Читать книгу DIE LETZTE KUGEL - Paul-Heinz Schwan - Страница 14
II. Parmenideischer Augenblick
ОглавлениеIn der Kugel verbirgt sich eine monumentale Zweideutigkeit: sieht sich der menschliche Geist in sie selbst eingefügt oder platziert er sich außerhalb von ihr? Die Gefahr dabei: der Betrachter sieht von seinem wirklichen Ort im Dasein ab und flüchtet in ein fiktives Zuschauerleben jenseits der Welt.
Was Heidegger Seinsvergessenheit nennt, beginnt schon mit der antiken Anweisung zum seligen Sehen der Kugel von außen.
Metaphysische Globalisierung: die Einladung zu einem erster Verrat am existentiellen Ort des Menschen?
Atlas selbst - brutal ausgeschlossen von dem Ganzen das er trägt- steht in seiner angestrengten Blindheit unter der Last, weltbildlos da. Er philosophiert mit zusammengepresster Seele. Er kann zu seiner Zeit noch nicht freihändig auftreten, weil er zum Prinzip Entlastung noch nicht durchgedrungen ist. Noch ist man Dulder von Verhängnissen, kein Überwinder von Zuständen. Weisheit ist noch nicht unter das Diktat der Wissenschaftskultur geraten.
Parmenides setzt hier eine erste Ausnahme. Für ihn ist die Kugel kein zu betrachtendes Außen sondern bietet freie Umsicht im Inneren eines offenen, von sich selbst her Aufschluss über sich gebendes Seienden.
Denken und Sein ist dasselbe.
Nur von innen her, immanent, intern bleibend, lässt sich die Kugel des Seienden anschauend in Gedanken fassen.
Für Parmenides ist der Raum der Philosophen das gelichtete Ungeheure. In der Seh-Schule des philosophischen Gesamt-Umblicks begreift oder spürt der Denker, was es heißt alles zu „wissen“, alles Sehrbare zu sehen, alles Umgebende in den Ring des Seins gefasst zu erkennen und dies alles für immer und stets im selben Licht des Bemerkens, eines „dass es ist“ gebracht werden kann.
Gewöhnliche Sterbliche scheuen den Blick oder finden vor lauter aktuellen Sorgen und weil sie am nächstbesten haften, inmitten der Kugel, das sie Kugelblinde sind.
Der Philosoph ist der Günstling der Götter, erhält den Zugang zum besonderen Standort. Außerdem musste er ein Ekstatiker sein, der als absolut kontemplativ, entselbstet umblickende Intelligenz sich ins „nicht-zitternde-Herz-der Wahrheit“ versetzt.
Während die Außensicht der Kugel als Super-Objekt den Super-Betrachter nicht enthält, verkörpert die parmenideische Kugel den Inbegriff einer all-immanenten Einschließungsfigur die die Struktur eines geistigen Sachverhalts mit einem von innen durchseelten, gleichmäßig ausgeleuchteten Gewölbepanorama besitzt.
Der Betrachter im Außen müsste eine absolut exzentrische Position, der Betrachter im Innen eine absolut zentrische Position einnehmen.
Sloterdijk zitiert Alexander Kojève: „..man kann sich in dieser parmenedeiischen Kugel de-platzieren wie man will, man wird überall genau soviel Sein vor sich wie hinter sich haben und es wird überall dasselbe sein.“
Hier liegen zwei Ansichten in Konkurrenz. Der alles Innen bietet den Vorteil, durch das Innere der menschlichen Selbstbeziehung zu gehen und sich damit eher von dem Verdacht eines „archaischen“ All-einheitsgedankens freimachen zu können.
Alles-Innen-Ausläufer reichen über den Deutschen Idealismus bis zu Heideggers In-der-Welt-Sein und Gilles Deleuze Immanenzpathos.