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1. Umstrittene Autorität

Wenn Autorität diskutiert wird, ist sie bereits beschädigt. Autorität lebt davon, fraglos akzeptiert und anerkannt zu werden. Autorität wird angerufen, bei Diskussionen ins Feld geführt und auf sie wird rekurriert. Autorität entscheidet am Ende verbindlich.1 Deshalb gibt Autorität Halt und Verlässlichkeit. Sobald sie in Frage gestellt wird, verliert sie ihre Funktion.2

Die Autorität der Schrift ist seit der Aufklärung (zumindest im Einflussbereich europäischer Theologie3) massiv in Frage gestellt worden.4 Daraus ergibt sich die Frage, welche Funktion die Schrift im Rahmen der theologischen Urteilsbildung einnimmt bzw. inwiefern sie für die Urteilsbildung eine oder die entscheidende Autorität darstellt.5 Durch diese Frage bewegt sich die Arbeit im Bereich der Fundamentaltheologie, die als wissenschaftliche „Selbstauslegung des Glaubens“6 verstanden wird.7 Gleichzeitig ist damit das Feld der Konfessionskunde und der ökumenischen Theologie betreten, in dessen Kontext die Frage eingebettet wird. Die Antwort auf diese Frage wird allerdings in exegetischer Perspektive gesucht.

So verbindet die Untersuchung verschiedene Arbeitsbereiche der Theologie miteinander,8 um so einen neuen Impuls zur Fragestellung vor allem im Hinblick auf die ökumenische Diskussion und die Bedeutung der neutestamentlichen Wissenschaft für die Konfessionskunde zu finden. Damit folgt sie der sowohl von kirchenleitenden Personen wie auch ausgewiesenen Ökumenikern gewonnenen Einsicht, dass sich die christlichen Konfessionen nur dann einander annähern können, wenn sie sich über die Bedeutung der Schrift im Klaren sind;9 denn „ohne eine Verständigung über die Autorität der Heiligen Schrift sind weitere Schritte aufeinander zu nicht möglich.“10 Zu diesem Ziel möchte die Untersuchung einen Beitrag leisten.

Die zentrale Idee, der sie sich verpflichtet weiß, wird dabei im Haupttitel ausgedrückt: Sie über sich! Diese Formulierung zeigt bereits die Herausforderung an, die durch die fundamentaltheologische bzw. konfessionskundliche Frage und die exegetisch zu suchende Antwort gegeben ist.

Die Fundamentaltheologie bestimmt in ihrem Interessensbereich die Frage nach der Schrift als die nach der „Quelle der Theologie“ und muss sie deshalb auch als ein Problem des Kanons diskutieren.11 Aus der „Bibel“ wird die (Heilige) „Schrift“.12 Die Fundamentaltheologie diskutiert folglich die Fragen, wie und warum die biblischen Texte als „Heilige Schrift“ anzusehen sind. Damit hängt die Frage zusammen, ob die Bibel als Ganze „Heilige Schrift“ darstellt oder ob es einen „Kanon im Kanon“ geben darf, der eine höhere Autorität besitzt als andere Schriften. Dieser Kernbestand kann historisch aufgefasst werden, etwa mit einer gewissen Nähe zu den Ereignissen, die in den Texten überliefert werden.13 Er kann aber auch sachlich-theologisch begründet werden. So kann z.B. den Evangelien aufgrund ihres Inhalts eine höhere Dignität zugesprochen werden als den Briefen.14 Schließlich muss die Fundamentaltheologie klären, ob „die kanonische Bedeutung als maßgebende Quelle der Begegnung mit der Offenbarung exklusiv nur für die biblischen Schriften zu behaupten“15 ist, sprich: Kann es noch andere Quellen der Offenbarung geben?16 Diese Frage wiederum führt bereits in den ökumenischen Horizont der zu verfolgenden Fragestellung hinein. Denn dort geht es um die Frage, ob z.B. die Überlieferung der Kirche wesentlich zur Schrift hinzutreten kann und ob es eine Instanz geben muss oder darf, die die Schrift autoritativ und vielleicht infallibel auslegen darf.17

In exegetischer Perspektive löst sich die „Heilige Schrift“ aus methodischen Gründen zunächst prinzipiell in die Vielzahl ihrer Texte auf.18 Sie wird (wieder) zur „Bibel“. Der Exegese geht es folglich darum, „die für den christlichen Glauben unhintergehbaren Ausgangstexte in ihrem geschichtlichen Kontext für die gegenwärtige theologische Theoriebildung und für die gegenwärtige kirchliche Praxis verständlich zu machen.“19 Erst von der Vielstimmigkeit her werden die übergeordneten Linien diskutiert und nach dem Zusammenhalt der Textsammlung gefragt. Dieser kann für die ganze Bibel in der gemeinsamen Bezeugung des Glaubens an Gott bestimmt werden20 oder im Hinblick auf das Neue Testament als „common focal point“, als „interpretative unity“21 bezeichnet werden, die darin besteht, dass die neutestamentlichen Texte eine christologische Ausrichtung aufweisen.

Der Begriff „(Heilige) Schrift“ ist demnach exegetisch nur vorsichtig zu verwenden, da er das Ergebnis fundamentaltheologischer Überlegungen darstellt. Er setzt letztlich also eine Kirche voraus, die in den biblischen Texten ihre „Heilige Schrift“ erkennt.22 Als Arbeitsbegriff ist er exegetisch deshalb kaum brauchbar.

„Sie über sich“ drückt also nicht nur die zentrale Idee der Untersuchung aus, sondern zeigt zugleich die Problematik der Verbindung der verschiedenen Teildisziplinen an. Der Untertitel präzisiert deshalb das Anliegen der Arbeit und gleichzeitig die exegetische Perspektive, die die Durchführung bestimmt. Die Untersuchung will mit Hilfe einzelner biblischer Texte die Autorität zur Sprache bringen, die diese Texte selbst für sich in Anspruch nehmen und sie so in die ökumenische Diskussion über sich einbringen.23 Dies scheint im bisherigen Verlauf der Diskussion nicht in ausreichendem Maß der Fall gewesen zu sein,24 da die Frage nach der Autorität der „Schrift“ vor allem im fundamentaltheologischen oder ökumenischen Bereich geführt wurde, ohne dass dabei die Autorität der einzelnen biblischen „Schriften“ eigens beachtet wurde.25 Es scheint folglich übersehen worden zu sein: „Auch die biblischen Texte selbst verhalten sich zur Frage ihrer Identität, und damit – mittelbar oder unmittelbar – auch Autorität, nicht indifferent.“26 Die Ergebnisse dieser Arbeit werden diese These bestätigen und zeigen, dass die Texte durchaus selbst gewisse Formen von Autorität aufweisen.

Die Autorität der „Schrift“ und die Autorität der (im vorliegenden Fall: neutestamentlichen) „Schriften“ werden also in ein Verhältnis gesetzt27 und zugleich gefragt, ob und welche Autorität sie gegenwärtig beanspruchen können.

1.1. Der Aufbau der Untersuchung

Ausgangspunkt der Untersuchung ist die Beobachtung, dass die verschiedenen Diskussionen zur Schriftautorität in verschiedenen Kirchen die Bibel lediglich als gemeinsamen Nenner zeigen. Konsens ist also, dass sie ein zentrales Thema der theologischen Theoriebildung und der kirchlichen Praxis darstellt.1 Dabei steht vor allem ihre hervorgehobene Verwendung in gottesdienstlichen Vollzügen außer Frage.2 Im Rahmen der theologischen Theoriebildung ist dies praktisch gesehen anders. Dass sie auch hier eine zentrale Rolle spielt, scheint deutlich, da sich alle christlichen Kirchen in irgendeiner Form auf die Bibel als Grundlage ihres eigenen Seins und Handelns berufen.3 Wie sie diese Rolle spielt und welche Facetten dabei bedacht werden müssen, ist hingegen weit weniger bestimmt.4 Grundsätzlich ist dabei eine „increasing tendency to shy away from confident use of the Bible as the principal source for theological judgement“5 festzustellen.6

Trotz der unzureichenden Klarheit, wie in der Gegenwart konkret mit der Bibel umzugehen ist, werden in den Auseinandersetzungen um nahezu alle konkreten Probleme der christlichen Kirchen Bibelzitate als Argumente beschworen oder komplexe biblische Auslegungen als Basis theologischer Argumentationsgänge verstanden. Dabei sind sowohl theoretische wie praktische Vorgehensweisen unterschiedlich,7 doch steht im Zentrum der Gemeinsamkeiten zwischen den Konfessionen eben die Bibel selbst. Deshalb ist sie selbst dahingehend zu befragen, welche Rolle sie sich selbst zuschreibt.8

In dem ersten Hauptteil werden in methodischer, historischer und ökumenischer Perspektive die Grundlagen für die exegetischen Untersuchungen gelegt.

Eine kurze Erläuterung des methodischen Zugriffs der Arbeit eröffnet die Untersuchung. Zuerst werden die verschiedenen semantischen Potentiale des Begriffs „Autorität“ skizziert und dann die Grundidee der Arbeit vorgestellt. Danach wird anhand von drei Fragekomplexen vorgeführt, dass die Diskussion um die Autorität der Schrift kein Glasperlenspiel im theologischen Elfenbeinturm darstellt, sondern konkrete Auswirkungen auf die Wirklichkeit der persönlichen Lebensführung wie auch auf gesellschaftliche Fragen hat. Deshalb hat diese Untersuchung in der Konsequenz auch eine praktische Bedeutung. Als Belege werden die aktuellen Diskussionen um die Frauenordination, das christliche Familienbild und die Haltung zur Homosexualität vorgeführt.

In einem eher historisch ausgerichteten Schritt fragt die Untersuchung sodann, wie es zur Hochschätzung der Bibel vor allem in der evangelischen Konfessionsfamilie gekommen ist. So wird erklärt, warum das hier untersuchte Thema eigentlich einen solch wichtigen Rang für Theorie und Praxis einnimmt.

Daran schließt sich als dritter Schritt ein Überblick über den aktuellen Stand der ökumenischen Diskussion an. Verschiedene konfessionelle Positionen werden skizziert und dabei die wesentlichen Unterschiede erläutert. Damit wird der Horizont abgeschritten, in dem die exegetischen Untersuchungen fruchtbar werden wollen.

Im zweiten Hauptteil werden die Texte exegetisch untersucht, die für diese Untersuchung gewinnbringend sind. Es handelt sich dabei um die hier als „Metatexte“ bezeichneten Perikopen Lk 1,1–4; Joh 20,30–31 (mit Joh 21,24–25) und Apk 1,1–3 (mit Apk 22,6–20).

Das Ergebnis bündelt die einzelnen Untersuchungen und setzt sie mit der gegenwärtigen Diskussion um die Autorität der Schrift in Beziehung. Diese Untersuchung erhofft sich davon, einen neuen Aspekt in diese Diskussion einbringen zu können.

Sie über sich

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