Читать книгу Gangster Squad - Paul Lieberman - Страница 8

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Bei den Cops, die Al Capone einst zum Bahnhof geleitet hatten, schrillten keine Alarmglocken, als eine sehr große Gruppe von Bürgern – sogar für L.A.-Verhältnisse – zehn Tage vor Weihnachten 1929 ein Festessen abhielt, um den italienisch-amerikanischen Wohlfahrtsverband zu feiern. Ohne Zweifel steckte politisches Kalkül dahinter, um den ethnischen Minderheiten zu schmeicheln. Unter den Gästen im Flower Auditorium befanden sich der Bürgermeister, der Bezirksstaatsanwalt und der County-Sheriff. Sie schwärmten von der italienischen Oper und vom Mut der Italo-Amerikaner im Ersten Weltkrieg, unbeeindruckt vom Programm, in dem „J. Ardizzone“ als Vorsitzender und „J.I. Dragna“ als Stellvertreter genannt wurden.

J. Ardizzone war natürlich Joe Ardizzone, der stahlharte Mann der Black-Hand-Gang während der Kriege um die Obstwagen, als man noch vom Fahrrad aus seine Widersacher umpustete. Nach dem Mord an einem Rivalen im Jahr 1906 war er nach Louisville, Kentucky, geflohen und in die Rolle des Armeeangehörigen Captain J.D. Fredericks geschlüpft. Einige Jahre später kehrte er unbemerkt nach Kalifornien zurück, kaufte sich eine Ranch in den Hügeln über dem San Fernando Valley und verwandelte das Land in ein Weinanbaugebiet. Die Behörden beharrten darauf, erst 1914 die Anwesenheit von Ardizzone bemerkt zu haben. Unverzüglich umstellten sie das Anwesen und ließen den Mann von zwei bewaffneten Cops abführen. Doch der Versuch, ihn für den alten Mordfall festzunageln, stellte sich als fruchtlos heraus. Laut einem Polizeibericht musste „der Fall zu den Akten gelegt werden, da die Beweislage unzureichend war und es keine Zeugen gab, die sich zu einer Aussage bereiterklärten“. Wenige Jahre später wurde ein weiterer italienischer Obsthändler erschossen, doch diesmal auf eine modernere Art, denn der Schütze fuhr einen Buick und musste nicht auf einem Drahtesel flüchten. Ardizzone rief nach dem Attentat im Krankenhaus an, um zu erfahren, wohin man den Leichnam gebracht hatte. Als man ihn fragte, wer denn für den Mord verantwortlich sein könnte, brach er in schallendes Gelächter aus. Zu Beginn der Prohibition im Jahr 1920 hatte er sich perfekt positioniert und ein optimales Netzwerk aufgebaut. Jeder, der den durstigen Massen harten Alkohol besorgen konnte und bereit war, eine Knarre einzusetzen, um seinen Marktanteil zu sichern und auszubauen, stand ein riesiger Profit ins Haus.

Der volle Namen von J.I. Dragna, Ardizzones Stellvertreter beim Bankett, lautete Jack Ignatius Dragna. Er stammte aus Corleone. Das kleine sizilianische Städtchen erlangte dank des Namens der Familie Corleone im Film Der Pate Weltruhm. Als Dragna wegen Schutzgelderpressung zum ersten Mal in den Kladden der Polizei von Los Angeles auftauchte, zeigte das Foto einen jungen, unverbrauchten Mann, der gerade amerikanischen Boden betreten hatte. Ein gestärkter Hemdkragen schloss sich um den Hals, und der nach hinten geschobene Hut ließ sein rundes Mondgesicht erkennen. Mittlerweile wirkte er wie ein Geschäftsmann mittleren Alters und trug eine große Brille, einen grauen Anzug und ein edles Einstecktuch, das aus der Brustasche hervorstach. Auch er hatte sich dem Weinanbau verschrieben und besaß neben einem 218 Hektar großen Grundstück einen Frachter mit dem Namen Santa Maria, der angeblich zum Transport von Bananen aus Zentralamerika bestimmt war. Darüber hinaus hatte er eine von den Leuten als „das schönste Lustschiff an der ganzen Küste“ bezeichnete Fregatte erworben.

Er hatte den Fünfmaster, der für den Einsatz im Ersten Weltkrieg gebaut worden war, aber seit der Zeit ausschließlich für die Fischerei genutzt wurde, mit fünf Freunden gekauft. Sie bauten das Hauptdeck in ein Casino um, mit acht Tischen für Würfelspiele, 16 für Black Jack, fünfzig Glücksspielautomaten und vier Roulettetischen, die manipuliert waren, damit niemand zu viel gewann. Auf dem glänzend polierten Boden eines der Säle durften sich die Tänzer vergnügen, und ein Restaurant versprach „die beste Fischmahlzeit in Kalifornien für nur einen Dollar“. 1928 wurde die ein Fußballfeld lange Monfalcone das erste Schiff einer wahren Flotte von Glücksspielkreuzern, die in internationalen Gewässern schipperten, die unter kein Gesetz fielen. Man richtete einen Shuttle-Service mit Wasser-Taxis ein, um die wohlhabenden Stammkunden vom Land zum Schiff und wieder zurück zu bringen. Sie waren gut beraten, im Fall eines unwahrscheinlichen Gewinns höchste Vorsicht walten zu lassen, denn es konnte möglich sein, das sie auf dem Rückweg zu den Limousinen ausgeraubt wurden. Sogar Dragna hielt Sicherheitsvorkehrungen für angebracht. Zwei Polizeibeamte machten den Fehler, seinen Wagen einmal frühmorgens anzuhalten, nachdem er mit drei Männern vom Schiff gekommen war. Einer der Leibwächter Dragnas hielt den Cops eine abgesägte Schrotflinte direkt unter die Nase. In aller Seelenruhe hob Dragna die Hand und gab seinem Bodyguard das Zeichen, die Waffe zu senken. Dabei erklärte er, dass sie die Flinte – zusammen mit vier Pistolen und zwei Messern – unbedingt bräuchten, um im Ernstfall die Gewinne vom Wochenende zu verteidigen. Allerdings verriet er den Beamten nichts davon, dass ein Mann seiner Crew der Cousin des in Los Angeles so „beliebten“ Scarface Al Capone war. Später, als Dragna offiziell die US-Staatsbürgerschaft beantragte, meinte ein Richter, dass die Zeit noch nicht reif sei, er aber seine Bemühungen fortsetzen solle, denn scheinbar habe er ja eine so „nette Familie“!

Fred Whalen hingegen wusste, mit was für ungehobelten Subjekten aus der Alten Welt – den sogenannten „Schnurrbart-Italos“ – er es zu tun hatte, denn er war zwischenzeitlich selbst auf einigen der Boote zugange, angeblich den schnellsten dort draußen.

Er benannte eins davon, ein wahres Prachtstück mit einer mit Mahagoni getäfelten Chefkabine, nach seiner Tochter Bobie. Die Schaluppe wurde von zwei Liberty-Motoren angetrieben, die man auch für Flugzeuge benutzte, und konnte sowohl der schwer bewaffneten Armada Dragnas und seiner Gauner entkommen als auch den Patrouillenbooten der Küstenwache. Doch die größte Innovation der Whalen-Boote stammte von Freds Schwager.

Gus Wunderlich sah mit seinem verformten Gebiss und dem quadratischen Schädel aus wie ein Tölpel – der klassische Kanisterkopf. Doch wenn es um Technik ging, war er ein wahres Genie, genauso gut wie Fred mit dem Billardstock. Er kam auf die Idee, vermittels Schnellbooten Alkohol zu schmuggeln. Nachdem sie eine Ladung von dem Mutterschiff gelöscht hatten, oder auch von einem dazwischengeschalteten leichteren Schmugglerboot, wurden die voluminösen Fässer mit einem starken Tau am Heck des Schnellboots zusammengebunden. Gus platzierte die erste Tonne am hinteren Ende des Decks, beinahe in Wasserhöhe. Unter dem Bodenplanken hatte er eine Hydraulik installiert – der Schlüsselmechanismus seiner Erfindung, die den vorderen Teil des Bodens leicht anheben und somit die komplette Ebene in die Schräge bringen konnte. Wenn ihnen die Bundesbeamten auf den Fersen waren, musste er nur noch einen Knopf drücken, der die Installation in Gang setzte, und schon zog das erste Fass die anderen mit auf den Grund des Ozeans. Die Apparatur stellte ihren Nutzen unter Beweis, nachdem sie sage und schreibe 200 Barrel harten Alkohols geladen hatten. Das Boot erreichte trotz der beiden Libertys nicht die normale Geschwindigkeit, und die Küstenwache holte von Sekunde zu Sekunde auf. Fred betätigte den Knopf, und schon hätten die verdammten Beweisstücke in den Fluten versinken sollen. Doch ärgerlicherweise trieben die Fässer auf der Wasseroberfläche, da der Lieferant des Mutterschiffs an Hochprozentigem knapp gewesen war und ihnen nur halbvolle Behälter geliefert hatte. Der Schwindel stellte sich schlussendlich aber als Glück im Unglück heraus, denn die treibenden Fässer bildeten ein regelrechtes Minenfeld für das Schiff der Küstenwache: Sie schwappten auf dem Wasser und knallten immer wieder an den hölzernen Rumpf des Bootes, was die Beamten zur Untätigkeit verdammte.

Schon bald verpassten die Behören Whalen den Spitznamen „Freddie, der Dieb“, den seine Familie für unangemessen hielt. Sie umschrieben sein wichtigstes Talent mit „die Kunst, meilenweit entfernt zu sein“, denn wann immer Probleme oder Katastrophen über die Whalens hereinbrachen, hielt sich Freddie in sicherer Entfernung auf. Und beim Alkoholschmuggel gab es viele Probleme. Als seine Unabhängigkeit liebender Ire versuchte Freddie, sich aus dem Fahrwasser der Italos wie Dragna und Tony „The Hat“ Cornero (geborener Stralla) herauszuhalten. Cornero besaß schon mit 25 Jahren einen Cadillac mit Chauffeur. Er hatte einen riesigen Fuhrpark mit Trucks zum Alkoholschmuggel aufgebaut und kontrollierte zahlreiche Mutterschiffe, darunter einen schwerfälligen Schoner, der 7.000 Kisten mit Whiskey von Kanada nach Mexiko transportierte. Doch sogar Cornero und sein Bruder mussten den Diebstahl von Ware befürchten und ließen die Konkurrenz in Ruhe walten, damit diese ihnen nicht bei den eigenen Projekten in die Quere kam. Es konnte auf See geschehen oder bei der nächtlichen Landung in einer Bucht, wenn die Schnellboote ihre Motoren ausstellten und man den Whiskey in kleine Ruderboote umlud, um ihn an den Strand zu rudern, wo die Cops für Geld und einige Flaschen schnell ein Auge zudrückten. Bei jedem Schritt der Transaktion lauerten Gefahren, obwohl folgende zeitgenössische Erzählung doch ein wenig zu melodramatisch klingt:

Abgehacktes Maschinengewehrfeuer im dichten Nebel. Verschwommene Scheinwerfer wartender LKWs. Gedämpfte Stimmen auf dem Strand und das Stottern von Schiffsmotoren, das von See aus herüberklingt. Quietschende Türschlösser und Paddelboote, die aus der Gischt ans Land schießen … Harte Männer, gefährliche Männer, Männer, die zum Töten bereit sind.

Fred Whalen beschränkte sich bei den Schmuggelgeschäften auf einen Schwarzbrenner in Mexiko – Percy Hussong. Seiner Familie gehörte ein bekanntes Restaurant in Ensenada, dessen Bar einige Zeit später die Erfindung des Margarita für sich in Anspruch nahm. Die Hussongs hatten mit einem Mutterschiff ein perfektes Geschäft ausgehandelt, denn sie bekamen für den Whiskey Kisten voller Früchte und Gemüse zuzüglich ein wenig Bares. Wenn die Familie wieder zur Küste zurückfuhr, schoss die mexikanische Marine immer über ihre Köpfe hinweg, denn die Soldaten wollten sich nicht die Aussicht auf ein zünftiges Besäufnis am nächsten Abend vermasseln. Doch in den Staaten sah es anders aus, denn als die Whalen-Wunderlich-Gang sich in einer mondlosen Nacht dem Strand näherte, hatten sie nicht den Eindruck, dass die Schützen auf den Klippen daneben zielten.

In diesen Tagen zählte ein Cop aus Santa Monica, der Gemeinde am Meer, auf deren Pier ein Karussell stand, zu Freddies wichtigsten Geschäftspartnern. Lieutenant Thomas Carr war der Sherlock Holmes der lokalen Polizeiwache, benutzte tatsächlich ein professionelles Make-up-Set und besaß einen Schrank voller Kostüme, um sich als britischer Dandy oder tätowierter Seemann zu verkleiden. In den Strandbars mischte er sich unters Volk, damit er Tratsch und Informationen über die Schwarzbrenner und Schmuggler sammeln konnte. Die Zeitungen nannten ihn nach dem Stummfilmschauspieler Lon Chaney „den Mann mit den tausend Gesichtern“, der sich gekonnt in das Phantom der Oper und den Glöckner von Notre Dame verwandelt konnte. Der bemerkenswerte Lieutenant Carr war ein olympiareifer Schütze, was durch ein Duell unterstrichen wurde. Eines Tages stolzierte ein angeblich treffsicherer Sheriff aus Twin Falls, Idaho, in einer Wildlederjacke in die Stadt und prahlte mit seiner Knarre, die von einem in Perlmutt eingelegten Revolverlauf geschmückt wurde. Er hatte ein Wettschießen des Idaho Frontier Club in sechs Waffendisziplinen gewonnen. Nachdem der einen Cowboyhut tragende Macho Carr herausgefordert hatte, ließen die beiden ein Pikass in für das Polizeitraining üblicher Entfernung an einen Pfosten nageln. Wer konnte das winzige schwarze Symbol häufiger treffen? Der Strandcop aus Kalifornien blies den Gesetzeshüter aus dem Wilden Westen förmlich aus der Stadt!

Durch diese und ähnliche Episoden wurde Carr zu einer lokalen Berühmtheit, aber wenn die Reporter von dannen zogen und der Cop seinen britischen Derby-Hut in den Spind schloss, war er ein ganz normaler Bursche, der gerne einen hob und sich ein bisschen etwas dazuverdiente. Freddie Whalen stimmte ihn zufrieden – sowohl mit Alkohol als auch mit Dollarscheinchen. Zusätzlich servierte er ihm einige Schwarzbrenner auf dem goldenen Tablett, denn es war natürlich viel sicherer, einen Cop auf seiner Seite zu haben als den Rivalen die Ladungen abzuluchsen oder ihnen das Gehirn aus dem Schädel zu blasen.

Was die Polizei von L.A. anbelangte – die war damals eigentlich in der Regel nur für Witze gut.

Als Freddie in der Stadt ankam, bekleidete der gutaussehende Louis D. Oaks das Amt des Polizeipräsidenten. Eines Abends wurde er im Dienstwagen mit einer halbleeren Flasche und einer nur spärlich bekleideten Dame aufgegriffen, die peinlicherweise nicht seine Frau war. Seine Gattin beklagte sich laut den Scheidungspapieren darüber, dass ihr Angetrauter nicht die Finger von Hochprozentigem und Kabaretttänzerinnen lassen konnte. Zwei Jahre später übernahm der Texaner James „Two Gun“ Davis den Posten, ein stolzer ehemaliger Baumwollpflücker, der es verstand, mit der Pistole fast so gut umzugehen wie Lieutenant Carr. Trotz der etwas merkwürdigen Angewohnheit, auf tägliche Massagen und Maniküren zu bestehen, gründet er bald eine Scharfschützeneinheit, geleitet von eben jenem Lefty James, der 1913 als Neuling verwundet worden war und seitdem als Held gefeiert wurde. Als waschechter Texaner nahm er den Mund natürlich ziemlich voll: „Die zwielichtigen Elemente, die Waffen mit sich rumschleppen und Rum schmuggeln, werden bald schon merken, dass Mord und der Besitz von Schusswaffen sich nachteilig auf die eigene Sicherheit auswirkt. Ich will, dass man mir die Typen tot – und nicht lebendig – vor die Füße legt, und werde jeden Beamten rügen, der auch nur die geringste Gnade gegenüber einem Kriminellen walten lässt.“

Das waren harte Worte, aber nachdem die Große Depression zusätzlich zur Prohibition das allgemeine Klima verschärft hatte, kümmerten sich die Behörden weniger um die Alkoholschmuggler, denn sie mussten sich einem neuen Problem stellen – dem permanenten Zustrom von Landstreichern in die Stadt. Neue Sondereinheiten wiesen die Invasoren dutzendweise ab und stellten sie vor die Wahl – Knast oder der erstbeste Güterzug in die entgegengesetzte Richtung – nach Yuma, Arizona oder weiter entfernte Staaten. Schließlich musste das LAPD so weit gehen, fast die gesamte Belegschaft an den Staatsgrenzen aufzustellen, um die hobo hordes dort aufzuhalten. Im Volksmund wurde das Unterfangen als „Errichten der Pennerbarrikade“ bezeichnet. Die Kommunisten und andere Radikale beschäftigten zusätzlich die Polizeikräfte, und schon bald kämpfte die Red Squad gemeinsam mit der Gun Squad um die größte Aufmerksamkeit bei den Vorgesetzten. Die Kämpfer gegen die „rote Gefahr“ gingen sogar so weit, den angesehenen Enthüllungsjournalisten Upton Sinclair bei einer Versammlung von angeblich subversiven Kräften festzunehmen.

Während dieser ganzen Zeit gelang es dem LAPD nicht, die Gewalttaten im Zusammenhang mit Alkoholschmuggel zu stoppen, die sich letztendlich gegen den wichtigsten Drahtzieher selbst richteten: Joe Ardizzone, der ehemalige Killer der Black-Hand-Gang, überlebte eine wilde Schießerei und verschwand spurlos, nachdem er sein Weingut um 6.30 Uhr morgens verlassen hatte, um einen Cousin abzuholen, der gerade aus Italien eingetroffen war. Seine Frau musste mehrere Jahre warten, bis er endlich offiziell für tot erklärt wurde, doch J.I. Dragna, sein Stellvertreter beim Bankett von 1929, schaffte es, jedwede Wartezeit zu vermeiden, die letzte Stufe der Hackordnung problemlos zu nehmen und alsbald Joes Platz zu besetzen.

Fred Whalen überstand diese Zeit verhältnismäßig unbeschadet. Ein Schnellboot fiel den Klippen zum Opfer, und sein geliebter (mit Mahagoni vertäfelter) Cruiser landete auf dem Meeresgrund – wegen eines simplen Lecks. Das Schlimmste an dem Unglück war der Sonnenbrand, den er und Gus sich am Strand der kleinen Insel San Clemente einfingen, während sie warten mussten, bis ein wie die Hölle stinkender Walfänger sie auflas. Die Cops fanden nie heraus, wie das Team den Whiskey auf dem Landweg transportierte. Sie benutzten dafür Trucks, die denen der Mayfair-Markets-Supermarktkette zum Verwechseln ähnelten, und imitierten sogar die Seitendekoration – handgemalte Bilder von Gemüse und Früchten. Für den Direktverkauf übernahm Fred eine erst kürzlich geschlossene chemische Reinigung im Keller eines Hotels. Ein Fenster ließ sich zu einer Seitengasse hin öffnen. Von dort aus reichte man den Autofahrern die sorgfältig in Papier verpackten illegalen Erfrischungen. Einige naive Nachbarn brachten tatsächlich Kleidung in die Wäscherei, und so musste Freddie eine zusätzliche Kraft einstellen, die den Job an einem anderen Ort übernahm – und schon bald besaßen sie drei chemische Reinigungen, in denen sie dem legalen Geschäft nachgingen und zusätzlich Alkohol vertrieben. Als chemische Reinigungen mit „Drive-In“ Jahre später in Mode kamen, stellten sich die Whalens die berechtigte Frage, ob sie nicht die ersten mit dieser Idee waren!

1930 erschien ein Volkszähler in den Räumen an der South Alvarado Street, in denen Freddie mit Lillian und den beiden Kindern wohnte. Auf die Frage nach seinem Beruf gab er „Inhaber einer chemischen Reinigung“ an. Bobie war damals 13, und bei Jack wurde als Alter acht Jahre eingetragen. Doch nur wenige Wäschereibesitzer waren in der Lage, ihre Familie bei den sonntäglichen Spritztouren in einem Stearns-Knight Touring Car zu befördern, einer Edelkarosse, die den alten Marmon wie einen Blechhaufen erschienen ließ. Diese Limousine gebührte wahrlich einem Geschäftsführer. Auch Gus Wunderlich nutzte die Tarnung der Reinigung, als der Volkszähler bei ihm anklingelte, und ließ sich als „Schneider“ des Unternehmens registrieren. George Wunderlich, sein jüngerer Bruder, hatte einigen „Spaß“ mit dem Mann vom Amt, denn als Beruf gab er „Luftfahrer“ an, was dieser mit Argwohn quittierte. 1928 fanden die National Air Races auf dem Mines-Field in L.A. statt, das später zum Los Angeles International Airport umgebaut wurde, damals aber eher einer großen planierten Fläche inmitten von Weizen-, Gerste- und Bohnenfeldern glich. 200.000 Zuschauer fuhren auf den staubigen Straßen zum Veranstaltungsort, um die spektakulären Flugschauen mit den neuesten Militärflugzeugen zu bestaunen. Darüber hinaus wurden Rennen um Orientierungstürme herum ausgerichtet, die namenhafte Flieger wie Charles Lindbergh anzogen, der ein Jahr zuvor den Atlantik mit seiner Maschine überquert hatte.

Hohe Risiken einzugehen, war damals an der Tagesordnung. John J. Williams, ein Mitglied des Army Air Corps „Three Musketeers“, kam bei einem Probeflug ums Leben. Doch viele junge Menschen packte das Flugfieber, und einige Glückliche konnten sich eine eigene Maschine leisten. Fred Whalen besaß eine zweisitzige Alexander Eaglerock, einen einmotorigen Doppeldecker, die Lieblingsmaschine der sogenannten „Barnstormers“, die in ländlichen Gebieten landeten und den verblüfften Einheimischen zehnminütige Flüge für 50 Cents aufquatschten.

Der Doppeldecker war für den Alkoholschmuggel weder groß noch robust genug, sondern für die Whalens nur ein weiteres Spielzeug zum Angeben. Freddie hatte erst eine Flugstunde genommen – vom Verkäufer – und lud danach Gus zum Jungfernflug ein, bei dem sich die komplette Familie versammelte, um die neue Wundermaschine zu bestaunen. Nur Jack, Freddies jüngster Sohn, riss sich darum, mitfliegen zu dürfen, und erntete von seiner Mutter Lillian einen bösen Blick, als er lauthals „Ich auch!“ rief. Doch Freddie ließ sein Verkäufergrinsen aufblitzen und winkte seinem Sohn einzusteigen. Auf dem winzigen Hintersitz gab es kaum genügend Platz für den Kleinen und Onkel Gus, doch es gelang ihnen, sich dort hineinzuquetschen. Fred hob wie ein Profi ab und flog mit den beiden über den Sepulveda Pass und die Orangenplantagen des San Fernando Valley.

Sie hatten sich die neue Piste in Van Nuys als Bestimmungsort ausgesucht, wo sie nach einigen lockeren Schleifen landen und dann wieder zurückfliegen wollten. Doch Fred war unsicher, da er den Höhenmesser noch nicht beherrschte. Der Doppeldecker kam zu hart auf und wurde von der neuen Landebahn wieder in die Luft katapultiert. Fred setzte zum nächsten Versuch an, verschätzte sich erneut, knallte wieder auf den harten Beton und musste zur nächsten Ehrenrunde ansetzen. Gus überkam Panik. Nach der zweiten missglückten Landung gestikulierte er wie ein Geisteskranker vom Passagiersitz aus, woraufhin ihm Fred das Zeichen gab, nach vorn zu klettern und den verdammten Knüppel doch selbst in die Hand zu nehmen. Sie schrien sich gegenseitig an, doch der ohrenbetäubende Lärm des Motors übertönte jedes Wort. Freddie Wahlen mag wohl daran geglaubt haben, dass seine Schlitzohrigkeit und sein Lächeln ihn vor jeder Gefahr schützten, doch in diesem Augenblick stand er kurz vor einer Bruchlandung, die alle das Leben kosten konnte.

Der dritte Anflug indes gelang. Zwar setzte er immer noch recht unsanft auf, doch die Räder hielten Kontakt mit dem Boden, sie landeten und waren in Sicherheit. Fred merkte plötzlich, dass eine einzige Person an Bord nicht von Panik ergriffen worden war. Sein kleiner Sohn hatte während der halsbrecherischen Aktion seine Ruhe bewahrt, ja sogar Spaß gehabt. Gus meinte später, dass der Junge bei einer der missglückten Landungen laut „Wheeee!“ geschrien habe, während die beiden Erwachsenen dem Tod ins Auge starrten. Freddie Whalen hätte nicht stolzer sein können und erzählte jedem, wie tapfer sein Filius gewesen war, eben jenes Kind, das man als Erwachsenen dann Jack „den Kassierer“ Whalen nannte.

Freddie hätte an dem Tag seine Lektion lernen müssen – dass seine Klugheit und das Lächeln ihn nicht vor Gefahren schützt. Doch das Leben hielt noch weitere Lektionen bereit: Zum Beispiel sollte man sich nicht mit den falschen Leuten einlassen, denn die können einen in Todesgefahr bringen! Gus Wunderlich machte diese Erfahrung während einer Episode, die ihn ins Gefängnis brachte.

Vielleicht war es Gus’ Eiscreme-Maschine, die ihn auf auf dumme Gedanken kommen ließ? Er hatte jahrelang seine mechanischen Zauberkünste in den Dienst von Freddies Rumschmuggel gestellt und sich ein Gerät ausgedacht, mit dem man „gefrorenen Nachtisch“ herstellen konnte. Doch mit dem Ende der Prohibition 1933 war es nicht leicht, Kapital für das Patent und das Marketing einer solchen Erfindung aufzutreiben, und so wandte sich Gus anderen Verdienstmöglichkeiten zu, um an das benötigte Geld zu gelangen.

Ein weiteres Mitglied der Schmugglermeute kam auf die wahnsinnige Idee, die Glücksspielschiffe auszurauben. Es hatte auf den Schiffen schon einige Schießereien und sogar zwei Morde gegeben. Wie sich herausstellte, war eins der Opfer in Wahrheit gar nicht Croupier, sondern ein Gauner aus East St. Louis, der unter dem Deckmantel seiner Tätigkeit gestohlene Juwelen an den Mann brachte – auf hoher See trieben einige verdammt harte Burschen ihr Unwesen! Der Schmuggler Harry Allen Sherwood hatte einen Informanten mit Insider-Wissen, den ehemaligen Koch der S.S. Monte Carlo, und er war überzeugt davon, dass eine Bande moderner Piraten das große Geld auf dem Schiff abgreifen konnte. Die Monte Carlo war einstmals ein unansehnlicher, grau gestrichener Öltanker gewesen und sah auch nicht viel besser aus, nachdem die Neubesitzer später ein warenhausgroßes Gebäude mit einem geschwungenen Dach auf dem Oberdeck errichteten, das als Casino gedacht war. Doch bei Nacht sah man nur die blinkenden Lichter. An einem Samstag allein nutzten 1.736 vermögende Spieler die 25-Cent-Wassertaxis zu und von dem Schiff, wo die Tischdecken des Speisesaals aus feinstem Leinen gewebt waren und Schilder über den Spieltischen versprachen: „Die Würfel sind garantiert echt.“

Die sechs Mann starke Gang schlug nach dem geschäftigen Wochenende des 4. Juli 1935 zu, da sie vermutete, dass der Safe des Schiffes zum Bersten voll wäre. Einige der Piraten schossen mit einem 17 Meter langen Schnellboot namens Zeitgeist über das Wasser, während andere die Küste in dem gestohlenen Fischkutter Nolia verließen. Sie hatten sich eine neblige Nacht ausgesucht, damit niemand die Zusammenkunft der beiden Boote auf offener See beobachten konnte, wenn sie dort gemeinsam in ein kleines und sehr leises Fischerboot umsteigen wollten. Um 3.30 Uhr hatten die letzten Spieler die Monte Carlo verlassen. Das Hauptdeck war nun in Dunkelheit gehüllt. Die bewaffneten Piraten zogen Strumpfmasken über die Gesichter und führten Handschuhe und zwei Säcke voller Handschellen, Fußfesseln und Ketten mit sich. Sie glitten in ihrem Boot lautlos an die Seite des Glücksspielschiffs und kletterten an Deck.

Die Crew – sie befand sich in der Kombüse und spielte eine Runde Poker – wurde von den Angreifern völlig überrascht. Die Ausgeraubten gaben später zu Protokoll, dass ihnen in aggressivem Ton befohlen worden sei: „Runter auf den Boden – alle. Macht, was ich euch sage, und keinem wird ein Haar gekrümmt.“ Die Gang ließ die Angestellten den Safe leeren. Darin befanden sich Bargeld, verschiedener Plunder und edle Ketten, Ringe und Uhren im Wert von 10.000 Dollar. Die Gegenstände waren von den Spielern zurückgelassen worden, die entweder Schulden hatten oder noch mehr Chips erwerben wollten. Ein Verlierer musste an diesem Wochenende einen riesigen Diamantring als Pfand hinterlegen, der kunstvoll in Platin eingefasst war und 1.000 Dollar kostete. Er hatte dafür 50 Dollar erhalten! Natürlich wanderte er in den Beutesack, zusammen mit den Dollarbündeln und silbernen Dollars aus einem Schaukasten. Insgesamt erbeutete die Bande 22.000 Dollar. Eines ihrer Mitglieder meinte danach zu den gut verschnürten Opfern: „Macht euch nichts draus. Wir sehen uns in der Kirche.“

Die Piraten schleppten zwei Säcke voller Diebesgut in das Fischerboot und tuckerten ab. Der Monte-Carlo-Raub schien das perfekte Verbrechen zu sein. „Ein Boot hinterlässt keine Spur“, bemerkte der diensthöchste Detective, den man schleunigst auf den Fall ansetzte – Inspector Owen Murphy aus Long Beach.

Doch die Wunschträume der Kriminellen von einem unbeschwerten und sorglosen Leben wurden schon bald durch einen uralten, dummen Fehler zunichte gemacht – der Geldprasserei. Einer der Piraten war der schon oft eingefahrene Knastbruder Frank Dudley, den man erst kürzlich auf Bewährung aus San Quentin entlassen hatte. Während der kurzen Intermezzi in Freiheit verspürte er einen gehörigen Nachholbedarf an Leben in sich und spielte in einer Bar im Stadtzentrum den großen Macker. Nicht nur, dass er die Kellnerin mit einem Fünf-Dollar-Schein bezahlte, von dem sie das Wechselgeld behalten durfte, nein, er spendierte den beiden Damen von zweifelhaftem Ruf, die sich zu ihm gesetzt hatten, auch noch zehn Dollar. Er prahlte: „Wo diese Knete herkommt, gibt es noch mehr!“ Zu seinem Unglück belauschten zwei Undercover-Detectives an einem Ecktisch das Gespräch. Als sie ihn festnahmen, bat Dudley lediglich darum, seine Freundin, einen kessen Rotschopf, sehen zu dürfen. Dann plaudert er los: „Schon mal was von der Monte Carlo gehört?“

Eilig führte er die beiden Cops zu einer Adresse im Süden der Stadt, wo sich die Gang in einer Werkstatt mit angegliedertem Wohnhaus traf, zwischen zwei Zypressenhecken an der E. 116th Street gelegen, um die Kohle zu teilen. Die Angreifer überraschten Gus Wunderlich und seinen jüngeren Bruder George. Unter dem Tisch lag eine geladene und in Tuch eingewickelte 38er, unter einem Kissen fanden die Beamten eine weitere 38er, und eine 45er lag in der Frisierkommode. Doch es dauerte eine Weile, bis die Cops das Versteck der Beute fanden – ein Geheimzimmer! Sie mussten zwei beinahe unsichtbare Drähte in der Fußleiste des Schlafzimmers verbinden, die einen quietschenden Mechanismus im Wandschrank in Gang setzte. Dadurch bewegte sich der Betonboden zur Seite – Teil eines ausgeklügelten Gegengewichtssystems – und gab die Sicht auf einen Raum frei, mit einer Bar und einigen Fässern – Überresten der glorreichen Tage der Prohibition. Doch mehr war nicht zu finden. Die Suchenden ließen indes nicht locker und entdeckten schließlich einen von Gus ausgehöhlten Bettpfosten voller Juwelen und einen in Platin eingefassten verräterischen Diamantring.

Nur selten wird wegen Piraterie und Plünderei ein Bundesverfahren anberaumt, doch hier schlug das Gesetz mit seiner ganzen Härte zu. Augustus „Gus“ Wunderlich schwor, dass er zur Tatzeit im Kino gewesen sei, doch konnte den Film nicht beschreiben. Angeblich hätte er ihn verpennt! Er bekam acht Jahre Zuchthaus wegen des Tatbestandes einer kriminellen Verschwörung – und wurde in das Bundesgefängnis überstellt, zusammen mit einem verurteilten Mörder, der zusätzlich der Sklavenhalterschaft von Weißen angeklagt worden war!

Der Familie blieb zumindest ein kleiner Trost. Die mit dem Piraterie-Fall beschäftigten Bundesbeamten konnten keine Beweise vorlegen, um George Wunderlich zu verurteilen, den „Kleinsten“ des Schmugglerrings. Und Gus erging es noch besser als dem Mann, der ihn in den ganzen Schlamassel hineingezogen hatte: Harry Allen Sherwood wurde ebenfalls eine Gefängnisstrafe aufgebrummt, doch er sollte dann nicht mehr lange leben, nachdem er aus dem Bau wieder entlassen wurde. Er stolperte mit einer Kugel direkt neben der Wirbelsäule in ein Hospital. Man sah das allgemein als eine Art gerechter Strafe für das hochriskante Leben eines Kriminellen an, die nicht von einem irdischen Gericht verhängt wurde – und zugleich als Erinnerung daran, dass die Straßen in der Stadt der Engel so gefährlich waren wie der riesige und unergründliche Ozean vor der Haustür.

Gangster Squad

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