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Beinneid und ein Tsunami auf dem Schulklo

»Gehet hin und tuet so!« Mit einer Segensgeste gibt Herr Sarytchew Ajas und Flashs Projekt das Okay und schickt sie hinaus auf den Schulhof der Hoffnungslosigkeit. Amen, Bruder.

»Die haben mein Rad geklaut«, sagt Aja. Sie kickt eine leere Dose Red Bullshit weg. Die Dose purzelt in eine Gruppe spielender Fünftklässler.

»Oh, tut mir leid.« Flash dackelt neben ihr her.

»War bestimmt auch Schicksal.«

»Bei unserem Projekt komme ich mir vor wie ein Fake«, sagt er. »Wir haben doch beide nicht mehr Lust drauf als die da.« Er deutet zu einer Gruppe Abi-Anwärter, die auf dem Gras unter den drei alten Linden chillen.

»Kein Inder verlangt von uns, dass wir die Sache mit Leidenschaft hinter uns bringen – fix rein, fix raus, erledigt.«

Sie geht schneller, um ihn loszuwerden, aber Flash hält Schritt.

»Heute ist schon Montag«, sagt er. »Wir haben keine zwei Wochen mehr.«

Aja biegt abrupt um die Ecke der Sporthalle – und rennt volle Kanne in Lissa. Autsch! Papier segelt durch die Luft.

Lissa reibt sich die Stirn und lächelt ihr Mona-Lissa-Lächeln, unergründlich. Sie und Hanna und Clara heben ihre Modezeitschriften und Kataloge auf. Flash, der Verräter, hilft ihnen. Warum aber fühlt sie sich schuldiger an dem Zusammenstoß als Lissa?

»Tizian«, sagt Lissa, »meint, deinem Dad geht es besser.«

»Wenn er das meint, wird es wohl stimmen.«

»Gratuliere zum Projekt«, sagt Lissa. »Ein würdiges Team mehr, gegen das wir antreten.« Wenn sie wüsste, was ihr Projekt ist!

»Am besten gebt ihr gleich auf«, sagt Aja.

»Ist eure einzige Chance, hm?«, kontert Hanna. Ihr rosa Top ist so eng, man kann die Preisschilder an ihren Silikonkissen lesen.

»Unser Projektleiter frisst Hanna aus der Hand«, sagt die dritte Nudel in der Hühnersuppe, Barbie Clara. Obwohl es Mittag ist, ist der Schatten ihrer Beine lang genug, um Aja darin frösteln zu lassen. »Worum geht es bei euch? Wieder um Survival im Wald wie bei deinem letzten«, Clara gähnt theatralisch und segnet Gänsefüßchen in die Luft, »Vortrag?«

»He, seid nett zu euren Wettbewerbern«, sagt Lissa. Mit ihren Kulleraugen fängt sie Flash wie ein Reh in einem Suchscheinwerfer. »Ihr macht was mit Gewitter und Blitzen, hab ich Recht? Wo Flash doch eine Koryphäe auf dem Gebiet ist.«

Aja bleibt der Atem weg. Woher weiß die von Flashs kranker Leidenschaft?

»Genau«, sagt Aja. »Wir brauchen noch Versuchskaninchen. Wie wär’s, Clara, du lockst bestimmt sogar mitten im Buchenwald die Blitze an.«

»Immerhin locke ich überhaupt was an.« Sie lässt ihren Blick über Aja gleiten wie einen spöttischen Scanner. »Während du hoffst, dass deine Abfallcouture die Jungs von ihrem traurigen Inhalt ablenkt.«

»Aja ist bloß beinneidisch«, sagt Hanna.

»Ich finde Ajas Beine okay«, sagt Flash und errötet bis hinter Kapstadt, als sich vier Augenpaare auf ihn richten.

»Ich kann meine Beine selbst verteidigen«, sagt Aja. »Und dich gehen sie gar nichts an, klar?«

»Mein lieber Sarytchew hat ganze Arbeit als Amor geleistet«, sagt Hanna und lacht und Clara auch, obwohl die sichtlich keinen Plan hat, wer oder was Amor ist.

»Nun ist aber gut.« Lissa klatscht in die Hände wie die Erzieherin in einem Kindergarten. »Wenn wir euch helfen können, gebt Bescheid.« Sie seufzt. »Ihr könnt die Sache ja ganz relaxt angehen. Von uns erwartet jeder, dass wir gewinnen. Wenn wir nur Zweiter werden, sind wir gesellschaftlich tot. Wir sind das Bayern München der Projektwoche.« Diese Tussi macht Aja fertig. Wie kann man gleichzeitig so nett klingen und so hintertrieben sein? »Außerdem«, fährt Lissa wie beiläufig fort, »will ich gewinnen.«

»Und Lissa«, sagt Clara, »kriegt immer, was sie will. Ciao, Ciao.«

Die Hühner flattern davon.

»Sie könnte uns bestimmt helfen mit unserem Ratgeber«, sagt Flash und wedelt mit einer vergessenen Modezeitschrift.

»Spricht da Hirn oder Hose?« Aja reißt ihm das Heft aus der Hand, versenkt es im nächsten Papierkorb und stapft zu ihrer Ecke hinter den Hortensien, wo sie in den Pausen ihre Ruhe hat. Heute knutschen dort zwei frühreife Sechstklässler.

»Lass ihn dir bloß nicht die Zunge ins Ohr stecken«, sagt Aja und zischt ab. An der Ecke der Sporthalle angekommen sieht sie gerade noch, wie Flash in die Toiletten einbiegt. Geduldig wartet sie vor dem Jungenklo. Eine Sekunde lang.

Unter den ungläubigen Blicken einer Handvoll Jungs läuft sie durch den nach künstlichen Rosen und echtem Tabak stinkenden Eingang in den Raum mit den Pinkelblüten. Neben den topmodernen wasserlosen, aber defekten Pissoirs stehen Eimer mit Wasser zum Nachspülen. Neben einem der Eimer steht Flash, den Rücken, Gott sei Dank und Diener, Aja zugewandt. Sie sind allein.

»Keine Bewegung«, ruft Aja. Flash erstarrt. »Die Hände dahin, wo ich sie sehen kann.«

Nach kurzem Zögern hebt Flash die Hände in Höhe seines Kopfes. »Stimmt, ich nutze deine Lage aus. Hör zu. Wir haben beide weder Stein- noch Holzbock auf Insein für Aussätzige. Und unsere Chancen gegen die Chicks sind kleiner als die kleinsten Zahlen, die Herr Hakimeh uns je beigebracht hat. Trotzdem werde ich tun, was ich kann, damit ihnen der Sieg schwerer fällt als ein großer Bogen ums Fashion Outlet. Dieselbe Leidenschaft erwarte ich von dir. Klar?«

Flash nickt. Hat es ihm die Sprache verhagelt? Soll ihr recht sein.

»Und meine Beine sind mehr als nur okay. Klar?«

Er nickt.

»Ich will ein angemessenes Adjektiv hören.«

»Wohlgeformt?«

Sie macht ein Furzgeräusch.

»Hüb... nein, superkalifragilistischexpiallegetisch?«

»Lasse ich gelten. Weitermachen.« Sie dreht sich zur Tür und geht, doch im Vorraum fällt ihr noch etwas ein und sie geht zurück. »Zeigst du eigentlich nie deinen Hintern beim Pinkeln?« Flash zuckt zusammen. »Ich meine, keiner von euch Jungs lässt die Hose komplett runter? Wovor habt ihr mehr Angst, vor Bewunderung oder vor Spott?«

Flash greift sich den nächsten Eimer und wirbelt herum, und bevor Aja erkennen kann, ob sie etwas erkennen könnte, schwappt ihr ein fliegender Tsunami entgegen. Kreischend springt sie zurück und in jemanden hinein.

»Aja?«

WC-Spülwasser triefend dreht sie sich um.

Tizian.

»Das kann ich erklären«, sagt sie und schweigt und Tizian sieht mit diesem feinen Grinsen auf sie herunter, nach dem sie so verrückt ist. Frech und neckisch schief hockt das kleine Hütchen in seiner Stirn. Und sie steht vor ihm wie ein bepisster Hydrant.

»Ich habe sie getauft«, sagt Flash. »Das ist so Sitte in den USA, du kennst das ja. Man macht ein Projekt zusammen und gibt sich während des Projekts einen Kampfnamen, machen die da alle an der Highschool.«

»Cool«, sagt Aja und meint vor allem Flashs flashige Schlagfertigkeit.

»Ja, klar«, sagt Tizian. »Und wie ist dein Kampfname?«

»Den wissen natürlich nur die Projektler«, sagt Flash rasch und lacht total künstlich.

»Ist natürlich alles Aberglaube«, kommt Aja ihm zu Hilfe.

»Aber es macht total Spaß«, ergänzt Flash.

»Das sehe ich«, sagt Tizian und stupst mit dem Daumen den Hut nach hinten.

»Was ist da drin los?«, gellt eine Mädchenstimme von draußen.

»Ich komme, Emm.« Er tippt an seine Stirn, sagt, »Wir sehen uns«, und geht.

»Projekttaufe?«, sagt Aja.

»Herr Sarytchew hat mich inspiriert.«

»Dann gehen wir mal und tun so. Aber«, sie zupft an seinem Hemd, unter dem er ein T-Shirt trägt, »dieses Hemd wird beschlagnahmt und mir geborgt. Projekt Trockensein für Klatschnasse. Los, ausziehen.«

»Oh, sorry, ich wollte nicht stören.« Tizian streckt seinen Kopf herein. »Ich wollte dir noch was sagen, aber das hat Zeit.«

Und er zwinkert ihnen zu und er geht und er tut so ... als wären sie und Flash ein Paar.

Halleluja.

Insein für Outsider

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