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Festnahme

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Die Drohne setzte zur Landung auf einer Wiese an. Von dort aus bot sich eine herrliche Aussicht auf den Staudamm und das Tal darunter. Die Kamera fing das idyllische Panorama ein, doch als die Drohne das Gras fast erreicht hatte, tauchten vier Gestalten im Bild auf, die den Ausblick versperrten. Jonas trug eine Baseballkappe, unter der seine roten Locken wie Unkraut hervorwucherten. Ninas schwarze Haare waren zu einem Zopf geflochten, und sie steckte im Trikot ihres Lieblingsfußballvereins. Von Antons T-Shirt blickte die hässliche Fratze von Freddy Krueger herab, und Felix’ Haare standen wie die Stacheln eines Igels zu Berge. Zusammen gaben die vier 13-Jährigen ein ziemlich sonderbares Bild ab. Sie standen ausgerechnet so, dass die Kamera genau auf sie gerichtet war, und beobachteten mit offenen Mündern, wie die Drohne landete.

»Ihr Idioten habt mir die ganze Aufnahme versaut!«, schimpfte der Junge, der die Fernsteuerung in der Hand hielt.

»Cooles Teil«, sagte Nina.

Sven, der zuerst gesprochen hatte, ignorierte sie. Jonas wischte sich verlegen die roten Locken aus dem Gesicht. Wenn es um seine Videos ging, verstand sein großer Bruder keinen Spaß.

»Tut mir leid, Sven!« Jonas wollte die Drohne aufheben, um sie seinem Bruder als Geste der Wiedergutmachung zu übergeben.

»Wag es bloß nicht, sie anzufassen!«, zischte Sven ihn an. »Wenn du auch nur einen Finger an sie legst, ziehe ich dir bei lebendigem Leib die Haut ab!«

Jonas erstarrte und trat einen Schritt zurück.

»Ganz schön aggressiv, dein Bruder«, flüsterte Anton ihm zu.

»Er ist 16«, sagte Nina. »Wahrscheinlich gehen bloß die Hormone mit ihm durch.«

Sven hatte die Drohne geborgen und machte sich am Batteriefach zu schaffen.

»Mist, kein Saft mehr«, murmelte er.

Felix, der alles liebte, was irgendwie mit Technik zu tun hatte, gesellte sich zu ihm. »Sieht wie eine Dreitausend-Milliamperestunden-Batterie aus«, sagte er fachmännisch. »Mit einer Viertausender müsste die Batterie circa …« Er zog sein Handy aus der Hosentasche und tippte einige Zahlen in die Taschenrechner-App. »… 27 Minuten länger halten.«

Sven, der keine Ahnung hatte, was Felix ihm da gerade vorgerechnet hatte, scheuchte ihn davon. »Das weiß ich selber, du kleiner Streber.«

Felix ging zu den anderen zurück, nahm seine Brille ab und putzte sie mit einem Zipfel seines Polohemds. »Dafür, dass Sven drei Jahre älter ist als wir, ist nicht viel los in seinem Oberstübchen«, stellte er fest.

»Kurz gesagt, er ist ein Vollpfosten«, antwortete Jonas knapp.

»Wofür filmt er eigentlich all das Zeug?«, wollte Nina wissen.

»Sven hat es sich in den Kopf gesetzt, ein YouTube-Star zu werden. Leider fehlt es ihm an Witz, Intelligenz, Wortgewandtheit …«

»… und er ist nicht gerade eine Augenweide«, warf Nina ein. »Was hat er bloß mit seinen Haaren gemacht?«

»Er steht jeden Morgen vor dem Spiegel und schmiert sich eimerweise Gel in die Haare«, sagte Jonas.

»Sieht aus, als hätte er mit der Gabel in der Steckdose rumgestochert«, meinte Nina spöttisch. Die Jungs brachen in Gelächter aus, was Sven geflissentlich ignorierte.

»Hört ihr das?«, fragte Anton.

In der Ferne heulte ein Motor auf. Zuerst war es kaum hörbar, doch dann wurde das Dröhnen immer lauter, bis ein Streifenwagen auftauchte, der mit Höchstgeschwindigkeit an der Wiese vorbei in den angrenzenden Wald fuhr. Ein zweiter Wagen folgte dicht dahinter.

»Krass! Zwei Streifenwagen, die hier mit Vollgas durch die Landschaft rasen«, rief Anton.

»Endlich ist was los in Irrlach!« Ninas Stimme klang begeistert.

»Kommt, das müssen wir uns ansehen!«, schlug Jonas vor.

Die vier Freunde zogen ihre Fahrräder aus dem hohen Gras und schwangen sich in die Sättel.

»Ich würde gerne wissen, warum ihr so aufgeregt seid«, sagte Felix, als sie mit ihren Rädern auf die Straße einbogen.

»Weißt du nicht, wo diese Straße hinführt?« rief Anton. »Zum Zombiepark!«

Jonas, Anton, Nina und Felix radelten, so schnell sie konnten. Sie folgten der Straße in den dichten Wald, der an die Wiese grenzte. Die riesigen Tannen spendeten Schatten. Die Luft war kühl und erfrischend und eine willkommene Abwechslung von der Mittagshitze im direkten Sonnenlicht.

»Kannst du die Streifenwagen sehen?«, fragte Jonas Anton, der vorausgeradelt war.

»Nein«, antwortete dieser. »Die sind viel zu schnell gefahren.«

Sven, der auf einem Motorroller unterwegs war, überholte sie und verschwand um die nächste Biegung.

»Der hat’s aber eilig«, japste Felix.

»Wahrscheinlich wittert er die große Story für seinen YouTube-Kanal«, meinte Nina. »16-Jähriger mit Kaktusfrisur schnappt Bankräuber.«

In Wahrheit waren die vier ebenso neugierig wie Sven, und sie holten alles aus ihren Fahrrädern heraus. Auf der rechten Straßenseite erschien jetzt der rostige Maschendrahtzaun, an dem Efeu und andere Kletterpflanzen wild emporwuchsen. Große halb vergilbte Warnschilder waren an dem Zaun angebracht:

Sperrgebiet!

Betreten strengstens verboten!

Lebensgefahr!

Was sich hinter diesem Zaun verbarg, wusste keiner so genau. Manche mutmaßten, es handele sich um einen geheimen Militärkomplex. Andere glaubten, der Boden des Areals sei mit Giftstoffen verseucht. Anton hatte natürlich wilde Theorien dazu. Als Horrorfilmfan war er fest davon überzeugt, dass hinter dem Zaun eine Horde Untote wartete – Menschen, die durch ein fehlgeschlagenes Experiment zu hungrigen Zombies geworden waren. Wie ernst er es damit meinte, war ungewiss, doch der Name Zombiepark war bei den Freunden hängen geblieben.

Immer wieder sah Jonas nach rechts und versuchte mit seinen Blicken das Unterholz hinter dem Zaun zu durchdringen. Doch außer Baumstämmen und Gestrüpp entdeckte er nichts, das auf eine Zombieplage oder eine andere Katastrophe hindeutete.

Die vier Radfahrer erreichten eine Lichtung, die an die Straße grenzte. Hier hatten die beiden Streifenwagen angehalten. Sven hatte seinen Roller gegen einen Baum gelehnt und sich so auf der Lichtung positioniert, dass die Streifenwagen hinter ihm zu sehen waren. Er filmte sich mit seinem Handy.

»Hey Leute! Was geht?«, sagte er mit einem aufgesetzt coolen Tonfall. »Ich bin hier im Irrlacher Wald, und hinter mir geht voll die Polizei ab! Im wahrsten Sinne des Wortes. Gerade sind zwei Streifenwagen mit Wahnsinns-Speed an mir vorbeigebrettert und …«

Weiter kam er nicht, denn Jonas und die anderen erschienen hinter ihm im Bild, hüpften auf und ab und schnitten dämliche Grimassen.

»Jonas! Kannst du mal damit aufhören?«, blaffte Sven.

Die vier Freunde lachten bloß. Nina deutete auf die andere Seite der Lichtung. »Hey, YouTube-Star, dir entgeht gerade die Story des Jahres!«

Sven drehte sich um. Drei Polizeibeamte näherten sich einem Mann, der sich am Zaun zu schaffen machte. Zwei hatten ihre Hände auf ihre Dienstwaffen gelegt, ohne diese jedoch aus dem Halfter zu ziehen. Die dritte Beamtin, eine Frau mit blonden Haaren, die unter ihrer Schirmmütze zu einem Knoten gebunden waren, hatte ihre Hände beschwichtigend gehoben.

»Kann man ihnen irgendwie behilflich sein«, fragte sie trocken.

Der Mann, der mit einer Militärjacke und Shorts mit Tarnmuster bekleidet war, blickte verwirrt von einem Beamten zum anderen. Sein Alter konnte man schwer einschätzen, da sein Gesicht von einem krausen, ungepflegten Bart verdeckt wurde. Über der Schulter trug er einen großen, prall gefüllten Rucksack, und auf seinem Kopf saß ein Hut, der aus Alufolie gefertigt worden war und wie ein Trichter aussah. In der Hand hielt er einen Bolzenschneider, mit dem er ein Loch in den Zaun geschnitten hatte.

»Wie wär’s, wenn wir das Ding da mal weglegen und uns ein bisschen unterhalten?«

Die ruhige Art, mit der die Beamtin auf den Mann einredete, zeigte Wirkung. Er ließ den Bolzenschneider fallen und ging rückwärts auf den Zaun zu.

»Ich weiß, was hier los ist!«, krächzte er. Etwas Wahnsinniges schwang in seiner Stimme. Er tippte mit dem Finger gegen seinen Alu-Hut. »Die haben versucht, meine Gedanken zu lesen. Aber ich habe ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht.« Er lachte laut auf. »Und jetzt schicken die euch, um mich dingfest zu machen. Aber nicht mit mir!«

Erstaunlich flink drehte der Mann sich um und machte einen Satz auf das Loch zu, das er in den Zaun geschnitten hatte. Die Polizistin hatte jedoch aufgepasst und sprang hinterher. Blitzschnell warf sie den Mann zu Boden, drehte ihn auf den Bauch und legte ihm Handschellen an.

»Du musstest es uns ja schwer machen«, sagte sie, während sie dem Mann auf die Beine half.

Sven, der alles mit dem Handy gefilmt hatte, schwenkte die Kamera auf sich selbst. »Unglaublich krass!«, sagte er in seiner besten YouTube-Stimme. »Wir sind hier gerade Zeugen geworden, wie die Polizei einen Psycho festgenommen hat!«

Jonas konnte seinen Blick nicht von dem Mann abwenden. Irgendwie war ihm dieser Typ unheimlich. Etwas Verstörendes lag in seinen Augen.

Die beiden anderen Beamten bugsierten den Mann in einen der Streifenwagen. Nina ging auf die Frau zu, die ihn festgenommen hatte. »Das haben sie klasse gemacht!«, sagte sie.

»Danke«, erwiderte die Beamtin etwas verdutzt.

»Was muss man machen, um bei der Polizei zu arbeiten?«, fragte Nina.

»Du willst Polizistin werden?«

»Vielleicht. Ganz schön cool, wie sie den Typen da in die Zange genommen haben.«

Die Polizistin lächelte. »Das ist eher der Ausnahmefall. Aber komm doch mal auf der Wache vorbei, falls es dich interessiert«, sagte sie. »Hier ist meine Karte.«

Sie zog eine Visitenkarte aus ihrer Brusttasche und gab sie Nina. »Polizeimeisterin Kerstin Hofer« stand dort über der Adresse der Irrlacher Wache.

»Wissen Sie schon, was der Mann wollte?«, fragte Jonas.

»Keine Ahnung. Ein Spaziergänger hat uns informiert, dass sich jemand hier am Zaun zu schaffen macht. Jetzt bringen wir ihn erst mal auf die Wache und nehmen seine Personalien auf.«

Anton, der die ganze Zeit gebannt auf das Loch im Zaun gestarrt hatte, wandte ich an Polizeimeisterin Hofer. »Ich hätte da mal eine Frage. Wissen Sie, was sich hinter dem Zaun verbirgt?«

Die Polizistin ließ ihren Blick über die Lichtung schweifen. »Soweit ich weiß, ist es ein Tollwutgebiet. Ich könnte mich aber irren.« Damit stieg Kerstin Hofer in einen der Streifenwagen ein und ließ den Motor an. Die beiden Fahrzeuge wendeten auf der Lichtung und fuhren auf dem Pfad zurück zur Straße. Sven, der die ganze Zeit weitergefilmt hatte, schaltete sein Handy ab und schwang sich auf seinen Roller. »Coole Story. Das muss ich sofort auf meinen Kanal hochladen.« Er gab Gas und verschwand mit lautem Geknatter zwischen den Bäumen.

Jonas, Nina und Felix gingen zu ihren Rädern zurück, doch Anton stand immer noch bei dem Zaun und starrte gebannt auf das Areal dahinter.

»Komm, Anton, worauf wartest du?«, rief Jonas.

Anton blickte ihn an. »Was meint ihr? Sollen wir es wagen?« Mit einem Kopfnicken deutete er an, dass er durch den Zaun schlüpfen wollte.

»Bist du verrückt?«, fragte Felix. »Hast du nicht gehört? Das ist ein Tollwutgebiet.«

»Irgendwie glaube ich das nicht«, sagte Anton.

»Komm jetzt«, sagte Jonas. »Wenn wir heute Abend ins Kino wollen, dann müssen wir uns beeilen.«

Widerwillig hob Anton sein Rad auf und schwang sich auf den Sattel. Als sie die Lichtung verließen, warf er einen Blick zurück. Das Loch im Zaun schien ihn magisch anzuziehen.

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