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2.1. Das Initialereignis

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Ganz anders klingt dies bei Martin Luther:1 „Ich will […], dass allein die Schrift regiert [solam scripturam regnare] und diese nicht nach meinem eigenen Geist oder dem [Geist] irgendwelcher Menschen ausgelegt, sondern durch sich selbst und ihren eigenen Geist verstanden wird.“2 Luther fordert, „mit der Schrift als Richter ein Urteil [zu] fällen.“3 Dies gelingt, weil sie „durch sich selbst ganz gewiss ist, ganz leicht zugänglich, ganz verständlich, ihr eigener Ausleger [sui ipsius interpres], alles von allen prüfend, richtend und erleuchtend.“4 Die Bibel wird durch diese Bestimmung ihrer selbst für Luther zum „ersten Prinzip“,5 das über alle anderen Quellen der theologischen Erkenntnis richtet.6

Die Konkordienformel formuliert dieses Programm dann grundsätzlich: „Wir glauben, lehren und bekennen, dass die einzige Regel und Richtschnur, nach der alle Lehren und Lehrer gleichermaßen eingeschätzt und beurteilt werden sollen, allein die prophetischen und apostolischen Schriften des Alten und Neuen Testaments sind.“7 Die Schrift wird zum Grundaxiom der Theologie.8

Luther ersetzt damit in seiner kontroverstheologischen Situation das ordentliche Lehramt der Kirche, das letztgültig der Papst als Garant der Einheit inne hat, durch die Autorität der für ihn „Heiligen Schrift“.9 Ihre Autorität gründet für Luther auf ihrem Inhalt, der für ihn vor allem in der Lehre von der Rechtfertigung des Sünders allein aus Gnade besteht. „Das Rechtfertigungsevangelium als Schriftmitte erlaubt es, sich zur Kritik abweichender theologischer Positionen auf die Schrift zu berufen.“10 Als inhaltliche Mitte bestimmt Luther somit das, „was Christum treibet“,11 kann somit – wenn nötig – Christus gegen die Schrift ins Feld führen.12

Folgerichtig entwickelt in der Folge die altprotestantische Theologie Luthers „sola scriptura“ weiter,13 da sie erkennt, dass durch die Absetzung des personellen Lehramtes eine Leerstelle im Zirkel14 des theologischen Erkenntnisgewinns zurückgeblieben ist.15 Da Schrift und Tradition immer wieder in die jeweilige Gegenwart vermittelt werden müssen und da die Bedürfnisse einer Religionsgemeinschaft oft normative Entscheidungen in aktuellen Fragen erfordern, ist es unabdingbar, dass eine Autorität gefunden wird, die in der Lage ist, solche Bestimmungen vorzunehmen. Will man aber – geschuldet der aktuellen Konfliktsituation – menschliche Autorität die Auslegung betreffend zurückdrängen, muss man dem Text selbst Autorität verleihen.16 Diese Autorität kann er aber nur ausüben, wenn er – wie Luther deklariert – in sich selbst in allen potentiellen Fragen hinreichend deutlich ist.17

Dies wird bei Luther postuliert und durch eine Reihe von Zusatzannahmen18 in der theoretischen und praktischen Durchführung gesichert, letztlich baut aber erst die altprotestantische Theologie den „sola scriptura“-Ruf Luthers „zum fundamentaltheologischen Grund- und Hauptartikel“19 aus: Der „Papst“ wird zu „Papier“, „sola scriptura“ wird zum „Schriftprinzip“.

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