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Prolog: Intensive Idylle

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Die Szene spielt im 1. Jhrd. vor Christus. Sieben bärtige Männer sitzen zusammen. Es hat den Anschein, als mache eine Idee die Runde und durchfahre sie wie ein Anfall. Weltergreifende Ideen beginnen ihren Flug.

So wie die Offizianten religiöser Kulte Statuen zu Ehren der von ihnen bevorzugten Gottheiten errichten, so haben die Gelehrten hier das Bild der Seins- und Kosmoskugel vor sich aufgestellt, um sie mit angemessenen Erörterungen zu verehren.

Die Kugel ist das Götterbild der Denkenden. Kästchen, Podium sind ihr tragbarer Altar, der Hain vor den Toren der Stadt ist ihr Tempelbezirk. Die sphaira ist der Gott der zu denken gibt. Aber es sind nicht Gebete und Anrufungen, sondern Analysen, Messungen und Beweise. Verehrende Forschung über ein Symbol für jenes Umgreifende oder Um-Sein, periéchon, das alle physischen und geistigen Gattungen des Seienden in sich fasst und das somit auch die Intelligenzen durchwirkt, die sich hier über die Kugel beugen.

Ihr Innenraum verlangt nach einem kongenialen Geist, der ihn beleben soll, das meint erzeugen und ermessen. Intelligenz ist Sphärenspannkraft; aus Einsicht wird Umsicht im Ungeheuren. In den Evidenzerlebnissen gibt sich der Gott, der Eine, Einstimmige, den Denkenden zu sehen. Logischer Enthusiasmus bestätigt seinen Verehrern, dass er in ihnen gegenwärtig ist.

Im bewährungsmächtigen Begriff und im seinsfähigen Bild kommt der göttliche Geist - der hier unterstellt werden darf - auf den menschlichen zu. Es ist das Pfingstereignis der Denkgeschichte, der Ausguss logischer Feuerzungen.

Jeder der sieben bezieht sich als singuläres, wissendes Leben auf das Eine und setzt sich so in eine ursprüngliche Individualität. Er lässt das Umfassende durch sich selbst, das diskrete Gefäß des Ungeheuren, sprechen.

Hier entsteht eine neue Form der Vergesellschaftung: durch die geteilte Erfahrung des Einheits- und Ganzheitsgedankens entsteht eine Gemeinsamkeit, für die es in der völkischen und familiaren Geschichte kein Vorbild gibt.

Aber schon diese sieben lernen nicht fürs Leben sondern für die Schule.

Durch das Theoriespiel Philosophie werden die folgenden Gesellschaften endogen gespalten: in solche die sich und ihr Wissen selbst zum Ernstfall erklären und in die, die sich entweder als Bewunderer dessen zeigten, was sie nicht verstanden oder die, die ein Leben in Ahnungslosigkeit führten, ohne sich unsouverän zu fühlen.

Im Bild der Sieben liegt Glück und Ungeheure still ineinander.

Zukünftig wird ohne den Willen zu dieser Idylle, keine Theorie zustande kommen.

Ohne Muße keine Schule, ohne Entwurzelung aus der Vulgarität, nichts von alledem, was alteuropäisch Freiheit der Forschung hieß.

Von nun an reicht das Ungeheure in der Ordnung weiter, als das Ungeheure in der Tragödie. Die Kugel bestellt die Betrachter mit zwei unbedingten Imperativen zu sich:

Komm, denke mich!

Und:

Geh in mir auf!

Im Hintergrund eine Sonnenuhr. Philosoph ist, wer eine Uhr im Rücken und eine Kugel vor sich hat.

Wir stehen am Beginn eines messenden, feststellenden, vergegenständlichenden „Zeitalters der Vernunft“. Von einem wortreich dunklen Gewerbe wird die Konstellation von SEIN und ZEIT durchleuchtet.

Einer, der der Zeit den Rücken zukehrt um in den absoluten Raum, die göttliche Immanenz, die sphärische Fülle einzutreten. Hier tut sich das Paradies der Ontologen (Lehrende des Seins) auf.

Auch Hegel und Heidegger waren nur Kommentatoren dieses Mosaiks. Auch Nach- und Anti-Hegelianer kämpften um den Kugelnachlass, von der es heißt, sie sei zersprengt, die ihr ent-stürzenden Menschen würden nur noch im freien Fall existieren.

Die Kugel vor Augen lässt die Sieben zu einer lokalen Funktion des globalen Optimums werden. Sie gab ihnen den stärksten Grund Optimist zu sein, wenn die Sphäre wirklich das Inbild und den Inbegriff des Ganzen geben soll.

Liegt im modernen Fortschritts-Optimismus noch ihr Nachhall?

Der thetische (zu beweisende) Funke springt im Augenblick über: Alles ist Gnade, alles ist im Kreis. Eíso panta - alles ist innen-. Der Intellekt ist nun unheilbar krank von einer Sphären- idee, einem Pathos, von dem sich nicht sagen lässt, ob er hell oder dunkel ist: dem Staunen.

Wer staunt über was?

Die Raumfigur bleibt in jeder Agonie (Qual, Kampf) und Überspannung um sie, wie ein geometrischer Schutzengel, eine unverletzlich exakte Alliierte. Angesichts dieser Kugel ist der Denkende zum Optimismus verdammt: einem exakten Optimismus.

Optimist – das war nun keine Charakter- oder Stimmungsfrage mehr.

Das Eine Sein ist reich, d.h. reich an Differenzen die zu einer Hermeneutik (erklären, auslegen‚ übersetzen) der Fülle zwingt. Nicht das Ressentiment (Neid, Groll) gehört an den Anfang, wie es die Psychoanalyse mit Kastration und Mangel tut. Die Fülle gehört dorthin und schaltet ein aristokratisches Licht auf sie. Das Zufiel erklärt das Seiende im Ganzen.

Sieben exakte Prahlereien verschafften ihr den Rang einer „Kugel des Seienden im Ganzen und brachte sie so in die Vorlage einer theologie- ermöglichenden Funktion.

Es waren die sieben Rühmungen über:

die Kugel sei nichts anderes als der Gott

sie sei deshalb das Schönste

sie sei die Größte, kein Staubkorn sei außerhalb

sie sei das weiseste

sie sei erfüllt vom Schnellsten: dem Geist

sie sei das Stärkste, durch die Kraft der Notwendigkeit

sie sei das Göttliche das weder Anfang noch Ende hat

Das Hinzukommen des Menschen ist überflüssig, macht sie nicht mehr runder, trägt zu dieser ursprünglichen Rundheit nicht bei. Ihm bleibt nur, sich in kontemplativer Dankbarkeit in dieses Optimum einzuordnen.

Aber auch das Optimum unterlag der Entropie, dem "eingebauten" Wandel" Das An- und Eingebundensein Aller in Allem hielt zwar immerhin ein Weltalter lang das alte Europa mit göttlich- Beauftragten, die die Kugel in Händen oder im Wappen trugen in Atem. Aber auch die Zeit brach in die Kugel eine und rief nun den Seinen zu: Spielt weiter.

Es muss doch auch Neues zum Guten geben, wenn die bisherigen Kugelhalter ihren Pflichten zur Pflege des Runden nicht mehr nachkamen?

Wie zum letzten Mal erstellt 1777 ein Dichter in seinem Garten in Weimar einen „Altar des guten Glücks“. Wie? Natürlich als Kugel, die ein Rätsel für die Nachkommenden aufgibt: Was wird aus einer Welt ohne Könige, was aus Königen ohne Kugel?

Gewidmet ist dieses Denkmal der Tyche Agathe. Tyche ist die antike Göttin des guten oder bösen Schicksals, des Zufalls, des Launischen.

Die Kugel ruht auf dem Quader. Er steht für Ruhe, Beständigkeit, Verlässlichkeit, Ausgeglichenheit, die Kugel für das Unbeständige, die rast- und ruhelose Bewegung, das Wechselhafte. Wer wird diese Kombination balanciert in die Zukunft tragen?

DIE LETZTE KUGEL

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