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Das Geheimnis von Irrlach

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Anton hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan, doch es hatte sich gelohnt. Er war da einer ganz heißen Sache auf der Spur, dessen war er sich sicher. Er ging noch mal all die Beweisstücke durch, die er im Laufe der Nacht zusammengetragen hatte. Die Landkarte, das YouTube-Video, die Webseite, all diese Puzzlestücke begannen sich zu einem Gesamtbild zusammenzufügen, und dieses Bild war nichts anderes als eine Sensation. Wenn er mit seinen Nachforschungen recht hatte, dann war er dabei, die größte Verschwörung der Weltgeschichte aufzudecken. Natürlich hatte er Ninas Fußballspiel völlig vergessen. Bestimmt würden seine Freunde sauer sein, aber wenn er ihnen erzählte, was er herausgefunden hatte, würden sie es verstehen. Jedenfalls hoffte Anton das. Er setzte sich an seinen Schreibtisch und schloss die Augen. Er war hundemüde.

Ein Klopfen an der Tür riss ihn aus seinem Sekundenschlaf. War es wieder seine Mutter, die ihn mit Frühstück oder irgendeiner anderen Unwichtigkeit nervte? Doch kurz darauf hörte er Jonas’ Stimme.

»Jemand zu Hause?«

Anton sprang auf. Alle Müdigkeit fiel von ihm ab. Seine Freunde kamen genau im richtigen Moment! Er ging zur Tür und wollte sie öffnen, doch das gestaltete sich schwierig, denn davor hatte er einen Stapel alter Zeitungen aufgeschichtet. Sein Vater war Journalist und schrieb für den Irrlacher Anzeiger. Anton hatte einen Großteil der Nacht damit verbracht, alte Ausgaben vom Speicher zu holen und sie durchzublättern. Die Tür öffnete sich nur wenige Zentimeter.

Nacheinander quetschten sich Jonas, Nina und Felix durch den schmalen Spalt in sein Zimmer – und blieben sprachlos stehen. Kein Wunder, denn Antons Zimmer konnte man nur als komplettes Chaos beschreiben. Die Horrorfilmposter, die normalerweise die Wände zierten, waren verschwunden. Stattdessen hatte Anton eine große Landkarte des Irrlacher Tals an die Wand geheftet. Mit einem roten Filzschreiber hatte er allerlei Linien und Kreise darauf eingezeichnet. Daneben hingen ausgedruckte Seiten aus dem Internet. Auf Antons Schreibtisch stand sein Laptop, auf dessen Bildschirm eine YouTube-Seite zu sehen war.

»Was ist denn hier passiert?«, fragte Jonas unsicher.

»Gut, dass ihr da seid!«, sagte Anton. »Ich glaube, ich bin kurz davor, Licht ins Dunkel zu bringen.«

Er wischte einen Stapel Papier von seinem Bett und bat sie Platz zu nehmen. Dabei entging ihm nicht, dass Nina, Felix und Jonas besorgte Blicke wechselten. Anton stellte sich vor seine Freunde und sah einem nach dem anderen in die Augen. Es war Zeit, das Geheimnis zu lüften!

»Ich glaube, draußen im Wald ist ein UFO.«

Nina, Felix und Jonas starrten ihn ungläubig an. Wahrscheinlich dachten sie, er sei verrückt geworden. Jonas öffnete den Mund, doch Anton kam ihm zuvor.

»Ich weiß, was du sagen willst, dem guten alten Anton ist eine Sicherung durchgebrannt. Aber hört erst mal zu.«

Er schnappte sich den Laptop und hielt ihn vor sich, sodass die anderen den Bildschirm gut sehen konnten.

»Das ist das YouTube-Video, das dein Bruder gestern hochgeladen hat«, sagte Anton, an Jonas gewandt. »Seht genau hin.«

Er drückte die Leertaste, und das Video lief los. Sven war im Vordergrund zu sehen. Hinter ihm sprach Kerstin Hofer mit dem verwirrten Mann, der das Loch in den Zaun geschnitten hatte. Die drei sahen angestrengt zu, konnten jedoch nichts Ungewöhnliches entdecken.

»Gleich kommt es«, sagte Anton. An einem bestimmten Moment drückte er auf Pause.

Das Bild fror ein. Die Polizistin hatte den Mann gerade gepackt und legte ihm Handschellen an.

»Seht ihr es?«, fragte Anton.

»Was denn?«, fragte Jonas.

»Na da! Auf seinem T-Shirt.«

Die drei beugten sich vor. Auf dem T-Shirt des Mannes prangte ein Logo mit einer Webadresse: »www.jaspervogel.info«.

»Na und?«, sagte Nina.

»Als ich das Video gestern gesehen habe, bin ich sofort auf die Webseite gegangen. Seht her!«

Er gab die Adresse in den Browser ein, und die Seite wurde geladen. Ein Foto des Mannes erschien, auf dem er sich scheinbar das Gesicht von unten mit einer Taschenlampe anleuchtete, um gruseliger zu wirken. Darunter stand sein Name: Jasper Vogel, Ufo-Forscher und Experte für paranormale Phänomene. Die Seite bestand aus einem grellbunten Mix aus Schriftarten, animierten GIFs und blinkenden Bannern. Die Überschrift prangte in knallroten Buchstaben über dem Foto: Das Geheimnis von Irrlach – Das UFO-Dorf am Stausee.

»Ich habe die Seite seit gestern Nacht genauestens studiert und meine eigenen Nachforschungen angestellt. Jasper Vogel hat die Theorie, dass die Amerikaner nach dem Zweiten Weltkrieg hier eine Spionagestation betrieben haben.«

Er riss einen Papierausdruck von der Wand und hielt ihn hoch.

»Hier steht, dass das Areal im Wald im Kalten Krieg eine Art Militärstützpunkt war, von dem aus Erkundungsflugzeuge nach Osteuropa gestartet wurden, um die Russen auszuspionieren. Als der Kalte Krieg vorbei war, hat die CIA sie übernommen und ihr den Codenamen Area Zero gegeben. Vogel hat herausgefunden, dass sie die Ufo-Aktivität am Donnerstein beobachteten.«

Anton hatte sich in Rage geredet. Er musste sich konzentrieren, um nicht den Faden zu verlieren, schließlich hatte er die Nacht durchgemacht. Die Müdigkeit lag wie ein Schleier über seinen Gedanken. Er zog nun nach und nach die ausgedruckten Fotos von der Wand, die angeblich CIA-Spione, verschwommene Ufos und Alienleichen zeigten, und begann seine Theorien zu erklären. Nina, Jonas und Felix lauschten ihm gebannt. Anton endete damit, dass er einen schwarzen Filzschreiber zückte und einige Punkte auf der Landkarte einzeichnete.

»… und das sind die Punkte, an denen Vogel die Vibrationen in der Erde gespürt hat. Und wenn man sie so mit ein paar Linien verbindet …«

Er zeichnete die Striche zwischen den Punkten ein.

»… dann ergibt es das Omega-Symbol! Das gleiche Symbol, das auch auf den geheimen Hubschraubern war, die er in den Achtzigerjahren fotografiert hat!«

Er blickte seine Freunde erwartungsvoll an. Er hatte gerade das vielleicht größte Rätsel der Menschheitsgeschichte gelöst, und er konnte sehen, dass sie schwer beeindruckt waren.

»Jetzt sehe ich es auch«, sagte Nina.

Jonas und Felix drehten sich zu ihr um. Nina kniff die Augen zusammen und blickte auf die Karte. »Gib mir mal den Stift.«

Anton händigte Nina den Stift aus. Sie ging auf die Karte zu.

»Ich glaube, du hast einen kleinen Fehler gemacht. Denn wenn man die Punkte so verbindet …« Sie malte einen großen Kreis und zwei kleinere, die daran angrenzten. »… dann sieht man ganz klar, es handelt sich um … Mickey Maus!«

Jonas und Felix prusteten los. Anton spürte, wie ihm das Blut in den Kopf schoss.

»Oh mein Gott!«, rief Nina, mit gespieltem Schrecken. »Die CIA hat Mickey entführt! Vielleicht führen sie jetzt ganz schlimme Tierversuche an ihm durch!«

Alle lachten – außer Anton.

»Vollidioten«, sagte er und ließ sich frustriert auf seinen Stuhl sinken.

»Anton, dieser Jasper Vogel ist völlig plemplem«, sagte Nina. »Wie kannst du einem Typen glauben, der einen Hut aus Alufolie auf dem Kopf trägt?«

»Der ist gegen die Strahlung. Damit sie seine Gedanken nicht lesen können«, murmelte Anton. Jetzt glaubte er selber nicht mehr so ganz daran.

»Alufolie ist viel zu dünn, um irgendeine Strahlung zu stoppen«, sagte Felix fachmännisch. »Da müsste man schon einen Hut aus massivem Blei aufsetzen.«

»Wahrscheinlich hast du noch den Film von gestern im Kopf«, sagte Jonas versöhnlich. »Die geheime Forschungsstation und so weiter.«

Anton kaute auf der Innenseite seiner Backe herum. Das tat er immer, wenn er nachdenklich wurde. »Okay. Vielleicht ist das alles Quatsch. Aber eine Sache lässt mich nicht los.«

»Was denn?«, fragte Nina.

»Wieso weiß niemand, was hinter dem Zaun ist?« Anton stand auf. »Kerstin Hofer ist Polizistin, und der Wald fällt in ihr Einsatzgebiet, doch sie hat keine Ahnung, was sich in dem Areal verbirgt.«

»Sie hat doch gesagt, dass es ein Tollwutgebiet ist«, entgegnete Nina.

»Sie sagte ›Soweit ich weiß‹. Warum weiß sie es nicht ganz genau? Was, wenn es einen Notfall mit einem gebissenen Spaziergänger gibt?«

Darauf wusste niemand eine Antwort. Anton wandte sich an Jonas. »Dein Vater hat gestern Abend etwas von einer Giftmülldeponie erzählt.« Er deutete auf die Kiste mit alten Zeitungen. »Ich habe die alten Ausgaben durchsucht. Nirgendwo steht etwas von Giftmüll. Im Gegenteil, das Areal wird überhaupt nicht erwähnt. Im Internet? Fehlanzeige. Seht euch das an.« Er öffnete eine Landkarte im Browserfenster und zoomte auf Irrlach ein. Dann schaltete er auf die Satellitenansicht um, sodass man die Umgebung fotorealistisch sah. Alles war scharf und detailliert sichtbar, bis auf den Wald, durch den der Zaun verlief. Hier war die Ansicht völlig verpixelt, als hätte jemand das Waldstück ausradiert.

»Ein bisschen unheimlich ist das schon«, gab Jonas zu.

»Vielleicht ist das mit den Ufos Schwachsinn«, sagte Anton. »Doch hinter dem Zaun verbirgt sich irgendetwas Geheimnisvolles, und ich will wissen, was es ist.«

Felix überprüfte zwei andere Landkarten-Apps auf seinem Handy, doch auf allen war der Irrlacher Wald unkenntlich gemacht worden.

»Ich muss zugeben, dass ich das merkwürdig finde«, sagte er.

»Was hast du vor?«, fragte Nina Anton.

»Na, hineingehen natürlich«, antwortete er.

»Spinnst du? Das ist viel zu gefährlich. Was, wenn es doch Tollwut oder Giftmüll ist? Oder noch etwas Schlimmeres? Radioaktive Strahlung? Der Zaun und die ganzen Warnschilder wurden doch nicht ohne Grund aufgestellt.«

Anton dachte nach. »Wie können wir einen Blick hineinwerfen, ohne …« Er sprang auf. »Natürlich! Die Lösung liegt doch auf der Hand.« Er grinste Jonas an. »Wir leihen uns Svens Drohne aus! Dann können wir über den Zaun fliegen, ohne dass uns was passieren kann.«

»Bist du verrückt? Schon vergessen? Sven hat gedroht, mir die Haut abzuziehen. Der leiht uns doch nie freiwillig seinen größten Schatz.«

»Dann eben unfreiwillig«, entgegnete Anton.

»Auf keinen Fall«, sagte Jonas.

Anton blieb hartnäckig. »Unter der Woche arbeitet er doch bei diesem Abrissunternehmer. Wir borgen uns die Drohne aus, fliegen eine kurze Runde über den Wald und bringen sie zurück, bevor er etwas gemerkt hat. Möchtest du nicht wissen, was da los ist?«

Jonas schien zu zögern. »Das schon. Aber ist es das Risiko wert?«

»Was für ein Risiko? Wenn Sven das hinkriegt, dann kann es doch nicht so schwer sein, eine Drohne zu fliegen. Solange die Batterie hält, kann uns gar nichts passieren.«

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