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1.

Atlan

27. April 2046 NGZ

Die Durchschnittstemperatur Terras lag bei 14 Grad Celsius; die von Arkon I lag bei 34 Grad. Wenn man mich nach den tiefsten Eindrücken fragt, die ich auf der Erde gesammelt habe, müsste ich sagen: Es war kalt.

Viel kälter als auf Arkon.

Manche wissen, dass ich nicht auf der Kristallwelt aufgewachsen bin, sondern auf Gortavor, einer Randwelt des Imperiums, 25.000 Lichtjahre vom warmen Herzen des Reiches entfernt. Durchschnittstemperatur dort: absurde drei Grad.

Wenn man mich fragt, wie meine Kindheit war und meine Jugend, müsste ich sagen: Sie war kalt.

Manchmal, wenn meine Tante Merikana, die Schwester meiner Mutter, mich vor dem großen Fenster stehen sah, durch das ich in die Nacht schaute und in die Böen des Schwarzen Sturms – als ob ich etwas suchte und selbst nicht wusste, was –, und wenn sie mich fragte: »Was tust du?«, sagte ich: »Ich friere.«

Und das war nicht gelogen.

Ich hörte sie schweigen, dann ein wenig lachen. »Haben wir dir nie von der geheimen Kraft jener arkonidischen Wunderwerke erzählt, die unsere Ingenieure Heizung nennen? – Ich stelle sie dir ein wenig höher. Schlaf gut.«

Auf Larsaf III, meinem späteren Exil, war es deutlich wärmer als auf Gortavor. Ein klimatischer Fortschritt. Dennoch: Ich fror auch dort, in meinen zahlreichen Jahren auf Terra. Natürlich, wenn Menschen mich über meine Zeit auf der Erde fragten, fragen sie nach anderen Dingen: Ob ich Alexander den Großen, die Beatles und Crest wirklich selbst gekannt hätte?

Nicht einer hat je gefragt: »War es dir auch warm genug?«

Nicht, dass mir Fragen nach Crest, den Beatles und Alexander in letzter Zeit oft gestellt worden wären. Etwas hatte die Erinnerung an die Erde aus dem Gedächtnis der Menschheit geschält, die Geschichte in Splitter geschlagen und in ein düsteres Kaleidoskop geworfen, das zu drehen und vor Augen zu halten den Menschen wehtat.

Arkons Schicksal war dem Terras nicht ganz unähnlich. Arkon war mitsamt seinen Planeten und Monden in der Bleisphäre untergegangen, einem 35 Milliarden Kilometer durchmessenden Diskus aus grauem Nichts, der wie von einer jenseitigen Hand in den interstellaren Raum von Thantur-Lok geschleudert worden war. Seitdem lag die Bleisphäre in sich selbst versunken da: ein Objekt wie kein zweites in diesem Universum, der Wirklichkeit abgewandt, das mal von Realitätsgezeiten ganz aus Raum und Zeit gerückt war, mal unsere Ortungsgeräte mit Kaskaden irrwitziger, einander widersprechender Daten flutete.

Quäl dich nicht!, meldete sich mein Extrasinn. Überlass das anderen.

Niemand hat darin mehr Übung als ich, dachte ich.

Das mag sein, räumte der Logiksektor ein. Dennoch ist es nicht ratsam, ohne Lohn die Arbeit anderer zu tun.

Ich seufzte leise.

»Zwist mit gewissen inneren Stimmen?«, hörte ich Mava da Valgathan fragen, die Kommandantin der TARTS. Die Vere'athor zupfte zwei, drei Strähnen ihres kurz geschnittenen, weißgrauen Haars zurecht und warf mir einen flüchtigen Blick zu.

Ich winkte ab.

Unser Schiff, ein Raumer der GAUMAROL-Klasse, hatte bei der Bleisphäre Position bezogen. Zu unserem Verband gehörten mittlerweile einige Schiffe der GAUMAROL-, DAGOR- und YILLD-Klasse sowie etliche THARK-Kreuzer. Im weiten Orbit um die Bleisphäre kreisten weitere Verbände der Vereinigten Sternenbaronien von Thantur, strategisch den Flottensegmenten der Ladhonen und Naats gegenübergestellt, die sich teils außerhalb der Oortschen Wolke hielten, teils in die Gesteinswolke eingetaucht waren und im freien Fall dahintrieben.

Von den EPPRIK-Robotschiffen, die seit Jahrhunderten in diesem Sternenraum Wache gehalten hatten, gab es keine Spur. Tormanac da Hozarius hatte sie abgezogen, um im Bruderkrieg der Thantur-Völker aus dem Arkonsystem, der Naats und Arkoniden, keine Partei ergreifen zu müssen.

Stattdessen hatte die Bleisphäre neue Satelliten erhalten: akonische Transmitter-Etappenhöfe, die von den Cairanern beschlagnahmt und offenkundig den Ladhonen überlassen worden waren.

Überlassen oder übergeben?, fragte mein Extrasinn.

Übergeben, korrigierte ich mich im Stillen. Denn die Ladhonen sind nichts als die Befehlsempfänger der Cairaner.

Zieh keine voreiligen Schlüsse!, mahnte der Logiksektor. Die Hierarchien könnten auch anders aufgebaut sein. Wir sehen, was wir sehen sollen.

Aber wir sehen nichts, gab ich bitter zurück und starrte in den Panoramaschirm der Zentrale, in dem das graue Wabern vor aller Augen stand, unruhig wie ein Traumbild, das keine Gestalt annehmen wollte. Die Sphäre, die Arkon vertilgt hatte, meinen weißen Stern.

Zugleich der Stern der Naats, erinnerte mich der Extrasinn. Auch für sie ist die Singularität keine Quelle des Glücks. Wir sollten auf ihrer Seite stehen.

Würden sie nicht auf uns feuern, könnten wir uns besser an ihre Seite stellen, versetzte ich.

Sie feuern doch gar nicht mehr.

Der Extrasinn hatte recht. Seit zwei Tagen herrschte eine geisterhafte Ruhe in Thantur-Lok – eine bleierne Ruhe, dachte ich. Eine Ruhe, die auf uns lastete und mich besorgte, weil ich das Gefühl hatte, als würde aus diesem aschgrauen Herzen mehr und mehr Gift in die Adern des Kugelsternhaufens gepumpt.

Wenn doch Arkon aufscheinen würde. Nur für einen Moment.

Und wenn du nicht immer wieder Energie in nutzlose Hoffnungen investieren würdest ..., kommentierte der Logiksektor kühl.

Arkon ...

Terraner, die Arkons Ruhm kennen und von der Wärme des Sterns gehört haben, sehen meist nur die im Vergleich zu Sol riesenhafte Sonne vor sich. Dabei ist Arkon, ein weißer Stern vom Typ A8V, nicht nur groß, sondern auch sehr heiß.

Die Durchschnittstemperatur auf einem arkonidischen Raumschiff ließ Terraner oft schläfrig werden, ganz so, als hätten sie sich für den Abend vor einen Kamin zur Ruhe gesetzt, in dem das brennende Holz prasselte. Gut, das grelle Licht hätte sie irritiert und die Art und Weise, wie es die Armaturen herausstellte und sie scharfe Schatten werfen ließ.

Es waren ja oft die kleinen Dinge, die den Unterschied machten.

An Bord der TARTS war es arkonidisch hell und heiß. Ich hatte mich schneller eingewöhnt, als ich gedacht hatte.

Das Schott zur Zentrale öffnete sich mit einem diskreten Geräusch und schloss sich wieder. Ich sah mich nicht um.

Gucky trat neben meinem Kontursessel. Er sah auf den Holoschirm. »Immer noch dasselbe Programm?«, fragte er. »Das Trauerspiel ohne Figuren?«

Von irgendwo klang ein verhaltenes Lachen auf.

»Was ist mit den Transmitterpostämtern?«, fragte er weiter. »Werden noch welche geliefert?«

Ich schüttelte den Kopf. »Die Ladhonen haben die Etappenhöfe rings um die Bleisphäre in Stellung gebracht«, sagte ich. »Vier von ihnen besetzen gewissermaßen die Nord-, Süd-, West- und Ostposition um die Sphäre, einer steht über, einer unter dem Diskus. Dazwischen sind etliche Relaisstationen positioniert.«

»Sieht nach einem Plan aus«, sagte der Ilt.

Ich lachte nur auf.

»Wie ich dich kenne, haben deine arkonidische Erhobenheit erwogen, die akonischen Konstrukte aus dem Raum zu fegen?«

Ich zuckte mit den Achseln. »Sie würden sich neue beschaffen. So lange, bis das Transmitternetz restlos abgebaut ist.«

»Hm«, machte Gucky. »Sie wollen also etwas durch die Bleisphäre verschicken?«

Ich nickte.

»Wozu? Nur ein Experiment?«

Mava da Valgathan räusperte sich leise. »Einige unserer Wissenschaftler meinen, möglicherweise wollen sie die Bleisphäre vermessen, indem sie sie durchqueren.«

Der Ilt sah mich an.

»Möglicherweise«, gab ich zu.

»Möglicherweise versuchen sie aber etwas anderes?«, setzte Gucky nach.

Ich erinnerte mich an einen Hinweis, den uns eine Terranerin von Bord des Haluterraumers HONNA zur sogenannten Phase der Realisation gegeben hatte: Ich rate euch dringend, nicht zu versuchen, die Bleisphäre mit einer Transition zu durchqueren. Das könnte zu üblen Ergebnissen führen. Manche Raumflugzeuge, die es versucht haben, ob nun bemannt oder unbemannt, sind spurlos verschwunden oder furchtbar verändert rematerialisiert.

Ob die Cairaner und ihre Handlanger dahingehend Experimente planten? Wollten sie Personen via Transmitter durch die Bleisphäre schicken und die Auswirkungen des Transports untersuchen? Und wenn ja: warum? Wozu?

»Wie auch immer: Die Bleisphäre entwickelt sich ja zu einer richtigen Touristenattraktion«, flachste Gucky.

Ich hörte, wie Mava da Valgathan die Luft durch die Nase ausstieß. Schon der Gedanke an die Bleisphäre rief bei ihr – bei Weitem nicht als Einziger – eine Art Abscheu hervor, eine schmerzhafte Art von Scham. Der Aufenthalt in dieser Region, in der der ehemalige Mittelpunkt des Imperiums förmlich aus der Realität gestanzt worden war, belastete beinahe alle Besatzungsmitglieder der arkonidischen Einheiten so, dass ich um ihre psychische Gesundheit fürchtete.

Auch der Extrasinn meinte erste Anzeichen einer sich entwickelnden Belastungsstörung wahrgenommen zu haben: leichte Konzentrationsstörungen, wie sie überall auftreten konnten, in der Zentrale eines Raumschiffes im Einsatz aber eindeutig fehl am Platz waren; kleinere Desorientiertheiten, als würden Besatzungsmitglieder, die in die Zentrale kamen, ihren Platz nicht finden oder jene, die gerade ihren Dienst beendeten, nicht recht wissen, wo der Ausgang war; Schweiß auf der Stirn, obwohl Arkoniden sonst selten schwitzen und die Temperatur innerhalb der Zentrale wirklich angenehm war.

»Mit den Touristen meinte ich nicht euch«, erläuterte Gucky der Kommandantin. »Ich meine unsere ladhonischen Freunde. Was, wenn sie tatsächlich nur auf der Durchreise sind und nun ihren Bahnhof gefunden haben? Und mit den Etappenhöfen den passenden Eingang?«

Ich sah ihn an. »Was dann?«

Er entblößte seinen Nagezahn. »Lass es dir von einem alten Bahnhofsvorsteher sagen, Mascant: Verkaufen wir ihnen doch ein paar Fahrscheine!«

In diesem Augenblick drehte sich einer der Männer am Hyperfunkterminal zu uns um: »Mascant? Vere'athor? Soeben übermittelt das Büro des Thantur-Barons eine Anfrage. Ein Fragmentraumer der Union Positronisch-biologischer Zivilisationen erbittet Einflugerlaubnis nach M 13 und zum inneren Sektor im Bereich der Singularität. Einige seiner Passagiere wünschen als Beobachter für die Union fungieren zu dürfen.«

»Das ist zunächst Sache des Büros, allenfalls des Kommandeurs der Grenzflotte«, sagte Mava da Valgathan abweisend. Sie sah mich fragend an.

»Kennen wir die Namen dieser Beobachter?«, fragte ich.

Einen Moment Schweigen. Dann sagte der Arkonide: »Der Plasmakommandant identifiziert seinen Raumer als BOX 6161; die Bewerber sind Bonthem, ein Zain-Konstrukt, und ein Posbi namens Ganud.«

*

Zain-Konstrukte! Sie waren Raritäten. Kein galaktischer Geheimdienst – selbst der Nachrichtendienst Ephelegon und die Gläserne Insel – wusste viel über sie zu sagen. Das Zain-Konstrukt Annba hatte sich als erstes seines Volkes auf eine aktive Zusammenarbeit mit der Liga eingelassen: Es war mit der RAS TSCHUBAI auf die große Reise nach Ancaisin gegangen, und wie Perry war es bislang nicht zurückgekehrt.

Wir empfingen die beiden Gäste in einem Hangar der TARTS.

Die Kommandantin hatte einige der höheren Offiziere in den Hangar befohlen und zwei Dutzend Katsugos einschweben lassen, jeder von ihnen mit einem eindrucksvollen Waffenchassis bestückt. Immerhin: Die Waffenarme hingen herab, die Abstrahlfelder waren desaktiviert.

Unsere Gäste flogen mit einer Raumbarkasse ein, einer Konstruktion, die wirkte, als hätte jemand einen zehn Meter hohen, breiten und tiefen Kubus aus Metallplast hocherhitzt, das glühende Material mit einer Riesenhand geknetet und dann wieder erstarren lassen, alle Flächen verändert, verdreht, aber trotzdem noch wie aus einer Hand.

Eine Schleuse öffnete sich, aus der kurz darauf zwei Gestalten heraustraten. Voran glitt ein birnenförmiges Etwas, aus dessen halbkugeligem Kopfsegment zehn zarte Ärmchen oder Tentakel ragten, den aufgespannten Schienen eines Regenschirms nicht unähnlich. Obwohl das Ganze keine Schritte machte, sondern auf einem Antigravfeld schwebte, wippten die dünnen Kopfarme in einem sanften Rhythmus und verliehen ihm die Anmutung einer dahingleitenden Tiefseequalle.

Einer Qualle mit zwei schwarzen und merkwürdig lebendigen Augen allerdings, die am unteren Halbkugelrand saßen und sich neugierig umsahen. Zwischen den beiden und leicht erhöht befand sich ein kleineres, drittes Auge.

Der Posbi Ganud – denn um diesen handelte es sich – maß etwa zwei Meter in der Höhe und war damit alles andere als grazil. Das Antigravfeld, auf dem er schwebte, verschaffte ihm ein wenig zusätzliche Erhabenheit. Für einen Moment fragte ich mich, seit wann der Posbi die Anzahl seiner flexiblen Extremitäten von acht auf zehn erhöht hatte. Bei Gelegenheit würde ich mich erkundigen.

Aber es war nicht der Posbi, auf den sich alle Augen richteten. Hinter ihm schritt, mit sonderbar tastenden Bewegungen, eine wie aus durchsichtigem Honig gegossene Gestalt, in ihrem Aufbau und ihren Proportionen durchaus humanoid. Über Knochen aber oder eine sonstige feste innere Struktur verfügte das Wesen offenkundig nicht. In seinem Inneren trieben langsam, stiegen, sanken und rotierten technisch anmutende Objekte, mal groß wie eine Faust, mal deutlich kleiner. Jedes von ihnen wirkte auf seine Art vollkommen, und bei jedem war mir, als müsste ich im nächsten Moment seine Funktion erraten können. Aber dann kippte es wie in Zeitlupe nach hinten oder drehte sich um die eigene Achse und gab seinem Aussehen eine völlig neue Wendung, oft ins Rätselhafte.

Im Schädel hatten sich etwa dort, wo sich bei Menschen die Augen befanden, einige daumennagelgroße Gebilde lose aneinandergelegt und verliehen diesem Bereich damit die Anmutung eines Gesichtes.

»Ulkig«, murmelte Gucky leise.

»Das ist nicht die Vokabel, die mir einfallen würde«, raunte ich zurück.

»Sondern?«

»Achtung gebietend«, flüsterte ich.

»Der Mascant wird sich doch nicht zu einem kristallimperialen Hofknicks verleiten lassen?«, fragte der Ilt besorgt.

Da ertönte Ganuds Stimme im schönsten Bariton durch den Hangar. »Bonthem und ich danken euch herzlich für diesen stimmungsvollen Empfang!«

»Seit wann haben Posbis Herzen?«, fragte Gucky. »Ich dachte immer, wahres Leben käme ohne diese primitiven Pumporgane aus.«

*

Die Katsugos eskortierten uns in einen Besprechungsraum. Die Roboter positionierten sich, wir setzten uns. Ganud platzierte sich sanft wie eine Gänsefeder auf dem Sessel, und das Zain-Konstrukt nahm Platz, indem es in einer atemberaubend menschlich wirkenden Bewegung die Beine übereinanderschlug.

Ich bemerkte aus dem Augenwinkel, wie Gucky kurz mit dem Daumen der rechten Hand nach unten wies und die Bewegung gleich noch einmal wiederholte: Kein telepathischer Zugriff auf die beiden möglich.

Ich deutete ein Nicken an. »Wer schickt euch?«

Das Zain-Konstrukt wendete den Kopf leicht in meine Richtung; die Segmente, die sich in Augenhöhe befanden, fügten sich enger zusammen. Als eine fremde Stimme erklang, war mir klar, dass es jene des Konstrukts Bonthem sein musste, obwohl keinerlei Bewegung den Sprechakt begleitete.

»Der Plasmakommandant der BOX 6161 wurde vom Zentralplasma der Hundertsonnenwelt namens der Union autorisiert, durch mich militärische und logistische Unterstützung anzubieten. 1200 Boxen und zehn unserer Raumflugkörper befinden sich im Anflug auf Thantur-Lok und werden sich in den nächsten zwei Tagen in wenigen Lichtjahren Entfernung vom Kugelsternhaufen in Rufbereitschaft halten.«

»Danke, das ist ein großzügiges Angebot«, sagte Mava da Valgathan.

»Von dem wir zur Stunde auch den Thantur-Baron in Kenntnis setzen, Vere'athor«, sagte das Zain-Konstrukt, die Augen auf die Kommandantin gerichtet.

»Wem soll diese Flotte unterstehen?«, fragte ich. »M 13 ist Staatsgebiet der Baronien.«

Das Zain-Konstrukt wandte sich wieder mir zu. »Falls der Baron nicht anderweitig entscheidet, wird die Flotte dem Befehl des Mascanten unterstellt.«

Glückwunsch, sagte mein Extrasinn. Eine Lösung mit neuen Problemen.

Welches Problem hätten wir neuerdings mit den Posbis?

Du meinst: abgesehen von dem Problem, dass sie sich neuerdings von einem Zain-Konstrukt vertreten lassen, dessen Absichten und Fähigkeiten uns weitgehend unbekannt sind?

Ich nickte dem Zain-Konstrukt zu. »Seid bitte bis zur Entscheidung Larsavs da Ariga unsere Gäste auf der TARTS.«

»Ich«, erhob in diesem Moment Ganud seine Stimme, »bin allerdings nicht im offiziellen Auftrag der Union hier, sondern habe die Gelegenheit wahrgenommen, als Passagier mitzufliegen.«

»Weil ihr Weg die BOX 6161 am Ephelegonsystem vorbeigeführt hat? Rein zufällig?«, fragte ich spöttisch.

Ganud und das Zain-Konstrukt schwiegen.

Mein Extrasinn bemerkte: Hast du gedacht, die Posbis entscheiden das über den Kopf von Reginald Bull hinweg? Sie werden sich beraten haben. Wenn nicht überhaupt dieses ganze Beistandspaket auf seine Initiative zurückgeht und der Resident damit eine Möglichkeit gefunden hat, diskret zu helfen, ohne die Liga weiter ins Geschehen hier zu verstricken.

»Ein wenig Schlachtenbummlerei?«, fragte Gucky beiläufig.

Ganud ignorierte den Ilt. Höchststrafe für den Mausbiber!

Der Posbi blickte mich mit seinen drei Augen an. »Der Resident hat mir vorgeschlagen, dir bei Gelegenheit von der Reise des Tamarons nach Andromeda zu berichten.«

»Von jener Reise, die Vetris-Molaud vor über 400 Jahren unternommen hat?«

»Es ist ja nur einen Wimpernschlag her«, warf Gucky bissig ein.

»Und die in einem Debakel geendet hat?«, fuhr ich fort.

»Manche bezeichnen es auch nur als Fiasko«, gab Gucky mit unschuldigem Augenaufschlag zu bedenken. »Oder als Desaster.«

»Manche sind auch nicht dabei gewesen«, kommentierte Ganud mit seiner schönen Stimme, der keinerlei Verärgerung anzuhören war.

Selbstverständlich hatte mich Reginald kurz ins Bild gesetzt, was diese tefrodische Expedition anging. Ich wusste, dass die Tefroder der Liga Datenkonvolute zur Verfügung gestellt hatten, an denen die Forschungsabteilungen bis zum heutigen Tag arbeiteten.

Aber natürlich hatten Perry und ich viele Geschichten gehört über all das, was sich in dem halben Jahrtausend unserer Abwesenheit in der Milchstraße und ihrer kosmischen Umgebung abgespielt hatte: das Attentat auf Hekéner Sharoun, der Raub von Terra und Luna, der Verschluss des Solsystems, die Ausbreitung des Odiums, das Sagittarius-Moratorium, das Erscheinen der Cairaner auf der galaktischen Bühne. Dann die beiden Orion-Kriege, die beschämende Aarus-Affäre, schließlich das Ende des Galaktikums und die Ausrufung des Cairanischen Friedensbundes, mit dem die Cairanische Epoche begonnen hatte – das meiste davon schien mir wichtiger für das Verständnis der Gegenwart als eine in ferner Vergangenheit gescheiterte Expedition von Bullys neuem Busenfreund, dem Tamaron, und eine Ansammlung rätselhafter Informationen.


Illustration: Swen Papenbrock

Die Tatsache, dass Molauds ehemaliger Leibwächter neuerdings für den Residenten arbeitete, hatte mein Bild von diesem Tefroder auch nicht eben verklärt. Mir wäre wohler gewesen, einen gestandenen USO-Spezialisten an Bulls Seite zu wissen und keine Leihgabe des Tamarons.

Ein USO-Agent, der dem Lordadmiral und über den Lordadmiral einem gewissen Mascanten regelmäßig Bericht erstattet, nicht wahr?

Durchaus, gab ich dem Extrasinn recht. Vertrauen ist gut ...

... und Kontrolle nicht immer besser, wo das Vertrauen sicheren Grund hat, fiel mir der Extrasinn in den Gedanken.

»Wird dieser Bericht lange dauern?«, fragte ich Ganud. »Könntest du ihn gegebenenfalls auf einen Datenkristall sprechen? Ich würde ihn mir dann bei Gelegenheit anhören.«

»Ich würde keine zwei Stunden brauchen«, versprach Ganud. »Gesetzt, ich spreche in einer dir verständlichen Geschwindigkeit. Sollte in dieser Zeit die Schlacht um die Bleisphäre beginnen oder diese Bleisphäre sich auflösen, lege ich eine angemessene Pause ein.«

Ich meinte zu bemerken, wie mich das Zain-Konstrukt taxierte.

In einer Zeit, in der der positronisch gehütete Datenschatz einer ganzen Galaxis verdorben und von einem Tsunami gegenstandsloser Botschaften überflutet worden ist, könnte es hilfreich sein, einen Augenzeugen zu hören, meldete sich der Logiksektor.

Zumal, wenn der Augenzeuge drei Augen hat, spöttelte ich.

Investieren wir diese zwei Stunden, schlug der Extrasinn vor. Unsere Vere'athor muss es eben verkraften, in der Zentrale die Stellung zu halten, ohne dass der Mascant an ihrer Seite bedeutungsschwer in den Panoramaschirm starrt.

Ich nickte Ganud zu. »Gehen wir in mein Quartier. Wäre es dir recht, wenn mein Freund Gucky deinem Bericht ebenfalls zuhört?«

*

Es war ihm recht. Das Zain-Konstrukt Bonthem hatte von Mava da Valgathan die Erlaubnis erhalten, in der Zentrale zu bleiben. Allerdings hatte sie zuvor einige Katsugos dorthin abkommandiert – »und zwar nicht zu Dekorationszwecken«, wie sie mir versicherte.

Der Thantur-Baron hatte das Angebot der Union inzwischen mit Dank akzeptiert. Die 1200 Fragmentraumer durften damit ungehindert in den Kugelsternhaufen einfliegen und sich bei der TARTS einfinden.

Das hörte ich gerne. Die Posbis waren seit Jahrtausenden verlässliche Verbündete der Terraner, und ich hatte keinen Zweifel, dass die Zusammenarbeit mit ihnen problemlos verlaufen würde.

Was die Raumschiffe der Zain-Konstrukte anging, sah ich ihrer Ankunft mit Neugierde entgegen. Und das, obwohl mir diese Wesen alles andere als geheuer waren.

Vielleicht ergibt sich die Gelegenheit, einen ihrer Raumer unter einem Vorwand zu entern und einer gründlichen Analyse zu unterziehen, überlegte mein Extrasinn.

Das müsste ein ziemlich guter Vorwand sein, dachte ich.

Grußloser Vorbeiflug am Flaggschiff des Mascanten, schlug der Extrasinn vor. Hast du nicht den Terranern gegenüber verlautet, in den alten Zeiten wären Raumfahrer aus weit geringerem Anlass aus der Luftschleuse gestoßen worden – ohne Raumanzug, versteht sich?

Das habe ich anders in Erinnerung.

Ich auch. Aber warum sollen wir uns in diesen verworrenen Zeiten nicht ein paar neue, hilfreiche Erinnerungen zulegen?

Wir waren auf dem Weg zu meinem Quartier, das ganz in der Nähe der Zentrale lag. Hin und wieder kamen uns Besatzungsmitglieder entgegen und grüßten mit einer Selbstverständlichkeit, als hätte ich nicht etliche Jahrhunderte außerhalb dieses galaktischen Machtzentrums oberhalb der Öden Insel verbracht, wie Arkoniden die Milchstraße immer noch, wenn nun auch eher scherzhaft, bezeichnete.

Ganud glitt lautlos und elegant neben mir her, wobei er die zarten Tentakel wie witternd bewegte. Gucky hielt sich ganz gegen seine Gewohnheit einige Schritte hinter uns, die Hände auf dem Rücken verschränkt. Ich blickte kurz zu ihm zurück, aber er sah zu Boden. Das grelle Licht in den Korridoren des Schiffes behagte ihm als Kind einer altersmüden Roten Sonne nicht.

Wir traten ein. Gucky nahm ungebeten Platz auf meiner Liege und bat die Raumpositronik, das Licht ein wenig abzuschwächen. Ich nickte, und gleich darauf wurde das Licht mild, beinahe abendlich.

Ich setzte mich. Ganud schwebte in der Mitte des Raums wie eine rätselhafte Dekoration.

»Sollten wir wegen dieses Zain-Konstruktes besorgt sein?«, fragte der Ilt.

»Keineswegs«, antwortete Ganud. »Der Plasmakommandant der BOX 6161 vertraut ihm ebenso wie das Zentralplasma auf der Hundertsonnenwelt.«

»Dem du vertraust und also auch Bull?«, fragte ich.

»Vertrauen breitet sich aus wie Licht«, sagte der Posbi.

»Dann bring mal etwas Licht in euren Betriebsausflug nach Andromeda«, krähte Gucky.

Ganud hat sich bereits kurz nach dem Attentat auf Hekéner Sharoun im Jahr 1572 NGZ Reginald Bull zur Verfügung gestellt, erinnerte mich der Extrasinn. Warum ist er dann ein halbes Jahrhundert später an die Seite von Vetris-Molaud zurückgekehrt? Beziehungsweise zu Caer-Cedvan, wie Reginald den Tefroder vertraulich nennt?

Ja, warum? Um dieses Rätsel zu lösen, fragte ich Ganud: »Hatte der Tamaron dich für diese Expedition angefordert? Oder war es dein eigener Entschluss, mit nach Andromeda zu reisen?«

»Weder noch«, sagte der Posbi. »Ich habe es auf die Bitte des Residenten hin getan.«

»Reginald Bull hat dich gebeten?«, versicherte ich mich etwas ungläubig. Hatte Reginald den Posbi aus dem Weg haben oder als Spion für die Liga platzieren wollen?

»Reginald hat mich gebeten«, wiederholte Ganud. »Aber überreden musste er mich nicht. Wann bekommt ein einfacher Posbi wie ich schon einmal die Gelegenheit, sein galaktisches Bezugssystem zu wechseln? Aber ich will von Anfang an erzählen.«

Perry Rhodan-Paket 62: Mythos (Teil2)

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