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2.

Die Heimat, so fern

Ein Alarmton dröhnte durch die GLUTOBAT III. Schneidend und durchdringend erreichte er sogar die entlegenste Ecke des Raumers.

Gleich darauf folgte der Schmerz, nicht minder schneidend und durchdringend. So sehr sich Ologbon bemühte, konnte er nicht verhindern, dass ihm ein tiefes Brummen über die Zupflippen kam. Er fühlte, wie sich die Tolnoten in seinen Hautfalten vor Unbehagen wanden, wie ihre Wurmkörper zitterten, wie sie sich in die Handflächen zurückzogen. Das lichte Haarbüschel auf Ologbons Schädel richtete sich auf, die Hautlappen vor der Riechspalte bebten. Er kniff die Augen zusammen und ...

... da war es auch schon wieder vorüber. Der Alarmton verstummte.

»Transition erfolgreich«, erfüllte stattdessen eine knarzig-blecherne Computerstimme die Zentrale des Raumers.

Routinemäßig startete Ologbon die üblichen Abläufe nach einem Sprung durch das Weltall.

Erster Schritt: die Lider schließen und zweimal tief durchatmen, bis der Schmerz abklang. Er wollte sich nicht vorstellen, welche Qualen eine ungeschützte Transition verursachen mochte – und tat es trotzdem.

Gerüchte erzählten von einem Sprungkoordinator, dessen Organoid im entscheidenden Moment ausgefallen war. Je nachdem, welcher Version man glaubte, hatte ihn der ungedämpfte Schock des Raumsprungs wahnsinnig gemacht oder sämtliche Tolnoten auf einen Schlag getötet und aus den Hautfalten in den Raumanzug fallen lassen oder ihn selbst umgebracht oder – besonders beliebt – sein Gehirn gebraten.

Ologbon glaubte keiner Version. Gerüchte, nichts weiter. Gruselgeschichten, die wichtigtuerische Sprungkoordinatoren erzählten, um die Fährnis ihrer Aufgabe zu betonen. Dabei lagen, wie jeder wusste, die wahren Gefahren woanders: draußen, jenseits der eigenen Raumerwände, in der Dunkelheit des Alls, in feindlichen Schiffen, die nach Beute suchten.

Außerdem: Würden ihnen ihre Gönner, die Cairaner, ein technisches Implantat ins Gehirn verpflanzen, wenn es nicht absolut zuverlässig wäre?

Na schön, weiter mit dem zweiten Schritt: die Lider wieder öffnen und sich einen raschen Überblick verschaffen.

Ologbon achtete nicht auf das wohlbekannte und schnell abklingende Pochen im Nacken, das sich immer einstellte, wenn das Organoid sein Schmerzempfinden dämpfte. Ausschaltete wäre ihm lieber gewesen, aber auch die Cairaner konnten keine Wunder wirken.

In der kritischen Phase nach dem Sprung kam es darauf an, sich von der Integrität des Raumers zu überzeugen. Die Stimme seines früheren Ausbilders hallte in seinem Hinterkopf wider: »Gönnt euch zwei Atemzüge, um zu euch zu kommen, keinesfalls länger! Wer unaufmerksam ist, übersieht Schäden am Schiff. Und Schäden am Schiff kosten Leben.«

Oder, wie es Onigboia, die zweite Sprungkoordinatorin an Bord, griffiger auszudrücken pflegte: Für den Augenblick zählte nur der Augenblick.

Die Visualsäule, das von einer kreisförmigen Konsole umgebene Herzstück der Zentrale, zeigte auf einem Rundummonitor die schematische Darstellung der GLUTOBAT III. Darin blinkten vereinzelte rote Wartungslichter in einem der Frachträume, in der Antriebssektion und in der Hyperfunkanlage. Nicht ungewöhnlich nach einer Transition, die Material und Technik stets aufs Äußerste strapazierte. Solange die Lichter nicht auf Blau umsprangen und dadurch ernsthafte Schäden anzeigten, bestand kein Grund zur Sorge.

Dritter Schritt: sich vom Wohlbefinden der Tolnoten überzeugen.

Er streckte den Arm nach der Konsole aus. Die Wurmkörper von acht Symbionten glitten fast komplett aus den Poren von Ologbons Handfläche und schoben die Regler für die Steuerung der Sensorwannen bis zum Anschlag, langsam und mit viel Feingefühl. Alles bestens, nur ein leichtes Zwicken in der Handwurzel zeigte ihm, dass eines der Wesen bald schwinden würde. Da seine letzte Kopplung gerade einmal anderthalb Jahre zurücklag und er seitdem erst zwölf Tolnoten verloren hatte, warteten in den Hautfalten seines Körpers jedoch noch über zweihundertfünfzig Würmer darauf, ihre abgestorbenen Artgenossen zu ersetzen.

Während die Deckel der Sensorwannen rund um die Zentrale in die Höhe glitten, steuerte Ologbon seine Sitzschale auf der Führungsschiene um die Visualsäule, bis Onigboia in sein Blickfeld geriet. Sie wirkte frisch und ausgeruht, als hätte sie der Raumsprung nicht beeinträchtigt.

Eine der Segnungen, eine Frau zu sein. Zum Ausgleich dafür, dass sie zwei- bis dreimal im Leben tagelange Geburten ertragen mussten, hatte ihnen die Göttin Tonor ein geringeres Schmerzempfinden geschenkt.

Er beneidete sie darum – und erschrak über sich selbst. Nicht wegen seiner unangemessenen Missgunst, sondern weil er an die Elfgötter gedacht hatte. Nun gut, nur an eine, an Tonor. Aber das war schlimm genug. Seit dem Glaubenskrieg vor über hundert Jahren und der Befriedung durch die Cairaner war die Religionsausübung außerhalb der Götterhaine von Ollfa verboten.

Normalerweise hatte sich Ologbon, der dem Götterglauben zumindest im Geheimen durchaus anhing, besser im Griff. Was war nur los mit ihm?

Wahrscheinlich zählte der bloße Gedanke an Tonor nicht als Verstoß, aber wer konnte sich da bei den Cairanern sicher sein? Sie waren die Gönner der Olubfaner, gewiss, hatten ihnen die Raumfahrt und fortschrittliche Technik gebracht, hatten sie, wenn man so wollte, auf die nächste Stufe erhoben, und dafür gebührte ihnen Dank. Dennoch tat man besser daran, sie zugleich zu fürchten. Und niemals, absolut niemals, sollte man den Frieden brechen oder auch nur gefährden.

Was, wenn das Organoid seinen Gedanken bemerkt oder aufgezeichnet hatte? Was, wenn das ausreichte, Ologbon als potenziellen Unruheherd auszumachen?

Erzählte man sich nicht von Olubfanern, die in der Öffentlichkeit den Götterelter Olu angebetet hatten – und tags darauf verschwunden waren? Munkelte man nicht von einem geheimnisvollen Ort, von einer Ausweglosen Straße, wohin Friedensbrecher zur Strafe gebracht wurden? Oder waren das ebenfalls nur Gerüchte wie das Schicksal des Sprungkoordinators, dessen Organoid ausgefallen war?

»Was ist mit dir?«, fragte Onigboia. »Du wirkst unkonzentriert.«

Ologbon verscheuchte die für ihn ungewohnten Befürchtungen. »Die Transition hat mich wohl mehr mitgenommen als sonst.«

»Kein Wunder. Wir haben den bisher weitesten Sprung hinter uns gebracht.«

»Wie weit?«

»Drei Komma sieben sieben eins zwei Lichtjahre. Eine unvorstellbare Entfernung!«

»Das ist ...« Unglaublich, wollte er sagen, doch dann wurde ihm die wahre Bedeutung der zurückgelegten Distanz bewusst, und der Anflug von Begeisterung verpuffte. Fast vier Lichtjahre? »... zu weit. Was ist passiert, Boia?«

Kurz drehte er sich zu den Sensorwannen um, aus denen sich gerade die restlichen Besatzungsmitglieder erhoben. Mangels eines cairanischen Organoids im Gehirn hatten sie in den wuchtigen durchsichtigen Dämmbehältern Schutz vor den Aus- und Nachwirkungen der Transition gesucht.

Ologbon beschloss, dass mit diesem raschen Blick dem vierten Schritt – Prüfung der Unversehrtheit der Mannschaft – Genüge getan war und widmete sich dem fünften: Fehleranalyse.

»Eine unerwartete Energiespitze im Fusionsmeiler«, sagte Onigboia. »Und nenn mich nicht Boia.«


Illustration: Swen Papenbrock

»Erstens: Das hat man davon, wenn man mit einem unserer ältesten Schiffe fliegt. Zweitens: doch!«

»Probleme?«, erklang die Stimme von Kommandant Obamoro neben ihm. Er hatte die Sensorwanne überraschend schnell verlassen.

»Ich bin nicht sicher.« Ologbon betrachtete die Monitorsektion mit den Schiffsdaten und rief verschiedene Analyseprogramme auf. »Ah, da haben wir es. Unmittelbar vor dem Sprung fiel einer der Energieflussregulatoren aus. Der Fusionsmeiler überflutete die Systeme bis an die Belastungsgrenze, und die Transition ging ein knappes Lichtjahr übers angepeilte Ziel hinaus.«

»Konsequenz?«

»Die gute Nachricht ist, dass das Olubneasystem nur noch 19,56 Lichtjahre entfernt liegt.«

»Nur noch? Mir erscheint das unfassbar weit.«

»Ist es.«

»Und die schlechte Nachricht?«

Ologbon sah auffordernd zu Onigboia. Ihre Riechlappen zuckten empört darüber, dass sie diejenige sein sollte, die die unangenehme Wahrheit aussprach, doch dann beugte sie sich seinem Rang als Erster Sprungkoordinator und damit gleichzeitig Stellvertretendem Kommandanten.

»Die Reparatur des Regulators und die anschließenden Wartungsarbeiten«, sagte sie, »dauern mindestens einen Tag. Vorher können wir die nächste Transition nicht verantworten.«

Sekundenlang herrschte unangenehmes Schweigen in der Zentrale, das durch die Geräusche der Besatzung, die nach und nach ihre Plätze einnahm, eher verstärkt als gemildert wurde.

Gespannt wartete Ologbon, ob sich Kommandant Obamoro zu einem seiner gefürchteten Wutanfälle hinreißen ließ. Seine Zupflippe befand sich in ständiger Bewegung, als risse sie Blätter von einem Busch. Die Zähne mahlten, als kauten sie diese imaginären Blätter. Doch dann entspannten sich seine Züge.

»Sieht so aus, als hätten wir die geringere Entfernung zur Heimat teuer erkauft. Sag mir nur eines: Werden wir Ollfa rechtzeitig zum Aufbruchsfest erreichen?«

»Problemlos«, behauptete Ologbon, ganz der Verkünder guter Neuigkeiten. »Die Feierlichkeiten beginnen am ...«

Er stockte. Einmal mehr nahm er sich vor, künftig in Neuer Galaktischer Zeitrechnung zu denken und nicht mehr nach dem altertümlichen Elfgötter-Kalender, den die Cairaner nach der Befriedung des Glaubenskriegs verboten hatten. Dann konnte er sich fortan vielleicht die lästige und peinliche Umrechnung ersparen.

Dennoch, für ihn gab es kein Aufbruchsfest. Er sah es als das an, was es schon Tausende Jahre vor seiner Geburt gewesen war, das Olufest, eine tagelange Feierlichkeit zu Ehren des Götterelters.

Nur wegen der Bedeutsamkeit des Festes hatten die Olubfaner vor Generationen diesen Termin für den Aufbruch zu den Sternen gewählt. Damit wollten sie Olu ehren und gleichzeitig seine Gunst für das große Abenteuer gewinnen. Das war freilich vor der Glaubenskrise, dem Krieg und dem Einschreiten der Cairaner gewesen.

Für Ologbon gewann das diesjährige ... Aufbruchsfest nur deshalb eine besondere Bedeutung, weil sich der erste Weltraumflug zum 121. Mal jährte. Elf mal elf. Eine wahrhaft göttergefällige Zahl.

Außerdem fand während der Feierlichkeiten die Initialkopplung seines Sohns Ofilor mit einer Tolnotenkolonie statt. Hoffentlich. Sie war längst überfällig.

»... am 16. September«, brachte er den Satz nach einer Pause, die ihm viel zu lange erschien, zu Ende.

Wenn sie Obamoro aufgefallen war, ließ er es sich nicht anmerken.

»Acht Transitionen«, fuhr Ologbon fort. »Mit dem Tag Zwangspause und den dazwischen liegenden Regenerations- und Wartungsstunden bleibt uns ein Puffer von gut zwei Tagen.«

Ihm war bewusst, dass die Rechnung womöglich eine Spur zu zuversichtlich ausfiel, aber keinesfalls wollte er Ofilors Kopplung versäumen. Und so versprühte er die Zuversicht nicht nur um Obamoros willen, sondern vor allem für sich selbst.

Sein Optimismus erfuhr einen herben Dämpfer, als er bemerkte, wie auf dem Rundummonitor eines der Wartungslichter von Rot auf Blau umsprang.

»Ausfall des Hyperfunks«, kam es umgehend vom Kommunikationsposten.

Die Hyperfunktechnik gehörte noch immer zu den störanfälligsten Systemen der olubfanischen Raumfahrt. Vermutlich hatte die Energiespitze aus dem Meiler einige Module oder Verbindungen durchbrennen lassen.

»Ich kümmere mich darum«, sagte Ologbon.

Nicht, weil er dafür besser geeignet gewesen wäre als jeder andere an Bord, sondern weil er hoffte, Obamoros Wutanfall aus dem Weg zu gehen. Denn erneut zuckte dessen Zupflippe verdächtig.

*

Eine Stunde später.

Wieder dröhnte ein Alarmton durchs Schiff.

Wieder durchströmte Schmerz Ologbons Körper.

Wieder war beides schneidend und durchdringend.

Doch diesmal handelte es sich nicht um die Folgen einer Transition. Diesmal ...

Ologbon ächzte, als er zu sich kam. Zu seiner Überraschung lag er auf der Seite. Er schmeckte Metall und wurde sich bewusst, dass ihm die Zunge aus dem Mund hing und den Boden berührte. Mühsam hob er den Kopf und blickte sich um, sah aber nichts.

Er fühlte sich benommen. Sein Schädel pochte ohne Unterlass. Wenn bloß diese lärmende Sirene nicht jeden Gedanken niederbrüllen würde!

Instinktiv zog er die Lauschballen in die Hautfalten zurück und genoss die plötzliche Stille.

Wo war er? Was bei Olu war geschehen?

Er versuchte, die Erinnerung in sein Bewusstsein zu zwängen. Ihm fiel die letzte Transition ein, die Energiespitze aus dem Fusionsmeiler, der Ausfall der Hyperfunkanlage.

Richtig, er hatte sich in die Funkkaverne gezwängt, einen beengten Raum neben der Schiffszentrale, den man nur durch eine vergitterte Luke erreichte. Aber weshalb war es dunkel? War die Beleuchtung ausgefallen? Und warum war er ohnmächtig geworden? Hatte er sich ...

Mit einem Mal rollte die Erinnerung über ihn hinweg und bereitete ihm größere Schmerzen, als sein pochender Schädel oder eine Transition ohne die Dämmung des Organoids es jemals gekonnt hätten.

Den Schmerz der Todesangst und der Sorge, seinen Sohn nie wieder zu sehen.

Ologbon rappelte sich auf alle viere hoch, streckte einen Arm nach der Funkanlage aus und tastete sich vorsichtig an ihr entlang. Um sie herum.

Nach wenigen Schritten tauchte die Luke zur Zentrale auf. Durch das nur angelehnte Gitter sickerte das Licht der Notbeleuchtung und zeichnete ein bläulich flackerndes Rechteck auf den Boden der Funkkaverne.

Widerstrebend ließ er die Lauschballen aus den Hautfalten des Kopfes gleiten. Sofort umfing ihn neuerlich das Lärmchaos. Zu seinem Entsetzen mischten sich unter den Alarmton nun auch die Schreie der Mannschaftskameraden.

Ladhonen!, brüllte es in ihm auf. Die Geißel der Raumfahrt. Sie haben das Schiff geentert!

Er erinnerte sich an die plötzliche Aufregung, die er während der Reparatur der Funkanlage aus der Zentrale vernommen hatte. Zuerst hatte er nicht darauf geachtet, es lediglich für einen von Obamoros Anfällen gehalten und sich sogar für die Idee gerühmt, ihm aus dem Weg gegangen zu sein. Dann hatte er die Panik in den Stimmen gehört und die verzweifelten Versuche, Kontakt mit dem fremden Schiff aufzunehmen. Erst über Hyperfunk, was an der defekten Anlage scheiterte, anschließend über Normalfunk. Die Ladhonen hatten nicht reagiert.

Und dann? Warum hältst du dich nicht in der Zentrale auf, wo du hingehörst, und stehst deinen Kameraden bei?

Die letzten Erinnerungsstücke kehrten zurück. Wie in einem Film sah er sich auf die Gitterluke zueilen, dort verharren, kurz überlegen und zur beschädigten Anlage zurückeilen. Er sah sich fieberhaft daran arbeiten, damit sie einen Notruf absetzen konnten, der nicht beinahe zwanzig Jahre brauchte, um die Heimat zu erreichen.

Als geschähe es gerade im Augenblick, hörte er das Wortgewirr in der Zentrale. Befehle und deren Bestätigung flogen hin und her, Messwerte, Distanzangaben, Ortungsergebnisse. Über allem lag die stetig lauter werdende Stimme von Kommandant Obamoro ...

»Schutzschirm hochfahren! Warum dauert das so lange? Wie lange bis zur Gefechtsbereitschaft? Ich will laufende Meldung, hast du verstanden? Laufend! Ich werde diese Kerle lehren, mein Schiff anzugreifen!«

... doch da war Ologbon längst klar gewesen, dass sie gegen die Ladhonen nicht bestehen konnten. Nicht ohne die Hilfe der Cairaner. Und die der Götter.

Er arbeitete, als ginge es um sein Leben, denn genau das tat es. Aus seinen Handflächen ragten jeweils sämtliche zehn Tolnoten. Sie tauschten durchgebrannte Module, prüften Verkabelungen und Steckverbindungen, öffneten Abdeckplatten.

Schneller, immer schneller.

Gelegentlich zog Ologbon eine Hand zurück, ehe sämtliche Wurmwesen reagierten und sich von ihrer Aufgabe lösten. Dadurch riss er sich drei Symbionten heraus, die zu Boden fielen und in Sekundenschnelle austrockneten.

Er achtete nicht darauf.

Und dann?

Dann ...

... hatte etwas die GLUTOBAT getroffen, vermutlich nicht nur – aber auch – in der Hyperantenne. Funken waren in der Anlage aufgesprüht, hatten Ologbon einen Schlag versetzt, ihn gegen die Kavernenwand geschleudert, und die Lichter waren ausgegangen. Um ihn herum und in ihm.

Wie viel Zeit mochte seitdem vergangen sein? Wie lange hatten ihn Dunkelheit und Ohnmacht vor der Panik geschützt, die sich nun wieder seiner bemächtigte?

Er schlich näher an das Gitter, ohne das flackernde Rechteck zu betreten, und spähte hinaus.

»Kann jemand bitte den Alarm ausschalten?«, fragte draußen eine Stimme in einem Interkosmo, das auf Ologbon zu schnell gesprochen wirkte. »Das ist nur schwer zu ertragen.«

»Er wird vom Bordrechner gesteuert«, sagte Onigboia in festem Ton, eher trotzig als ängstlich. Tapfere Boia. »Ein Zeichen für die erheblichen Schäden, die ihr dem Schiff zugefügt habt.«

»Das habt ihr euch selbst zuzuschreiben. Hättet ihr euch ergeben und nicht auf uns gefeuert, wärt ihr glimpflicher davongekommen. Auf jeden Fall wisst ihr nun, dass euer Raumer beschädigt ist. Es gibt folglich keinen Grund mehr für den Alarm. Schalt ihn aus!«

»Aber ...«

»Schalt ihn aus!«

Im nächsten Augenblick verstummte der schrille Laut.

»Herzlichen Dank«, sagte die zu schnelle Stimme.

Ologbon versuchte, aus seinem Versteck heraus mehr zu erkennen, aber die Zugangsluke zur Funkkaverne war lediglich einen knappen Meter hoch. Die Besatzungsmitglieder hatten sich aufrecht auf den Hinterbeinen aufgebaut, anstatt wie üblich auf allen vieren zu stehen oder auf den Hinterläufen zu sitzen. Falls sie die Ladhonen mit ihrer Größe beeindrucken wollten, bezweifelte Ologbon jedoch, dass das gelang.

»Mein Name ist Bodh Aputhar«, ertönte die Stimme erneut. »Ich bin Kommandant der Versorgungseinheit POD-2202. Verhaltet euch ruhig und kooperativ, dann wird niemandem etwas geschehen. Hat sich, wie ich euch befohlen habe, die komplette Besatzung hier versammelt?«

Hitze stieg in Ologbon auf. Instinktiv zog er sich einen Schritt tiefer in die Finsternis der Kaverne zurück. Aber tat er damit das Richtige? Sollte er sich nicht besser zu erkennen geben?

Was, wenn die Ladhonen bemerkten, dass das Trenngitter nur angelehnt vor der Luke stand? Was, wenn sie wussten, dass olubfanische Besatzungen stets aus einem Vielfachen von elf bestanden? Was, wenn sie nachzählten und nur auf einundzwanzig kamen?

Die Cairaner hatten sie mit einigen Informationen über dieses schreckliche Volk versorgt. Die wichtigste Regel lautete: »Wenn ihr ein Schiff der Ladhonen seht: Flieht!« Die zweitwichtigste: »Wenn ihr nicht fliehen könnt, leistet keinen Widerstand. Bringt sie nicht gegen euch auf, und ihr werdet möglicherweise überleben.«

War es also nicht seine Pflicht, sich zum Schutz der Mannschaft zu zeigen?

Er dachte an Ofilor, seinen Sohn. Seit fünf Monaten nach dem cairanischen Kalender hatte er ihn nicht mehr gesehen, sieben nach dem Elfgötter-Kalender. Seit sie mit einer Ladung Kreuzkorn ins Tronbudsystem aufgebrochen waren, um dort ihre Verkäufe abzuwickeln und zugleich mit zwielichtigen Händlern über den Preis von Planktonballen für die Nährlösung der Tolnotenkolonien zu feilschen. Während jeder einzelnen Nacht, jeder Freischicht, vor jeder Transition hatte er sich nach ihm gesehnt.

Was wog schwerer? Die Verantwortung gegenüber seinem Erstgeborenen oder die Verpflichtung gegenüber den Mannschaftskameraden?

Er konnte sich nicht entscheiden. Und so war es Boia, die ihm das abnahm, indem sie sagte: »Die komplette Besatzung hält sich in der Zentrale auf.«

Was nicht einmal gelogen war, schließlich zählte die Funkkaverne ebenfalls dazu. Ob sich die Ladhonen auf solche Feinheiten einlassen würden, falls sie die Wahrheit herausfänden, war eine andere Frage.

»Sehr gut. Kommen wir also zum Geschäftlichen.«

»Zum Geschäftlichen?«, brüllte plötzlich Kommandant Obamoro. »Was für ein Geschäft soll das wohl sein?«

»Ein Tausch«, antwortete Bodh Aputhar. »Ihr überlasst uns, was immer an Bord wir gebrauchen können. Wir überlassen euch im Gegenzug euer Leben.«

»Das ist absurd! Ihr seid Piraten, schäbige Wegelagerer! Das und nichts anderes! Ich werde nicht zulassen, dass ...«

Schnelle, wuchtige Schritte erklangen. Dann Onigboias Schrei: »Obamoro! Nein! Steck die Waffe weg!«

Ologbon sah, wie der Kommandant auf jemanden außerhalb seines Blickfelds zustampfte. Unvermittelt verharrte er. Ein neuerlicher, diesmal mehrstimmiger Schrei hallte auf.

Dann kippte Obamoro um. Mit dem Kopf vor der Gitterluke blieb er liegen. In seiner Stirn prangte ein Loch, aus dem schwarzer Qualm aufstieg. Der widerliche Geruch nach verbranntem Fleisch zog in die Kaverne und ließ Ologbon würgen.

»Noch jemand, der mit unseren Geschäftsbedingungen nicht einverstanden ist?«, fragte Bodh Aputhar. »Nein? Gut, dann lasst uns beginnen.«

Ologbon zog sich in die Dunkelheit hinter der Hyperfunkanlage zurück.

*

Zweiundzwanzig Minuten vergingen, in denen Ologbon ständig fürchtete, die Ladhonen könnten sein Versteck finden.

Zweiundzwanzig Minuten, in denen sie das Schiff plünderten und ihrem Anführer in der Zentrale in einer hektisch klingenden fremden Sprache Meldung erstatteten.

Zweiundzwanzig Minuten, in denen sich Ologbon für seine Feigheit schämte. Obamoro war tot. Das machte automatisch ihn zum Kommandanten der GLUTOBAT III. Doch war sein Verhalten dem eines Kommandanten würdig?

Zweiundzwanzig Minuten. Zweimal elf. Eine göttergefällige Zeitspanne. Doch die Götter halfen nicht. Vielleicht hatten sie sich von den Olubfanern abgewandt, aus Gram darüber, dass ihnen die Cairaner den Rang abgelaufen hatten.

Zweiundzwanzig Minuten, in denen die Raumpiraten die Frachträume und Ersatzteillager leerten. Doch das war längst nicht alles, was sie mitnahmen. Oh nein, sie verschleppten auch noch zehn Olubfaner auf ihr Schiff, unter ihnen Onigboia. Die arme, tapfere Onigboia, die es nicht mochte, wenn er sie Boia nannte; die er noch vor Kurzem um ihre Schmerzunempfindlichkeit beneidet hatte; der er es aufgebürdet hatte, Obamoro die schlechten Nachrichten zu überbringen, und die er nun vermutlich nie mehr wiedersehen würde.

Zweiundzwanzig Minuten der Angst und Verzweiflung.

Dann war alles vorüber.

*

Der Rundummonitor der Visualsäule zeigte ein Raumschiff der PODHUM-Klasse. Doppelkeilförmig, 1300 Meter lang, 900 Meter breit und 250 Meter hoch. Die Farbe war schwer zu erkennen. Ein dunkles Grau oder Grün vielleicht, womöglich Blau.

Sein Schutzschirm schluckte die Schüsse der GLUTOBAT ohne erkennbare Wirkung, wohingegen er mit seitlich sitzenden Geschützen den Schirm der Olubfaner nach wenigen Salven zusammenbrechen ließen.

Während sich der Raumer immer weiter näherte, feuerte er aus einer im Bug sitzenden Waffe. Der Punktbeschuss schwächte das Rumpfmaterial, sodass es einem ebenfalls aus dem Bug ragenden Sporn keinen Widerstand mehr entgegensetzte, als die POD-2202 die GLUTOBAT rammte.

»So sind sie an Bord gekommen«, sagte Occtubul, der augenblicklich beschäftigungslose Funker. »Der Sporn dient zugleich als Tunnel für ihre Einsatzkräfte. Die Rumpfschäden haben sie mit Prallfeldprojektoren abgedichtet.«

»Schalt das aus!«, verlangte Ologbon. »Ich habe genug gesehen.«

Er ließ den Blick über die dezimierte Mannschaft wandern. Zehn Männer und Frauen waren verblieben, mit ihm elf. Eine gute Zahl. Immerhin etwas. Allerdings bezweifelte er, dass die Götter ihnen beistehen würden.

Ihr seid am Leben. Vielleicht solltest du ihnen besser dafür danken, als dich darüber zu beschweren.

Er las in den Gesichtern die gleiche Verzweiflung, die er spürte.

Niemand hatte ihm vorgeworfen, dass er sich während des Angriffs und der Plünderung versteckt gehalten hatte. Niemand stellte seine unfreiwillige Beförderung zum Kommandanten infrage. Im Gegenteil fühlte er die Blicke der Besatzung auf sich ruhen, voller Hoffnung und Zuversicht, ohne den geringsten Zweifel, dass er sie nach Hause bringen würde.

Nur: Er wusste nicht, wie er das bewerkstelligen sollte.

Die Hyperfunkanlage hatte den Beschuss beim Angriff nicht überstanden. Ersatzteile, die vielleicht – aber nur vielleicht – hilfreich gewesen wären, hatten die Ladhonen mitgenommen. Im Rumpf klaffte ein gewaltiges Loch, das nun hinter mehrfach verriegelten und versiegelten Schotten lag, um wenigstens den Verlust von Atemluft und Druck zu verhindern. Trotzdem schwächte es die Stabilität der Hülle so sehr, dass sie vermutlich nicht einmal eine einzige Transition überstehen würden, von den nötigen acht ganz zu schweigen. Und dann war da noch der ausgefallene Energieflussregulator, den sie nun nicht mehr ersetzen konnten.

Wieder fiel ihm der Satz seines Ausbilders ein: »Schäden am Schiff kosten Leben.«

Er hatte diesen Kerl mit seiner rumpelnden Art nie leiden können. Womöglich war es an der Zeit, ihm das Gegenteil zu beweisen.

Ologbon atmete tief durch.

»Das Wichtigste zuerst.« Er hob einen Becher, den seine Tolnoten für ihn festhielten. Er war gefüllt mit Kreuzkornbrand, den ihnen die Ladhonen neben einigen wenigen Vorräten gelassen hatten. Und weshalb sollte man einen guten Tropfen verkommen lassen? Also hatte er ihn an die Mannschaft verteilt.

»Ich gedenke Obamoros. Mögen ...« Er zögerte kurz. Durfte er es wirklich aussprechen? »Mögen ihn die Götter auf seiner weiteren Reise behüten.«

»Wir gedenken«, antwortete der Rest der Besatzung. Synchron hoben sie ihre Becher und tranken.

»Ich gedenke Boias und der anderen. Mögen sie überstehen, was das Schicksal ihnen aufbürdet, und bald sicher zu ihren Lieben zurückkehren.«

»Wir gedenken.«

Mit dem zweiten Schluck leerte Ologbon den Becher. »Uns bleiben zwei Alternativen. Wir warten hier, bis uns die Vorräte ausgehen, und sterben sicher. Denn seien wir ehrlich: Die Chance, dass uns jemand zufällig findet, ist gleich null. Oder wir reparieren die GLUTOBAT mit dem wenigen Material, das uns geblieben ist, dafür umso größerem Improvisationstalent, springen zurück ins Heimatsystem und sterben dabei wahrscheinlich – allerdings in dem Bewusstsein, es wenigstens versucht zu haben. Ich weiß, ich bin der Kommandant, aber ich möchte es nicht befehlen, sondern eure Meinung hören.«

Erneut hoben sie synchron ihre Becher. Im Gegensatz zu ihm hatten sie offenbar noch nicht ausgetrunken. »Wir gedenken Olgobons, unseres Kommandanten. Mögen die Götter ihm den rechten Weg weisen.« Und dann, nicht mehr synchron, aber immer noch gut zu verstehen: »Wir springen!«

Und was hast du verloren?

Sagen dir die Namen Yanid amya Caadil und Sephero Ceelsen amy Shiyil etwas? Nein? Woher auch. So hießen meine Eltern, Osmund. Sie sind tot, waren es bereits, bevor wir ein paar Jahrhunderte übersprungen haben.

Trotzdem fühlt es sich an, als hätte ich sie ein zweites Mal verloren.

Ich habe nie ihre Gräber besucht. Ein Versäumnis, das ich eines Tages nachholen wollte. Nun ist es dafür zu spät, schätze ich.

Meiner Ansicht nach hat uns der Zeitsprung vieler Möglichkeiten beraubt. Wollen wir hoffen, dass sich uns stattdessen neue bieten.

(Farye Sepheroa-Rhodan)

Perry Rhodan-Paket 61: Mythos (Teil1)

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