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DIE KLASSISCHE AGORA

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»Eilt her zum Tanz, Olympier, her schickt Anmut, gepriesne, ihr Götter, die den oft Umschrittenen, den opferduftreichen Nabel der Stadt im heiligen Athen ihr aufsucht, und den an Kunst reichen, weltberühmten: den Markt! Veilchengebundene Kränze empfangt, frühlingsgepflückter Lieder Klänge!«20

Die Agora von Athen hat an diesem leuchtenden Morgen die gleiche Färbung wie in den Versen Pindars, vielleicht weil sie nach vielen Wendungen des Zufalls zu einem Garten geworden ist; zu einem merkwürdigen Garten, übersät mit Steinen und antiken Marmorstücken, die der Boden wieder aus seinem Schoß entlassen hat wie blanke Knochen und die nun zwischen efeuumrankten Oleander-, Oliven-, Lorbeer- und Bananenbäumen liegen.

Um die Demokratie zu erneuern, muss man zu ihren Anfängen zurückkehren. Wenn dort oben, auf dem Hügel der Pnyx, ihr wahrer Ursprung liegt – die Volksversammlung –, befanden sich ihre Organe und Symbole fast alle hier unten, in der Agora. Ich betrete das Gelände durch ein offenes Gittertor gegenüber dem Café Athenaion Politeia, heute ein Seiteneingang, damals jedoch der Haupteingang für die Fremden, die vom Meer her kamen, den kleinen Hang des Kolonos Agoraios erklommen und zu ihren Füßen die Agora von Athen erblickten.

Gelegentlich weht inmitten der Hitze eine frische Brise herbei, die aus einer schattigen Ecke geflüchtet scheint. Ein schmaler Pfad zwischen den Sträuchern gibt den Blick auf Stellen frei, wo fein gearbeitete Graburnen stehen: weiße, feminine Lekythen mit ihren zarten kegelförmigen Hälsen und melancholischen Abschiedsszenen. Verstreut zwischen der Myrte wirken sie wie die Verse einer antiken Elegie. Zu beiden Seiten des Weges finden sich auch Grabsteine, deren Namen nach wie vor lesbar sind. Inachos, Sohn des Satyros und der Heracleota. Apollonides, Sohn des Menodoros und der Deradiota. Diodora, Tochter des Zenon von Anaphlistos, Gattin des Rhadamantes von Anaphlistos. Wie keine andere Stadt hat Athen seine Geschichte in Stein gemeißelt. Hier auf der klassischen Agora wurden über siebentausendfünfhundert Inschriften gefunden: Grabstelen, Votivtexte, Statuensockel, Gesetze, Dekrete, Verträge, Gründungsakte, Inventare heiliger Gegenstände … Die meisten griechischen Texte, die aus der Antike zu uns gedrungen sind, wurden geschrieben von Athenern oder von Menschen, die zu dieser Stadt eine Beziehung hatten. Mag dieses Gedächtnis noch so fragmentarisch sein, so gibt es doch keinen Ort, den literarische Quellen stärker beleuchten als eben jene Agora von Athen.

Agora kommt von ἀγείρω (agéirō), »sich versammeln«. Und tatsächlich war dieser bewusst freigelassene Ort im Herzen der Stadt dafür gedacht, einem der höchsten Güter, die dem Menschen beschert sind, Raum zu geben: der Möglichkeit, sich zu begegnen und zu versammeln. Sich zu begegnen, um sich kennenzulernen, um gemeinsam Fragen zu erörtern, um Handlungen abzustecken, um den allgemeinen Zusammenhalt zu stärken. Allein in den Jahren, als Perikles auf dem Höhepunkt seiner Macht war, begegneten sich auf diesem Platz Aischylos, Sophokles, Euripides, Aristophanes, Herodot, Thukydides, Phidias, Iktinos, Kallikrates, Meton, Aspasia, Anaxagoras, Protagoras, Gorgias, Hippias, Antiphon … und Sokrates. Wenn das mal nichts ist! Mit seinen Säulengängen, Geschäften, Altären, Brunnen und der Tribüne war dieser Ort – ein Vorläufer der römischen Foren und der säulenumsäumten Plätze des Mittelalters und der Renaissance – stets, schon seiner Etymologie nach, ein politischer Raum. Daher rührt es uns auch an, dass die Agora in Zeiten der Demokratie als ein Heiligtum galt: ein Temenos. An seinen Außenseiten, dort, wo Steine die Grenzen markierten, standen Gefäße mit gesegnetem Wasser, um sich einer ritualen Waschung zu unterziehen, bevor man eintrat, und um an diejenigen zu erinnern, deren Hände unrein waren – weil sie die Verteidigung der Polis vernachlässigt hatten, weil sie ihre Alten misshandelt hatten oder weil sie gegen die Interessen des Gemeinwohls verstoßen hatten –, denn sie waren vom politischen Leben ausgeschlossen, ihnen war der Zutritt zu diesem Ort verwehrt. Dies sollte uns zu denken geben. Dort unten, im Rund der Tholos, zur Linken einer kleinen Holzbrücke, liegt noch der marmorne Stein, der die Grenze der Agora für diejenigen markiert, die von der Pnyx her kamen: ὅρος εἰμι τῆς ἀγορᾶς (hóros eimì tês agorâs) (»Ich bin die Grenze der Agora.«), ist dort zu lesen.

Wie funktionierte die antike Demokratie? Welche Institutionen besaß sie? Welche Teilhabe hatte das Volk? Welche Werte bildeten ihre Grundlage? So unglaublich es erscheinen mag, es gibt nur einen Weg, dies herauszufinden: Man muss geduldig die überlieferten Worte und diese überall verstreuten Steine zusammenfügen.

Beginnen wir gleich hier, am Fuß des Kolonos Agoraios. Heute endet hier, an der nördlichen Seite, das archäologische Gelände der Agora an einer langen Mauer, die es von Bahngleisen trennt; die klassische Agora jedoch ging unter den und jenseits der Schienen weiter. Als man 1890 mit dem Bau dieser Linie begann, um Athen mit Piräus zu verbinden, kamen unter den abgerissenen Häusern alte Steine hervor, riesige, noch anonyme Quader traten für einige Tage aus der Vergangenheit ans Licht, nur um schnell wieder begraben zu werden. So auch der Altar der Zwölf Götter oder das Heiligtum der Grazien und des Volkes. Literarische Quellen und Inschriften gaben diesen Resten nach und nach einen Namen.

Die ausgegrabene Demokratie

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