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1.3. Die Frage der Homosexualität

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Ein anderer Kristallisationspunkt der Debatte um das Familienpapier der EKD ist die generelle Stellung christlicher Kirchen zur Homosexualität.

Die EKD stellt in ihrer Orientierungshilfe hierzu fest, dass die Bibel vom „Grundton“ der Liebe her gelesen werden muss und kommt dann zu dem Ergebnis: „Liest man die Bibel von dieser Grundüberzeugung her, dann sind gleichgeschlechtliche Partnerschaften, in denen sich Menschen zu einem verbindlichen und verantwortlichen Miteinander verpflichten, auch in theologischer Sicht als gleichwertig anzuerkennen.“1 Doch nicht nur homosexuelle Partnerschaften an sich stehen zur Debatte. Vielmehr geht es auch darum, ob Homosexualität generell akzeptiert wird oder nicht doch „geheilt“ werden sollte, ob solche Partnerschaften gesegnet werden dürfen (hier spielt dann wieder die Frage eines allgemein anerkannten Eheverständnisses eine Rolle),2 ob Homosexuelle Ämter in der Kirche übernehmen dürfen (und wenn ja welche) und schließlich ob homosexuelle Geistliche heiraten und „im Pfarrhaus“ leben dürfen.3 Alle Fragen, die mit Homosexualität zusammenhängen, werden einzeln diskutiert und in verschiedenen Konfessionen verschieden beantwortet.4 Gerade die letzte Frage, die in sehr zugespitzter und spezieller Weise das Problem in den Blick nimmt, wurde in der jüngeren Vergangenheit äußerst kontrovers behandelt.5 Damit scheint eine Frage beantwortet, die die EKD als „Leitfrage“ bereits 1994 einer Kommission stellte, die einen Text zum Thema Homosexualität erarbeiten sollte: „Was ist von der Einschätzung zu halten, an der Stellung zur Homosexualität entscheide sich die Bindung der evangelischen Kirche an die Heilige Schrift?“6

Die Autoren der EKD-Orientierungshilfe „Mit Spannungen leben“ aus dem Jahr 1996 nehmen diese Frage in ihren Beratungen mit und erkennen, dass hier eine Diskussion stattfinden muss. Vor allem „der Umgang mit den auf homosexuelle Praxis bezogenen Aussagen der Bibel, und damit geht es um das angemessene Schriftverständnis, ja um das ,sola scriptura‘“,7 muss erörtert werden, also der Zusammenhang zwischen einer ethischen Frage, in der eine Entscheidung getroffen werden muss, und der Autorität der Schrift für diese Entscheidung. Allerdings warnt die EKD davor das Thema zu überschätzen: „Die christlichen Kirchen haben andere und noch wichtigere Aufgaben und Themen.“8

Das scheinen Theologen, die sich selbst dem „evangelikalen“ Lager zurechnen,9 anders zu werten. Sie räumen dieser Frage sehr wohl eine direkte Verbindung zum status confessionis ein: „Nicht die Frage der Homosexualität ist der sog. ,status confessionis‘ […], sondern der Umgang mit der Heiligen Schrift.“10

Während die EKD also versucht, das Thema zu entdramatisieren, bleiben die Gegner der Homosexualität unversöhnlich und bereit zum Konflikt: „Die Stellung zur Bibel ist keine Randfrage, die mit hermeneutischen Vorüberlegungen entschärft werden könnte. An ihr entscheidet sich, ob Kirche Kirche ist oder nicht. Für Kirchen, die sich – wie die reformatorischen Kirchen – mit starkem Nachdruck (allein) an die Schrift gebunden haben, ist die Frage nach der Stellung zur Schrift insbesondere eine Frage, die den status confessionis betrifft.“11

Diese starken Worte – denen man in evangelischer Perspektive in der Tat nicht widersprechen kann – zielen aber nur auf einen ganz bestimmten Umgang mit den biblischen Texten. Ihnen geht es nicht darum, „Liebe und Gerechtigkeit“12 als zentralen Grundton der Bibel zu hören und von diesem aus andere Stellen zu bewerten, sondern dies wird direkt als Vergehen abgelehnt.13

Während die EKD versucht, „die biblischen Texte an Jesus Christus (als der ,Mitte der Schrift‘) zu prüfen“ und dies „als sachgemäß“14 versteht, lehnen ihre Kritiker dies ab und sehen in diesem hermeneutischen Entscheid „ein Unterscheidungsmerkmal, mit dessen Hilfe die Grenzen des Kanons festgelegt werden“,15 nicht aber im Kanon selbst unterschieden werden kann. Daraus folgt: „Die abweisenden Aussagen der Schrift zur Homosexualität gehören zum Gesetz, sind aber als solche nicht unwichtig, sondern gerade zur Geltung zu bringen.“16

Jegliche Relativierung der Homosexualität kann es deshalb angesichts des klaren Schriftzeugnisses nicht geben. Ob eine homosexuelle Beziehung in gegenseitiger Liebe und Verantwortung geführt wird, spielt deshalb keine Rolle: „Wenn die Autoren sagen, daß es für eine homosexuelle Beziehung entscheidend ist, ob sie in Liebe zu Gott und Menschen gelebt wird, so ist demgegenüber darauf hinzuweisen, daß, wer Gott liebt, auch seine Gebote hält (Jh 14,15.21; 15,10; I Jh 2,3f; 3,22–24; 5,2f).“17

Die Phalanx an neutestamentlichen Belegstellen zeigt den Umgang mit den biblischen Texten: Ohne ein Interesse an deren jeweiligem Kontext und besonderer Situation werden sie als gleichbleibend gültige Wahrheit und Gesetz aufgefasst. Diese Position repristiniert nur den Text, sie bemüht sich kaum um ein echtes Verstehen dessen, was er zu seiner Zeit und in seiner Situation zum Ausdruck bringen wollte.

Während die EKD zu einer hermeneutisch differenzierten Position kommt, nämlich die Frage der Homosexualität „vom Gesamtzeugnis der Bibel her“ zu betrachten, und so festzuhalten, dass „für die Gestaltung einer homosexuellen (wie jeder anderen zwischenmenschlichen) Beziehung entscheidend ist, ob sie in Liebe zu Gott und Menschen gelebt wird,“18 sehen die Kritiker des Textes die beschriebene „Spannung zwischen dem biblischen Widerspruch gegen homosexuelle Praxis als solche und der Bejahung ihrer ethischen Gestaltung gemäß dem Willen Gottes“19 nicht gegeben, da sie „in den biblischen Texten selber nicht enthalten ist und deshalb auch nicht ,ausgehalten‘ werden muß.“20

Der differenzierten Position der EKD und ihres hermeneutisch verantworteten Umgangs mit der Bibel wird damit vorgeworfen, dass sie ein Verfahren benutzt (die historische Kritik), das „weitreichende Folgen haben könnte. Wenn sich diese Art zu denken und zu argumentieren durchsetzt, wird es in Zukunft möglich sein, auch in anderen Fragen, mit denen die Kirche konfrontiert ist, trotz eindeutiger Verbote und Weisungen in der Heiligen Schrift nach einer Möglichkeit zu suchen, verantwortlich mit dem umzugehen, was die Bibel als Sünde bezeichnet.“21

Während also die erwähnte Leitfrage aus dem Jahr 1994 nach dem Zusammenhang von Schriftautorität und Umgang mit Homosexualität von den Autoren der EKD entdramatisiert wird, stehen evangelikale Theologen in der Gefahr, die Frage in Richtung status confessionis zu verschärfen.

Tatsächlich eingetreten ist dies 2013 in der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens. In einer „Stellungnahme zur Öffnung der Pfarrhäuser für homosexuell lebende Pfarrer“22 erklärte der Leiter des „Evangelisationsteams“, Lutz Scheuffler, einem selbst gegründeten „Missionswerk“ mit Vereinsstatus, den status confessionis, weil ein Kirchenleitungsbeschluss der Landeskirche in seelsorglich begründeten Ausnahmefällen gestattet hatte, dass homosexuelle Pfarrer mit ihren Partnern im Pfarrhaus leben dürfen. Scheuffler begründet seine Forderung Landes­bischof, Kirchenleitung und Landessynode nicht mehr als geistliche Leitung der Landeskirche anzuerkennen und gleichzeitig eine Bekenntnissynode einzuberufen, indem er auf das abweichende Schriftverständnis verweist. Er zitiert die „Sächsische Bekenntnis-Initiative“, die sich mit dem Gründungsmitglied „Evangelisationsteam“ als Reaktion auf den Kirchenleitungsbeschluss formierte: „Nach unserem Schriftverständnis ist praktizierte Homosexualität mit der Heiligen Schrift nicht vereinbar.“23

Ob damit wirklich der Kern des Protests getroffen ist oder andere Faktoren hier eine – vielleicht größere – Rolle spielen, braucht im vorliegenden Zusammenhang nicht weiter zu interessieren. Wichtig ist aber zu sehen, dass die Autorität der Schrift in bestimmten „Gebrauchsformen“ gegenwärtig für verschiedene Kräfte in den verschiedenen Kirchen immer noch eine absolut zentrale Rolle im Argumentationszusammenhang spielt.

Wiederum zeigt sich, dass ethische Streitpunkte die neuen Frontlinien der Diskussion darstellen, während die klassischen Konfessionsgrenzen eher zum theoretischen Problem geworden sind.

Die am 30. Juni 2017 erfolgte Abstimmung des Deutschen Bundestages zur Frage einer „Ehe für alle“ macht dies sehr deutlich. Zwischen den Konfessionen verlaufen hierzu keine klaren Linien. Weder haben alle römisch-katholischen Christen mit „Nein“ gestimmt, wie dies „ihr“ Lehramt eigentlich vorschreibt, noch haben alle evangelischen Christen mit „Ja“ gestimmt, obwohl der Rat der EKD die Entscheidung begrüßt hat.24 In beiden konfessionellen Lagern gibt es im Gegenteil Gegner und Befürworter, sodass diese Abstimmung wiederum ein Beleg für die zuvor formulierte These ist,25 dass die klassischen Konfessionsgrenzen – zumindest in Deutschland – in Auflösung begriffen sind und im Alltag für immer weniger Menschen eine signifikante Relevanz besitzen.

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