Читать книгу Gangster Squad - Paul Lieberman - Страница 9

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Man könnte meinen, dass Los Angeles durch den Zweiten Weltkrieg gesäubert und transformiert worden sei. Die Massen heldenhafter Soldaten, die von den Schiffen aus in den Hafen strömten, bereit für einen Neubeginn in der Stadt, hätten eigentlich mit ihrem Tun die Skandale der Vergangenheit ausradieren müssen. Angeblich hatte die Stadt schon vor dem Krieg die Talsohle durchschritten. Der Glaube indes, dass von nun an alles „schneller-größer-besser“ würde, war kein Slogan der Industrie- und Handelskammer und basierte auch nicht auf einem gerechtfertigten Optimismus. Nach dem schrecklichen 14. Januar 1938 konnte einfach nur alles besser werden.

An diesem Tag stieg der Privatdetektiv Harry Raymond in seinen Wagen, drehte den Zündschlüssel im Schloss herum – und plötzlich ging eine Bombe aus Schwarzpulver unter der Motorhaube hoch. Raymond überlebte wie durch ein Wunder, nachdem die Ärzte 150 Metallsplitter aus ihm herausoperiert hatten. Die Auswirkungen der Explosion beschränkten sich jedoch nicht nur auf seinen Körper, sondern führten letztlich zu weitreichenden Veränderungen in der Stadt. Der ehemalige Polizeichef von San Diego hatte dabei geholfen, eine Intrige gegen den eigenwilligen Sozialreformer Clifford Clinton aufzudecken. Clinton besaß zwei Cafeterien, in denen er preisgünstige Mahlzeiten für Bedürftige austeilen ließ. Besonders arme Menschen erhielten das Essen auch oft kostenlos. Unter dem Motto „Bezahlt das, was ihr könnt“ ließ er den Bedürftigen in einem einzigen Sommer während der Weltwirtschaftkrise 10.000 Mahlzeiten zukommen. Der Sohn zweier führender Mitglieder der Heilsarmee war ein Mann, für den guten Taten das oberste Gebot darstellten. Im Anschluss an seine Berufung in eine Grand Jury verschaffte er sich einen Überblick über die kriminelle Schattenwelt L.A.s. Persönlich finanzierte er CIVIC, das Citizens Independent Vice Investigating Committee, mit dem Ziel, gegen die Missstände in der Stadt vorzugehen und sie zu beseitigen. In Los Angeles gab es 1.800 Buchmacher, 600 Bordelle, 200 Spielhallen und 23.000 Glücksspielautomaten – und das alles unter den Augen von Bürgermeister Frank Shaw.

Shaw hatte den Wahlkampf mit dem Slogan „Werft die Schufte aus der Stadt“ gewonnen, aber es war ein offenes Geheimnis, dass sein eigener Bruder Joe zu den durchtriebensten Schurken der Stadt gehörte. Er bekleidete kein öffentliches Amt, doch benutzte ein Büro im Rathaus, um monatlich Bestechungsgelder in Höhe von bis zu 1.000 Dollar abzukassieren – manchmal von Cops, die befördert werden wollten, doch hauptsächlich Schutzgeld von Königen der Unterwelt. Der wohl am meisten gefürchtete Kriminelle war der in Kansas geborene ehemalige LAPD-Vize-Captain Guy McAfee, der während seiner Dienstzeit angeblich die Gangster bei Gefahr durch einen Telefonanruf warnte und dabei in seine Trillerpfeife blies. Schnell war ihm dann allerdings klargeworden, dass ein Leben als Spielhallenbesitzer einträglicher war als Dienst bei den Cops zu schieben, und so heiratete er zuerst eine Frau aus der feinen Gesellschaft und kurz nach der Scheidung von dieser ein Starlet. Er eröffnete den „The World Famous Clover Club“ auf dem Sunset Strip, wo die Black Jack- und Roulettetische durch einen automatischen Mechanismus innerhalb von Sekunden umgedreht werden konnten – nur für den Fall, dass die alten Kollegen vorbeischauten. Als Cliffords Clintons Gutmenschen-Komitee eine Kampagne gegen die Spielhallen und Freudenhäuser startete, gaben Bürgermeister Shaw und seine Kumpane den Kreuzrittern genau das, was sie wollten – eine offizielle Untersuchung. Doch Clinton hatte sich das anders vorgestellt, denn die städtischen Inspekteure tauchten unter dem Vorwand, die Umsetzung der allgemeinen Hygiene-Vorschriften zu kontrollieren, in seinen eigenen Cafeterien auf! Dann explodierte auch noch eine Bombe in Clintons Haus und zerstörte seine Küche. Die Behörden beschuldigten ihn daraufhin, das Attentat aus Publicity-Gründen selbst inszeniert zu haben. Angeblich soll Clinton geantwortet haben: „Ich werde niemals aufhören.“ Einige Zeit später wollte sein Privatschnüffler Harry Raymond den Wagen starten und – Kabumm!

Als die Bombe hochging, bereiste James „Two Gun“ Davis, der schon in zweiter Amtszeit Polizeichef von L.A. war, gerade Mexiko. Der Leiter der Sondereinheit rief unverzüglich an, um Davis die Nachricht zu übermitteln. Captain Earl Kynette hatte für seinen Chef auch sogleich eine Theorie parat, wer den Privatdetektiv in die Luft jagen wollte: „Der Mann hat einen Haufen Feinde in der Unterwelt. Der Täter kam möglicherweise aus Las Vegas.“

Unglücklicherweise deuteten die Beweise aber nicht in die Ferne, sondern ganz in die Nähe – zu seiner eigenen Einheit. Er und sechs weitere Männer hatten sich für 50 Dollar monatlich ein Haus direkt gegenüber von Raymond gemietet, um ihn zu beobachten, zu belauschen und schließlich mundtot zu machen. Als sie vor einer Grand Jury vorstellig werden mussten, die das Attentat untersuchte, beriefen sie sich auf ihr Recht, die Aussage zu verweigern. Nur Kynette konnte mit einem Alibi auftrumpfen, denn er befand sich zur Tatzeit zu Hause und kurierte eine Augenverletzung aus, während seine Frau und Verwandte unten Karten spielten. „Ich machte mir eine Kompresse aus verdünnter Borsäure und legte mich hin.“ Das Zündkabel für Sprengsätze, das man in seiner Garage fand, war dann allerdings schon schwieriger zu erklären. Letztendlich wurde Kynette des versuchten Mordes schuldig gesprochen und musste in San Quentin gesiebte Luft genießen.

„Es war ein lausiges, verkommenes Revier“, kommentierte das Max Solomon, der die dunklen Seiten L.A.s genau kannte, da er schon damals und auch noch Dekaden später als Verteidiger einigen der härtesten Burschen vor Gericht beistand. „Wissen Sie, in Chicago haben die Gangster die Cops bezahlt, aber den Job selbst gemacht. In Los Angeles hingegen waren die Cops Gangster.“

Zumindest hatte die Stadt nun den absoluten Tiefpunkt erreicht – dieser Tag musste einmal kommen –, und von nun an konnte es nur noch steil bergauf gehen: Captain Earle Kynette wütete: „Das ist ein Hohn auf die Gerechtigkeit“, doch er saß hinter Gittern. Man drängte Chief „Two Gun“ Davis zum Rücktritt, und sogar Bürgermeister Frank Shaw wurde abberufen, in einer amerikanischen Großstadt ein Novum bis zu diesem Zeitpunkt. Die Bürger L.A.s wählten an seiner Statt Richter Fletcher E. Bowron in das Amt, einen wesentlich überzeugender auftretenden Reformer. Bei ihm stand eine nüchterne Grundhaltung im Vordergrund, nicht ein Leben in Saus und Braus. Der Mann trug einen grauen Anzug, schwarze Schuhe und eine randlose Brille und hegte eine Nostalgie für das staubige Los Angeles seiner Kindheitstage, noch vor dem Automobilboom (er nannte die fahrbaren Untersätze „Tuckerkisten“) und dem ganzen Durcheinander. Das Schurkenpack durfte das Los Angeles seiner Erinnerung nicht ruinieren, und so ging es 200 Revierleitern und Polizeibeamten an den Kragen, darunter auch dem Chef der Red Squad, der ein weiteres dunkles Kapitel in der Geschichte der Cops zu verantworten hatte. Sie wurden gefeuert, degradiert, in Frührente geschickt oder versetzt. Man soll die Vergangenheit ruhen lassen, wie man so schön sagt, und auf die Zukunft hinarbeiten, die sich allerdings zuerst durch die Schatten des Zweiten Weltkriegs verdunkelte.

Zur Jahrhundertwende stand Los Angeles mit Blick auf die Größe der Stadt auf Platz 36 der USA, doch nachdem die feindseligen Auseinandersetzungen in Europa und dem Fernen Osten ausgebrochen waren, rückte sie auf Platz 5 vor. Innerhalb eines Radius von zehn Meilen um das Zentrum herum entstanden in Windeseile sechs Flugzeugfabriken. In den verschiedenen Häfen des Los Angeles County stampfte man riesige Werften aus dem Boden. Ein Großteil der männlichen Bevölkerung wurde zum Kriegsdienst eingezogen, darunter 983 Mitglieder der städtischen Polizei und der Feuerwehr, denn bereitwilliges Kanonenfutter war Mangelware. Eine Dekade, nachdem das LAPD an vorderster Front die „Pennerbarrikade“ gegen die zuströmenden Massen infolge der Großen Depression errichtet hatte, wurden nun alle in der Stadt Eintreffenden mit offenen Armen willkommen – na ja, halboffenen Armen.

Im Oktober 1943 zählte der Verwaltungsbezirk von L.A. 569.000 neue Mitbürger. Nur ein Jahr später benötigte allein die Flugzeugindustrie 230.000 Arbeiter, um die gigantischen Werkshallen wie Lockheed in Burbank und Douglas’ in Santa Monica zu betreiben, denn die Produktionszeit beschränkte sich nicht auf einen 8-Stunden-Tag. Frauen machten mehr als 40 Prozent der Arbeitskräfte aus, und ihre Kopftücher besaßen bald einen ähnlich ikonenhaften Status wie die Stahlhelme der GIs in fernen Ländern. Bei einem Mindestlohn von 60 Cents in der Stunde konnten es sich die Mütter an den Fließbändern leisten, ihre Kinder in einen der 244 Kindergärten oder in eine Kindertagesstätte zu bringen, die vom National Aircraft War Production Council errichten worden waren. Alleinstehende Frauen gingen oft nach der Schicht als „Nietenschläger“ zur nächsten Schicht als Tanzhostessen in eine der USO Hollywood Canteens, die Filmstars wie John Garfield und Bette Davis initiiert hatten, um die Moral der Soldaten kurz vor der Abreise zu heben. Die Schauspielertruppe hielt auch die Flagge hoch, indem verschiedene Darsteller Kriegsanleihen auf der Straße verkauften und somit das positive Bild untermauerten, das L.A. der Welt vermitteln wollte.

Der unvermeidbare Immobilienboom spiegelte den Grund-und-Boden-Wahnsinn der Zwanziger wider, als die Menschen aus dem Mittleren Westen in die Stadt kamen, und zeugte schon auf den ersten Blick vom enormen Bevölkerungszuwachs L.A.s. Zu Kriegsende mussten dann die verbleibenden Obstplantagen und Farmen in den Tälern um San Gabriel und San Fernando geopfert werden, um Platz für die Zwei- oder Dreizimmerhäuser zu schaffen, die Neuankömmlinge für nur 150 Dollar erwerben konnten.

Doch es gab einige negative Aspekte, denn Los Angeles platzte aus allen Nähten. Die eine Million neuen Bürger hatten keine Ahnung von der schmutzigen Vergangenheit der Stadt. Heimkehrende Kriegsveteranen und ihre Frauen wollten so schnell wie möglich eine Familie gründen und dem amerikanischen Traum in einer Stadt nachjagen, die ihn zu versprechen schien.

Natürlich blieben darob Spannungen nicht aus, wie die Zoot Suit Riots bewiesen [blutige Auseinandersetzungen zwischen Soldaten und Jugendlichen mit mexikanischem Hintergrund, A.T]. Die Neuankömmlinge der letzten Migrationswelle waren nicht nur bleichgesichtige Farmer (oder Billardspieler) aus Illinois oder Missouri. Auch Zehntausende Schwarze aus Alabama und Georgia gelangten in die Stadt und konnten sich – ebenso wie Mexikaner und andere Latinos, von denen es einige vorzogen, offen zu ihren Wurzeln zu stehen – nicht so unauffällig in den städtischen Alltag integrieren wie Weiße. Männliche Teenager mit mexikanischem Migrationshintergrund begannen bald schon auffällige kurze Jacken mit ausgepolsterten Schultern und Faltenhosen zu tragen, die weit über der Gürtellinie endeten. Der aufsehenerregende Stil wurde durch das Spiel mit Schlüsselanhängern, Hüte mit einer breiten Krempe und durch gegelte Entenschwanzfrisuren abgerundet. Es ist nicht belegt, wann die Schlägereien mit jungen Seeleuten auf Landgang begannen oder wer wen verprügelte, doch die Situation geriet an dem Tag außer Kontrolle, als sich eine wahre Armada von Matrosen in 29 Taxis quetschte, um die Zoot Suiters grün und blau zu schlagen. Als die Polizei mitten im Kampfgetümmel auftauchte, schlug sie sich natürlich auf die Seite der Uniformierten und schützte nicht die Jungs von der Straße.

Bürgermeister Bowron richtete sich über das Radio an die Bürger und meinte, ihm sei nur ein einziger Kritikpunkt aufgestoßen, nämlich der, dass die Polizei nicht hart genug vorgegangen wäre. Angeblich hätte sie die Zoot Suiters „ausrasten und die Marine-Angehörigen schonungslos angreifen lassen“. Egal, was er unternahm – die Stadt stand im Rampenlicht der landesweiten Aufmerksamkeit. „Ich kann nicht vorhersagen, was in der nächsten Woche oder im nächsten Monat passieren wird, doch im Hollywood-Bezirk von Los Angeles kommt es ständig zu pikanten Skandalen oder Scheidungen von Filmstars, die es in die Schlagzeilen jeder Zeitung von Maine bis Florida schaffen.“ Wie jeder andere Politiker bettelte er förmlich um positive Nachrichten und wies unter anderem darauf hin, dass ein Zehntel der amerikanischen Kriegsmaschinerie allein aus L.A. stamme. Doch das wohl eigentümlichste Statement folgte noch: Die Stadt hatte angeblich den Polizeiapparat in den Kriegsjahren transformiert und optimiert.

„Es wird höchste Zeit, dass Los Angeles der Ruf zukommt, der unserer Stadt gebührt, nämlich den einer modernen, fortschrittlichen Metropole“, erklärte Bowron gegenüber dem Radiopublikum. „Die ganze Nation sollte Folgendes über unsere Polizeibehörde wissen: Sie hat das Gesetz gewahrt und vertreten. Es gibt hier kein weitverbreitetes Glücksspiel und keine Bestechung. Los Angeles ist die sauberste Stadt der ganzen Welt.“

Doch schon bald musste die sauberste Stadt der Welt die von Kugeln durchsiebten Körper von Maxie, Paulie, Georgie und The Meatball erklären.

Im „Farbengeschäft“ am 8109 Beverly Boulevard konnte man keine Farben kaufen. Auch war der über 110 kg schwere Maxie Shaman kein „Lebensmittel-Broker“, wie er behauptete oder seine Familie ihn nach dem schicksalsträchtigen 15. Mai 1945 beschrieb. An diesem Tag war er in besagtes Etablissement gestürmt und von dessen Inhaber Mickey Cohen erschossen worden. Shaman und seine beiden Brüder waren bekannte Buchmacher. Natürlich nahm man auch bei Mickey Pferdewetten an, egal, was auf dem Geschäftsschild stand. Der Laden war in einem erbärmlich wirkenden Gebäude untergebracht und nur über einen schlammigen, mit Unkraut überwachsenen Weg zu erreichen – sicherlich nicht die beste Werbung für Produkte zur Verschönerung von Hausfassaden. Kon-Kre-Kota, „die Wunderfarbe“, pries die Beschriftung eine bestimmte Marke auf der Werbetafel an. An den Seiten des Gebäudes wurde damit geworben, dass man sie insbesondere für verputzte Flächen einsetzte, da das Zeug weder abblättern, abplatzen, undicht werden oder brennen konnte. „Hält jahrelang“, versprach ein Slogan für Kon-Kre-Kota, das angeblich „nagetiersicher“ sein und somit selbst Ratten abhalten sollte. Im Vorzimmer, in das man durch einen engen, abgeschirmten Eingang kam, standen sogar einige Farbproben – oder was auch immer das war – auf Staffellagen. Doch dahinter lag ein Büro mit drei Telefonen und einem Schalter, durch den man die Zahlungen abwickelte. Auf Notizzetteln waren die Namen von Pferden vermerkt, die auf verschiedenen Rennbahnen zurückgezogen worden waren, und sodann die Chancen für die noch teilnehmenden Gäule. In einer Tischschublade lag ein 38er. An jenem Nachmittag saß Mickey genau dort, sich durchaus bewusst, wer ihm einen Besuch abstatten würde.

Der ganze Ärger begann jedoch in einem anderen Laden von Mickey, einem Café an der North La Brea. Auch hier gab es zwei Bereiche. Unten wurde Essen gereicht, wie in jedem normalen Restaurant, und oben konnten sich die Glücksritter an Würfelspielen mit hohem Einsätzen erfreuen und Wetten auf Sportveranstaltungen abgeben. Oft ließen sich dort verschiedene Buchmacher blicken, um Zahlungen zu begleichen oder anzunehmen und mit ihren Kumpeln heiße Informationen durchzugehen. Einmal bestellte Mickey sogar 5.000 Chips für eine Marathon-Pokerrunde! An diesen Abenden lernten die Neulinge, was passieren kann, wenn man leicht angeheitert mit einem mickrigen Blatt spielt. Alte Kunden wurden am Telefon überschwänglich begrüßt: „Bei uns kannst du würfeln, Roulette spielen – einfach alles.“

Der Glücksspielbereich war mit Fotos von Mickeys Boxidolen geschmückt worden – den kleinen, harten Typen, die Großes im Ring vollbrachten. Dort hingen Boxer wie Bud Taylor, ein als „Terror of Terre Haute“ bekannter Champion im Bantamgewicht, der zwei Männer mit seinen Fäusten umgebracht hatte, und Jackie Fields, ein Jude aus Chicago, geboren unter dem Namen Jacob Finkelstein, der zweimal die Weltergewicht-Krone an sich riss. Mickey war stolz darauf, als 1,65 Meter großes Fliegengewicht einen Titel ergattert zu haben, als er noch im russischen Viertel von Boyle Heights gelebt hatte und bei Veranstaltungen für Zeitungsjungen der American Legion kämpfte. Das war nur wenige Jahre, nachdem er in Art Weiners Billardhalle die Kugeln auf den Tischen platziert hatte. Schon bald zog es ihn dann aber nach Osten, um selbst eine Profilaufbahn einzuschlagen. Zuerst machte er Station in Cleveland, wo ein Bruder von ihm wohnte, und danach lebte er einige Zeit in New York und Chicago, begann sich aber dort mit anderen „Unternehmungen“ zu beschäftigen. In seiner Phase als ungestümer junger Boxer betratet er den Ring wie ein Gladiator, trug kein Trikot, sondern hatte ein Handtuch lässig über die Schultern geworfen. Auf den Shorts erkannte man den Davidstern. Obwohl er eine gute Show bot, die einem zukünftigen Champion zur Ehre gereichte, gab es für ihn keine Perspektive im Ring. Laut offiziellen Ergebnissen verlor er neun der zehn letzten Kämpfe. Sei’s drum. Nun stolzierte er durch die angesagten Nachtclubs der Stadt, als hätte er damals die Weltmeisterschaft gewonnen.

An der Auseinandersetzung am vorhergehenden Abend im La Brea Social Club war Max Shamans Bruder Joe beteiligt, der sich in ungehöriger Weise über die Boxer auf den Bildern an den Wänden geäußert hatte. Laut eigener Aussage verließ er dann freiwillig den Ort des Geschehens, aber Mickey und einige andere erwarteten ihn schon in einem Wagen und wollten ihn damit plattmachen. „Die haben mir auf dem Parkplatz aufgelauert und ’ne harte Abreibung verpasst.“ Doch Berichte über die Geschehnisse, die letztlich zu der Schießerei führten, sind wie Familiensagen, denn die Details verändern sich bei jeder weiteren Erzählung. Mickey sagte zuerst aus, dass Joe die anderen Gäste belästigt habe und rumpöbelte, bis „er mir einen Stuhl über den Kopf zog“, ohne daran zu denken, dass er als Top-Boxer niemals so einen Schlag abbekommen hätte – er hätte sich instinktiv geschützt! Bei Mickeys zweiter Version verwies seine rechte Hand Hooky Rothman Joe freundlich in die Schranken: „Pass mal auf, entweder benimmst du dich hier anständig oder du verschwindest, zum Teufel noch mal.“ Doch Joe ließ das angeblich kalt. „Und so zerschmetterte Hooky einen Stuhl auf seinem Kopf, warf ihn unter vollem Körpereinsatz aus dem Laden und verpasste ihm dabei einige gehörige Ohrfeigen. Ja, er zeigte es ihm, er verpasste ihm eine gehörige Abreibung.“ Die letzte Fassung klang plausibler, denn es war Joe, dem man die Kopfhaut mit sechs Stichen nähen musste.

Am nächsten Morgen machten sich die beiden Shaman-Brüder, Izzy und der dicke Maxie, auf, um sich zu rächen. Sie hielten zweimal beim La Brea an und fuhren daraufhin zur Rennbahn in Santa Anita, um sich nach Mickey zu erkundigen. Mittlerweile wusste jeder, dass und warum sich die beiden auf dem Kriegspfad befanden.

Schließlich erreichten sie das Farbengeschäft an der Beverly, wo Izzy im laufenden Auto wartete, während der 28-jährige Maxie in den Laden stürmte. Izzy hörte den ersten Schuss, eilte zur Tür und wurde gewarnt, nicht reinzukommen. „Dann hörte ich zwei, drei oder vier weitere Schüsse. Ich rannte zum Wagen, schnappte die Knarre und rannte zum Büro, wo ich nur noch die Leiche meines Bruders fand.“

Mickey blieb unerschütterlich bei der Aussage, dass Maxie zuerst die Pistole gezogen habe. „Ich musste ihn mit meinem Ding umpusten, das in der Schublade lag.“ Mickey hielt es nicht für nötig zu bleiben, um sich zu vergewissern, ob der auf dem Boden liegende Maxie noch atmete. „Nachdem ich ihn ausgeknipst hatte, bin ich da nicht hingegangen und hab ihn gefragt, ob er tot sei.“

Damals war Mickey 31 und schon lange kein Fliegengewicht mehr. Seit den Tagen als Zeitungsjunge hatte er laut Ausweis einige Zentimeter zugelegt, doch das lag wohl eher an den Schuhen mit Absatz. Er wurde allgemein als pummelig beschrieben, und sein Gesicht wirkte aufgedunsen, akzentuiert nur durch die platte Nase aus seiner Zeit als Boxer und den unnatürlich kleinen, runden Mund. Seine Lippen waren ständig gespitzt und erinnerten an den klassischen „Ich habe gerade in eine Zitrone gebissen“-Look, was ihm einen mürrischen und schlechtgelaunten Ausdruck verlieh. Die Leute schimpften Mickey einen „Dunkelhäutigen“, wogegen er nichts machen konnte. Die dunklen, buschigen Augenbrauen wucherten wie Unkraut. Wenn er sich morgens rasiert hatte, verdunkelten die ersten Stoppeln das Gesicht bereits wieder, wenn er angezogen war und zur Tür hinausging. Natürlich brauchte er für die Morgentoilette nicht viel länger als andere auch. Doch es gab einen Unterschied! Mickey stand mindestens eine Stunde unter der brühend heißen Dusche und puderte sich danach. Jeden Tag wusch er seine Hände Dutzende Male. Er lachte über die Bemerkung, dass seine Obsession der einer Lady aus einem Shakespeare-Drama gleiche, die ständig etwas auf ihrer Haut krabbeln sehe und flehe: „Weg, verfluchtes Ding! Weg, sage ich dir!“ Angeblich sollte die Halluzination durch die Verdrängung der Schuldgefühle anlässlich eines Meuchelmordes entstanden sein. Scheißdreck. Mickey litt lediglich unter einem dieser weitverbreiteten Ticks und fürchtete, dass ihn Bakterien unter die Erde brächten und nicht eine Kugel …

Nach der Schießerei tauchte er schließlich mit seinem Anwalt auf der Hauptwache der Polizei auf und gab zu Protokoll, wie ihn der fette Buchhalter mit einer 45er angegriffen habe – genau die Waffe, die neben dem Toten gefunden wurde. Die Detectives vermuteten, dass die Knarre dort platziert worden war, doch es gab keine Zeugen, die Mickeys Version von Notwehr widersprachen.

„Entweder er oder ich“, verteidigte sich Mickey. „Da hab ich’s ihm gegeben.“

Thad Brown, der Captain der Mordkommission, versuchte die Öffentlichkeit zu beruhigen und versicherte, dass die Schießerei im Farbengeschäft nicht im Zusammenhang mit der Buchmacherei stand. Es sei nur ein persönlicher Streit zwischen Dreckspack gewesen, den man besser schnell vergesse.

Zumindest wurde Maxie Shaman hinter verschlossenen Türen erschossen. Paulie Gibbons erwischte es indes am 2. Mai 1946 auf einer belebten Straße. Er kehrte um 2.40 Uhr vom Kartenspiel nach Hause zurück und führte nur 1,92 Dollar bei sich. Es war kein guter Abend gewesen. Bei seiner Leiche fand man die Golduhr und seinen goldenen Ring mit Diamanten und Saphiren, was darauf hinwies, dass es sich nicht um einen Raubüberfall handelte. Der Killer hatte in einem Oldsmobile in einer Gasse auf Paulies Rückkehr in sein Apartment ganz in der Nähe des Wilshire Boulevard in Beverly Hills gewartet. Die Nachbarn hörten die panischen Schreie: „Nicht! Nicht!“, gefolgt von Schüssen, und starrten aus dem Fenster. Paulie schrie: „Bitte, töte mich nicht!“, und dann trafen ihn zwei Kugeln in den Kopf. Der Mörder sprang in seinen Olds und raste weg.

Der 45-jährige Gibbons hatte ein Strafregister, das bis ins Jahr 1919 zurückreichte und 30 Verhaftungen aufwies. Er war dafür bekannt, seine Schulden nur zögerlich zu begleichen und trieb sich in Spielhallen herum, während er darauf wartete, die glücklichen Gewinner auszurauben. Im Jargon der Zunft beschrieb man ihn als „Schwätzer, der einen auf dicke Backe machte, aber schnell den Schwanz einzog“. Ein Polizeibericht stellte ihn nüchterner dar: „Ein bekannter Spieler, Buchmacher, Zuhälter, und ein Muskelpaket.“ Man spekulierte, dass er wegen „Spielschulden oder riskanten Geschäften mit der Unterwelt“ getötet worden war. Mit anderen Worten – die Cops hatten nicht den blassesten Schimmer, und so machten sie sich zu Vernehmungen verschiedener Personen auf: einem Spirituosenhändler, bei dem Gibbons in der Kreide stand, einem Veranstalter von Hunderennen, dem Besitzer eines Cafés auf der Central Avenue, einem Wrestling-Veranstalter aus Long Beach, einem Garderoben-Konzessionär für Nachtclubs und zu Mickey Cohen, Geschäftsführer des La Brea Social Club. Mickey sagte, er habe noch nie etwas von dem Mann gehört, was reichlich merkwürdig anmutete, denn Paulie war während einer Razzia im La Brea aufgegriffen worden und trug zum Todeszeitpunkt einen Mitgliedsausweis bei sich. Zuletzt verhörte man zwei Spieler-Typen aus Chicago – Georgie Levinson und Benny „The Meatball“ Gamson, die mit Paulie angeblich einen Schwarzmarktdeal in Sachen Nylons eingefädelt hatten. Doch es sollte nicht lange dauern, bis sich auch diese beiden schrägen Vögel die Radieschen von unter ansehen konnten.

Der rundgesichtige Meatball, Buchhalter und Kartenbetrüger, war schon einige Wochen vor dem Mord an Paulie angeschossen worden. Sein Wagen wurde fünfmal getroffen, obwohl er verneinte, dass die Löcher in der hinteren Scheibe von Kugeln herrührten. Er lehnte gleichzeitig Polizeischutz ab – wahrscheinlich hätten ihm doch nur Vandalen die Löcher da reingebohrt! Aber Gamson mag geahnt haben, dass man ihn als Ziel auserkoren hatte, denn er lebte nicht bei seiner Familie, sondern in einem Apartment, zusammen mit Levinson, der erst kürzlich in der Stadt aufgeschlagen war und in den Polizeikladden als „Pistolero für das organisierte Verbrechen“ geführt wurde. Die Behörden vermuteten, dass sich die beiden einige Feinde gemacht hatten, als sie freie Buchmacher in L.A. dazu drängten, nur mit ihnen zu arbeiten. Meatballs Frau und die dreijährige Tochter hielten sich am anderen Ende der Stadt auf. Levinson brachte seine Frau und die beiden Kinder im selben Gebäude unter, in dem Paulie Gibbons gewohnt hatte. Die beiden Ganoven verkrochen sich in einem Apartment-Block am Beverly Boulevard, der von einer Polizeieinheit überwacht wurde, deren Mitglieder in einem Laden auf der gegenüberliegenden Straßenseite, als Telefonisten getarnt, Stellung bezogen hatten. Neben einem Funkgerät gehörten eine Flasche Whiskey und hohe Gläser zu ihrer Ausrüstung. Diesmal hörten die Nachbarn weder Schreie noch ein Handgemenge, was darauf hinwies, dass Meatball und Georgie um 1.30 Uhr am 3. Oktober die Tür einem Bekannten bereitwillig öffneten. Der Killer muss hereingestürmt sein, denn Georgie war auf der Stelle tot, getroffen von drei Kugeln in Schulter, Rücken und Kopf. Er hatte keine Zeit mehr gehabt, die Mauser-Automatik unter den Laken des Ausziehbetts zu greifen, den 38er Colt unter dem Kissen oder die beiden abgesägten Schrotpusten im braunen Koffer. Meatball wurde fünfmal in den Bauch getroffen, doch er konnte noch wegstolpern. Im Flur verpasste der Schütze ihm zwei weitere Kugeln. Mit auf den Magen gepressten Händen gelang es ihm, die Vordertür zu erreichen und sich eine grasbewachsene Böschung hinunter zu quälen. Genau in dem Moment fuhr eine Polizeistreife mit einem Volltrunkenen vorbei, den sie auf der Wache abladen wollten. Die Patrouille eilte ihm zur Hilfe, doch Meatball verstarb noch vor Ort.

Erst einige Jahre später hatten die Behörden genügend Informationen gesammelt, um Licht in das Dunkel zu bringen. Ein Kriminalbericht des Staates Kalifornien zeigte den roten Faden bei der Mordserie an Paulie, Georgie und Meatball auf: „Durch die Morde verschwanden drei potenzielle Hindernisse auf Cohens Weg zu einem Glücksspielimperium.“ Doch zum Tatzeitpunkt konnten die Cops keine Anhaltspunkte dafür erkennen. Lediglich die Zeitungen fantasierten: „Ausbruch eines Kriegs in der Unterwelt“, „Die Unterwelt wird gegrillt“ und: „Gangster im Glücksspielkrieg“.

Bürgermeister Bowron kommentierte: „Wir müssen uns selbst der Gangster entledigen!“

Zuerst dachte der Bürgermeister daran, Cops aus New York zu verpflichten, die mit solchen Straftaten bereits Erfahrungen gesammelt hatten. Jemand machte den Vorschlag, wieder den alten „Lefty“ James ins Spiel zu bringen und die Vergangenheit auf sich beruhen zu lassen. Der Polizeichef brachte einen anderen Vorschlag auf den Tisch. Clemence B. Horrall war eine Ausnahme unter den Polizeikräften. Er verfügte über einen College-Abschluss und gleichzeitig den Ruf eines Draufgängers aus dem Wilden Westen. Nachdem er Viehhaltung und Viehzucht an der Washington State University studiert hatte, zog er nach Montana, um im offiziellen Auftrag die dortige Rinderzucht zu kontrollieren. Er durchritt die Prärie, um zu prüfen, ob die Rancher die exakte Anzahl verendeter Tieren gemeldet oder geschummelt hatten, um sich Zuschüsse vom Staat zu sichern. Die rauen Gesellen zu überwachen, kam fast einem Polizeijob gleich, und so beschrieb C.B. Horrall denn auch später seine Tätigkeit auf dem Land, nachdem ihn die Folgen eines Frostbrands an den Zehen ins warme Los Angeles verschlagen hatten, wo er 1923 zum LAPD stieß. Doch auch als Stadt-Cop blieb er seinen Wurzeln treu und kaufte sich zwei Hektar Land im Valley, um Schweine, Hühner, Pferde und Kühe zu halten, die seine Frau allmorgendlich melkte. Horrall wurde 1941 zum Polizeichef befördert, nur kurz vor dem Angriff auf Pearl Harbor. Im Büro stellte er ein Feldbett auf, damit er im Angriffsfall immer vor Ort sein konnte. Die Befürchtung einer Attacke war gar nicht so weit hergeholt, denn einem japanischen U-Boot gelang es, sich in den Santa Barbara Channel zu schleichen und von dort aus mehrere Geschosse in Richtung Land zu feuern. Doch Horrall hatte schon einige Jahre auf dem Buckel und war nicht so schnell einzuschüchtern. Im Ersten Weltkrieg bereits hatte er sich als Lieutenant seine Sporen verdient, und in den letzten Jahren musste er sich mit hartnäckigen Herzproblemen abplagen. Angeblich soll er auf dem Feldbett seine Nickerchen gehalten haben, bewacht von einem vertrauenswürdigen Sergeant im Vorzimmer, der ihn rechtzeitig weckte, wenn eine wichtige Person im Anmarsch war. Horrall spielte sogar mit dem Gedanken, seinen „Melder an vorderster Front“ zum Leiter der neuen Sondereinsatztruppe zu ernennen, doch Chief Deputy Joe Reed redete ihm diesen Unsinn aus. Sie brauchten keinen Bürohengst, sondern einen Cop von der Straße, einen wie den kleinen harten Sergeant von der 77th Street Station, einen Mann namens Willie Burns.

Burns gehörte zu den vielen Heimatsuchenden der großen Migrationswelle aus dem Mittleren Westen und stammte aus Minnesota, wo er als Teenager einst Baumwipfel beschnitt. Er realisierte schnell, dass andere Berufe weitaus sicherer waren. So zog er nach Westen, trat den Dienst bei der Polizei an und wurde angeschossen … von üblen Burschen, die gerade erst in die Stadt gekommen waren! Die Starr-Brüder aus Detroit hatten im ersten Monat in L.A. ein Dutzend Lebensmittelgeschäfte und Tankstellen ausgeraubt und trafen außerhalb der Western States Grocery an der San Pedro Street just auf Burns, dem sie in die Schulter schossen. Vier Jahre später gehörte Burns zu den LAPD-Beamten, die abgestellt wurden, um die Staatsgrenze gegen den Einfall von „Okies“, den Flüchtlingen infolge der großen Weltwirtschaftskrise, zu sichern. Letztere hatten sich in der Hoffnung nach Kalifornien aufgemacht, als Obstpflücker zu arbeiten, was meist nicht klappte. Der Polizeichef nannten die verzweifelt nach Arbeit Suchenden und Umherwandernden „Diebe und Rowyds“. Die „Vagabunden“ kommentierten das mit einem Song:

I’d rather drink muddy water

Sleep out in a hollow log

Then be in California

Treated like a dirty dog.

Burns befürwortete die „Pennerbarrikade“ nicht wirklich. Er zählte aber zu diesen „guten Soldaten“, die, ohne viel zu fragen, einfach ihren Job erledigten. Und er war in der Tat ein guter Soldat mit vielen Fähigkeiten, die man einem Mann seiner Statur und mit einer Größe von 1,75 Meter nicht zugetraut hätte. Bei den Marines hatte er als Geschützoffizier gedient – und darum kannte er sich auch mit Maschinengewehren aus, er war an einer Browning Automatik ausgebildet worden. Darüber hinaus hatte er noch den Titel im Weltergewicht bei einer Box-Meisterschaft der Pazifikflotte gewonnen. In einer Abteilung, verrufen wegen ihrer Schläger, verdiente er sich schnell den Ruf eines besonnenen Beamten. Er war ein guter Läufer und wusste, wie man die Fäuste akkurat platzierte. Das demonstrierte er gekonnt bei einer Nachtschicht, als zwei Kollegen einen sich heftig wehrenden Verdächtigten anschleppten. Ohne ein Wort zu verlieren, verpasste er dem Kerl einen gezielten Kinnhaken, der ihn auf dem gewachsten Holzparkett durch den ganzen Raum schleuderte – bis ans Ende des Wachraums. Erst dann fragte er: „Okay, was hat das Arschloch angestellt?“ So arbeitete ein Willie Burns. Er lebte in einem bescheidenen Haus, nur 80 Quadratmeter groß, in Nähe des Polizeireviers, wo er und seine Frau sich liebe- und aufopferungsvoll um ihre durch Kinderlähmung behinderte Tochter kümmerten. Er stand kurz vor der Beförderung zum Sergeant, als Chief Horrall und Joe Reed ihn zu sich riefen und ihn baten, eine neue Spezialeinheit zusammenzustellen und zu leiten.

Zu dieser Zeit war in Los Angeles auch ein anderes Team ins Leben gerufen worden – die Los Angeles Rams. Sie waren Burns Vorbild. Die Klasse eines guten Football-Teams lässt sich gleich an der ersten Reihe ablesen, welche die hünenhaften Kämpfer aufweist. Und so stand an erster Stelle der Liste von Cops, die Burns zu dem konspirativen Treffen am Abend eingeladen hatte, James Douglas „Jumbo“ Kennard, der aus Grand View, Texas, stammte. Jumbo brachte es auf eine Größe von über 1,90 und wog über 110 kg. Er war der Sohn eines Kleinstadt-Sheriffs, der in seinem Revier für Ruhe sorgte und tatsächlich noch in voller Wild-West-Montur auftrat – mit einem Stern. Jumbo verließ Texas im Alter von 16 Jahren, um sich seinen Lebensunterhalt als Malocher auf den Ölfeldern zu verdienen. Irgendjemand schoss damals ein Bild in Arbeitskleidung von ihm – durch seine Größe wirkte er so beeindruckend wie die riesigen Förderanlagen! Die Schufterei in der Ölindustrie brachte ihn halbwegs sicher durch die Große Depression, wonach es ihn in Richtung Los Angeles zog, wo er seine Zeit kurz als Hilfsarbeiter in einer Autofabrik verschwendete und den Mechanikern Vergaser und Batterien reichte. Doch dann entdeckte er das LAPD für sich. Seine Finger waren so lang und kräftig, dass er damit den Kopf eines widerwilligen Verdächtigen umfassen und ihn aus dem Stuhl hochheben konnte. Jumbo trug einen einschüchternden 6-inch-Revolver, denn jede kleinere Wumme hätte wie Spielzeug in seinen Händen gewirkt. Ein Lächeln spielte um Willie Burns’ Lippen, als der Riese den Raum nach der Bedenkzeit betrat und sagte: „Bin dabei.“

Natürlich wollte auch Benny Williams mitmischen. Geboren zu Beginn des Jahrhunderts, sah man schon die Krähenfüße um seine Augen. Er war durch ein leicht verkrüppeltes Bein gehandicapt. Doch er hätte die Karriere eines Football-Spielers anstreben können, denn der Sport warf in der Ära der Lederhelme noch ordentlich Kohle ab, und Williams gehörte zu den Assen. Nachdem er seine Kindheit in Indiana verbracht hatte, wurde Benny Mitglied in einem der schon früh herumreisenden Teams, bei denen man ständig andere Positionen besetzen musste. Mal spielte man im Angriff, dann wieder in der Verteidigung, und die Spieler mühten sich für einige schlappe Dollars ab. Als besonders talentiert erwies sich Benny als Dropkicker, woraufhin er 1921 einen Brief von George Halas erhielt, der ihn für sein Team, die Chicago Bears, gewinnen wollte, um die Mannschaft in der nächsten Saison in der gerade erst gegründeten National Football League zu unterstützen. Doch Benny war schon vom kalifornischen Fieber gepackt, nachdem ihn die Army während des Ersten Weltkriegs in den Süden des Bundesstaates versetzt hatte, um ihn in der Bergung von Heißluftballons auszubilden. So wurde er schließlich ein Cop und ließ die Profikarriere sausen. Seine Chefs steckten in während der Prohibition in eine Einheit zur Alkoholbekämpfung. Und natürlich fing er sich dann wie Burns auch gleich eine Kugel ein. In jenen Tagen ereilte Cops dieses Schicksal häufig. Benny und sein Partner kämpften gerade mit einem Zuhälter, der sich die Knarre seines Kollegen schnappte, als es passierte. Williams wurde lediglich am Knie verwundet, sein Partner Vern Brindley jedoch getötet. Das einzige Mal, dass Bennys Frau ihn weinen sah, war im Hospital, als er die schlimme Nachricht bekam. „Er hat zwei Typen wie uns fertiggemacht.“ Und als wäre er nicht schon stark genug, trainierte er von nun an auf dem Bau. Er gehörte zu den Polizeibeamten, die sich freiwillig meldeten, um in ihrer Freizeit den Los Angeles Police Revolver and Athletic Club aus dem Boden zu stampfen, besser bekannt als Police Academy. Im Handgemenge mit Verdächtigen hatte er einen guten Trick drauf. Er trat ihnen mit solcher Wucht in den Hintern, dass sie förmlich durch die Gegend flogen. Einmal ein Dropkicker – immer ein Dropkicker.

Die Spezialität von Archie Case wiederum war ein gezielter Genickschlag. Archie brachte bei einer Größe von 1,80 über 110 kg auf die Waage und erwarb sich seinen guten Ruf in dem Schwarzenviertel, das einst Mud Town hieß und nun Watts und 1926 in Los Angeles eingemeindet wurde: Für einen Streifenpolizisten stellte die Ablieferung eines Verdächtigen auf dem Revier damals ein Problem dar – um einen Streifenwagen anzurufen, musste man erst an einer Straßenecke eine sogenannte Gamewell-Telefon-Box benutzen, eine Blechkiste in der Größe eines Feuermelders, die mit einem Spezialschlüssel geöffnet wurde. Von dort aus gab es eine Direktleitung zum Revier. Einmal befand sich Archie gerade auf dem Weg zu einer solchen Box. Er spürte, dass der Typ, den er sich am Schlafittchen gepackt hatte, übermäßig nervös agierte und bereit war, jede Sekunde zu fliehen. Archie warnte ihn: „Wenn du stiften gehst, werde ich dir in den Arsch schießen.“ Natürlich flüchtete der Kerl doch, und Archie schoss ihm in den Allerwertesten. Zurück am Gamewell-Telefon meinte er in aller Seelenruhe zum Chef der Wache: „Vergiss das mit dem Pickup – schick einen Krankenwagen.“ Von diesem geschichtsträchtigen Tag an nannte man Archie den „Bürgermeister von Watts“.

Auch Jerry Thomas und Con Keeler waren wahrlich groß genug für Burns’ Sondereinheit, beide knapp über 1,80 Meter, doch sicherlich keine Typen, die man ins Gefecht schicken konnte. Wegen seines phänomenalen Gedächtnisses nannten die anderen Thomas den „Professor“ – er trieb sich stundenlang in einer Bar herum, kam dann heraus und war in der Lage, jeden Namen, der im Raum gefallen war, und jede Adresse, die genannt worden war, fehlerfrei zu nennen – bis auf den Buchstaben genau. Keeler hingegen war ein Rotschopf aus einer Farmerfamilie in Iowa, der mit einer eisernen Schiene am Bein aus dem Krieg zurückkehrte, wodurch er für die reguläre Polizeiarbeit nicht mehr zu gebrauchen war – außer, wenn man gerade einen Könner im Schlösser-Knacken brauchte oder einen Experten, um Wanzen anzubringen.

Doch all die Muskelmänner und Spezialisten waren ohne einen harten, smarten Quarterback wertlos, und Burns stellte den idealen Mann für den Job dar. Jack O’Mara wiederum, der Cop mit dem kantigen Kinn, der sonntags die Kollekte einsammelte und jedem einen gezielten Haken unters Kinn donnerte, der ihn beschiss, gab einen perfekten Stellvertreter ab. Als Bedingung für seinen Einstieg bestand Jack darauf, auch seinen Freund Dick Hedrick von der 77th Street einzuladen.

Damit hatten sich die Mitglieder der Gangster Squad zusammengefunden – die ersten acht. Im Laufe der Zeit stießen neue Männer dazu, darunter der rüpelhafte Sgt. Jerry Wooters, aber diese acht waren die Pioniere.

Die erste Herausforderung bestand darin, aus den „Tatmenschen“ und den „Gehirnen“ eine funktionstüchtige Truppe zusammenzuschweißen. Und genau hier kamen die Taschendiebe ins Spiel, die in den Kinos und Kneipen ihr Unwesen trieben.

Chief C.B. Horrall vertrat die Auffassung, dass es ein gutes Training wäre, den jungen Dieben, die Schiff für Schiff die aus dem Krieg zurückkehrenden Militärangehörigen ins Visier nahmen, mal kräftig auf den Zahn zu fühlen. Das Kapitel der Raubzüge war trotz der ganzen Nachkriegsfeierlichkeiten in L.A. noch nicht abgeschlossen, und diese empörten Militär und Zivilisten gleichermaßen. Die ausgemergelten Veteranen verbrachten nur eine einzige Nacht in der Stadt, bevor sie die Züge in die Heimatstädte bestiegen. Oft besuchten die Soldaten die billigen Kinos im Stadtzentrum, die seit Kriegsausbruch 24 Stunden am Tag geöffnet waren, um allen Arbeitern in den Rüstungsfabriken Unterhaltung zu bieten, denn diese konnten sich direkt nach Schichtende einen Film ansehen. Nun durften die heimkehrenden Helden der USA die gleiche Zerstreuung genießen. Die pompösen Kinopaläste am Broadway zeigten die aktuellsten Filme, doch die kleineren Lichtspielhäuser an der Main Street, die an einen Distrikt angrenzte, in dem auch Tattoo-Studios und Varietees zu finden waren, zeigten ältere Streifen. Eigentlich kümmerte es niemanden, wenn cineastische Langweiler liefen, denn die Soldaten wollten oft nur ein Nickerchen machen. Da sie es gewohnt waren, auf Trucks oder Booten hin und her geschaukelt zu werden, schliefen sie augenblicklich ein, was den Taschendieben ihren Job erleichterte. Ohne mit der Wimper zu zucken, klauten sie Geldbörsen, ganze Seesäcke und erbeuteten oft den Entlassungssold, sogar aus den 13-knöpfigen Hosen der Seeleute zogen sie deren Schätze. Ein Taschendieb setzte sich zu einem alleinsitzenden Veteranen und gab ihm einen leichten Stups, um zu sehen, ob er auch tief genug schlief. Dann zog er ihm vorsichtig die Geldbörse oder ein Bündel Dollarnoten aus der Tasche oder schlitzte diese – wenn nötig – mit einem scharfen Messer auf. Meist arbeiteten die Diebe nicht allein. Zur allgemeinen Vorgehensweise gehörte ein Partner, der durch die Sitzreihen schlich und dem schnell die Beute zugesteckt wurde. Somit war das verräterische Beweismaterial schnell außer Reichweite der eigentlichen Besitzer.

Der Plan für die neugegründete Sondereinheit sah nun folgende Herangehensweise vor: Keeler und Thomas oder O’Mara und Hedrick hockten mit Ferngläsern im Projektorraum und warteten auf verdächtige Zivilisten, die sich an einen Veteranen heranschlichen. Falls sie einen Verdächtigten bemerkten, gaben sie dem großen Archie oder Benny, die an den Hauptausgängen warteten, ein Signal mit der Hand. Kein einziger Gauner konnte sich an den beiden vorbeischleichen und entwischen. Doch sie zu packen, war noch der einfachere Teil der Operation. Denn keiner der erschöpften Soldaten wollte lange genug in der Stadt verweilen, um bei Gericht seine Aussage zu machen – keiner. Eine Anhörung konnte frühestens zwei oder drei Tage später angesetzt werden, doch die Armeeangehörigen hatten meist Monate, manchmal sogar Jahre im Krieg verbracht und wollten auf dem schnellsten Weg ihre Lieben wiedertreffen. Dann ließ sich die Squad eine Finte einfallen – die Devise lautete Panik verbreiten –, und so wurde James Douglas „Jumbo“ Kennard in der Winston Alley eingesetzt. In seiner Freizeit war Jumbo ein ruhiger, ganz normaler Mann. Zu Hause wollte er es sich meist nur im Sessel gemütlich machen und ein Schälchen seines geliebten Schokoladeneises genießen. Nach dem Tod seines Vaters nahmen Jumbo und seine Frau seine pubertierende Schwester Betty zu sich und kontrollierten sie auf Schritt und Tritt. Wenn sie das Haus verließ, wurden sogar ihre Ohren auf deren Sauberkeit hin inspiziert. Jumbo hatte die Haare immer ordentlich gekämmt und die Anzugjacke mit dem großen Kragen penibel zugeknöpft. Doch sein zivilisiertes Freizeitverhalten stand im Gegensatz zu seinem Habitus im Job. Während der Arbeit wurde er schnell zum Berserker. Es musste gar nicht viel passieren, dass der Sohn eines Constables aus Texas durch die Decke ging, mit seiner kleinen Pistole herumfuchtelte und brüllte, was sie denn mit den Ärschen machen sollten, wenn seine Kollegen die Verdächtigen mitten in der Nacht ans Ende der kleinen L-förmigen Gasse hinter den Bahnschienen brachten. Daraufhin bettelte O’Mara Jumbo an, doch nicht zu schießen, denn „sie untersuchen immer noch die Leiche von letzter Woche“. Jumbo drehte sich zur Seite und stritt sich mit O’Mara, ständig nervös mit seiner gigantischen Knarre herumfuchtelnd. „Ich lege das Arschloch um!“ Genau in dem Moment flüsterte O’Mara dann dem panischen Gauner zu: „Los, zieh Leine – schnell!“ In Windeseile machte sich der Ganove aus dem Staub, floh ins Dunkel der Gasse, an deren Ende er links abbog. Die Cops gaben sich keine Mühe, ihn zu verfolgen, sondern warteten auf den dumpfen Aufschlag, denn sie hatten gleich hinter der Ecke in Kniehöhe über die verdunkelte Straße eine Kette gespannt. Alle Taschendiebe der Main Street machten diese unsanfte Bauchlandung, bis den Cops die ganze Sache zu langweilig wurde und sie auf einer Eisenbahnbrücke ein neue Methode der Abschreckung einsetzten. Jumbo packte die Diebe bei den Beinen und ließ sie über den Schienen baumeln … bis Chief C.B. Horrall genug hatte, denn er befürchtete, dass eines Tages ein Ganove unsanft landete.

Daraufhin mischten sie sich in den Hafenbars unters Volk. In einigen Spelunken mixten die Mädchen den zurückkehrenden Soldaten Mickey Finns in den Drink, damals weitverbreitete K.o.-Tropfen, und führten die benommenen Männer in eine dunkle Nebengasse, wo ihre Freunde sie ausnahmen. Jumbo wollte seine Methode weiter durchziehen, aber mit einer kleinen Modifikation. Nun ließ er die Gauner nicht mehr über Eisenbahnschienen baumeln, sondern sie starrten in die furchterregende Tiefe der Trockendocks.

In einer Kaschemme vermuteten sie, dass der Inhaber in die Straftaten verstrickt war, nahmen den Einsatz der Registrierkasse heraus und brüllten durch das Stimmenwirrwarr: „Der Laden ist geschlossen! Alle raus!“ Der Besitzer wehrte sich gegen die Aktion, woraufhin Willie Burns entgegnete: „Ja, viel Glück auch – dein Anwalt soll uns anrufen.“ Doch Willie hinterließ keine Visitenkarte. Erneut musste Chief C.B. Horrall einschreiten: „Jetzt reicht’s aber!“ Und er hatte Recht. In den Kinos und Bars gab es zwischenzeitlich so gut wie keine Taschendiebe mehr.

Nun war L.A.s Gangster Squad bereit für die harten Burschen.

Gangster Squad

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