Читать книгу Einsiedlerkrebs - Patrick Budgen - Страница 12
DIENSTAG, 18. FEBRUAR 2020
ОглавлениеAb heute wird zurückgeschossen – und zwar ziemlich scharf. Nach zwei kurzen Voruntersuchungen, eine davon in einem anderen Krankenhaus, geht es mit der Therapie los. Das Wort »Chemo« nehmen hier im Krankenhaus die wenigsten Ärzte, Schwestern und Pfleger in den Mund, wohl weil sie wissen, welchen unguten Beigeschmack der Begriff hat. Um 14 Uhr hängt mir die ziemlich beleibte, aber genauso herzliche Schwester die Infusionen zur Vorbereitung an. »Wenn wir mit dem Christbaum fertig sind, dann geht’s los«. An diesem Christbaum, wie sie den Infusionsständer nennt, hängen leider keine Schokoschirme oder Kugeln, sondern drei prall gefüllte Beutel mit durchsichtiger Flüssigkeit. Gegen Übelkeit, gegen allergische Reaktionen, gegen Brechreiz – vor all dem sollen die Flüssigkeiten meinen Körper schützen und vorbereiten auf das, was ab jetzt auf ihn zukommt.
Nach etwa neunzig Minuten ist es so weit. »Jetzt wird es ernst«, sagt die Schwester und hängt mit einem gekonnten Handgriff die erste Chemotherapie-Infusion an meinen frisch implantierten Port-a-Cath. Es fühlt sich seltsam an. Beängstigend und beglückend zugleich. Denn endlich wird das, was seit Monaten in meinem Körper wütet, gezielt bekämpft. Als die ersten Tropfen durch den durchsichtigen Schlauch in meinen Körper tropfen, warte ich fast sekündlich auf die ersten Nebenwirkungen. Wann kommt der Brechreiz? Wann wird mir schwindlig? Aber solange die Flüssigkeit, deren Namen ich mir nicht gemerkt habe, in mich hineinfließt, passiert gar nichts. So wie es der Ober-Kapazunder, der mich täglich auf seinem Rundgang besucht, prophezeit hat.
Was ich zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht weiß: Der viereckige, längliche Beutel ist nur der erste von vielen, die ich von nun an am Beginn eines Zyklus bekomme. Es gibt kleinere mit roter Flüssigkeit, noch kleinere mit durchsichtiger, dazu kommen die großen vom Beginn. Dazwischen, quasi als kleine Zwischenmahlzeit, wird mein Körper immer wieder mit Ringerlösung durchspült, damit die Nieren dieses seltsame Spiel mitspielen. Als ich diese Zeilen tippe, stehen mir noch zwei Ladungen bevor, einmal um 22 Uhr und einmal um zwei Uhr früh – an Schlafenszeiten hält sich so ein Therapieplan leider nicht. Ich fühle mich zwar etwas müde, ab und zu habe ich den Anflug einer leichten Hitzewallung, aber alles in allem geht es mir ganz gut – trotz der Chemie, die da gerade in mich gepumpt wird, oder vielleicht gerade deshalb. Denn mit heute, so mein fester Plan, hat die Genesung begonnen.
PS: Ich habe heute hier drin auch eine neue Verbündete gefunden. Sie heißt Ermine, kommt ursprünglich aus der Türkei und ist hier auf der Station immer wieder als Gehilfin im Einsatz. Sie bringt das Frühstück und Handtücher, schaut, dass die kleine Kaffee- und Teebar im Gangbereich immer gut gefüllt ist und sie sorgt bei mir für gute Laune. Als Einzige ist sie sofort per du mit mir, was ich als äußerst angenehm und entspannend in dieser belastenden Situation empfinde, und mit einem Lächeln von uns beiden ist klar, wir mögen einander. Sie erzählt mir von ihrer besten Freundin, »fast wie eine Schwester, weißt du«, die vor kurzem ebenfalls Krebs hatte und ihn besiegt hat. Solche Geschichten machen in meiner Situation wirklich Mut und Hoffnung. Auch ein paar Ernährungstipps hat sie für mich parat: Viel Rote-Rüben-Saft soll ich trinken, kein Cola, das sagt sie mit einem Blick auf eine Flasche, die auf meinem Tisch steht (sie gehört Alex). Gut gemeinte Ratschläge, die sich nach einem Gespräch mit dem Arzt als ziemlich nutzlos erweisen. »Essen Sie während der Chemo, was sie wollen und worauf sie Lust haben, danach ist ein gesunder Lebensstil wichtig«. Das sollte mir beides nicht so schwerfallen, vor allem zweiteres habe ich bereits vor meiner Krankheit täglich praktiziert. Den Hodgkin hat das leider nicht beeindruckt.