Читать книгу Gangster Squad - Paul Lieberman - Страница 7

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Schon vor der Jahrhundertwende machte in Los Angeles die Furcht vor den aus anderen Städten einfallenden Übeltätern die Runde. Das rasant wachsende Eisenbahnnetz hatte die junge Stadt erst 1876 erreicht, als sich die Southern Pacific mit der Linie aus dem Norden vereinigte. Im selben Jahr wurde der Posten des Polizeichefs eingerichtet, der damals lediglich sechs Beamten vorstand. Bis 1891 hatte sich Los Angeles zu einer weitverzweigten Stadt mit 65.000 Einwohnern entwickelt, über die eine Polizeitruppe von 75 Personen wachte, die Gefängnisaufseher und Büroangestellten, den Gerichtsdiener und die Sekretärin mitgerechnet. Wenn man nun noch die beiden Männer abzog, die die von Pferden gezogene „grüne Minna“ durch die Gegend kutschierten, standen Chief John Glass ganze 48 Streifenbeamte zur Verfügung, um ein Gebiet von 94 Quadratkilometern zu überwachen und die dringlichsten Aufgaben zu erledigen. „Viel zu viele Pokerrunden werden in den Hinterzimmern von Tabakläden und Saloons gespielt. Das Glücksspiel verursacht einen großen Schaden bei den jungen Männern dieser Stadt und stellt eine Einnahmequelle für die Schweinehunde dar, die zu faul zum Arbeiten sind“, erklärte Glass den Einwohnern in seinem Jahresbericht. „Die Lotterien lassen sich nicht so einfach ausradieren … Auch hat die Anzahl von Pfandleihern und Geschäftsleuten, die mit gebrauchten Artikeln handeln, zugenommen.“ Doch der Polizeichef konnte glücklicherweise auch eine gute Nachricht vermelden: Die Anzahl der Bordelle war konstant geblieben, da die Beamten „den Zuhältern den Krieg erklärt haben. Ich glaube, dass noch nie so wenige ruchlose und verschlagene Menschen in dieser Stadt lebten.“ Und es gab noch mehr erfreuliche Nachrichten. Insgesamt konnten 1.867,10 Dollar eingespart werden, da die Insassen des Gefängnisses ihr Essen selbst kochten und keine Küchen für die Beköstigung beauftragt werden mussten. Jedoch hatte Chief Glass auch eine beklemmende Warnung für die sonnendurchströmte Stadt parat, die sich so gerne als der amerikanische Garten Eden sah. „Ein nicht zu ignorierendes Ärgernis und eine Gefahr für die Bürger unserer Stadt ist die jährliche Zunahme der Einwohner. Jeden Winter drängen Diebe, Safeknacker und raffiniertes Gaunergesindel von den großen Städten des Ostens nach Los Angeles.“ Obwohl einige „Halsabschneider aus dem Osten“ mit viel Tamtam festgenommen worden waren, sah Glass die Zeit gekommen, seine Beamten mit mehr als einem Polizeiknüppel und einem Ledergürtel auszustatten und sich nicht darauf zu verlassen, dass sie sich ihre eigenen Handschellen und Revolver zulegen. Der Polizeichef bat die Stadt, den Cops die genannten notwendigen Utensilien zur Verfügung zur stellen und sie zusätzlich mit einer „Polizeipfeife, einem Generalschlüssel … und einem erstklassigen Repetiergewehr“ auszurüsten.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts kam es zu ersten Schießereien zwischen den Ständen der Obsthändler, die nach L.A. gezogen waren. Es sollten die ersten Anzeichen sein, dass die berüchtigte Black-Hand-Gang, die in New York ihren Ursprung hatte, ihr Unwesen in der Stadt trieb – und von nun an wurden die unwillkommenen Neuankömmlinge in der Stadt alle über einen Kamm geschorenen und als „Gangster aus dem Osten“ abgestempelt. Am 2. Juni 1906 wurde George Maisano durch drei Schüsse in den Rücken niedergestreckt. Er lebte danach noch lange genug, um der Polizei zu verraten, dass der Schütze Joe Ardizzone gewesen war, ein zugezogener Obsthändler, im italienischen Viertel als der „Eiserne Mann“ bekannt. Einem Bericht aus dieser Zeit zufolge verschwand Ardizzone „plötzlich von der Bildfläche“. „Es ist ein schwieriger Fall, da die Italiener des Viertels alles versuchen, um dem Kriminellen bei der Flucht zu helfen, und sich weigern, zum Fall auszusagen. Angeblich haben sie nichts gehört.“

Nur wenige Monate später erschoss ein Mann auf einem Fahrrad Joseph Cuccia, Vater von drei Kindern, als dieser mit dem Pferdegespann die North Main Street entlangfuhr. Die Pferde gingen durch und schleiften den auf der Seite liegenden Wagen noch zwei Blocks weiter. Ein Augenzeuge verfolgte den flüchtenden Fahrradfahrer, der sich umdrehte und die Pistole auf ihn richtete: „Mir rennt keiner hinterher!“ Das nächste Opfer war der Herrenfriseur Giovannino Bentivegna, der durch das Fenster seines Geschäfts erschossen wurde. Laut Auskunft der Polizeibehörde fand man einen Brief in seiner Tasche, geschrieben im sizilianischen Dialekt. Daneben war „die krakelige Zeichnung eines Clowns und eines Cops“ zu sehen, die bekannte Warnung der Black-Hand-Gang an Polizeiinformanten. Diese Art von Zwischenfällen standen in New Yorks Little Italy nach der Einwanderungswelle der 90er Jahre des 19. Jahrhunderts auf der Tagesordnung. Aber in Los Angeles? Eine Straße im italienischen Viertel hieß von nun an im Volksmund „Shotgun Alley“.

1913 gab das LAPD eine Personalaufstockung um 25 Beamte bekannt, um sich gegen die „Ganoven aus dem Osten“ zu wehren. Der Grund für die Maßnahme lag zum Teil in einem dreisten Raubüberfall auf einen Juwelierladen am South Broadway begründet. Unbekannte hatten ein 50 Zentimeter großes Loch in das Dach gesägt, waren mit einem Seil in das Geschäft eingedrungen, dabei verschiedene Sicherheitsmaßnahmen umgehend, und machten sich mit einer Auslage von Diamantringen im Wert von 6.000 Dollar aus dem Staub. In diesem Jahr stellte das den profitabelsten Raubzug in Los Angeles dar. Die Täter waren eindeutig Profis, doch die Verwaltung von L.A. interpretierte den Raubzug als Zeichen für eine erhöhte Präsenz verschiedenster Krimineller in der Stadt – von Ganoven, die sich auf Wohnungseinbrüche spezialisiert hatten, Taschendieben und Safeknackern. „Tausende Diebe haben Los Angeles zum Ziel auserkoren“, verriet der Polizeisprecher der Los Angeles Times und fügte hinzu, dass die beängstigenden Neuigkeiten direkt von anderen Revieren aus dem ganzen Land stammten. „Wir erhielten kürzlich Informationen von verschiedenen Polizeibehörden aus dem Osten, dass sich beinahe jeder festgenommene Dieb nach seiner Freilassung nach Los Angeles aufmachen will. Weiterhin soll sich fast jeder Straftäter, nach dem gefahndet wird, entweder in Los Angeles aufhalten oder auf dem Weg in die Stadt sein.“

Ein weiterer Zwischenfall schien diesen Hinweis zu unterstreichen und brachte die Skeptiker zum Verstummen. Einer der 25 neuen Polizeibeamten, Frank „Lefty“ James, wurde kurz nach Dienstantritt in eine spektakuläre Schießerei verwickelt und über Nacht zum Helden. James zog sich eine schwere Schulterverletzung zu, während er bei einem Überfall einen Angreifer tötete und einen zweiten verwundete – der später den Beamten beim Verhör erzählte, dass er erst einen Tag vor der Tat in die Stadt gekommen sei … aus Buffalo.

Als Nächstes lieferten sich zwei Deputy-Sherrifs des Los Angeles County ein nächtliches Wagenrennen, das mit einer Schießerei auf einem einsamen Abschnitt der West Temple Street endete. Einer der bewaffneten Ganoven verlor dabei seinen Hut, in dem sich das Einschussloch einer 45er und das Etikett eines Geschäfts fand … aus Chicago.

All diese Ereignisse führten zu dem alptraumhaften Szenario, dass die Ankunft von Al Capone kurz bevor stand. Schnell verbreitete sich die Nachricht, dass sich der gefürchtetste Gangster der Nation unter falschem Namen unbemerkt im Biltmore niedergelassen hatte, dem kunstvoll ausgeschmückten neuen Hotel, in dessen Keller sich ein mit blauen Fliesen ausgelegter Swimmingpool befand.

Detective Ed „Roughhouse“ Brown führte eine Abteilung Cops zu der Edelherberge, um Capone und seine Bodyguards feierlich zum Zug zurück nach Chicago zu begleiten. Capone, damals erst 28, hatte Gerüchten nach schon über zwei Millionen Dollar durch das Geschäft mit Bier und Schnaps verdient. Er nahm den Rausschmiss mit Humor und merkte dabei ironisch an, dass seine Entourage zumindest Zeit für eine Führung in einem Filmstudio gehabt habe. „Ich kam mit meinen Kumpeln hierher, um mir ein bisschen die Gegend anzusehen“, witzelte er. „Warum sollte jemand in dieser Stadt etwas gegen mich haben? … Wir sind doch bloß Touristen, und ich dachte immer, dass Ihr Leute Touristen mögt. Ist schon mal ein anständiger, wohlhabender Besucher aus der Stadt gejagt worden?“ Doch ganz offensichtlich war die Stadt ein heißes Pflaster, sogar für einen Capone – auf der Fahrt zum Bahnhof klaute ein Unbekannter seinen Rotweinvorrat. „Nun habe ich von hier bis nach Hause nichts zu trinken“, kommentierte dies der Gangster lakonisch.

Und so machte L.A. schon früh die Bekanntschaft mit einem Verbrecher, der den Behörden die lange Nase zeigte – und schon bald sollten weitere zwielichtige Gestalten folgen. Doch die Stadt konnte mit zwei heldenhaften Cops auftrumpfen – zuerst verdiente sich „Lefty“ James seine Lorbeeren, gefolgt von „Roughhouse“ Brown. Brown wurde für seine Aktion durch eine überschwänglich glorifizierende Schlagzeile geehrt:

„Scarface Al“ – Came to Play

Now Look – He’s Gone Away!

Zu dem Zeitpunkt wohnten die Whalens schon in einem kleinen Apartment über einem Textilgeschäft, das sie mit den restlichen Ersparnissen von Freddie eröffneten. Sie hatten die Wüste auf dem alten Santa Fe Trail durchquert, dabei die unvermeidlichen platten Reifen flicken und nachts in Zelten kampieren müssen – vor der Geräuschkulisse heulender Kojoten. Sie begegneten nur wenigen Marmon Touring Cars auf der anschließenden staubigen Straße, die schon bald Route 66 hieß, denn 1922 wimmelte die Strecke von Ford Modell Ts und ähnlichen Klapperkisten, voll mit Menschen aus dem Mittleren Westen, die die Einwohnerzahl von Los Angeles zum Anschwellen brachten und damit die von San Francisco übertrumpften, zu der Zeit noch die größte Stadt in Kalifornien. Über 100.000 Menschen zogen pro Jahr in die Gegend, hauptsächlich aus dem Herzen der USA. Doch der Goldrausch des vorhergegangenen Jahrhunderts hatte seinen Glanz bereits verloren und war durch eine anderen Wunschfantasie ersetzt worden – es im Filmgeschäft bis ganz nach oben zu schaffen. Den meisten genügte jedoch der Traum von einem Neubeginn „in der Stadt, in der die Sonne immer scheint“, wie Cornelius Vanderbilt Jr., der berühmte Zeitungsverleger, Los Angeles so bildhaft beschrieb – nicht zu vergessen die kostenlosen Mahlzeiten, die Immobilien- und Baufirmen jedem anboten, der das von ihnen gerade erschlossene Land inspizierte. Im Jahr der Ankunft der Whalens wurde auf nicht weniger als 631 Parzellen gebaut. Ein Immobilienmakler errichtete ein riesiges Schild mit der Aufschrift HOLLYWOODLAND in den Hügeln, genau über seinen Grundstücken. Jahre später wurden die letzten vier Buchstaben entfernt, wodurch das kultige Wahrzeichen der Stadt entstand. Ein Kollege schmückte seine Grundstücke mit Hausfassaden, die er von hinten mit Holzbalken stützte, während ein anderer Immobilienhändler einen Hahn für den hinteren Garten verschenkte, damit sich die Kunden so heimisch wie auf ihrer Farm in Iowa einst fühlen konnten. Doch die wohl bizarrste Idee stammte von einem aus dem Mittleren Westen zugezogenen Mann, der den Friedhof in „Erinnerungspark“ umtaufte. Vorbei waren die Zeiten der morbiden Monumente, die in den Himmel ragten, denn nun lagen lediglich Bodenplatten auf den sich friedlich in die Weite streckenden Rasenflächen, damit die Hinterbliebenen hier Trost und Hoffnung finden konnten. Der aus Missouri stammende Herbert L. Eaton gelobte, dass sein Forest Lawn „sich von anderen Ruhestätten unterscheidet wie der Sonnenschein von der Finsternis, wie das ewige Leben vom Tod“. In Los Angeles wurde also aus einem herkömmlichen Friedhof „Gottes Garten!“.

Das Geschäft der Whalens lag eine Meile westlich des Stadtzentrums, gerade weit genug vom kommerziellen Mittelpunkt der Stadt und deren wichtigster Verkehrsader entfernt, die schon als geschäftigste Straße der ganzen USA berüchtigt war. Doch die Stadt expandierte unaufhörlich weiter. Das einem Schloss ähnelnde Ambassador Hotel war gerade am Wilshire Boulevard errichtet worden und bot neben 500 Zimmern einen Nachtclub, den Cocoanut Grove, wo die Tänzer von „der Magie der (künstlichen) Palmen“ verzaubert wurden. Das pompöse Gebäude hatte das Glück, Richtung stadtauswärts nicht zugepflastert zu werden, wo sich Milchfarmen und Felder mit Limabohnen bis zum Ozean erstreckten. Die Whalens wohnten in Fußnähe zum Westlake Park, einem beliebten Motiv auf kolorierten Postkarten – damals der letzte Schrei. Die mit Pastellfarben intensivierten Aufnahmen zeigten Männer und Frauen, die in Sonntagskleidung unter Zypressen und Palmen zu einem Bootshaus am Flüsschen schlenderten, an dem eine mit einer amerikanischen Flagge geschmückte Gartenlaube stand. Von dort aus konnte man den Pärchen in ihren Kanus beim Paddeln zuschauen. Solche idealisierten Karten standen bei den Whalens direkt neben der Registrierkasse, inmitten all der Ware, die sie geklaut hatten!

Kurz nach Weihnachten 1924 verhaftete die Polizei Fred und Lillian aufgrund der Anschuldigung, drei Pullover aus einem Geschäft am anderen Ende der Stadt entwendet zu haben. Fred hatte im Fluchtwagen gewartet, und Lillian machte ihrem Jesse-James-Erbe alle Ehren, indem sie die Pullover dreist aus dem Laden trug, während der Verkäufer andere Kunden bediente. Die Los Angeles Police entschloss sich dazu, in der Central Station weitere Kleidungsstücke aus dem Laden auszustellen – Strumpfhosen, Anzüge und seidene Unterwäsche für Frauen. Händler aus der ganzen Stadt kamen, untersuchten die Artikel und riefen verblüfft: „Das ist ja meins!“ oder: „Das sind ja unsere!“ Zum Prozessauftakt gegen die Whalens hatte die Strafverfolgung ein halbes Dutzend Zeugen gegen die umtriebigen und geschäftigen Diebe aufgeboten.

Als Fred in den Zeugenstand gerufen wurde, setzte er sein breites Verkäuferlächeln auf und schwor bei allem, was ihm lieb war, dass ihnen sämtliche BHs und Höschen bei einer „Geburtstags-Überraschungsparty“ geschenkt worden seien. Die Geschworenen ließen sich jedoch nicht täuschen und benötigten nur 20 Minuten, um das Pärchen schuldig zu sprechen. Bei der Verlesung des Urteilsspruchs fiel Lillian in Ohnmacht. Fred musste eine Nacht im Knast über sich ergehen lassen und die beschämende Schlagzeilen eines Lokalblattes, das ihn als „selbsternannten Top-Billard-Spieler“ bezeichnete.

Das war sicherlich kein angenehmer Beginn des Lebens in L.A., doch zumindest stempelte sie niemand als Außenseiter ab. In einer Stadt voller Flüchtlinge und Glücksritter reichte es aus, als Ehepaar zwei Kinder zu haben und ein Geschäft zu führen, um als waschechte „Angelenos“ zu gelten. Das ganze Desaster hatte aber letztlich auch einen positiven Effekt, denn die ganzen Idioten zweifelten nach der Berichterstattung an Freds Fähigkeiten, eine heiße Kugel auf dem Billardtisch zu schieben.

Als Profi bevorzugte er Straight Pool, ein Spiel, bei dem man 125 Kugeln versenken musste, denn hier trennte sich die Spreu vom Weizen. Doch das große Geld lag damals eher auf den schmierigen Tischen der Bars und Spielhallen, da dort die Landeier schnellere Spiele bevorzugten, wie zum Beispiel 8-Ball. Ein Spieler wie Fred konnte oft alle Vollen oder Halben in einem Durchgang einlochen, allerdings verdiente er dabei nie einen Dollar, denn sogar die versoffensten und dümmsten Erbsengehirne schnappten sich alsbald ihren Einsatz und verschwanden, wenn sie merkten, mit was für einem Kaliber sie es hier zu tun hatten. Später ließ er sich eine andere Strategie einfallen. Er patzte bei der Eröffnung, stellte aber sicher, dass all seine Kugeln in der Nähe der Weißen und den Taschen lagen, wodurch der Gegenspieler keine gelungene Eröffnung machen konnte. Dann war wieder Freddie an der Reihe, der seine Kugeln in einem Gang in die Taschen beförderte. Die anderen dachten, er hätte einfach nur Glück gehabt. Meist begannen sie um 25 Cent zu spielen, doch ein verärgerter Verlierer setzte schnell so einige Dollars, um den Verlust wieder einzufahren.

Mit dieser Strategie gelangte er sodann in die angeseheneren Spielhallen, die die Nutznießer der beiden boomenden Industriezweige der Gegend als Gäste bevorzugten: Die Ölmagnaten hatten genügend Bares in den Taschen, da aus dem neu entdeckten Signal-Hill-Feld bei Long Beach zwischenzeitlich täglich fast 4.000 Gallonen sprudelten – für die damalige Zeit eine riesige Menge. Ja, und die Leute aus Hollywood beeilten sich, die 100 Millionen Dollar zu verprassen, die die boomende Filmindustrie jährlich abwarf.

Doch Fred ignorierte auch nicht die unteren Schichten in der Nachbarschaft, für die Billard zum Leben dazu gehörte und für die das Spiel ein Beweis ihrer Männlichkeit darstellte. Boyle Heights zählte zu diesen Stadtteilen, ein Slum an der East Side des Los Angeles River. Wegen der Nähe zu den Fabrikkolossen und der Eisenbahn wollte dort niemand freiwillig leben. In diese Gegend verfrachtete man die Bevölkerungsschichten, die in L.A. unerwünscht waren oder von den Grundstückseigentümern gemieden wurden – Mexikaner, Italiener und oft arme russische Juden, die zuerst ihr Glück in New York versucht hatten und nun schon wieder zu den Unerwünschten gehörten. Boyle Heights war eines der klassischen Slums, in denen das Recht des Stärkeren galt, was sich jede Nacht in Art Weiners Spielhalle aufs Neue bestätigte. Der Laden zog Typen wie Matzie und Dago Frank an, die mit dem richtigen Paar Würfel jede Augenzahl spielen konnten und sich zu den allerbesten Billard-Spielern zählten. Die harten Kids aus der Nachbarschaft buhlten um ihre Gunst, darunter der kleinwüchsige Zeitungsverkäufer Meyer Harris Cohen, dessen Mutter Fanny, eine Einwanderin aus Kiew, sich nach dem Tod ihres Mannes Max mit sechs Kindern Richtung Westen aufgemacht hatte. Die Kids halfen in dem kleinen Lebensmittelgeschäft, das sie eröffnet hatte, stapelten die Dosen und machten sich nützlich. Ihr Jüngster spielte aber lieber auf der Straße oder in einer Billardhalle, wo er die Kugeln aufsammelte oder den Punktestand für die lokalen Schwergewichte Matzie und Dago Frank notierte. Leider lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen, ob der junge Mickey Cohen jemals Fred Whalen im Spiel gegen seine Idole beobachtete oder ob sich ihre Blicke über die mit grünem Filz ausgeschlagenen Tische in Art Weiners Billardhalle hinweg begegneten. Doch eins ist sicher – Jahrzehnte später sollten die beiden sich in einem Verhandlungssaal des Gerichts in Los Angeles begegnen.

Manchmal wollte Fred seine Fähigkeiten zur Schau stellen – er war es leid, sich immer zurückzuhalten. Er wünschte sich aus L.A. auszubrechen, in die kleineren Gemeinden zu gehen, die ihn an die Nester erinnerten, in denen sie ihre Opfer auf der Reise durch die USA ausgenommen hatten. Lillian nähte ihm ein stechend blaues Satin-Kostüm und eine Kopfbedeckung, die an die russischen Kosaken erinnerte. Dazu noch eine Maske, und schon verteilten sie Flyer mit der Ankündigung einer Show des „Maskierten Wunders“. Fred führte bei den Shows die Tricks aus seiner Jugend vor und schoss wieder Billardkugeln von Coke-Flaschen. Doch er hatte auch neue Attraktionen drauf, wobei zwei Paar Billardstöcke ihm als Rampe dienten. Fred spielte die Kugel an, die auf der Rampe erst in die Höhe rollte, danach hinuntersauste und dann drei oder sogar vier Kugeln ins Ziel beförderte. Oft versteckte er Kugeln unter einem Taschentuch und versenkte sie mit einem Stoß, wobei das Taschentuch auf seinem Platz liegen blieb, oder er ließ sie auf geheimnisvolle Art verschwinden. Diese Shows prägte eine berauschende Ehrlichkeit, nicht nur, weil er seine Fertigkeiten kompromisslos vorführen konnte. Zum ersten Mal zeigte er sein wahres Ich: „Ich werde euch hinters Licht führen. Und auch wenn ihr das wisst, gelingt es mir trotzdem.“ Als Nächstes ließ er die rote Kugel direkt vor den Augen der Zuschauer verschwinden. Natürlich verzichtete er auch nicht auf Einlagen wie das Theater mit dem Chauffeur. Er liebte diesen Schwindel regelrecht. Doch Gus setzte nicht mehr die Mütze auf und spielte seine Rolle in dem Dorris, der St. Louis-Version des Wagens eines Reichen – nein, Fred Whalen konnte sich schon bald einen echten Chauffeur leisten und einen nagelneuen Stears-Knight Touring Car. Denn Fred fand einen anderen Weg, um an viel Geld zu gelangen, und dieser hatte nichts mehr mit Billard zu tun.

Gangster Squad

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