Читать книгу Revolverhelden in der Stadt: Glorreiche Western Sammelband 7 Romane - Pete Hackett - Страница 25
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ОглавлениеDer entlassene Stallknecht schlich durch die Gasse zwischen den Lagerhäusern und konnte einen Blick in das eingerichtete Behelfsspital werfen, in dem eine ganze Reihe Sturmlaternen brannten und trübes Licht nach draußen warfen.
Mit Staunen sah der kleine Kerl mit dem Schweinsgesicht die in Reihen auf primitiven Pritschen liegenden Menschen, die allesamt krank sein mussten.
Gerade trugen zwei Männer wieder eine Person auf einer Bahre heran.
Wendell schob sich zurück, um unbemerkt zu bleiben.
Doc Hillary trat aus dem umfunktionierten Schuppen und hielt die beiden an.
„Es ist Anselm“, erklärte einer der Träger. „Den hat es nun auch erwischt.“
Der Arzt ließ die beiden vorbei und folgte ihnen.
Wendell schob sich dichter an den Schuppen heran und spitzte die Ohren. Aber was drinnen gesprochen wurde, verstand er nicht. Hineinwagen durfte er sich jedoch auch nicht, da alle Leute in dem Nest wussten, was ihm widerfahren war. Und natürlich stand keiner auf seiner Seite. Sie würden ihn vielleicht zu Stud Johnson schleppen, und das würde ein schlimmes Ende seiner Mission bedeuten.
So schlich der kleine Mann weiter und warf kurz darauf einen Blick in die Hauptstraße. Auch hier schien sich alles verändert zu haben. Kein Mensch ließ sich auf der Straße blicken. Wären nicht die brennenden Lampen hinter den Fenstern gewesen, hätte er annehmen müssen, die Menschen wären weggezogen, soweit sie nicht in dem Schuppen darnieder lagen.
Ein Karren bewegte sich über die Plaza und fuhr Wendell entgegen. Er rollte unter dem Lichtkreis einer Straßenlampe hindurch. Wendell erkannte den Totengräber an seinem abgerissenen Frack und dem Zylinder auf dem Kopf.
Das zweirädrige Gefährt hielt vor einem Haus, dessen Tür sich mit leise knarrenden Angeln öffnete.
„Treten Sie ein, Mister Tilden“, sagte eine weinerliche Frauenstimme. „Mein Gott, was haben wir getan, dass der Herr uns so bestraft?“
„Gottes Wege sind unerforschlich, Madam“, erwiderte der krähenhafte Leichenbestatter salomonisch. „Rufen Sie Ihren Sohn. Er soll mir helfen.“
Die Frau ging ins Haus zurück. Tilden folgte ihr. Die Tür blieb offenstehen. Die Lichtbahn reichte bis zu dem Esel vor dem Karren des Totengräbers.
Wendell meinte, ein paar starre Gestalten zwischen den beiden Planken des einfachen Wagens zu erkennen.
Aus dem Haus ertönte lautes Heulen.
Tilden und ein junger Mann trugen einen Toten heraus und luden ihn auf den Wagen.
„Aber Sie fahren ihn ja nicht mal allein“, sagte der junge Mann erbost.
„Die Leute sterben wie die Fliegen“, erwiderte Tilden grollend. „Wie sollte ich das schaffen, wenn jeder eine Extrafuhre verlangt. Ich kriege noch zwei Dollar, Mister!“
Der junge Mann kehrte ins Haus zurück. Tilden folgte ihm bis auf den Fußweg und wartete dort, bis er sein Geld erhielt. Dann ging er zu seinem Esel und führte ihn weiter. Der Karren verließ das Licht und tauchte in der Dunkelheit unter.
„Der verdient sich eine goldene Nase“, murmelte Wendell. „Aber was bedeutet das?“
Er umschlich das Haus in der Hoffnung, an einem Hinterfenster etwas erlauschen zu können. Aber er geriet an die Küche. Das Fenster stand weit offen, und direkt dahinter auf einem Tisch lagen Brot, Butter und geräucherter Schinken.
Jäh erinnerte sich der kleine Halunke an seinen Hunger, hangelte am Sims hoch, griff hinein, konnte aber nur das Brot erwischen. Schon rutschte er zurück, wobei seine Schuhspitzen laut an der Wand entlangschrammten. In der Furcht, gehört worden zu sein, rannte er mit dem Brot in die Dunkelheit. Keuchend blieb er bei einem Gestrüpp stehen und schaute zurück.
Niemand verfolgte ihn.
Wendell biss heißhungrig ins Brot und schlang die ganze Beute binnen kürzester Zeit in sich hinein, wobei er jedoch nicht vergaß, sich ständig im Kreis zu drehen, um nur nicht überrascht zu werden.
Außer der Furcht vor Stud Johnson verstärkte sich seine Sorge, das Erkranken und Sterben der Leute hinge mit dem Genuss des Trinkwassers zusammen, das er selbst mit verwestem Fleisch in voller Absicht vergiftet hatte. Vielleicht wussten sie sogar schon, was da im Wasser lag, hatten es möglicherweise herausgezogen und tippten auf ihn als den Täter.
Am liebsten wäre er zu seinem vor der Stadt versteckten Maultier gelaufen, hätte sich in den Sattel geschwungen und wäre fortgeritten.
Aber da waren noch die Buck-Banditen. Wenn er nicht in spätestens zwei Stunden wieder bei ihnen eintraf, würden sie unverzüglich nach ihm suchen und die Verfolgung aufnehmen. Seine Spuren so gründlich zu verwischen, dass sie diese nicht fanden und seiner nicht habhaft wurden, traute er sich nicht zu.
Wieder schlich er zu den bewohnten Häusern, schlug dabei jedoch einen großen Bogen um Stud Johnsons Anwesen und erreichte die Rückseite einer kleinen Kneipe.
Ein Betrunkener taumelte lallend am Gatter entlang. Wendell erwog, ihn anzuhalten, verwarf den Gedanken jedoch rasch wieder. Aus dem war in seinem Zustand doch nichts herauszuholen.
Ein Fenster der Kneipe stand offen, damit der Qualm abziehen konnte. Drinnen standen jedoch nur drei Männer am Tresen. Die grüne, dickbauchige Whiskyflasche zwischen ihnen ließ dem ehemaligen Stallknecht den Speichel im Mund zusammenlaufen. Wie lange hatte er so etwas Schönes nun schon vermissen müssen! Er ertappte sich bei dem Gedanken, eine Flasche zu stehlen.
„Die Pocken breiten sich in Windeseile in der Stadt aus“, sagte einer der Zecher.
„Pocken?“ Wendell zuckte zusammen, weil er das laut wiederholt hatte.
„Das rafft uns noch alle dahin, wenn wir Pech haben.“ Der zweite Mann trank sein Glas leer, griff nach der Flasche und schenkte wieder ein.
„Das ist schon der sechste“, mahnte der dritte Mann, der Keeper.
„Na und? Ist vielleicht die letzte Ölung.“ Der Gast warf eine Münze auf den Tresen.
Wendell lauschte ein paar Minuten, aber die drei redeten indessen von etwas anderem, das ihn nicht interessierte.
Er schlich weiter und sah hinter einem Grundstück einen Mann im Schein einer auf dem Boden stehenden Petroleumlampe ein Loch ausheben.
„Sorrel“, murmelte Wendell freudig überrascht.
Der Mann hatte den Zuschauer noch nicht bemerkt und grub im Lampenschein weiter. Wendell fiel auf, dass der Mann mit dem Spaten ein Rechteck im Sand angerissen hatte, das aussah, als sollte ein Grab entstehen.
Der entlassene Stallknecht durchbrach das Gestrüpp, das als Grundstücksgrenze diente. Es raschelte dabei laut, was den Mann heftig herumzucken ließ. Zugleich ließ er seinen Spaten fallen und griff unter die Jacke.
„Ich bin‘s, Wendell!“
„Himmel, hast du mich erschreckt.“ Sorrel hinkte zur Seite und hob den Spaten auf. Mürrisch betrachtete er den ungebetenen Gast. „Was suchst du denn hier?“
„Ich wollte wissen, was los ist. Die Stadt scheint wie ausgestorben. Tilden karrt haufenweise Leichen ab. In der Kneipe sagten sie etwas von Pocken.“
„Eine Epidemie ist ausgebrochen. Die Pocken. Wenn wir Pech haben, kommt keiner lebend davon.“ Sorrel schaute sich um, ob auch niemand in der Nähe weilte, der ihn mit Wendell sah.
„Und wieso?“, fragte der frühere Stallknecht.
„Was?“
„Wieso ist die Epidemie ausgebrochen? Was ist dafür die Ursache?“ Wendell dachte wieder an das verweste Fleisch, das er ins Wasserloch geworfen hatte, und als er jetzt auf die Antwort wartete, schlug ihm das Herz bis zum Hals.
„Ein Wells Fargo Agent schleppte einen kranken US Marshal nach Saquarra. Der brachte es mit Aber dann erkrankten auch andere, die mit dem Marshal gar keinen Kontakt gehabt hatten.“
„Vielleicht mit dem Doc.“
„Mit dem Doc? Natürlich, jeder der erkrankt, gerät mit dem Doc in Berührung.“
„Na also, dann kann er sich doch angesteckt haben.“
„Dummkopf! Meine Schwester traf mit dem Arzt erst zusammen, als sie schon rote Flecken im Gesicht hatte. Da konnte Hillary sie nicht mehr anstecken. Im Übrigen zeigt er eine überraschende Konstitution. Er hat mit Toten und Halbtoten Kontakt und steckt sich selbst nicht an. Jedenfalls merkt man bei ihm nichts. Hast du keine Angst, Johnson könnte dich erwischen?“
„Ich haue gleich wieder ab“, versprach Wendell. „Ihr wisst jedenfalls nichts Genaues über den Ursprung der Krankheit?“
„Nein, verdammt. Möglich, dass es der Marshal einschleppte. Möglich auch, dass es mehrere Ursachen gibt.“ Sorrel stieß den Spaten in den Boden. „Ich will, dass du jetzt gehst, Wendell. Mit dem steifen Bein bin ich für Johnson sowieso nur eine halbe Arbeitskraft.“
„Mehr als den halben Lohn gibt er dir ja auch nicht“, erwiderte der ehemalige Stallknecht ironisch. „Und hätte ich dich nicht unter dem wütenden Gaul damals hervorgezogen, würde deine Schwester ganz auf dem Trockenen sitzen.“
„Ich bin dir auch sehr dankbar, Wendell. Allerdings braucht meine Schwester kein Geld mehr.“ Sorrel blickte auf das angerissene Rechteck im Sand.
„Ist sie auch …“
„Ja.“
„Tut mir leid, Sorrel. Ich hätte das nicht sagen dürfen. Entschuldige!“
„Schon gut.“
„Warum lässt du sie nicht von Tilden bestatten? Auf dem Friedhof, wie es sich gehört?“
„Hast du gesehen, wie das bei dem zugeht? Den Tag über hat er die Löcher serienweise gegraben. Und genauso holt er jetzt die Toten aus den Häusern. Meinst du, dass der dann immer noch weiß, wer in welchem Grab liegt? Da wird manch einer seinen Angehörigen an einem Grab bedauern und um ihn weinen, in dem der gar nicht liegt. Nein, meine Schwester wird hier bestattet. Damit ich weiß, wo sie die letzte Ruhe fand.“
„Ja, ich verstehe schon. Tut mir aufrichtig leid um sie. Gretel war so ein guter Mensch.“
„Rede nicht so dummes Zeug!“, sagte Sorrel erbost. „Sie war eine alte Schreckschraube, die mir das Leben zur Hölle werden ließ. Wegen ihr lief meine Frau fort und nahm unser Kind mit. Bis heute weiß ich nicht, was aus ihr wurde. Gretel hing wie eine Klette an mir und zählte mir die Whiskygläschen vom Mund, die ich mir genehmigte. Und zu jedem Schluck wusste sie extra einen Kommentar. Aber jetzt ist sie tot und hat Anspruch darauf, dass man weiß, wo ihr Grab liegt.“
Schimpfend stieß der Mann den Spaten in den Boden und warf die Erde aus.
Wendell sah eine Weile zu. „Hast du eine Ahnung, was aus dem jungen Buck und diesem Sonny wurde?“, fragte er schließlich.
Abermals hielt Sorrel inne. „Natürlich. Die wurden von den Brüdern Darion in den Gefangenenwagen gesperrt und nach Norden gebracht. Aber vor ein paar Stunden kehrte der Wells Fargo Agent Carringo mit dem Wagen zurück. Der war hinter denen her. Die Kopfgeldjäger sollen doch den US Marshal zusammengeschossen haben.“
„Ich denke, der hat die Pocken?“
„Das außerdem. Da fällt mir ein, sie haben erzählt, ein gewisser Hansom wäre dem US Marshal von den Kopfgeldjägern abgejagt worden. Weil der angeblich fünfzehnhundert Dollar Kopfgeld wert gewesen wäre. Und der hatte auch die Pocken und wurde unterwegs verscharrt. Inzwischen sind auch ein Falschspieler und der jüngere Darion von der Epidemie befallen.“
„Das grassiert ja regelrecht“, murmelte Wendell. „War denn dieser Hansom hier in der Stadt?“
„Nur in dem Käfigwagen. Aber dafür kam er ja seinerseits mit dem US Marshal zusammen.“
„Oder der mit ihm“, gab Wendell zu bedenken.
„Was meinst du?“
„Ich meinte, der US Marshal kann sich auch an diesem Hansom angesteckt haben. Nicht nur umgekehrt.“
„Ach so.“ Sorrel schob sich den Hut ins Genick und kratzte sich am Haaransatz. „Na eben. Dieser Hansom kann das auch von irgendwo mitgebracht haben, steckte den Marshal an und der dann an uns. Aber Gretel hatte weder mit dem Marshal Kontakt noch mit Hansom, und auch nicht mit dem Doc. Die hat mal mit der Nachbarin getratscht und ging in den Store, um einzukaufen. Sonst war sie immer im Haus. Sonst Drachen!“
„Du sagtest, der Wells Fargo Mann habe den Gefangenenwagen zurückgebracht?“, lenkte Wendell vorsichtig auf sein eigentliches Anliegen zurück.
„Ja. Er hatte doch keinen Schlüssel, um den Käfig zu öffnen. Den hat Hank Darion vielleicht weggeworfen. Übrigens, Hank Darion hat es auch.“
„Das sagtest du bereits.“
„Na ja, jedenfalls sind zwei Gefangene unterwegs verscharrt worden und zwei weitere krank.“
„Zwei hat es unterwegs erwischt?“
„Nein, nur Hansom.“
Wendell fluchte unterdrückt, weil er Sorrels Erzählweise sehr umständlich fand.
„Einen sollen die Darions über den Haufen geschossen haben, als er sie angriff.“
„Auch das noch“, murmelte Wendell, der den Buck-Brüdern weiß Gott keine Hiobsbotschaft überbringen wollte, um nicht doch noch ihre Rache an sich heraufzubeschwören. „Wer denn?“
„Weiß ich nicht.“
„Larry Buck oder sein Freund Sonny?“
„Nein, die sitzen mit noch einem und Clay Darion im Keller der Schmiede. Dahin werden sie auch Hank Darion und den Falschspieler schaffen, falls die nicht das Schicksal meiner Gretel teilen.“
„Aha.“ Erleichtert atmete Wendell auf. Das musste für die Buck-Brüder mit Sicherheit eine gute Nachricht sein. „Die sind also wieder in der Stadt.“
„Sage ich doch. Aber was interessiert dich das eigentlich, Wendell? Du sollst diesem Kopfgeldjäger doch den Tipp gegeben haben.“
Der ehemalige Stallknecht streckte abwehrend die Hände aus und zog sich zum Gestrüpp zurück. „Das ist erstunken und erlogen, Sorrel.“
„Ich hab es doch mit eigenen Augen gesehen.“
Wendell stieß gegen das Dickicht. „Der hatte einen Steckbrief und wusste, wen er sucht. Ich konnte ihm absolut nichts Neues verraten.“
„Ist mir ja auch egal. Ich hab dich hier auch nicht gesehen, Wendell. Du bist mir nicht begegnet!“
„Du mir auch nicht, Sorrel, mein Wort darauf.“ Wendell zog sich durch das Gestrüpp zurück.
Er sollte auch noch ein paar Lebensmittel beschaffen. Bei einer Gasse blieb er stehen und schaute sich um. Da er sich nirgendwo sehen lassen durfte und überdies keinen Cent mehr hatte, konnte er nur irgendwo etwas stehlen.
Johnsons Lebensmittellager kannte er am besten, und dicht bei dem Lager befand er sich bereits. Aber die Angst vor dem Händler ließ ihn weitergehen.
So erreichte er wieder das offene Küchenfenster des Hauses, aus dem man erst vor wenigen Minuten den toten Mann getragen hatte. Das Fenster stand noch einladend offen, das Licht brannte, und die Tür war geschlossen.
Wendel dachte noch einmal an die Buck-Brüder und Zalmon, die ihn zusammenschlagen würden, wenn er nichts zu essen mitbrachte. Das genügte, um ihm genügend Mut zu geben. Er schwang sich auf den Sims und in die Küche.
Hinter der Tür weinte jemand. „Beruhige dich doch“, sagte der junge Mann. „Was sollen wir nur ohne ihn anfangen?“
„Ich übernehme die Werkstatt. Wir werden schon durchkommen. Bestimmt schaffen wir es!“
Eilig sammelte Wendell zusammen, was er schnappen konnte, und ließ außer dem Schinken und einem Stück Räucherfleisch noch einen Laib Brot mitgehen.
Als sich Wendell über den Sims wieder hinausschwang, war er über seinen fragwürdigen Mut und das Gelingen des Unternehmens sehr erstaunt.