.

Einsiedlerkrebs

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