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2.2. Autorität als Macht

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Der zweite semantische Gehalt des Begriffs „auctoritas“ stellt eine Ausweitung des zivilrechtlichen Begriffsspektrums dar. In für die spätere Entwicklung, insbesondere für den gegenwärtigen ökumenischen Dialog ungünstiger Weise nähert sich der Begriff im weiteren Verlauf seiner Verwendung dem Vorstellungshorizont der „potestas“ an: Wer Autorität hat, also „Ansehensmacht“, darf auch faktisch Macht ausüben.1

Ein sprechender Beleg für die Entwicklung des „auctoritas“-Begriffs ist das Selbstzeugnis des Kaisers Augustus in seinen „Res Gestae“. Nachdem er nach seinem Dafürhalten die „Flammen des Bürgerkrieges gelöscht“ und Rom wieder auf den richtigen, also seinen Weg gebracht hat, kommt er zu dem Ergebnis: „Post id tempus auctoritate omnibus praestiti, potestatis autem nihilo amplius habui quam ceteri qui mihi quoque in magistratu collegae fuerunt.“ („Seit dieser Zeit überragte ich alle übrigen an Autorität, an Amtsgewalt aber besaß ich nicht mehr als die anderen, die auch ich im Amt zu Kollegen hatte.“; Res Gestae 34)

Zu erkennen ist daran, dass hier der Begriff „potestas“ in das Bedeutungsspektrum von „auctoritas“ eingeht und somit die reine „Ansehensmacht“ ausgeweitet wird. Der Begriff „auctoritas“ wurde dadurch „mehr und mehr zur Bezeichnung der allumfassenden Regierungsbefugnis des Kaisers und zum Rechtsgrund, auf dem seine Regierungsakte, Verfügungen und Entscheidungen auf allen Gebieten beruhten.“2 Jetzt kann derjenige, der über „auctoritas“ verfügt, diese auch direkt ausüben und anderen zur Verfügung stellen. So können Untergebene, Beamte, Diener, Boten in der Autorität des Kaisers auftreten und diese mittelbar ausüben. „Auctoritas“ ist deshalb kaum noch von „potestas“ zu unterscheiden. Deshalb ist es verständlich, dass die Aufgabe der Apostel als „auctores“ nun ebenfalls eine weitere „Eigenschaft“ bekommt. Weil sie diese wichtige Aufgabe haben, kommt ihnen auch Autorität im Sinne von Macht zu. Sie können die Botschaft übermitteln, weil sie das Vermögen und die Macht dazu haben. Dies hat unmittelbare Konsequenzen für das Verständnis der apostolischen Sukzession.

Sobald der Bischof als Nachfolger der Apostel verstanden wird, deren Autorität er geerbt hat, ist er in der Lage und der Pflicht, sich nicht nur als Verkünder, sondern auch als Bewahrer des Evangeliums zu sehen. Der Bischof kann und muss deshalb nicht nur „die Authentizität der Tradition, den Wahrheitsanspruch der Botschaft garantieren“,3 er kann daraus auch seinen eigenen Anspruch auf Führung der Kirche ableiten. Der Bischof tritt damit an die Stelle kaiserlicher Beamter, die ebenfalls eine abgeleitete Form der Autorität innehaben.

Der immens wichtige Unterschied zu ihnen besteht aber darin, dass kein Kaiser über dem Bischof steht, sondern der allenfalls im Geist präsente Christus. „Somit zeigt die Bedeutungsgeschichte in der lateinischen Patristik durchaus eine deutliche Analogie zur Begriffsentwicklung in der kaiserzeitlichen Amtssprache des (nichtchristlichen) Staates.“4

Dieser Aspekt der „auctoritas“ ist seitdem in der Kirchengeschichte immer präsent und oftmals problematisch. So kann man das Ringen um die Vorherrschaft zwischen Kaiser und Papst (Investiturstreit) im weltlichen Bereich5 genauso dazu zählen wie die Frage nach der Macht innerhalb der Kirche, was sich im Mittelalter z.B. als Kampf zwischen Papst und Konzil ausdrückt,6 aber auch viele weitere Konfliktfelder im Rahmen verschiedener Armutsbewegungen (z.B. der Waldenser) oder frühreformatorischer Bewegungen (z.B. der Hussiten) befeuert. Außerdem lässt sich die gesamte mittelalterliche Diskussion um das Verhältnis von „auctoritas“, „ratio“ und „experientia“, im Grunde also die auch heute noch relevante fundamentaltheologische Frage nach den Erkenntnisquellen der Offenbarung und des Wissens, in diesen Horizont einzeichnen.7 Auch die bis heute schwelende problematische Bestimmung von theologischer Wissenschaft und kirchlichem Lehramt hängt mit dieser, spätestens seit dem Mittelalter virulenten Frage zusammen.8 Ebenso lässt sich „das Geschehen der Reformation […] als ein weitreichender Autoritätenkonflikt verstehen, ausgelöst durch radikale Umwertungen innerhalb des traditionellen Autoritätengefüges.“9 Letztlich lassen sich die heutigen Streitigkeiten um die Autorität der Schrift genau an diesem Punkt anschließen: Wenn die Schrift Autorität hat, wie übt sie dann ihre Gewalt aus?

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