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»Können Sie mich hören?« Der Arzt leuchtete Finkler in die Augen, der vor dem grellen Licht wegzuckte. »Die Medikamente scheinen zu wirken.«

»Was ist passiert?« Finklers Stimme knarzte.

»Sie sind auf einer Baustelle zusammengebrochen und wurden in die Notaufnahme gebracht. Erinnern Sie sich daran?«

»Ich habe einen Tatort untersucht.«

Der Mediziner machte ein unschlüssiges Gesicht und schaute auf die Werte im Monitor. »Im Augenblick scheinen sich Ihre Werte zu normalisieren. Was ist mit Ihrem Kopf?«

»Unfall.«

»Kraniotomie?«

»Ja, sie haben den Schädel geöffnet, um Druck abzulassen.«

»Dann sollten wir dringend die Neurologen hinzuziehen.«

Finkler grinste müde. »Das können Sie sich sparen. So oft wie die sich meinen Schädel von innen und außen angesehen haben, wird das zu keinen neuen Erkenntnissen führen.«

Der Arzt schnallte Finkler eine Manschette um den Arm und maß den Blutdruck. Auch diese Werte waren in Ordnung.

»Im Augenblick gibt es keinen Grund, Sie notfallmedizinisch hierzubehalten. Aber ich würde Sie gern auf der neurologischen Station einweisen, um der Sache auf den Grund zu gehen.«

»Nein.«

Der Arzt sah ihn groß an.

»Ich bleibe nicht.«

»Aber …«

»Ich werde nicht bleiben. Mein Bedarf an Krankenhäusern ist gleich null.«

Der Arzt zögerte, dann gab er sich geschlagen.

»Es ist Ihre Entscheidung. Aber ich notiere, dass Sie gegen meine Empfehlung und auf eigenen Wunsch gehen. Sollen wir jemanden benachrichtigen? Sie sollten definitiv nicht alleine nach Hause fahren.«

»Meine Freundin kann mich abholen.«

In einer Kabine lagen seine verschmutzten Kleider, die er mühsam überstreifte. Jede Bewegung strengte an. Als endlich die Schuhe geschnürt waren, ließ er den Kopf gegen die Wand sinken. Sein Schädel dröhnte und es gelang ihm nicht, die Bilder seines Traums zu vertreiben. Jedes Detail stand ihm so deutlich vor Augen wie eine Filmsequenz, die in Endlosschleife ablief. Selbst den muffigen Geruch des verstaubten Zeugs auf den Regalen und die Kälte auf seiner Haut glaubte er noch zu spüren.

Einen kurzen Augenblick war er versucht, doch zu bleiben, aber alles in ihm sträubte sich.

Er schlüpfte in seine Jacke und fand in den Taschen Schlüssel, Portemonnaie und das Smartphone. Er sah Nachrichten auf dem Display. Bender und Schulz hatten versucht, ihn zu erreichen, und auf WhatsApp besorgte Ansprachen hinterlassen, doch er antwortete nicht, denn mit einem leisen Ton fiel als Letztes ein winziges Plastiktütchen auf den Boden. Verwundert bückte er sich und hob es auf, um den Inhalt zu betrachten.

Das Medaillon der Toten war das aus seinem Traum und blinkte golden in dem Tütchen.

Er starrte es an und für einen kurzen Moment befand er sich wieder in der Dunkelheit und hörte das wimmernde Weinen, das den Raum erfüllte.

Er bohrte seine Nägel in die Handballen und riss sich von den Bildern los. Dann floh er stolpernd aus dem Krankenhaus, ohne auf Melanie zu warten.

***

Finkler stand in seiner dunklen Wohnung und beobachtete, wie in den Wohnungen gegenüber die Fernseher flimmerten, das Abendbrot zubereitet wurde und ein Pärchen die Vorhänge zuzog. Er musste hinaussehen, den Kontakt zur Realität halten, denn hinter ihm in der Wohnung lauerten nur die Bilder seiner Träume oder Intrusionen, wie Sarah es genannt hatte.

Wie einfach konnte das Leben sein. Wie schön war die profane Normalität. Er lächelte bitter, wusste er doch, er konnte nicht ewig hier stehen. Abrupt drehte er sich dem Wohnzimmer zu.

Augenblicklich waren die Bilder zurück: die weinende Frau, der Gequälte, der Garten, das weglaufende Mädchen und schließlich die Verbrecher. Der bullige Schläger und der andere. Den kannte Finkler schon, hatte ihn in seinen Träumen gesehen, ganz kurz nur, doch überdeutlich hinter dem Steuer des Lkw. Kalte Augen.

Er presste die Hände gegen die Schläfen und versuchte schließlich wieder, Melanie zu erreichen, doch da war nur die Mailbox mit ihrer Stimme und dem flotten Spruch. Auch auf seine Nachrichten reagierte sie nicht.

Sarah Herbst war sofort am Apparat. »Was ist los, Sebastian?«

Sie lauschte geduldig seinen gestammelten und hektischen Erzählungen, seinen Fragen nach dem Woher und Warum, die ihn in den Wahnsinn zu treiben schienen. Bis er irgendwann schwieg.

»Es ist kompliziert. Lass uns auf die Suche gehen, und zwar genau so, wie wir es besprochen haben: rational und streng analytisch. Alles hat eine Ursache, für alles finden wir eine Erklärung. Du bist jetzt verwirrt, doch merke dir: Was nicht in dir drin ist, kann auch nicht heraus. Die Lösung liegt in dir.«

Doch wo kamen die Menschen her, die er unentwegt sah? Die Frauen, der Mann, die Verbrecher. Was war das für ein Garten? Wie hatten diese Dinge den Weg in ihn hinein gefunden? Wo waren die Zusammenhänge zwischen dem Lkw-Attentat, denn als solches betrachtete er es nun, und dem Geschundenen, zwischen diesen Verbrechern und der Mutter mit ihrem Kind, dem weglaufenden Mädchen, der Toten vom Parkdeck?

»Aber ich kenne diese Menschen nicht.«

»Ich habe es bereits gesagt. Dein Gehirn vermischt die Dinge. Nimm eine Schlaftablette, die fängt auch die Bilder ab. Morgen bin ich wieder in der Praxis, dann machen wir einen Termin. Wenn es trotzdem nicht besser wird, musst du in die Ambulanz gehen. Bleib dann nicht alleine.«

Sie legten auf und Finkler bemühte sich, die Szenen zu deuten, vernünftig zu analysieren, doch jeder klare Gedanke wurde von einer Erinnerung an den Traum zerrieben.

Irgendwann hielt er es nicht mehr aus und warf sich doch eine Schlaftablette ein.

Kurz darauf dämmerte er weg. Ein letzter Gedanke kristallisierte sich aus dem Chaos: Die tote Frau, das Attentat, das nur von den Rosettis beauftragt worden sein konnte, alles hing zusammen, schien ineinander verwoben zu sein. Er würde es herausfinden, würde den Knoten entwirren müssen, wollte er eine Chance wahren, wieder so zu werden, wie er mal gewesen war.

Er grinste, schon halb im Schlaf: Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Das Traummosaik

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