Читать книгу Perry Rhodan-Paket 62: Mythos (Teil2) - Perry Rhodan - Страница 193
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Ganud
23. bis 24. November 1638 NGZ
Auf ein Zeichen Aureni-Tarats ergriff Sapar-Nuhanu das Wort, der hochgewachsene Tefroder. »Gegen Ende des Jahres 1613 eurer Zeitrechnung empfingen einige im intergalaktischen Raum positionierte Beobachtungsstationen unerklärliche Werte aus eurer Galaxis.«
»Unerklärlich in welcher Hinsicht?«, fragte der Tamaron.
»Unerklärlich in Herkunft und Bedeutung für die Forscher sämtlicher bekannter Sternenvölker in Karahol. Wir gingen zunächst von Messfehlern aus, von Störungen innerhalb unserer Ortungsgeräte und ihrer Betriebssysteme. Die Irritationen traten zeitversetzt auf, klangen wieder ab, machten sich erneut bemerkbar.«
»Was wurde gemessen?«, fragte Vetris-Molaud.
Sapar-Nuhanu räusperte sich leise. »Hyperdimensionale Äquivalenzmuster stellarer wie suprastellarer Ordnung.«
Ich horchte auf.
Der Tefroder fuhr fort: »Ich denke, ihr seid mit der astrophysikalischen Theorie vertraut, dass jeder Stern und jedes Sternsystem, also jede Galaxis, ein mehr oder minder komplexes, aber immer einzigartiges Magnetfeld erzeugt. Das komplexe Magnetfeld einer Sterneninsel zeigt ein jeweils singuläres und deswegen unverwechselbares Muster. Dieses Muster stellt aber nicht nur so etwas wie einen magnetischen Fingerabdruck der Galaxis dar, es wirkt auch auf die materielle Galaxis zurück, es gestaltet sie, prägt sie, zeichnet Sternregionen vor. Jede Galaxis und ihr Magnetfeld bilden eine interdependente, von einander abhängige Einheit.«
Der Tamaron nickte.
Sapar-Nuhanu sah mich an. »Du bist ebenfalls im Bild, Posbi?«
Obwohl ich keine astrophysikalische Spezialisierung erfahren hatte, war mir diese universale Struktur in Grundzügen bekannt. »Wir beobachten die Feldlinien kosmischer Magnetfelder seit vielen Tausend Jahren, überwiegend mithilfe der polarisierten Radiostrahlung.«
»Und was habt ihr gefunden?«
»Schönheit«, sagte ich. »Die Megamagnetfelder zeigen in fast allen Milchstraßensystemen strahlend schöne Spiralmuster. Diese Muster erscheinen sogar in unregelmäßigen Galaxientypen ohne optisch sichtbare Spiralarme.«
Der Tefroder nickte zögernd. Vielleicht musste er erst verkraften, einen Posbi von Schönheit reden zu hören. Dann berührte er einige Sensortasten auf seinem Funktionsarmband und aktivierte damit einen Holoprojektor. Über dem Tisch, der uns mehr trennte als verband, erschien ein funkelndes, bedächtig rotierendes Abbild Andromedas. »Nur in elliptischen Galaxien zeigen sich diese Magentfeldstrukturen nicht. Korrekt?«
»Ja«, bestätigte ich. »Aber wir haben solche magnetischen Spiralfelder auch in den Zentralregionen und den zentralen Gasringen entdeckt. Dort, wo wir massive Spiralarme gefunden haben, verlaufen die Magnetfeldlinien weitgehend parallel zu diesen sichtbaren Armen.«
»Aber das ist nicht alles«, mutmaßte der Tefroder.
»Nein«, antwortete ich. »In manchen Spiralnebeln zeigen sich die Magnetfelder als eigene magnetische Spiralarme zwischen den materiellen Strukturen. Stellenweise kreuzen sich die magnetischen und die materiellen Spiralstrukturen sogar.
Allerdings verlaufen die großräumigen Magnetfelder in einer Spiralgalaxie parallel zur Scheibe und in der Nähe der Scheibenebene. Im Halo der Galaxis dagegen zeigen sich auch vertikal angeordnete Magnetfeldkomponenten, die ein eher X-förmiges Muster bilden.«
Ein weiterer Griff ans Funktionsarmband, und das Holo veränderte sich. Als zartblaue Felder traten Magnetfeldstrukturen wie die ins Bild, von denen ich eben geredet hatte, umtanzten die Sternenregionen der Galaxis, hoben sich von ihr ab. Für einen Moment war mir, als beobachtete ich den Paarungstanz zweier Sternenwesen.
»Habt ihr auch die galaktischen Winde beobachtet?«, fragte der Tefroder.
»Den Begriff kenne ich nicht, aber ich denke, du meinst die beweglichen vertikalen Felder ober- und unterhalb der Zentralregion einer Sterneninsel und das, was sie antreibt – die Energie, die durch die Sternentstehungsprozesse freigesetzt werden und Gase und kosmische Strahlung von der galaktischen Scheibe fort und in den Halo wehen.«
»Mit etwa 300 Kilometer in der Sekunde«, sagte der Wissenschaftler. »Mehr Sturm als Wind. Und er transportiert nicht nur Teilchen, sondern auch kleinskalige Magnetfelder hinaus in den Halo. – Habt ihr euch je die Frage gestellt, was der Ursprung der ersten Magnetfelder im frühen Universum gewesen sein mag?«
»Das wissen wir nicht«, räumte ich ein. »Vielleicht sind diese kleinräumigen Magnetfelder durch Instabilitäten in den Stoßfronten der Ausdehnungsphase nach der Jäh-Existenz – dem Big Bang – entstanden. Vielleicht sind solche Felder aus den Jet-Strahlen der ersten Schwarzen Löcher entstanden.«
»Wir bezeichnen diese Strukturen als Saatfelder«, sagte Sapar-Nuhanu. »Wir nehmen an, dass in jungen Proto-Galaxien ohne geordnete Rotation ein Dynamo, auch wenn dieser erst auf kleinen Skalen arbeitete, diese Saatfelder innerhalb von einigen Dutzend Jahrmillionen verstärkt hat. Sobald die Galaxienscheiben regulärer rotierten, vermochte ein viel großräumiger Dynamo dann entsprechend großräumige Felder zu erzeugen – ein Prozess, der zweifellos Jahrmilliarden gedauert hat.
In jungen Sternentstehungsregionen werden eigene, wieder kleinskalige Dynamos turbulentere Magnetfelder erzeugt haben. In den sternfreien Gebieten zwischen den Spiralarmen konnten sich die großräumigen Magnetfelder dagegen ungestört etablieren. Diese Felder prägen den Molekülen ein bestimmtes Bewegungsmuster auf. Nach diesem Muster verdichtet sich das kosmische Gas, bis die Wolken kollabieren und so Sterne entstehen können. Die großen Magnetfelder säen gewissermaßen Sterne.
Aber das Universum weist noch weit größere Strukturen als Galaxien auf.«
Die im Holo sich drehende Andromedagalaxis schien in die Tiefe des Raumes zurückzusinken. Ihre zahlreichen Satellitengalaxien tauchten auf, dann rückten Hangay, der Triangulum-Nebel und die Milchstraße ins Bild mit der Nocturnen-Galaxis Fornax und den Magellanschen Wolken, die Sagittarius-Zwerggalaxis, bald die fernen Inseln NGC 3109, fünf Millionen Lichtjahre von der Milchstraße entfernt, fast acht Millionen Lichtjahre von Andromeda, alt und reich an metallarmen Sternen, und schließlich die Galaxis mit der höchsten Sternentstehungsrate der Lokalen Gruppe, die Starburst-Galaxis IC 10.
Diese Sterneninseln verdichteten sich zu einem Haufen aus etwa dreißig Lichtpunkten. Im Holo sah ich, wie andere Sterneninseln sich zu anderen Galaxienhaufen sortierten. Der Reichtum dieser Haufen betrug mal wenige Galaxien wie bei der Lokalen Gruppe, andere versammelten Hunderte, ja mehrere Tausend Sterneninseln.
Der Sturz in Raum und Zeit beschleunigte sich. Mir fiel auf, dass sich bei den an Zahl und Masse gewaltigeren, meist sphärenförmigen Formationen die elliptischen Galaxien in der Mitte konzentrierten; die Spiralgalaxien lagen nahe der Peripherie.
Bald vereinigten sich die Haufen zu den größten im Universum aufzufindenden Strukturen, den Superhaufen. Endlich schien das gesamte, aus lichten Fäden gewobene Universum vor meinen Augen zu liegen, das zugleich in sich gekehrte und immer noch Raum und Zeit greifende Dasein, und zwischen den aus Haufen und Superhaufen bestehenden Filamenten breiteten sich die Dunklen Leeren aus, die Voids, das unauslotbare Gegenüber unserer im Licht liegenden Lebenswelt.
Licht und Schwärze.
Schönheit und Grauen.
Sapar-Nuhanu riss mich aus meiner Betrachtung: »Ob diese Superhaufen und die großen Filamente stabil sein werden oder episodisch, wissen wir nicht: Die Galaxienhaufen bewegen sich mit bloß etwa 1000 Kilometer pro Sekunde in und durch den Superhaufen; für die Durchquerung würden sie 300 Milliarden Jahre und mehr benötigen. Und dazu ist unser eben geborenes Universum noch viel zu jung.«
»Ich weiß«, sagte ich.
»Aber das«, sagte Sapar-Nuhanu, »ist immer noch nicht alles. Bei Weitem nicht.«
*
»Jeder Stern und jede Galaxis erzeugt ein höherdimensionales Feld, ein hyperdimensionales Äquivalent, das sich in den Hyperraum erstreckt. Wie das Magnetfeld einer Galaxis bildet auch dieses galaktische Hyperenergiefeld ein unverwechselbares Muster, das bei der Gestaltung der realen, materiellen Galaxis mitwirkt. Auch hierbei handelt es sich um eine Interdependenz. Wir bezeichnen diese hyperdimensionale Signatur einer Galaxis als ihr Identfeld; den individuellen und unverwechselbaren Ausdruck einer Galaxis.
Wie die frühen Magnetfelder, die zur Ausbildung von Spiralgalaxien beigetragen haben, ist dieses Identfeld eine Art Vorentwurf für die jeweilige Sterneninsel – für jede Sterneninsel, nicht nur für die Spiralgalaxien.
Diese Identfelder sind schwierig zu orten. Im Normalraum bilden sie sich extrem schwach ab. Ich habe zu eurem besseren Verständnis die Frequenzbezeichnungen des hyperenergetischen Spektrums in eure Maßeinheiten übersetzt.
Die Konstante des Hyperraums liegt bei 21,88 Megakalup. Das hyperenergetische Äquivalent der starken Kernkraft – der von euch als Very Low Frequency oder VLF bezeichnete Bereich – liegt bei 7214 Kalup bis 28,857 Megakalup. Die Frequenz des Identfeldes beträgt 2296,287518929715 Megakalup und entsprechend weiter.«
Der Tamaron, der dem Vortrag bisher mit leicht kraus gezogener Stirn gelauscht hatte, fragte: »Was soll denn entsprechend weiter bedeuten?«
Sapar-Nuhanu lächelte mir zu.
»Diese Zahl ergibt sich, wenn man die bislang niedrigste gemessene Kalup-Frequenz des VLF-Bereichs durch die Konstante dividiert, die als Verhältnis des Kreisumfangs zu seinem Durchmesser des Kreises bestimmt ist«, antwortete ich. »Terraner nennen diese Zahl Pi. Die Zahl ist irrational, und sie ist transzendent. Das heißt: Anders als algebraische Zahlen kann sie nicht die Nullstelle eines Polynoms mit Koeffizienten aus rationalen Zahlen sein.«
»Und das bedeutet in einfachen Worten?«, fragte der Tamaron.
Ich probierte es: »Sehr stark vereinfacht könnte man sagen, dass wir uns über algebraische Zahlen verständigen können, wenn wir mit plus, minus oder mal arbeiten. Die transzendenten Zahlen sind das Gegenteil dieser algebraischen Zahlen.«
»Noch vereinfachter beweist die transzendente Zahl Pi, dass man einen Kreis nicht quadrieren kann«, versuchte Sapar-Nuhanu zu helfen.
»Überspringen wir diesen Teil und kommen zu den Folgerungen«, schlug der Tamaron vor. »Was habt ihr gemessen und was bedeutet das eurer Ansicht nach?«
Der Wissenschaftler seufzte leise, wahrscheinlich interessierten sich die wenigsten Organischen derart hingebungsvoll für Theoreme und Analysen im mathematischen Bereich wie er, und der Tamaron war nur ein weiterer von vielen. »Vorab noch ein Hinweis: Wie jede Hyperstrahlung, nimmt auch die Strahlung des Identfeldes mit dem Quadrat der Entfernung ab. Schon im erweiterten Halo ist das Identfeld einer Galaxis kaum noch messbar. Und unsere Messstationen befanden sich nicht in unmittelbarer Nähe der Milchstraße.«
»Eure Spionagesatelliten interessieren uns nicht. Sagt mir das Ergebnis!«, drängte der Tamaron.
»Im Ergebnis haben wir gemessen, dass sich das Identfeld der Milchstraße verschoben hat.«
»Um wie viel?«, fragte ich.
»Das ist das Problem«, sagte Sapar-Nuhanu. »Unsere Positroniken kommen mit ihren Berechnungen an kein Ende. Wir nähern uns der Null immer weiter an. Und das seit Jahrzehnten. Möglicherweise beträgt die Verschiebung einen Wert, der nicht null ist, aber von null ununterscheidbar.«
Der Tamaron lachte spöttisch auf. »Eine Verschiebung um null ist keine Verschiebung!«
»Nicht im Normalraum«, gab Sapar-Nuhanu zu. »Wohl aber im Hyperraum und bei einigen damit zusammenhängenden Prozessen. Die Milchstraße hat mit dem Raptus ihr hyperdimensionales Identfeld verschoben – in den vier Dimensionen des Normalraums zwar nur um den Wert null, aber um einen minimalen, von null unterscheidbaren fünf- bis sechsdimensionalen Wert.
Wir denken nun, dass sie auf eine Weise, die wir nicht begreifen können, aus der Gesamtheit aller Identfelder herausgefallen ist, dass sie herausgenommen worden, dass sie vertauscht ist. Dass sie mit etwas Unsäglichem kontaminiert wurde.«
Der Tamaron schwieg.
Die Beraterin sagte leise: »Wir glauben, dass sich die Milchstraße von allem anderen abgekehrt hat oder noch abkehrt. Und wir wollen nicht mitgerissen werden.«
»Mit welcher Technologie ...«
Aureni-Tarat unterbrach den Tamaron mit einer wegwerfenden Handbewegung. »Mit einer Technologie, die wir für verlässlich halten, konstruiert von uns und anderen andromedanischen Technosphären in Zusammenarbeit mit den Onryonen. Was tut es zur Sache? Wir haben sie gemessen, diese vielleicht nullwertige, unausrechenbare Abweichung im fünf-, vielleicht sogar sechsdimensionalen Raum.« Sie starrte den Tamaron an. »Und wir haben keine Ahnung, was diese Abkehr aus jenen macht, die ihr ausgesetzt sind.«
Nun klang die Stimme des Tamarons beinahe heiser. »Dann geht das Virthanium ein gewisses Risiko ein, wenn es seine hohe Repräsentantin hierhin schickt. Schließlich könnten wir sie vergiften.«
Er irrt, dachte ich.
Die Beraterin lächelte matt und lehnte sich zurück. »So hoch ist das Risiko nicht, Tamaron. Jedenfalls für das Virthanium. Denn ich bin verzichtbar.«
»Sie werden den Weltraumbahnhof sprengen«, erkannte ich. »Sie werden die SCIMOR vernichten. Das Ganze ist eine Art Versuch. Ein Experiment. Und wir sind nur die Untersuchungsgegenstände.«
»So ist es«, bestätigte die ehemalige Virth. »Ich wollte, es wäre anders.«
*
Fast im selben Augenblick, als ich registrierte, dass der Besprechungsraum in einen Paratronschirm gehüllt wurde und Fesselfelder auf mich zugriffen, sah ich den Tamaron und seine anderen Begleiter zusammensacken. Es gelang mir eben noch, meinen positronischen Teil zu desaktivieren. Dann setzten heftige, stark fokussierte elektromagnetische Impulsfronten sämtliche Positroniken außer Gefecht und desaktivierten damit auch alle Schutzanzüge.
In der Decke und in den Wänden versteckte Narkosestrahler hatten Vetris-Molaud und die anderen zehn betäubt. Nur mein Plasmaanteil blieb verschont.
Türen öffneten sich. Tefrodische Soldaten marschierten in den Saal, gefolgt von Antigravtragen. Die Soldaten lösten mit geübten Griffen die Kommunikationsarmbänder von den Handgelenken der Betäubten. Sie überprüften, ob etwaige Warnsignale abgegeben worden waren. Ich hatte keinen Zweifel, dass solche Signale gegebenenfalls nicht bis zur SCIMOR durchgedrungen wären.
Dann hoben die Soldaten die Ausgeschalteten auf die Tragen. Alles verlief verzögerungsfrei und ohne ein Wort, wie hundert Mal geprobt.