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Böhmen, noch Herbst 1973

Am Dienstag, dem 30. Oktober, war ich mit Valtrr allein zu Hause. Zet beaufsichtigte in Sázava die Schadensbehebungen. Du warst mit ihr, gerade wundersam von einer geheimnisvollen Krankheit geheilt, mein endlos erfinderischer Dackel.

Vor vierzehn Tagen, als Zet Geburtstag feierte, war dir beim mitternächtlichen Weggang der zarte Philosoph Kosík auf die Pfote getreten. Du heultest auf und eiltest humpelnd zu Zet, die dich natürlich auf den Schoß nahm, um dein Leiden zu mildern. Am Morgen krochst du auf drei Füßen aus dem Korb. Was blieb Zet übrig, als dich wieder zu liebkosen? Nach einer Woche glaubten wir die traurige Gewißheit zu haben, du seist zum Krüppel geworden. Der schuldige Philosoph behauptete zwar, er habe dich in unserem Hradschin-Park fröhlich springen sehen, doch wer glaubt schon einem, der auf Dackeln herumtritt? Wir fuhren zum Tierarzt. Ein Wartezimmer, in dem auf den Schößen ihrer Herrchen und Frauchen Katzen, Hunde und Vögel zittern, ist ein doppelt trauriger Ort. Betrachten und befühlen brachte nichts. Der Arzt ließ sich schließlich den Vorfall genau schildern.

«Ach so», sagte er dann, «das hätte ich mir denken können. Wenn Sie einmal anfangen, einen Dackel zu bedauern, wird er sein ganzes Leben hinken. Achten Sie nicht darauf, und er wird sofort gesund, sobald es ihm nichts bringt!» Und so geschah’s.

Unser geflügelter Intelligenzler sprang im Käfig umher, wiederholte fleißig die Vokabel und kam sich hörbar herrlich vor.

«Valtrrr, Valtrrrchen, Valtrrrlein! Das ist prrrima! Prrrrima!»

Trotz eines Verbots fuhr ich mit dem Schreiben der zweiten Version des Filmdrehbuchs Grausame Kaninchen fort. Thema war der heimliche Versuch zweier befreundeter Mediziner, mit Hilfe in das Gehirn implantierter Elektroden Schmerzen zu stillen; unvorhergesehenermaßen gelingt es ihnen, tödliche Aggressionen zu wecken, was statt Strafe das Interesse der Militärs zur Folge hat. Die erste Fassung hatte Zet noch während der Studienzeit geschrieben, dann setzte sie die Arbeit nicht fort, nachdem man sie zur Strafe dafür, daß sie so illoyal geheiratet hatte, aus den Reihen der genehmigten Autoren verbannte. Es wurde zur Familientradition, daß der eine die Stoffe beendete, wenn dem anderen die Lust oder Phantasie ausging. Auch eine einheitliche Abgeltungsgebühr lebte sich ein: eine Flasche Sekt, später Champagner.

Das einzig wirklich wirksame Schreibverbot haben nicht die Behörden ausgesprochen, sondern ein Chirurg: Ich hatte mir noch vor dem Brand in Sázava beim Ausheben eines Drängrabens zur neuen Mistgrube eine akute Sehnenentzündung zugezogen. Die Photographiererei im Fluß gab mir den Rest. Der Chirurg kannte mich und gipste mir deshalb den rechten Arm bis zum Ellbogen ein. Dabei bewegte ich jedoch heimlich die Finger, um den Rand des Panzers bis zum Mittelgelenk zu verrücken. So konnte ich weiter die Schreibmaschine bedienen.

Die stark vergeßliche Zet kehrte jedesmal mindestens einmal zurück, wenn sie das Haus verlassen hatte, deshalb konnte nur sie es sein, als es wieder klingelte. Im Schloß steckte der Schlüssel, damit ich vor ihr in einem solchen Fall die medizinisch unzulässige Schreibmaschine schnell verstecken konnte. Ich tat es.

«Was ist es denn heute?» wollte ich schon durch die Tür wissen, «Geld, Papiere, Leine oder Schlüssel?»

Draußen standen zwei Männer, über deren Beruf kein Zweifel bestehen konnte. Sie hatten eine Art besonderen Firmenzeichens, ich weiß bis heute nicht, ob dies eine angeborene oder aber professionelle Deformation war. Sie mochten sich verkleiden wie sie wollten, es verband sie alle eine fischartige Kälte und Glätte. Die Grundsätze, denen sie als Söldner dienten, waren zu veränderlich, als daß sie Charakter hätten entstehen lassen können.

Also zum ersten Mal wirklich sie! Als bisher unbescholtener und wohlerzogener Bürger entsprach ich ihrer im ganzen höflichen Einladung, ihnen zu einem kleinen Gespräch auf die Dienststelle zu folgen. Die entsprechenden Paragraphen kannte ich und wußte sehr wohl, daß sie mir eine Vorladung hätten zeigen müssen, doch ich wollte die lang erwartete erste Begegnung auf ihrem Spielplatz endlich hinter mir haben.

Sie stellten sich mir als Martinovský und Sluníčko – also «Sönnchen» – vor. Von dem ersten hatte mir schon Vaculík erzählt, er war per Zufall auf seinen echten Namen Matura gestoßen. Ich brachte die beiden jedenfalls dazu, mir ihre roten Dienstausweise zu zeigen. In ihnen standen nur Zahlen, die sie damals noch als genügende Tarnung betrachteten, bis sie feststellten, daß manche Delinquenten imstande waren, sie für die Zukunft zu memorieren.

Hinter der «Goldenen Birne» bog der Wagen nicht nach links, sondern nach rechts ab. Diese Bewegung des Lenkrads bedeutete für mich die angenehme Abkehr vom Untersuchungsgefängnis Ruzyně zu den bloßen Ermittlungsräumen in der Bartolomějská-Straße. Auf dem Wege verharrten sie in ihrem magischen Schweigen und boten mir so die schon einmal getestete Möglichkeit an, mich innerlich zu sammeln. Wie vor einer Probe wiederholte ich mir die Grundsätze meiner erdachten Strategie. Nach kurzer Zeit konnte ich sie in dem berühmten Kachelgebäude ausprobieren.

«Das haben Sie vom Schreiben?» gaben sie sich menschlich, meinen Gips betrachtend.

«Nein, ich habe gegraben.»

«Sie arbeiten auch mal?» fuhren sie auf ihre Weise fort.

Ich bat sie höflich, zur Sache zu kommen.

«Sie werden uns beichten müssen, wo, wann und wem sie das Interview gegeben haben, das am 25. September vom Österreichischen Fernsehen ausgestrahlt worden ist.»

Mein Gesprächspartner, der Redakteur Werner Stanzl, hatte die Sendung persönlich moderiert; in der Kulisse eines sommerlichen Gartens erschien Zet, fast ein Indiz dafür, daß wohl in Sázava gefilmt worden war. Den Inhalt kannten sie auch: meine Ablehnung des filipschen Märchens, der deutsche Journalist Riese sei unser böser Ohrenbläser gewesen; meine Verteidigung unserer Petition; mein Protest gegen die fortschreitende Restriktion meiner Bürgerrechte. Nichts davon konnte also Gegenstand eines dringenden Interesses sein, das meine erste Festnahme erklärte. Was dann? Vielleicht nur die amtliche Überprüfung meiner Nerven und Reaktionen? Meiner Belastbarkeit?

«Ich möchte eine Grundsatzerklärung abgeben», sagte ich, erfolgreich bestrebt, daß meine Hände nicht zitterten, was mir der Gips an der Rechten leichter machte, «ein für alle Mal. Wenn ich Ihr Recht anerkenne, mir derartige und ähnliche Fragen zu stellen, gleicht es einem Geständnis, daß ich mich strafbarer Handlungen schuldig fühle. Deshalb werde ich weder jetzt noch später auf solche Fragen antworten.»

Nur selten erlebte ich, daß eine so kurze Erklärung ein so langes Echo haben kann. Sie überboten sich in Drohungen, welche Folgen ein Beharren auf dieser Erklärung für mich haben würde. Dann kam der Augenblick, den der Dramatiker in mir als entscheidend begriff.

«Solange Sie nicht antworten», verkündete mir Matura fast feierlich, «müssen Sie hierbleiben!»

«Ach», sagte ich gähnend, «damit habe ich natürlich gerechnet.»

Daß Gähnen bei mir nicht Ausdruck von Langeweile, sondern von äußerster Erregung ist, die mir wie Glut den Sauerstoff verbrennt, wußten bisweilen nur diejenigen, die mir ganz nahe standen. Der Gegner war davon immer sehr irritiert.

«Wir haben viel Zeit, mehr als Sie!» prophezeite das Sönnchen.

«Für Sie, meine Herren», sagte ich höflich, «bin ich dann wohl gezwungen, sie mir zu nehmen.»

«Vorsicht! Wir sind hier nicht im Theater!»

«Das beruhigt mich. Dort brauche ich manch anderes, hier nur Geduld, und von der hab’ ich so viel, daß ich noch etwas abgeben kann. Ich muß Sie nur darauf aufmerksam machen, daß Mittag ist. Wenn Sie mich hierbehalten wollen, besorgen Sie mir doch bitte sofort das Antibiotikum, das ich gerade einnehme, Sie haben mir ein kurzes Gespräch versprochen.»

«Übertreiben Sie es nicht, Herr Havel!» warnte mich Matura.

«Ich heiße Pavel. Mit Vornamen.»

«Na und ...?»

«Sie haben mich Havel genannt.»

«Sie sind», sagte er aufrichtig empört, «einer wie der andere!»

Irgend jemand steckte den Kopf zur Tür herein, als wolle er auf dem Pawlatschenhof den neuesten Prager Klatsch mitteilen: Der Palast Lucerna auf dem Wenzelsplatz habe gebrannt. Seltsam, ihn hatte ausgerechnet Havels Großvater vor dem Krieg gebaut. Meine Vernehmer schien das zu interessieren wie ein unerwartetes Sportergebnis.

«Was sagen Sie dazu?» fragte mich Herr Sluníčko.

«Ich bin froh, daß ich hier bin.»

«Wieso ...?» wollten sie beide wissen.

«Weil ich ein Alibi habe.»

Um halb eins schrieben sie verdrossen in ihr Protokoll, daß ich es ablehne, auf irgendeine ihrer Fragen zu antworten, und daß ich mit allen entsprechenden Konsequenzen rechnen müsse. Sie gaben es mir zur Unterschrift. Die erfolgreiche Verteidigung beflügelte mich.

«Sie müssen mir noch eine zweite Grundsatzerklärung erlauben. Um meinem Widerstand, mich von Ihrem Amt kriminalisieren zu lassen, sichtbaren Ausdruck zu verleihen, werde ich hier niemals ein Protokoll unterschreiben.»

Sie wüteten eine weitere Stunde, suchten nach einem Paragraphen, doch eine solche Selbstverständlichkeit hatte der Gesetzgeber nirgendwo erwähnt. Sie entdeckten dabei erst jetzt, worauf mich die theoretische Vorarbeit gebracht hatte. Ich dachte an den Bruder von Josefa Slánská, der das ganze Martyrium der fünfziger Jahre ohne eine einzige Unterschrift absolviert hatte. Es hat ihm höchstwahrscheinlich das Leben gerettet, sie hängten lieber jene auf, die geständig waren. Er unterschrieb viele Jahre später, nach seiner Rehabilitierung, nicht einmal den Empfang von Zivilkleidung. Drei Tage versuchten sie ihn zu überreden. Dann warfen sie ihn einfach samt der Kleider hinaus in die Freiheit.

So jetzt auch mich, in dem Glauben gefestigt, daß man sie nicht fürchten muß, solange man bereit ist, gegebenenfalls einige Zeit bei ihnen auf Besuch zu bleiben, falls man ihre unwiderstehliche Einladung nicht mehr abschlagen kann.

Wo der Hund begraben liegt

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