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3.2. Zweite Konzentration: Monolineare Kommunikation

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Eine zweite Konzentration wird innerhalb des neutestamentlichen Kanons vorgenommen.

Es bietet sich nicht an, die Frage der Schriftautorität in erster Linie im Hinblick auf die Briefliteratur des Neuen Testaments zu stellen. Diese Einsicht verdankt sich zunächst einer formalen Abgrenzung hinsichtlich der Gattung. Briefe stellen eine andere Kommunikationsform als die Evangelien und die Offenbarung des Johannes dar und setzen eine andere Kommunikationssituation voraus.1 Während Briefe eine „dialogstiftende und kommunikationsstabilisierende Funktion“2 aufweisen und den abwesenden Dialogpartner ersetzen,3 also ein Ersatz für die mündliche Rede darstellen,4 sind Evangelien und Offenbarung eher als eine „lineare Kommunikationsform“5 aufzufassen. Das heißt nicht, dass Evangelien und Offenbarung keine kommunikative Funktion haben, sondern lediglich, dass ihre Kommunikationssituation eine andere ist. Sie richten sich nicht nur an die Adressaten, die bei der Abfassung des Briefs vor Augen stehen, sondern haben einen grundlegend weiteren Horizont.6

Evangelien und Offenbarung sind bereits von Anfang darauf angelegt, als eigenständiges Werk, als Buch gelesen und gehört zu werden.7 Um das zu erreichen, brauchen sie eine andere Autorität als ein Brief. Denn Briefe funktionieren anders. Sie sind Teil einer beabsichtigten Kommunikationssituation, die entweder bereits vorher auf anderem Wege initialisiert wurde oder durch den ersten Brief begründet werden soll. „Die kommunikative Korrespondenzfunktion macht den Brief zum Brief.“8 Seine Situation bedingt, dass sein Autor in Erscheinung tritt. Dies ist bei den anonym überlieferten Evangelien nicht der Fall. Damit der Brief gelesen wird, muss beim Leser der Wunsch nach der Lektüre des Briefes geweckt werden. Dies erklärt, warum ein Brief eine gewisse Autorität für sich beanspruchen muss: damit der Leser ihn lesen will. Briefe, die darüber hinaus den Anspruch erheben, als autoritative Texte Anerkennung zu finden, sind deshalb direkt damit beschäftigt, auch die Autorität ihres Autors zu sichern, wobei der Autor dann wiederum die Autorität des Textes verbürgt. Ganz deutlich ist dies zu sehen, wenn z.B. Paulus in seinen Briefen die Legitimität seines Apostolats herausstellen muss (Gal 1,1; 2.Kor 10–12), um so Gehör für seine Texte zu schaffen.9 In diesem Sinn erhebt Paulus „fraglos kanonische, d.h. Norm setzen wollende Autorität“10 und bindet damit die Sache des Evangeliums auch an seine Person.11

Bei den pseudepigraphen Briefen12 des NT ist die Schaffung der Autorität des Autors durch Übernahme einer fremden Autorität ein wesentlicher Grundzug der angestrebten Kommunikation.13 Gleiches gilt grundsätzlich für einen weiten Teil der apokalyptischen Literatur.14 Eine Ausnahme stellt hierbei wahrscheinlich die Offenbarung des Johannes dar, die wahrscheinlich wirklich von einem Menschen namens Johannes verfasst wurde.15

Da sich die vorliegende Untersuchung vor allem aber für die Rolle der Schrift im Kontext der christlichen Theoriebildung und Lebensdeutung interessiert, sind eher Texte zu beachten, die einen narrativen Zusammenhang entfalten, in dem sich die Leser und Hörer selbst verstehen sollen. Die Evangelien und die Apk „als Spezialfall der autobiographischen Erzählung“16 bieten sich daher an.17 Sie bilden in dieser Hinsicht den Gründungsmythos des christlichen Selbst- und Weltverständnisses ab und begründen ihn damit.18 Briefe setzen diesen Zusammenhang aber bereits voraus und argumentieren in dessen Horizont. Insbesondere die Evangelien und in abgestufter Weise auch die Offenbarung stellen ihren Lesern demnach einen Horizont vor Augen, in dem sie sich selbst verstehen sollen. Von daher entwerfen sie einen Verstehenszusammenhang, der die Grundlage christlicher Lebensdeutung herstellt. Dies entspricht dem Zielpunkt dieser Arbeit, weshalb es neben den pragmatischen Erwägungen gerechtfertigt erscheint, die Briefliteratur für diese Untersuchung auszublenden.

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