Читать книгу Insein für Outsider - Paul Mesa - Страница 4
ОглавлениеNatalie Portman im Altkleidercontainer
»Steckt Natalie Portman im Altkleidercontainer?«, fragt Aja. Das Miauen aus der weißen Blechkiste klingt erbärmlich. Zusammen mit ihrer Freundin Yuko hockt sie auf der Küchentreppe im Hinterhof des À la mode, Yukos Arbeitsplatz.
»Du kletterst nicht da rein«, warnt Yuko, die zweifellos hübscheste Jungköchin diesseits des Fujiyamas. Donnerstag-Abend-Küchen-Hektik tönt herüber, Töpfe klappern.
»Ich muss«, sagt Aja. »Sonst macht man die arme Mieze morgen beim Roten Kreuz zum Pelzmantel.« Sie steigt auf eine Gemüsekiste, zieht ihr bisschen Bauch ein und zwängt sich durch die Klappe.
Heiß und eng ist es hier drin. Wie in einem Raumanzug. Wenigstens hält Yuko die Klappe auf, sodass ein wenig Licht hereinfällt. Es riecht nach ranzigem Parfüm und nassem Hund. Warum landet sie andauernd in solch blöden Situationen? Sie sollte ihr Abo darauf kündigen.
»Natalie Portman?«, fragt sie. Ihre Stimme klingt wie durch ein Kissen.
Keine Katze. Kein Miauen. Falscher Container. Aja schnappt sich eine Weste, die im Halbdunkel ganz brauchbar aussieht, und zieht sich mit Hilfe ihrer Freundin zurück ins Freie.
»Eine Katze habe ich keine gefunden«, sagt Aja. »Aber diese Weste hier. Wie findest du sie?«
»Hipstermäßig.«
»Echt? Danke!« Aja hat keine Ahnung, was Hipster bedeutet. Aber was sie nicht kapiert, nimmt sie als Bestätigung. Auf die Art macht das Leben mehr Spaß.
»Dein Essen wird kalt«, sagt Yuko und deutet auf den Teller, den sie aus der Küche geschmuggelt hat. »Bäckchen vom jungen Weiderind mit Pétoncle und Topinambur.«
Über den Stadthimmel zuckt ein Blitz, dann kracht der Donner. Aja zieht den Kopf ein.
»Keinen Hunger mehr«, sagt sie. Warum kann man Gewittern nicht den Stecker ziehen? Irgendwo, bloß nicht zwischen Altkleidern, miaut eine Katze.
»Noch ein paar Moscardinis, Aja?«, fragt Yuko. »Die helfen gegen die Angst.«
»Ich habe keine Angst. Außerdem ...« Sie seufzt. Wie oft hat sie es Yuko schon erklärt! »Außerdem heiße ich Ä-i-scha, mit superweichem sch: Ä-i-scha. Wer meinen Namen richtig ausspricht, klingt, als wäre er verknallt in mich. Apropos. Was hast du über Sabines neuesten Fang rausgekriegt?«
»Geschieden. Heißt Gärtner, ist Anwalt. Macht achtzigtausend im Jahr, netto. Zwei Jahre älter als deine Mutter. Kam bisher ein Mal im Monat her. Immer in anderer Begleitung. Mag Lammfleisch, sehr rosa, und ist allergisch gegen Sellerie.« Sie zündet sich eine Zigarette an. »Zufrieden?«
»Koko!«, schallt es aus der Küche. »Zigarette aus und allez hopp!«
Yuko rollt die Augen. Der Maître persönlich. Wissen, was Pétoncle ist, aber zu dämlich, sich einen einfachen Namen zu merken.
»Sie sitzen Tisch sieben, der romantische für zwei«, sagt Yuko, schnippt ihre Kippe weg und schnürt in die Küche.
Aja läuft aus dem Hof heraus zu den Fenstern des Restaurants und zieht sich auf eine Fensterbank. Von hier hat sie den besten Blick ins kulinarische Getümmel.
Sabine, ihre Mutter, sitzt elegant und Funken sprühend an ihrem Table de Stamm. Ihr Mann der Woche hat keine Haare mehr, nicht eins. Sein Kopf glänzt im Licht der Kerzen. Mister Ei-im-Anzug hält sein Weinglas, als könnte es ihm jeden Moment um die Segelohren fliegen.
Wo bleibt da die Herausforderung? So einen Typen vergrault sie schneller, als Sabine fester Freund sagen kann.
»Surr ab, Schmeißfliege«, sagt eine Stimme hinter Aja und ein starker Arm zerrt sie von der Fensterbank. Der Arm gehört zu zwei breiten Metern Jungkoch.
»Axel!«, sagt sie und zappelt sich aus dem Griff. »Hat dir schon mal jemand gesagt, dass dein Name klingt wie die badische Variante eines Deosprays? Apropos ...«
»Der Maître ist nervös. Angeblich schleicht ein Dieb in der Gegend rum.«
»Alles im Grünen?«, fragt da eine harte Stimme und ein Gesicht mit Wangenknochen wie Bügelfalten und Augen direkt aus dem Eisfach schiebt sich zwischen Aja und Axel. Typ Serienkiller und ebenso schnell und lautlos. Von Nahem betrachtet ist Sabines Geschmack leider widerlich gut.
»Da hast du deinen Dieb, Deomään. Klaut das Herz meiner Mom.«
»Ah, das berüchtigte Fleisch von Sabines Fleisch.« Eiermann streckt ihr die Hand entgegen. »Ich bin Edgar. Ich schätze deinen Sinn für Dramatik.«
Axel kann keine akute Gefährdung für das kostbare Pétoncle-Rezept erkennen und trollt sich. Eiermann bleibt.
»Lass deine Pfoten von Sabine, Eddy.«
»Was, wenn nicht?« Er lacht! »Brichst du mir die Finger?«
»Du bist nicht das Problem, du hast es: Sabine.«
»Arroganz ist okay, solange sie sich nicht mit Dummheit paart.«
»Hier paart sich keiner, am allerwenigsten du und Sabine.«
Er lacht, wird abrupt ernst.
»Sabine liebt dich über alles. Hör endlich auf, ihr so viel Trouble zu machen. Die Sache mit Roman hat sie dünnhäutig gemacht. Euch beide.«
»Woher ...« Sabine hat ihm von Roman erzählt? Sie fasst es nicht.
»Wenn meine Tochter sich ihr Essen an den Hintertüren von Restaurants und Supermärkten erbetteln würde«, sagt der Eiermann, »wenn meine Tochter sich ihre Klamotten aus Altkleider-Containern klauen würde, wenn meine Tochter keine Freunde hätte, dann würde ich das als eine Menge Trouble einloggen.«
Zack, zack, zack! Aja spürt Tränen in sich aufsteigen. Das ist Wut, nichts weiter, der Glatzkopf kann ihr gar nichts.
Er schiebt ihr eine Visitenkarte in die Tasche ihrer Weste.
»Wenn was sein sollte. Wenn du quatschen willst. Oder wenn du deine Mutter suchst. Ruf mich jederzeit an.«
Sie will etwas sagen, zum Beispiel Lieber nage ich mir die eigenen Zehen ab, doch ein panischer Katzenschrei lässt sie herumfahren. Aus dem Papiercontainer schlägt eine Flamme. Da also hat sich Natalie Portman versteckt! Und Yukos Kippe räuchert sie aus.
Aja rennt zurück in den Hof, im Laufen reißt sie sich die neue alte Weste vom Leib und wirft sie in den Container und auf die Flamme. Das erbärmliche Miauen schneidet ihr direkt ins Herz. Sie zieht sich hoch und lässt sich in alte Zeitungen und Kartonagen fallen. Ihre Weste geht gerade in Rauch auf, Hitze schlägt ihr ins Gesicht.
»NP? Wo steckst du?« Sie wirft Pappe hinter sich.
»Komm sofort da raus!« Der Eiermann.
Aja ignoriert ihn, wühlt sich tiefer.
»Da bist du!« NP hat sich mit der Pfote in einem großen Amazon-Karton verfangen. Aja packt Pappe samt Katze und schmeißt alles über den Rand. Es riecht nach verschmortem Haar. Ihrs? Jemand packt sie und sie springt, klettert und fliegt und alles gleichzeitig und landet halb auf dem Eiermann. Aus dem Restaurant sprudeln Personal und Gäste.
»Das ist nicht, wonach es aussieht«, ruft Aja und freut sich wie verrückt, diesen Satz mal selbst anwenden zu können. Sie rappelt sich auf.
»Koko!« Der Maître kommt angewalzt und lässt einen Schwall Französisch los. Respekt, sie wusste gar nicht, dass Französisch so böse klingen kann. »Wo ist diese Mädchen? Wie oft ich soll sagen, keine Kippen in Container!«
»Ich war’s«, sagt Aja.
»Du?« Auch noch Sabine! Wie immer im ungünstigsten Moment.
»Ich habe eine Kippe weggeschnippt«, sagt Aja. »Ja, ich rauche. Was dagegen? Ich bin fünfzehn.«
Während ein Drittel des Personals mit Löschen beschäftigt ist, beruhigt das zweite Drittel die Gäste und führt sie zurück zu ihren Tischen. Das dritte Drittel tut, was es am besten kann: nix und blöd gucken.
Aja dreht Mutter und Maître und Missbilligungen den Rücken zu und schiebt sich an sämtlichen Dritteln vorbei. Nur weg hier. Der sicherste Ausgang ist der durch die Restaurantküche.
Drinnen steht Yuko, mutterseelenallein, und putzt sich die Nase in ein Geschirrtuch. Natalie Portman inspiziert den Küchenboden.
»Er wirft mich raus!«, schluchzt Yuko.
»Schlechte Nachricht, Süße«, sagt Aja. »Du musst weiter für deinen Maître schuften.«
»Wem willst du eigentlich mit deinem Verhalten imponieren?« Mutterseele Sabine klackert heran. Unentkommbar. Sogar eine coole Straßenkatze wie NP nimmt vor so viel mütterlicher Wut Reißaus.
»Imponieren, das machen Jungs«, stellt Aja klar. »Ich bin ein Mädchen. Kann man mal vergessen. Im Eifer des Geschlechts, sorry, Gefechts.«
Sabine schüttelt den Kopf. Sie ist eine echte Rothaarige, groß, schlank und so kalt und heiß wie ein Vulkanausbruch auf Island. Doch die Sommersprossen, die ihr haarfarbemäßig zustehen, hat sie an ihre maushaarige Tochter weitergereicht. Schon mal was von Gerechtigkeit gehört, Welt?
Sabine nimmt ihre Geldbörse aus der Handtasche und zieht einen Hundert-Euro-Schein heraus. Der Schein riecht nach Parfüm. Geldscheine haben Duft so nötig wie Tizian ein T-Shirt mit der Aufschrift »Küss mich, ich bin dein Märchenprinz«.
Warum muss sie jetzt ausgerechnet an ihn denken?
Weil sie dauernd an ihn denkt.
»Du verscherbelst alles«, sagt Sabine, »alles, was ich dir schenke: Kleider, Schuhe, iBook, iPhone, iPod, iPad.«
»Mal dran gedacht, dass du deine Mutter damit verletzt?«, mischt sich auch noch das herbeigeeilte Killer-Ei ein. Sie wäre besser im Container geblieben. Im brennenden.
Sabine ignoriert ihn und setzt ihren Dackelblick ein.
»Kaufst du Drogen?«, fragt sie.
Wie soll sie darauf antworten? Etwa mit der Wahrheit? Dann lieber Mund halten.
»Hab ich Recht?«, fasst Sabine nach.
»Du hast kein Recht, irgendjemand Fremdem von Roman zu erzählen.« Aja beißt sich auf die Zunge. Sie wird nicht weinen, nicht, solange sie mit Sabine im selben Zimmer ist. Also schnell raus hier.
Draußen hängt der blöde Regen weiter schwer in den Wolken. Dafür fließen ihre Tränen. In dem Zustand nach Hause?
Wie kann Sabine nur, wie kann sie irgendeinem Typen von Roman erzählen! Aja zieht das Foto aus der Tasche, aber es ist zu dunkel, die Gesichter zu erkennen. Sie muss den Eiermann loswerden, sie muss ihn und Sabine auseinanderbringen, bevor er den armseligen Rest ihrer Familie auch noch kaputtmacht. Ihr Paps verdient eine zweite, okay, eine dritte ... okay: eine vierte Chance.
Sie läuft Richtung Bushaltestelle, da bringt sie eine Telefonsäule auf eine Idee. Ein Handy hat sie keins. Wen sollte sie anrufen? Vom Festnetz telefoniert sie gern mit der Zeitansage. Manchmal, und diese Anrufe sind ihr die liebsten, ist der Pieps kein elektronischer, sondern die Konservenstimme sagt selber: »Pieps.«
Aja zieht die Karte des Eiermanns aus der Tasche – Edgar Gärtner, Dr. jur. – und wählt die Handy-Nummer.
»Wofür steht das jur.? Für Juror? Hast du Mama bei einer Misswahl aufgerissen?«
»Warte nicht auf deine Mutter. Könnte spät werden.«
»Dann mach dich auf was gefasst. Sabines Spezialität ist Pétoncle. Na ja, wer’s mag.«
Daheim wird sie als Erstes Pétoncle googeln. Jede Wette, sie wird nicht die Einzige sein.