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ОглавлениеLiberté, Égalité und eine Zunge im Ohr
Liberté, Égalité, Lindenblütentee. Schöne Sprache, hübsche Lehrerin im Pariser Minirock mit Schottenkaro. Sind dann wohl doch noch in, diese Röckchen.
Statt sich auf ihren Platz links hinten zu fläzen, rutscht Aja auf den freien Stuhl neben ihren aufgezwungenen Projektbuddy, ihre schweißfeuchten Beine in den Shorts quietschen übers Holz.
»Denk dir was aus«, sagt sie leise zu ihm. »Ich setze meinen Namen drunter. Und dann lässt du mich in Ruhe, Deal?«
»Du hast das Gewitter gestern Abend wahrscheinlich nicht mitgekriegt«, sagt er, ohne sie anzusehen, »war ja nur eine Einzelzelle bei uns, kaum Windscherung. Ich war draußen, auf dem Feld, da bin ich meistens bei Gewitter, und als ich vorhin im Physiksaal die Vorbereitungen für den Aufbau einer Tesla-Spule gesehen ...«
»Mach, was du willst, von mir aus in ’ner Einzelzelle. Bist du einverstanden?«
»En français, Aja, s’il-vous plaît«, tönt Mamsell Müller von der Tafel, eine Französin, die im Körper einer Gelsenkirchenerin wiedergeboren wurde – einschließlich Ruhrpott-Akzent. Aja mag sie und sie mag ihr süßes, schweres französisches Parfüm, das noch zwei Schulstunden nach ihrem Unterricht in der Klasse hängt und Erdkunde erträglicher macht.
Aja seufzt.
»Fait que tu veux, de moi stationné à un celle pour un. Est-que tu es d’accord?«
»Je ne te comprends pas«, sagt die Mülläär. »Qu’est-ce que tu veux dire?«
»Sie will, dass er ihr die Zunge ins Ohr steckt.« Klar, Yannick der Schakal, wittert Blut noch gegen Pupsstärke 12.
»Ich stecke dir gleich die Zunge in den Hintern«, sagt Aja ganz cool. »Und zwar deine eigene. Nachdem ich sie dir ausgerissen habe.«
»En Français«, ruft Yannick.
»Fils d’une culotte«, übersetzt Aja. Könnte Hurensohn heißen, aber so ganz sicher ist sie sich nicht. Die Mamsell wohl auch nicht, denn sie schüttelt nur missbilligend den Kopf.
»Keine Sorge, Flash.« Lissa dreht sich zu ihm um und strahlt ihn warm genug an, um einen Eimer kaltes Wasser in Brand zu setzen. »Niemand glaubt ernsthaft, dass jemand wie du etwas mit Aja hat.«
Aja hat bereits eine Entgegnung auf der Zunge. Da bemerkt sie, wie Flash rot wird, und sie vergisst, was sie sagen wollte.
Bei ihr wurde er aber ein bisschen roter. Oder?
Und wenn schon. Sie will jemanden, der sie zum Erröten bringt. Sie will Tizian. Die Sonne unter den Sternen. So haben sie den Maler Tizian genannt, aus Venedig, Hochrenaissance.
Tizian. Aus Baden-Baden. Neuzeit.
Das bekannteste Bild des Malers heißt »Himmlische und irdische Liebe«.
Irdische Liebe mit Tizian. Wenn das mal nicht himmlisch wäre!
»Nein«, sagt Flash und reißt sie aus ihrem Traum. »Ich trickse nicht.«
»Ein Mann mit Charakter«, sagt Lissa. »Respekt.«
»Misch dich nicht ein«, ruft Aja und fügt ein »Ne mixe pas« hinzu, bevor sich auch noch Mamsell Müller einmixt.
Lässig dreht Lissa sich weg und tuschelt mit den anderen Suppenhühnern. Aja schnappt etwas von einem Date auf. Kunststück. Wenn man schon für Sabines Männer eine lange Liste braucht, dann muss Lissa sich zur Verwaltung eine externe Festplatte an ihr Seht-her-I’m-Smart-Phone hängen. Clara hätte fast genauso viele Chancen. Aber erstens schnappt Lissa ihr die Typen weg und zweitens hat Clara Angst, ein Kuss könnte ihr Make-up verunstalten. Und Hanna? Ihre Eltern haben mehr Meilen auf dem Konto als Herr Lufthansa persönlich und sie kriegt von ihrem Papi jedes Jahr zum Geburtstag eine Schönheits-OP geschenkt. Noch zwei Geburtstage und Hanna sieht aus wie ihr eigener Avatar. Mit dem ganzen Silikon, noch mehr Klugheit und ihrer irren Familie schlägt sie jeden Typen in die Flucht.
»Du musst nicht tricksen«, sagt Aja.
»Wir machen das Projekt gemeinsam«, sagt Flash. Sein nächster Satz kommt gequält: »Oder gar nicht.«
»Also gar nicht«, sagt Aja und steht auf.
»Dann«, er blickt zum Fenster hinaus, murmelt: »Dann ist Hosen-runter-Hermann umsonst gestorben.«
»War nett, deine Bekanntschaft gemacht zu haben. Enchanté und ade.«
Irgendwie tut es ihr leid, den armen Kerl so hängen zu lassen. Aber darüber kommt sie hinweg. Gib mir eine Minute.
Hosen-runter-Hermann?