Читать книгу Perry Rhodan-Paket 61: Mythos (Teil1) - Perry Rhodan - Страница 43
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Die Jugend, so ungeduldig
Ofilor liebte die Ruhe im Götterhain, das Schwirren der fünfflügeligen Huldzirper, den süßherben Duft der Harztropfbüsche und den milden Geschmack ihrer Blätter. Das stete Knarren der mächtigen Silberbäume klang, als sprächen die Götter direkt zu ihm. Könnte er verstehen, was sie sagten, würden sie ihm vielleicht verraten, was nicht mit ihm stimmte.
Sein Vater hätte den Geräuschen womöglich eine Bedeutung abgetrotzt, doch der raste gerade mit einem Raumschiff durchs All und wurde erst am nächsten Tag zurückerwartet. Nicht, dass Ofilor ihn tatsächlich um Rat gefragt hätte, zumindest nicht in dieser ... nun, intimen Angelegenheit.
Ganz abgesehen davon, dass Bobla Ologbons Interpretation der Götterstimmen lediglich dessen persönliche Meinung darstellte. Was auch sonst? Schließlich gab es keine Götter.
Ich muss endlich aufhören, meinen Vater Bobla zu nennen. So etwas tun nur Kinder.
Ofilor schlenderte den Pfad zwischen den Bäumen entlang, der zum Zentrum des Götterhains führte, zu der Lichtung mit dem Tolno-Mal. Das ungezügelt wachsende Moos zu seinen Füßen zeigte ihm, dass heutzutage kaum jemand den Weg benutzte. Gäbe es die Göttin Tolno tatsächlich, müsste sie sich verdammt einsam in ihrem Garten fühlen.
Er erinnerte sich an eine Diskussion mit Bobla – nein: mit seinem Vater! –, bevor jener mit der GLUTOBAT III aufgebrochen war. Es war darum gegangen, ob und wie man eines von beiden beweisen konnte: die Existenz oder die Nichtexistenz der Elfgötter.
»Sind die Tolnoten nicht Beweis genug für eine denkende, schöpferische Kraft?«, hatte Ologbon gefragt – und damit einen für Ofilor besonders heiklen Punkt angesprochen. »Ohne sie hätte kein Olubfaner jemals Werkzeuge herstellen und sich unser Volk niemals so weit entwickeln können.«
»Woher willst du das wissen, Bobla? Ja, sie ersetzen uns – oder den meisten von uns – feingliedrige Finger. Aber was wäre geschehen, wenn es diese Sensorsymbiose nicht seit Urzeiten gäbe?«
»Wir wären ausgestorben.«
»Oder unsere Glieder hätten sich im Laufe der Jahrtausende so verändert, dass wir auch ohne Tolnoten gut zurechtkommen könnten. Vielleicht sogar besser.«
»Was ebenfalls den Beweis für eine schöpferische, gütige Kraft dargestellt hätte.«
»Nein. Es zeigt, dass die Tolnoten unsere eigene biologische Entwicklung aufgehalten haben. Ich kann darin nichts Schöpferisches erkennen. Und etwas Gütiges schon gar nicht. Außerdem: Die Cairaner haben unseren Vorfahren mit ihrer Ankunft gezeigt, dass wir nicht allein im Schöpfungsweit sind, und damit den Glauben an die Elfgötter schwer erschüttert. Hätten allmächtige Überwesen so etwas zugelassen?«
»Wir sprechen von Göttern, mein Sohn. Wesen, die über uns stehen. Wie könnten wir uns anmaßen, jede ihre Handlungen verstehen zu wollen?«
»Das übliche Argument: Geschieht etwas Gutes, sieht man darin das Wirken der Götter. Geschieht etwas Schlechtes, sind wir zu dumm, es zu begreifen. Hältst du das nicht für zu einfach?«
»Sieh dich um! Betrachte das Universum, die Planeten, uns. Wie kann all das existieren, wenn niemand es erschaffen hat? Wie soll Etwas aus Nichts entstanden sein, wenn nicht durch einen willentlichen Akt einer göttlichen Macht?«
»Die Macht der Elfgötter? Wesen, die jenseits unserer Heimat völlig unbekannt sind? Wie kommt es, dass niemand sie kennt, wenn sie doch alles erschaffen haben? Und seien wir ehrlich: Selbst auf Ollfa gibt es kaum jemanden, der die Namen aller elf nennen könnte. Lass uns für einen Augenblick annehmen, es gäbe sie ...«
»Das brauche ich nicht anzunehmen. Das weiß ich!«
»... was geschieht dann mit ihnen, wenn sich eines Tages niemand mehr an sie erinnert? Hören sie auf zu existieren?«
»Selbstverständlich nicht. Würde die Sonne aufhören zu existieren, wenn wir alle blind wären? Die Götter sind ewig.«
»Wieso hat sie dann bisher niemand gesehen?«
»Deshalb nennt man es Glauben, mein Sohn.«
»Also existiert auch der Planet Terra, von dem man so viele Legenden hört, einzig weil manche Terraner glauben, dass dort ihre Wurzeln liegen?«
»Das ist etwas völlig anderes!«
»Ich erkenne keinen Unterschied. Noch einmal: Wenn die Götter alles erschaffen haben, warum haben andere Völker nie von ihnen gehört? Sind sie auch die Elfgötter der Cairaner? Und wenn nicht, wie können sie dann überhaupt Götter sein?«
»Dich beschäftigen sehr gefährliche Gedanken, wie sie vor über hundert Jahren zur Spaltung unserer Gesellschaft und zum Glaubenskrieg geführt haben.«
»Ein Krieg zwischen einer Partei, die nicht beweisen kann, dass es etwas gibt, und einer, die nicht beweisen kann, dass es etwas nicht gibt. Was für eine Sinnlosigkeit! Wenn du mich fragst, haben die Cairaner recht daran getan, uns zu stoppen und die öffentliche Glaubensausübung in die Götterhaine zu verbannen.«
»Aber was würden die Götter antworten, wenn ich sie fragte?«
Das Gespräch war noch einige Zeit so weitergegangen, und am Ende war Ologbon zu der Erkenntnis gelangt: »Die Cairaner haben unseren Glauben zu einem langsamen Tod durch allmähliches Vergessen verurteilt. Die Götter jedoch existieren weiter.«
Zumindest bei der ersten Aussage stimmte Ofilor zu. Die zweite hingegen hielt er für lächerlich.
Und trotzdem besuchst du den Götterhain aus einem anderen Grund als bisher.
Mit den Riechlappen fächelte er sich Luft in den Riechspalt, genoss die Aromen und hoffte, dass die Ruhe des Hains auf ihn übergreifen würde. Denn nur ein ruhiger Geist war ein offener Geist, und nur ein offener Geist strahlte.
Doch wie sollte man zu sich selbst finden, wenn einem die Gedanken mit der Kraft eines Sturms durch den Kopf fegten?
Vor ihm öffnete sich die Lichtung. Da stand es, inmitten einer blütenübersäten Wiese, umgeben von roten, violetten, gelben und blauen Farbtupfen: das Tolno-Mal. Eine lichte Säule aus sich umschlingenden Zweigen, so hoch, dass Ofilor das obere Ende selbst dann nicht berühren könnte, wenn er sich aufstellte.
Das Sonnenlicht brachte das silbrig weiße Holz zum Funkeln und vermittelte den Eindruck ständiger Bewegung – die künstlerische vergrößerte Nachbildung einer Tolnotenkolonie.
Ofilor blieb davor stehen, zögerte kurz und ließ sich schließlich auf den abgeknickten Hinterläufen nieder. Seine Zupflippe zitterte. Er wusste nicht, wie er beginnen sollte.
»Ehre sei dir, Tolno, Schwester von Olno, Tochter des Olu, Schöpferin und Schutzpatronin der Tolnoten.«
Er kam sich fürchterlich albern vor bei diesen schwülstigen Worten. Aber was sollte er sonst sagen? Ihm fehlte jede Erfahrung, wie man mit den Göttern sprach. Freilich besuchte er den Hain regelmäßig, allerdings nur, um dem Trubel der Stadt und den geringschätzigen, spöttischen Blicken der Erwachsenen zu entkommen. Und selbstverständlich, weil es sein Vater von ihm erwartete.
Bisher war er selbst nie in der Absicht an diesen Ort gekommen, um Zwiesprache mit einem Phantasiewesen zu halten. Wozu auch?
Dass er es an diesem Tag zu tun gedachte, lag nicht etwa daran, dass er seine Meinung geändert und plötzlich zum Götterglauben gefunden hätte. Vielmehr wollte er in seiner Verzweiflung keine noch so lächerliche Chance ungenutzt lassen. Falls sein Vater recht hatte und es die Götter tatsächlich gab, ließen sie sich vielleicht erweichen.
Allerdings solltest du von ihnen dann nicht als Phantasiewesen denken.
»Ich weiß, dass es dir vermessen erscheinen muss, wenn ich dich um etwas bitte. Ich, der sich noch nie an dich, deine Geschwister oder euren Elter gewandt hat.« Er lachte auf. »Ich, der nicht einmal an euch glaubt, um ehrlich zu sein. Aber falls es euch doch gibt und du es mir beweisen und einen Gefallen tun könntest, dann ...«
Er stockte. Der Rest seines Satzes hätte zu sehr nach Erpressung geklungen. Außerdem bezweifelte er, dass es eine wirkliche Göttin nötig hätte, Zeichen ihrer Existenz zu schicken.
»Egal. Mein Name ist Ofilor, Sohn von Ologbon, der mit Inbrunst an euch glaubt. Im Rahmen des von den Cairanern Erlaubten, versteht sich. Und ich ...«
Zwischen den Bäumen knackte es. Ofilor erhob sich hektisch auf alle viere und blickte sich auf der Lichtung um: Silberbäume, dichte Büsche, der Pfad, auf dem er gekommen war ... mehr sah er nicht.
Mach dich nicht lächerlich, dachte er. Der Hain ist voller Geräusche. Wo es knarrt, kann es auch knacken. Niemand verirrt sich hierher. Du bist allein. Also bring es hinter dich!
Trotzdem kam er sich beobachtet vor. Vermutlich lag das aber nur daran, dass es ihm peinlich war, eine Göttin um Beistand zu bitten, und dass er fürchtete, jemand könnte etwas davon mitbekommen. Sein Bobla zum Beispiel, der überraschend früh von der Handelsmission zurückgekehrt war.
Oder seine Mutter, die sich fragte, wohin ihr Sohn wieder einmal unterwegs war.
Oder – nicht auszudenken! – Osgu und seine Gefolgschaft. Osgu, mit dem er jahrelang wie mit einem Bruder verbunden gewesen war, mit dem er in den Sumpfigen Gründen gespielt und sich vorgestellt hatte, wie es wäre, erwachsen zu sein und fremde Planeten zu erforschen. Osgu, von dem er gedacht hatte, nichts könnte sie trennen, bis ...
Nein, Ofilor wollte nicht daran denken.
Er drehte sich zurück zu dem Tolno-Mal.
»Ich bin fast dreizehn Jahre alt. Alle meine Freunde – oder sollte ich sagen: ehemaligen Freunde? – haben ihre Initialkopplung bereits hinter sich. Manche schon seit vier Jahren.«
Er sank erneut auf die Hinterläufe, hob die Arme und betrachtete die Fußhände, die drei kurzen, klobigen Finger jeder Hand, diese schlichten, groben, kraftvollen und für feine Bewegungen völlig ungeeigneten Glieder.
»Sie alle tragen Tolnoten, verstehst du? Nur ich ... ich habe bisher keine Kolonie gefunden, die mich akzeptiert. Sechsmal habe ich die Kontaktgärten besucht. Sechsmal habe ich sie als Kind betreten und als Kind wieder verlassen. Die anderen lachen mich deswegen aus!«
Wut und Verzweiflung stiegen in ihm auf, wie so oft in der letzten Zeit. Er fühlte, wie der Riechspalt austrocknete und schmerzte. Hastig schaufelte er mit den Hautlappen Luft hinein. Es half nicht.
»Ich will keiner von diesen Sonderlingen werden, die ohne Symbionten in irgendwelchen Siedlungen hausen wie die Aussätzigen und sich einreden, sie täten es freiwillig. Ich will auch keine Prothesen tragen. Ich will einfach nur ein ganz normaler Olubfaner sein. Ist das denn zu viel verlangt?«
Ofilor starrte das Tolno-Mal an, als könnte er es so dazu zwingen, ihm zu antworten oder ein Zeichen zu geben. Aber die verschlungenen Äste schwiegen. Natürlich.
»Entschuldige, wenn ich aufgebracht klinge«, fügte er leiser und mit bebender Zupflippe hinzu. »Aber ich dachte mir ... nun ja, du bist die Schöpferin der Tolnoten, ihre Schutzpatronin, und falls es dich wirklich gibt, könntest du mir vielleicht helfen, eine ...«
Erneut brach er den Satz ab. Wie niedergeschlagen musste man sein, um sich von einem Astgewirr Hilfe zu versprechen?
»Ich bezweifle, dass das etwas bringt«, sagte in diesem Augenblick eine Stimme hinter ihm.
*
Ofilor fuhr hoch und schnellte herum. Er hatte sich also doch nicht geirrt, als er das Knacken vernommen hatte.
Vor ihm stand Osgu. Ausgerechnet er.
Er hatte sich auf die Hinterbeine erhoben, ragte in voller Höhe vor Ofilor auf und ließ einen feinen Zweig zwischen den Fingern hin und her tanzen. Eine überflüssige Geste, zu nichts weiter gut, als seine Überlegenheit zu unterstreichen. Denn selbstverständlich bewegten nicht seine Finger den filigranen Zweig – dazu wären sie viel zu klobig –, sondern die Tolnoten in den Handflächen.
Osgu war der erste von Ofilors Freunden, dem die Initialkopplung gelungen war. Gleich beim ersten Versuch, worauf er sich seitdem außerordentlich viel einbildete. In der Folge hatte er sich verändert, war zu einem überheblichen Aufschneider geworden, mit dem sich Ofilor immer öfter gestritten hatte, bis es schließlich zum Bruch gekommen war.
»Wen haben wir denn hier?«, fragte Osgu. »Wenn das mal nicht der zurückgebliebene Ofilor ist. Schleicht sich in den Götterhain und fleht Tolno an. Hätte nicht geglaubt, dass du eines Tages so tief sinkst.«
Das sagst ausgerechnet du! »Bist du mir nachgeschlichen?«
»Ach was! Ich habe hier gewartet, ob sich so kurz vor der nächsten Kopplungszeremonie ein Verzweifelter einfindet. Mit dir habe ich allerdings nicht gerechnet.«
Ofilor wusste nicht, ob er ihm glauben sollte.
»Und?«, fragte Osgu. »Hat Tolno geantwortet? Offenbar hältst du die Tolnoten ja für eine Gabe der Götter.«
Damit sein Gegenüber nicht länger auf ihn herabblicken konnte, stellte sich auch Ofilor auf. »Ich bin nicht dämlich. Mir sind die wissenschaftlichen Hintergründe von Kurzstreckentelepathie und kompatiblen Hirnwellen durchaus bekannt.«
»Oh! Gut.«
»Was willst du?«
»Dir helfen.«
»Mir ... was?«
»Dir helfen. Wenn du so viel über die Symbionten weißt, müsste dir längst klar sein, warum du noch keine passende Kolonie gefunden hast. Du bist in den Kontaktgärten zu verkrampft, nicht du selbst. Das merken die Tolnoten und sprechen deshalb nicht auf deine Hirnwellen an. Ich könnte dir helfen, dieses Problem in den Griff zu bekommen.« Osgu warf den Zweig weg. »Auf jeden Fall wäre das hilfreicher, als mit einem langsam verwitternden Astknäuel zu sprechen.«
»Warum solltest du das tun?«
»Um der alten Zeiten willen.«
Blödsinn! »Und wie?«
Osgu trug einen synthetischen Ganzkörperanzug in auffälligem Purpur mit unzähligen Taschen. Nun ließ er einige Tolnotenenden in einer davon verschwinden. Als sie wieder zum Vorschein kamen, hielten sie ein durchsichtiges Kunststoffröhrchen fest, in dem drei gelbe Kristalle übereinander purzelten. »Hiermit.«
»Du willst mir Drogen verkaufen?«
»Keine Drogen, sondern ein harmloses Mittel, das dich ruhiger macht, dich entspannen lässt und deinen Geist öffnet. Ganz natürlich, aus Pflanzensaft gewonnen.«
»Woher hast du es?«
»Spielt das eine Rolle?«
»Hast du es selbst genommen, damals bei deiner Initialkopplung?«
»Wer weiß?«
Ofilor starrte die Kristalle an, diese winzigen, Verheißung versprechenden Verästelungen. Er hatte von dem Mittel gehört. Nach dem Geräusch, das es angeblich machte, wenn man es sich in den Riechspalt legte und es sich zersetzte, und der Wirkung auf den olubfanischen Geist nannte man es Knisterflug.
Eine Droge, ohne Zweifel, da konnte Osgu behaupten, was er wollte.
Bei genauerer Betrachtung sahen die Kristalle aus wie miniaturisierte Tolno-Male. Stellten sie die Lösung von Ofilors Problemen dar? Aber was, wenn sie nicht wirkten? Oder wenn sein Vater davon erfuhr? Wenn jemand ihn erwischte und den Cairanern meldete?
So viele Wenns.
Andererseits hatte er sich vorgenommen, keine Möglichkeit ungenutzt zu lassen. Immerhin hatte er sogar eine Göttin um Beistand gebeten, und da standen die Chancen erheblich schlechter, dass es etwas nutzte. Außerdem, was konnte schon passieren, wenn er nur ein einziges Mal zu einem Knisterflug aufbrach?
»Du bist unsicher«, sagte Osgu, »das sehe ich dir an.«
Wie auch nicht? Noch vor drei Jahren hätte Ofilor dem Freund sein Leben anvertraut. Doch nun?
»Ich mach dir einen Vorschlag: Denk bis zum Aufbruchsfest in aller Ruhe darüber nach. Das gibt dir drei ganze Nächte, um dir darüber klar zu werden, wohin dich dein Weg führen soll. Es reicht aus, den Kristall kurz vor der Zeremonie einzunehmen. Falls du dich für mein Angebot entscheidest, stecke ich ihn dir rechtzeitig zu. Und selbstverständlich, falls du bereit bist, im Gegenzug mir einen Gefallen zu tun.«
»Was? Davon hast du bisher gar nichts ...«
»Was dachtest du denn? Dass ich dir einen Freiflug schenke?« Osgu lachte.
In diesem Augenblick verabscheute Ofilor ihn mehr als je zuvor.
»Welchen Gefallen?« Nach kurzem Zögern: »Falls ich interessiert wäre.«
Osgu deutete auf die Sträucher zwischen den Bäumen. Dabei ließ er die Tolnoten der linken Hand sich gegenseitig umschlingen, sodass sie beinahe wie ein Pfeil wirkten.
Was für ein überheblicher Kerl! Kaum zu glauben, dass wir mal Freunde waren.
»Die Harztropfbüsche?« Ofilor ahnte, worauf das hinauslief.
»Ich möchte, dass du mir vor der Zeremonie mindestens fünf große Harztropfen bringst.«
»Aber ... das ...« Die Büsche wuchsen nur innerhalb der Götterhaine. Ihr Harz, bei dem es sich in Wirklichkeit um eine goldene klebrige Flüssigkeit handelte, die sich in den Blüten bildete, hatte früher angeblich den Priestern dazu gedient, sich in Trance zu versetzen, um den Willen der Elfgötter zu erfahren. Aus ihm ließ sich eine Droge herstellen, gegen die Knisterflug eine harmlose Nascherei darstellte. Absurderweise war das nicht der Grund, aus dem es verboten war, das Harz aus dem Hain zu bringen. Vielmehr stellte es, wie Bobla Ologbon erklärt hatte, eine »Bereitstellung sensiblen Materials zur unerlaubten öffentlichen Religionsausübung« dar.
»... das ist gegen das Gesetz«, beendete er den Satz.
»Ach, tatsächlich? Was glaubst du wohl, warum ich nicht selbst welche mitnehme? Also, sind wir uns einig?«
Es fanden nur selten Sicherheitskontrollen an den Ausgängen der Götterhaine statt, aber hin und wieder gab es sie. Häufig genug, dass keiner der wenigen Gläubigen es wagte, Harz mit nach Hause zu nehmen. Jeder wusste, dass die Cairaner keinen Spaß mit Regelbrechern verstanden, und niemand wollte riskieren, von Ollfa weggebracht zu werden. Ofilors Vater hatte ihm von einem Gerücht über die Gefängnisse der Cairaner erzählt, das er während einer Handelsreise aufgeschnappt hatte. Man nannte sie Endlose Straßen oder so ähnlich.
»Was willst du mit dem Harz anfangen?«
»Das geht dich nichts an.«
Ofilor rieb die Zupflippen übereinander. »Also gut. Ich denke darüber nach.«
»Sehr gut. Ich bin mir sicher, du triffst die richtige Entscheidung.«
Und was hast du verloren?
Das fragst du ausgerechnet mich? Ich gehöre nicht einmal zur Besatzung, bin nur Gast auf diesem Schiff und habe den Zeitsprung nicht mitgemacht. Ist das ein Vorwand, um noch einmal einen Blick auf meinen Paau zu werfen? Glaub nur nicht, es wäre mir nicht aufgefallen. – Nein? Es interessiert dich wirklich?
Ja, auch ich habe etwas verloren, wie du weißt: Teile meines Gedächtnisses. Viele kleine einzelne Verluste, könntest du sagen. Aber ich sage, dass ich in Wahrheit nur eine Sache verloren habe: mich.
(Zemina Paath)