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VON DER PNYX HINUNTER

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Gehen wir also hinunter in die »illustre Stadt« – τὸ κλεινόν ἄστυ (tò kleinòn ásty) –, begeben wir uns auf die Suche nach den Spuren der Demokratie, auf die Suche nach den Kohlen des antiken Feuers, das zu Füßen dieser Berge brannte und bis heute nicht erlöschen will. Auf dem Weg hinunter zum Areopag grüße ich von Weitem einen Unbekannten, dem ich hier häufig begegne, und da kommt mir ein weiterer kurioser Gedanke. In seinem Entwurf für eine neue Ordnung, die alle Bürger in Entscheidungen einbezog, schloss Solon die unteren Schichten von allen Ämtern aus. Dies mag uns heute als eine Ungleichbehandlung erscheinen, aber wir dürfen nicht vergessen, dass seine mutigen Gesetze ein riskanter Pakt waren, um in Zeiten schwerer Gefahr eine Versöhnung herbeizuführen. Indem Solon diese Beschränkung hinnahm – die den Armen nichts raubte, was sie besessen hatten –, gelang ihm ein großer Durchbruch. Er verschaffte allen Bürgern etwas höchst Bedeutendes: das Rederecht.

Den meisten Menschen, die in den ersten Volksversammlungen Platz nahmen, muss es wie ein Traum aus der Zeit der homerischen Helden erschienen sein, der legendären Zeit, in der sich der demütige Thersites – auch auf die Gefahr hin, sich einen Tadel einzuhandeln – erheben und das Wort ergreifen konnte, um dem König zu widersprechen;11 in der sich Nestor nach dem Festmahl an Agamemnon wenden und in aller Deutlichkeit sagen konnte: »Darum musst du mehr als andere ein Wort sagen und auch darauf hören. Und es auch einem anderen vollenden, wenn einem der Mut heißt, dass er zum Guten spricht.«12

In Sparta war der höchste Ausdruck individueller Willensbekundung ein Schrei, wenn bei den Wahlen zum Richter der Name des vorgeschlagenen Kandidaten ertönte. Ernannt wurde derjenige, der den größten Jubel auf sich zog. Hier in Athen hingegen hatte seit Solon jeder Bürger eine Stimme und damit die Möglichkeit, in einer öffentlichen Rede seine Argumente vorzutragen, mit eigenen Worten. Später, als die Demokratie immer weniger Chimäre war, legte Euripides dem Theseus, Athens großem Helden, auf dass es alle bis hinauf zu den oberen Rängen hörten, Folgendes in den Mund: »›Wer will den Bürgern guten Rat verkündigen?‹ Und hochgeehrt ist, wer es will; wer aber nicht, der schweigt. Wo wäre gleicheres Recht in einem Staat.«13 Die Isegoria – die Gleichheit beim Gebrauch des Worts – kam also vor der Isopoliteia – der Gleichheit bei politischen Rechten – und ebenfalls vor der Isonomia – der Gleichheit vor dem Gesetz. Oder anders ausgedrückt: Der lange Weg der Athener zur Demokratie führte über den Gebrauch des gesprochenen Wortes.

So entscheidend die Isegoria auch war: Sie war lediglich ein Recht; um den Bestand der Demokratie zu gewährleisten, reichte ein Recht nicht aus, es bedurfte auch einer Tugend: der des Mutes, die Wahrheit auszusprechen. Diese Tugend hieß Parrhesia. Vier Sätze bewahren im Gedächtnis, was dieser Begriff für die Demokratie bedeutete. Spärliche Fragmente von Euripides, Isokrates, Demosthenes und Polybios14 weisen auf eine Tugend hin, die nur spärlich verbreitet war. Parrhesia bedeutet nicht nur Ehrlichkeit, sondern auch Mut: den Mut, sich einer bequemen Lüge zu verweigern, das Schweigen zu brechen, einen Betrug aufzudecken. Wissen allein genügt nicht, man muss auch Verantwortung übernehmen, etwas riskieren. Kenntnis von etwas zu nehmen allein genügt nicht, man muss auch handeln. Parrhesia ist eine aktive Beziehung zur Wahrheit. Ohne Parrhesia ist die Isegoria nur eine leere Hülse. Sind unserer heutigen Demokratien geprägt von Parrhesia?

SIE und WIR. Wenn es einen Punkt gibt, der plastisch vor Augen führt, was die antike Athenische Demokratie von der heutigen unterscheidet, dann ist es dieser Gegensatz. Ein Bürger der Antike hätte ihn gar nicht verstanden. Selbst wenn er von der Politik der Stadt enttäuscht war, so empfand er sich doch als ein Teil von ihr. Er hätte immer nur von einem Wir gesprochen.

Heute hingegen sehen wir Bürger uns mit IHNEN konfrontiert, mit der Politik von IHNEN. In den vergangenen vier Jahren hat es in Griechenland mehrere Generalstreiks und über zweitausend Demonstrationen gegen die Politik der Regierung gegeben, die meisten dort unten, auf den Straßen Athens. Und trotzdem ist die Politik keinen Millimeter von ihrer Linie abgewichen. Millionen von Menschen haben ihre Arbeit verloren, ihre Sozialleistungen, ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit, ihre Entwicklungsmöglichkeit, ihren Lebensentwurf, viele sogar ihr Haus und ihr Leben; während SIE dem kein Gehör schenkten und die Bürger stattdessen sogar mit Tränengas beschossen, wenn diese auf die Straße gingen, um sich nicht zu Komplizen des Missbrauchs und der Ungerechtigkeit zu machen, wenn sie ein Ende der Opfer forderten, ein Verbot der rätselhaften, in ihrem Namen unterzeichneten Vereinbarungen, wenn sie Rechenschaft verlangten von den straffrei ausgehenden Politikern, mehr Wahrheit, weniger Heimlichkeit, weniger Buckeln vor der Finanzwelt, weniger Fraktionszwang bei Abstimmungen und mehr Loyalität gegenüber dem souveränen Volk; während sie versuchten, sich bei IHNEN Gehör zu verschaffen, gingen draußen auf der Straße die Müllcontainer und drinnen im Parlament die Errungenschaften der Demokratie in Flammen auf. Trotz dieser Proteste hat es in all diesen Jahren kein einziges Referendum gegeben, keine Volksbefragung, keinen Dialog außerhalb der Parteien, kein offenes Ohr, keinen Gesetzesantrag seitens der Bürger.15

Dabei darf man nicht aus dem Blick verlieren, dass in der Antike die Demokratie viele Skeptiker hatte und permanent in Frage gestellt wurde. Als der Begriff in der Epoche der amerikanischen und französischen Revolution wiederauftauchte, hatte die Idee etwas Subversives und weckte den Argwohn der etablierten Macht. Kurioserweise besitzt der Begriff »Demokratie« heute durchweg eine positive Konnotation. Fast alle Länder dieser Welt, von den Vereinigten Staaten bis zur Demokratischen Republik Kongo, bezeichnen sich als demokratische Staaten. Dennoch ist die Idee, die Macht sollte vom Volk ausgeübt werden – wie es hier, in seinen athenischen Anfängen tatsächlich der Fall war –, nach wie vor radikal und revolutionär. Heutzutage sind wir alle Demokraten, gibt es nur noch Demokratien … Kann es sein, dass das derzeitige Establishment tatsächlich demokratisch geworden ist? Oder leben wir in einer Fiktion, einer Inszenierung?

Wenn wir näher betrachten, was gerade passiert, dürfen wir mit Fug und Recht behaupten, dass die derzeitige Demokratie das Wahlsystem und den altehrwürdigen Namen nur benutzt, um die Interessen einer Oligarchie zu legitimieren. Dieser gigantische Schwindel, die Nichtbeteiligung der Bürger, das stillschweigende Kultivieren von Politikverdrossenheit, die verworrenen Strukturen der Repräsentation, die Mechanik der Parteien, die durchgesetzten Interessen, die Macht der Lobbygruppen, die offenkundigen Ungerechtigkeiten und vor allem die wachsende Kluft zwischen IHNEN und UNS lassen nur einen Schluss zu: dass unsere modernen Demokratien nicht, wie es heißt, eine realistische, an die Gegenwart angepasste Version der Athenischen Demokratie der Antike sind. Nein. Sie sind ihre Negation.

Die ausgegrabene Demokratie

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