Читать книгу wie Hulle - Peter Baldinger - Страница 11

1976

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Lene hatte Konfirmation. Ich putzte mich raus, quetschte mich in die viel zu kurze braune Samtjacke, die ich noch von meiner Konfirmation hatte. Selbst mein Alter latschte mit in die Kirche, weil er Lene gut leiden konnte.

Bevor alles anfing, gab es Ärger. Bernard und Tobias waren aufgetaucht. Bernard hatte ein vampirmäßiges und deshalb komisches Cape (außen schwarz, innen purpur) auf der Schulter hängen. Das fand der Vater von Lene anstößig. Es gab ein kurzes Handgemenge und Tobias und Bernard hauten lieber wieder ab.

Der Rest verlief dann ganz ruhig. Lene trug ein knuffiges Kleidchen. Sie sagte ihren Spruch vor dem Altar auf. Das war‘s.

Hinterher sind einige vom Kollektiv und ich noch mit zu ihr. Es gab Kaffee und Kuchen. Wir blödelten schön rum und ließen eine Flasche Likör kreisen, als auch schon der Vater mit der Lederjacke ins Zimmer trat. Kretsch ließ sich davon nicht beeindrucken. Er stand auf, zog seine eigene Lederjacke an, eine alte, braune und stellte sich dicht vor den Vater. Kretsch überragte ihn ein ganzes Stück. Elke sprang auf und zerrte ihn zur Tür. Alle Nichtverwandten mussten nun gehen und der Vater rief hinter Kretsch her, dass er sich nie wieder blicken lassen solle.

Ungeduldig wartete ich auf Lene. Endlich klingelte es. Wir hockten uns auf meine Matratzen - vom Sperrmüll und tranken pelzigen Himbeertee. Wir schnubbelten und legten unsere Lippen aufeinander. So verknotet, hörten wir die erste Scheibe von ‚Supertramp‘. Lenes Haut war so weich, dass ich total von den Socken war. Atemlos lagen wir nebeneinander.

Höllisch erregt, hielt ich es nicht mehr aus und zog ihr die Jeans aus. Das ging schwer, weil sie sehr eng saß. Bei dieser Unterbrechung streiften wir auch gleich die T-Shirts ab und ließen die Hände über unsere Körper wandern. Ihre Busen waren klein und fest - super dufte.

Schließlich zerrte ich ihre Unterhose runter und meine auch. Wir küssten uns wie verrückt und streichelten uns wie besengt. Ihre raue, große Hand umfasste meinen Dödel und ich legte vorsichtig eine Hand zwischen ihre Beine.

Auf einmal ging die Haustür.

„Was! Ist es schon fünf?“ rief ich. Wir hatten wieder mal die Zeit verpasst: Muttern kam von der Arbeit zurück. Man hörte, wie schwere Einkauftaschen in die Küche geschleppt wurden.

Lene hatte ihre Sachen gegriffen und war in die Ecke des Zimmers gesprungen. Dort hechtete sie in ihre Klamotten. Ich schlüpfte ohne Unterhose in meine Jeans, zog das T-Shirt über, als Muttern auch schon die Tür aufdrückte.

„Kannst du nicht klopfen!“ schnaufte ich, den Hosenreißverschluss hochziehend. Lene kam hinter der Tür vor und lächelte ihr bezauberndstes Unschuldslächeln. Muttern schwieg wütend. Sie schlug die Tür wieder zu und fing an, die Wohnung zu putzen.

Ich legte ‚Gong‘ auf und machte die Musik lauter. Aber der Staubsauger war nervtötend und genau vor der Zimmertür. Wir knutschten wieder ein bisschen und verrenkten uns die Hände, bei dem Versuch, sie in die engen Jeans zu bekommen. Aber die Atmosphäre war verpupst.

„Kannst du mir mal hier helfen!“ schrie Muttern, da ihr nun endgültig der Kragen platzte.

„Es ist wohl besser, wenn du gehst“, sagte ich traurig.

„Ja, bis morgen“, sagte Lene und verschwand.

Bei einer Testwahl in meiner Klasse bekam die NPD 14%, die CDU 44%, die FDP 10%, die SPD 30%, die DKP 8% und die KPD 4%. Also gab es mindestens vier Faschos. Zum Glück durften wir noch nicht wählen. Als der Lehrer dann auch noch einen blöden Spruch über die Linkswähler machte, stand ich auf und las aus einer Maobibel vor, die ich vom Flohmarkt hatte:

„Die Welt ist euer, wie sie auch unser ist, doch letzten Endes ist sie eure Welt. Ihr jungen Menschen, frisch und aufstrebend, seid das erblühende Leben, gleichsam die Sonne um acht oder neun Uhr morgens. Unsere Hoffnungen ruhen auf euch. ...“

Ich packte das Büchlein oben in eine Tasche meiner Jeansjacke. Passte gerade so rein, nur ein kleiner roter Rand guckte raus. Da ließ ich sie.

In der kleinen Pause hatte ich dann Zoff mit fast allen aus der Klasse. Einige Schwachköpfe waren Mitglieder der Jungen Union. Sie sagten, dass in China alles Scheiße wäre. Unterdessen blätterte einer der Faschos unbehelligt in einer Ausgabe der Zeitschrift ‚die Wehrmacht‘.

Nachmittags wartete ich auf Lene. Ich hatte schon Tee gekocht und eine Platte aufgelegt. Endlich kam sie. Fast eine Stunde zu spät. Wie ich Warten hasste!

Sie küsste mich komisch und als ich ihr das T-Shirt über den Kopf ausziehen wollte, hielt sie es fest und sagte, dass sie ab morgen nicht mehr komme, weil sie einen neuen Freund habe. So saßen wir noch eine Weile da und nippten schweigend am Tee. Dann haute sie ab.

Auf einer Kirchengemeindefete sah ich Lene mit Tobias. Dass er der neue Freund war, hatte ich schon von Elke erfahren. Aber sie so eng umschlungen tanzen und knutschen zu sehen, das tat weh wie Hulle. Um kurz vor sieben gingen die beiden. Bestimmt brachte Tobias sie nach Hause. Das tat wieder höllisch weh. Logisch.

Ich becherte mit dem Kollektiv.

Um zehn wurde es dem Pater der Gemeinde zu bunt mit all den betrunkenen Leutchen und er beendete die Party.

Am nächsten Tag vorm Flohmarkt saß Tobias mit Shorty auf dem Asphalt und trank Lambrusco. Eifersüchtig beobachtete ich ihn. Er hatte hunderte kleiner Papier-CDU-Fähnchen, die bei der Marktkirche auf einem CDU-Fest verteilt wurden, auf seinem Schoß, zog das Stöckchen heraus und zündete sie an. Dann überließ er sie dem Wind, der die brennenden Papierstückchen bis über die Leine (das Stadtflüsschen) wirbelte.

Abends trafen sich alle vom Kollektiv auf dem DKP-Fest an der Bult, der alten Pferderennbahn. Da spielte ‚Undermen‘, die Kultband des Kollektivs. Die waren aber wie immer total schwach. Sie spielten hauptsächlich Sachen nach. Aber das Kollektiv flippte voll dazu aus. Hier war schon wieder Tobias. Der schenkte einer aufgedonnerten Millie, die eigentlich zu Kretsch gehörte einen Bauklotz mit komischen Zeichen drauf.

Danach zuckte fast das gesamte Kollektiv zur Mensafete in die Uni. Auch diesmal benutzten wir den Einstieg durchs Frauenklofenster. Voll abgetanzt.

Muttern schleppte einen rothaarigen Typen von der Kunsthochschule an. Er studierte Autodesign, zeichnete also Flitzer und baute Holzmodelle, die er im Windkanal testete. Er zog ein und verpestete die Wohnung mit ‚Reval‘ ohne Filter.

Einmal im Monat kriegte er ne Meise und fing an zu zechen. Erst trank er alle alkoholischen Getränke in der Wohnung aus, dann taperte er los zur Bude und soff gleich davor Flachmänner im Stehen. Dann kam er mit Tüten voller Sprittflaschen zurück, die er in jeder Ecke versteckte. Im Suff hörte er dann seine Plattensammlung durch: ‚Doors‘, ‚Woodstock‘, ‚Steppenwolf‘ und zum Schluss ‚Peer Gynt‘ von ‚Grieg‘. Bei ‚Grieg‘ weinte er, wie ein kleines Kind. Nach ungefähr drei Tagen war alles wieder vorbei. Er bereute dann und war trocken bis zum nächsten Anfall.

Als er mal wieder an der Bude saufen war (Muttern flennte rum), nahm ich alle seine Sachen und stellte sie in den Hausflur. Ich steckte meinen Schlüssel ins Schloss, so dass sein Schüssel von außen nicht mehr passte. Als er zurückkam, machte er natürlich einen stundenlangen Aufstand. Aber Muttern blieb hart. Irgendwann verschwand er. Seine Schallplatten sortierte ich zu meinen. Dadurch hatte ich schön viele.

Paffy (einer aus meiner Klasse) und ich hatten keinen Bock mehr auf Penne und schwänzten den Rest. Wir zischten mitten in der Erdkunde-Stunde einfach los.

Vor der Schule stand ein großes, amerikanisches Cabriolet mit offenem Verdeck, obwohl es eigentlich viel zu kalt dafür war. Der Typ hinterm Steuer wirkte verdammt nach einem Zuhälter: lange, lockige Haare, Goldkettchen und Brustfell.

Ich meine, auch Paffy hatte lange Locken, die hingen ihm aber weit über die Schulter und er sah eher wie ein Waldschrat aus. Paffys Lieblingsband war ja auch ‚Jethro Tull‘.

„Hey!“ rief der Typ, als wir an dem Auto vorbeilatschten, „wollt ihr euch was verdienen?“

„Was müssen wir dafür machen?“ fragten wir spaßeshalber.

„Heute Abend spielt in der Niedersachsenhalle ‚Wishbone Ash‘. Wollt ihr Ordner sein?“

Wusste ich längst, dass die spielten, denn ich wollte sowieso hin und versuchen umsonst reinzukommen.

„Wir sind interessiert“, sagte ich, „was genau müssen wir machen?“

„Ihr kommt jetzt mit mir mit und helft ein bisschen beim Aufbau und Soundcheck. Abends seid ihr Ordner. Dafür kriegt jeder 50 Mark und das Konzert umsonst“, erwiderte der Lockenheini.

Paffy und ich sahen uns an und nickten uns zu. Wir sprangen in die Karre. In Nullkommanichts waren wir an der Halle.

Es standen drei Sattelschlepper mit dem Equipment von ‚Wishbone Ash‘ da. Ein englisches Roadie-Team hatte mit dem Ausladen begonnen. Der englische Obermacker, ein riesiger Schrank, teilte uns ein.

Paffy und ich waren die einzigen Würstchen bei dieser Knochenarbeit. Alle anderen waren Muskelprotze.

Hinten aus den Sattelschleppern kamen von einer Rampe die schweren Verstärker und Boxen heruntergedonnert.

Der erste dieser Brocken, den ich versuchte unten abzufangen, überrollte mich und ich lag drunter. Paffy schaffte es seinen zu bremsen - gerade so.

Danach lief es ein wenig besser, weil die Dinger nun leichter waren. Bis wieder ein Verstärker kam, den ich nicht halten konnte. Er hatte eine scharfe Metallkante an der ich meinen Arm aufschlitzte. Es blutete wie Schwein, obwohl der Schnitt klein war. Und: verdammt dicht an der Pulsader. Einer der Sattelschlepperfahrer brachte Verbandszeug. Dann schufteten wir weiter.

In der Halle kannten alle (außer uns) genau ihre Handgriffe. Jede Handbewegung saß. Schnell war alles aufgebaut. Die Bandmitglieder tauchten auf und machten einen kurzen Soundcheck.

Paffy und ich kauften uns Büchsenbier an einem Kiosk und hingen völlig erledigt auf einer Mauer in der kalten Abendsonne ab.

Nicht lange und die ersten Fans tauchten auf. Wir wurden dazu eingeteilt die Treppe, die vom Balkon auf die Bühne ging, zu bewachen. Das wirkte ganz leicht. Wir setzten uns auf die Stufen und beobachteten, wie sich die Halle langsam füllte. Wir waren zufrieden, weil wir von diesem Platz aus alles vom Konzert mitbekommen würden. Also genehmigten wir uns noch einen Halben. Wir hatten nichts gegessen und es knallte gut rein.

Die Vorband spielte. Blödes Rock’n‘Roll Zeugs. Die Halle war jetzt gerammelt voll und erste Spinner wollten auf die Treppe steigen, um auf die Bühne zu gelangen.

„Hey lasst das!“ pfiff Paffy sie an. Der Lockenkopf, der uns aufgelesen hatte, kam an und half uns die Leute zurechtzuweisen.

„Bring mal Getränke zum Mischpult“, sagte er dann zu mir.

Ich dackelte los und holte Getränke aus einem Raum hinter der Bühne. Es gab weder einen Korb noch eine Tüte. Also balancierte ich die Wasser-, Cola- und O-Saftflaschen, auf meinem Armen durch die auf dem Boden hockenden Menschen.

Erleichtert lieferte ich sie beim Mischpult ab. Aber die Techniker da wollten mehr. Also musste ich noch mal gehen. Inzwischen hatte ‚Wishbone Ash‘ angefangen zu spielen. Sie spielten einige gute Songs, aber ich war zu beschäftigt, um richtig zuzuhören.

Wie beim ersten Mal, eierte ich die Flaschen auf den Armen durch die Leute. Diesmal fiel mir eine O-Saftflasche hin, weil ich jemandem auf die Hand getreten war. Die Flasche platzte und der Saft spritze über die Decken und Jacken auf denen die Leute saßen. Sie blökten mich an und ich blökte zurück.

„Mehr Alter, mehr. Bring mal ordentlich was rum Alter“, rief ein deutscher Prahlhans, der den englischen Technikern half und verteilte die Getränke an umstehende Kumpels.

Ich machte mich auf den Rückweg. Für mich war klar, dass die sich ihren Kram von nun an selbst holen konnten.

Ich war von rechts gekommen, also drängelte ich mich wegen der zerbrochenen Flasche lieber durch die linke Seite zurück. Ich hielt mich noch für besonders schlau, als mich jemand am Fußgelenk packte. Schon kickte mir ein anderer das andere Bein weg und ich fiel zwischen die Wichser. Sie waren in Rage und einer setzte sich auf mich und schlug mir immer ins Gesicht, während andere meine Beine und Arme festhielten. Ich fühlte nichts, außer, dass es, wo ich lag, nass vom Blut wurde. Eine Frau, die daneben saß, rief:

„Hey, was macht ihr denn da! Lasst den doch in Ruhe!“ Sie schlugen noch ein paar Mal zu, dann drängelten sie sich weiter nach vorne.

„Alles klar? Du siehst ja schlimm aus! Du brauchst einen Arzt!“ sagte die Frau.

„Ja, ja, schon gut“, hustete ich.

Ich stemmte mich hoch und schleppte mich zur Bühne. Die Leute vor mir versaute ich mit Blut. Ließ sich nicht vermeiden. Endlich war ich an der Absperrung, wo der englische Oberroadie mich sah und mir über die Barrikade half.

„What’s happened?“ fragte er. Mit meiner dicken Lippe konnte ich nur grunzen. Er wollte, dass ich ihm zeigte, wer das gemacht hatte. Wir kletterten also wieder über die Barrikade und drängelten uns den ganzen Weg zurück, den ich gekommen war. Wir fanden auch die Blutlache, aber sonst war da nur eine freiere Stelle. Selbst die Frau war verschwunden.

Also wackelten wir wieder zurück und der Roadie sagte, dass er mich zum Arzt brächte. Wurde aber auch Zeit. Er hakte mich unter und zerrte mich durch einen Ausgang raus in den Stadthallenpark. Den durchquerten wir. Auf der anderen Seite gab es einen Hintereingang in das Stadthallenhotel. In dem wohnten, wie es schien, die Mucker. Der Rezeptionist beachtete uns gar nicht, weil er Fernsehen glotzte. Der Roadie drückte mich in den Winz-Fahrstuhl und ließ sich seinen Schlüssel geben.

Wir fuhren nach oben. Leise dudelte Musik aus einem Deckenlautsprecher. Ich besah mich in den braunen Schönheitsspiegeln. Hatte ich mir alles noch schlimmer vorgestellt: Ein blaues Auge und eine wüste Platzwunde über der linken Augenbraue, die vielleicht genäht werden musste werden. Die Nase wirkte geschwollen. Alles war blutig.

„Take a shower. I call the hotel doc“, sagte der Roadie im Zimmer.

Ich ging ins Bad und duschte vorsichtig.

Als ich wieder rauskam, griff mich der Roadie und schmiss mich aufs Bett. Dort riss er mir die Jeans wieder runter und fing an, an meinem Schwanz herumzulutschen.

„Haben jetzt alle ne Macke?“ schrie ich ihn auf Deutsch an. Aber er hielt mir einfach den Mund zu und machte weiter.

‚Wozu sollte das gut sein?‘ fragte ich mich, da ich nicht das Gefühl hatte, dass sich bei mir etwas regen könnte.

Aber er war geschickt und schaffte es tatsächlich, dass es mir kam - ohne jede Erregung. Ich war platt.

Irgendwann stellte er mich auf, zog mich wieder an und schleifte mich in den Lift. In der Hotelhalle hielt er mir den Mund zu. Es war eh niemand da.

Im Konzertsaal, brachte er mich an meinen Platz auf der Treppe. Paffy kriegte sich gar nicht wieder ein.

„Im Publikum haben mich welche verdroschen“, erklärte ich ihm. Er hielt mir ein Bier hin. Trinken tat weh, aber ich trank es - ganz.

„Hier versuchen dauernd Leute auf die Bühne durchzubrechen“, sagte er dann und deutete sorgenvoll nach oben. Er hatte die Feuerlöscher aus der Umgebung geholt und auf die Treppe gestellt. Mit ihnen drohte er den Leuten, die über die Absperrung springen wollten.

Noch während er mir das erklärte, stürmten tatsächlich welche die Treppe runter. Wir nahmen die Feuerlöscher und sprühten ihnen das Pulver ins Gesicht. Sie verzogen sich wieder und das Pulver vermischte sich mit dem Trockeisnebel der Show. So hielten wir die Leute in Schach, bis das Konzert zu Ende war. Ging gar nicht anders.

Hinterher leerte sich die Halle schnell. Wir blieben auf unserer Treppe sitzen und warteten ab. Dann schlenderten wir rüber zu dem Macker, der uns aufgelesen hatte, und fragten ihn nach unserem Schotter. Aber der Lockenheini rastete total aus. Er und andere Ordner zerrten uns auf ein Klo und fingen an, uns zu schlagen. Sie waren total sauer wegen der Feuerlöschersache. Irgendwer hatte sich beschwert.

Der englische Oberroadie kam mit einigen Kerlen von der englischen Crew auch aufs Klo.

„Something wrong?“ fragte er mich orientierungslos.

„They won‘ t give us our money“, sagte Paffy.

Als der Lockenkopf das hörte, verpuhlte er Paffy wieder eine. Doch da griff der Roadie ihn von hinten und hielt ihn fest umklammert. Nun konnte er sich nicht mehr bewegen und seine Beine strampelten in der Luft.

Die anderen Engländer bauten sich vor den anderen deutschen Ordnern auf.

„Give them their money!“ schrie er den Lockenkopf an. Der schaffte es irgendwie Geld aus seiner Hosentasche hervorzuziehen. Paffy griff das Geld.

„Give them more!“ Und zu uns: „I try to hold him for a minute. But you have to leave! As fast as you can!“

Paffy schnappte sich wieder die Kohle und wir rannten raus.

Wir rannten, bis wir nicht mehr konnten. Wir hechelten, nach Luft japsend, kleine Seitenstraßen entlang, uns ständig umdrehend, aus Angst, dass uns jemand folgte.

„Für jeden 100“, sagte Paffy, als wir uns sicherer fühlten.

Er reichte mir einen der Scheine. Die Nacht war klar und die frische Luft kühlte wohltuend. Ich pisste gegen einen ollen Baum.

„Was ist eigentlich genau passiert?“ löcherte mich Paffy, weil er nicht verstand, warum der Engländer uns geholfen hatte. Aber ich zuckte nur mit den Schultern. Wir latschten den ganzen Weg bis zur Südstadt durch kleine Seitenstraßen.

Am nächsten Morgen hatte ich Fieber. Muttern erzählte ich, ich wäre vom Fahrrad gefallen. Sie war skeptisch, stellte aber keine weiteren Fragen.

Der Arzt sagte, an der gebrochenen Nase könne man nicht viel machen, die würde etwas schief bleiben. Er klammerte die Augenbraue und desinfizierte an mir rum.

Auf dem Weg zur Waldheimfete pöbelte Shorty im Bus die Leute an. Er war bereits reichlich angeschickert. Seine Augen hatte er mit einem Kayalstift schwarz angemalt - echt mutig.

„Hast’de gerad ne Schnalle?“ fragte er.

„Klar“, log ich.

„Wie sieht se denn aus? Kenn ich se?“

„Nee, eine von der Schule“, log ich weiter.

„Wie machs‘te das denn? Das Aufreißen, meine ich. Du hast immer ne Schnalle, wenn ich dich treff‘“, quetschte er weiter.

„Keine Ahnung. Du musst nett zu ihnen sein. Ich flirte dauernd. Ansonsten machen die doch alles. Du darfst eigentlich gar nichts machen. Das schaff‘ ich aber ooch nich“, quasselte ich.

„Ich müsst‘ wenigstens ne Zeit lang aufhören zu saufen, dann könnt‘ ich auch mal wieder eine an Land ziehen“, sagte er nachdenklich. Aber er hielt in der Hand schon das Einwegfeuerzeug, mit dem er eine neue Bierflasche köpfte. Der Kronkorken flog im hohen Bogen durch den Bus.

Auf der Party war was los. Es war laut, dunkel und heiß. Viele Leute vom Kollektiv waren da. Der geflieste Boden war glitschig vom Schweiß der Leute. Selbst Lene durfte wohl länger als bis sieben. Sie tanzte eng umschlungen mit einem komischen Schnösel. Vielleicht war sie gar nicht mehr mit Tobias zusammen? Das war irgendwie beruhigend.

Ihre Schwester Elke und ihre Freundin Heike standen am Tresen. Der bestand aus leeren Bierkästen mit einem Brett drauf. Kretsch belaberte sie. Er war voll hacke.

Tobias kam dann auch, zusammen mit Mieza. Sie stellten sich zu Elke, Heike und mir. Tobias schenkte allen möglichen Millies Wollfäden. Shorty lachte hysterisch darüber.

„Du hast aber Komplexe“, sagte da Elke zu Shorty. Er konnte es nicht fassen, dass sie das zu ihm gesagt hatte und lachte noch hysterischer.

Bei den Klos gab es eine Schlägerei, bei der Bonzo mitmischte. Kurz gingen alle vom Kollektiv rüber. Aber Bonzo hatte schon klar Schiff gemacht.

Nach einer Stunde zog Shorty mit Tobias und Mieza ab zur Mensafete in die Uni. Da hatte ich keine Lust zu und ging rüber zu Meschan, der in einer Ecke rumhing.

„Lass uns Millies anmachen“, versuchte ich ihn zu ermuntern, „glaub mir, es ist wichtig Millies kennenzulernen. Die beiden da hinten! Lass uns mit denen tanzen!“ Aber Meschan winkte ab und drehte sich eine. Ich ließ mich aber nicht entmutigen und schlenderte rüber zu den beiden gackernden Hühnern. Nach ein paar Worten hatte ich eins so weit, dass es mit mir tanzte. Die Schnulle war aber eine pummelige, zugekleisterte Pute und wenn ich mit meiner Nase zu dicht an ihr Gesicht kam, musste ich ihr stinkendes Make-up riechen. Meschan und Bonzo feixten.

Also zischte ich nach Hause und sah in der Glotze ‚Mit Schirm, Charme und Melone‘. Ich kapierte zwar nicht mehr, worum es ging, war aber astrein.

Es war Klassenfahrt angesagt: in eine Anstalt für politische Bildung. Irgendwo bei Oldenburg. Gab kein Entrinnen. Zwei jungdynamische neue Lehrer hatten uns das eingebrockt. Ein dürrer langer Gemeinschaftskundeschnösel und eine mehlige Englischlehrerin, die sogar aus England kam. Also Shorty hatte mich so bemitleidet, dass er mir etwas Hasch mitgegeben hatte. Machte die ganze Sache auf jeden Fall spannender. Alleine das Rumtragen des Zeugs. Ich versteckte es in Alufolie eingewickelt in einem roten DDR Pioniertuch um meinem Hals.

In den Seminarräumen wurde unter Aufsicht fleißig getagt und politisch gesülzt. Die Junge Union Wichserfraktion in der Klasse war am stärksten und prägte das Geschehen.

Im Garten gab’s einen ollen Swimmingpool ohne Wasser. Da drinnen kifften Paffy und ich. Dufte Atmosphäre.

Leider erwischte uns Lex, der im Sommer auch sitzengeblieben war und dessen Wege deshalb wieder meine kreuzten. Er kam auch runter und tat ganz auf Kumpel, quengelte, dass er mitrauchen wolle. Ich erwähnte die ständige Kloppe, die ich von ihm bezogen hatte und er sagte, das sei ja wohl ein alter Hut und er habe das damals nicht so gemeint. Na ja. Jedenfalls drehte ich einen neuen Joint und ließ ihn dran ziehen. Er wurde schlagartig grün und weiß und musste kotzen.

Den nächsten Tag verbrachte er im Bett. Da ließ sich dieser Wicht einfallen, der Englischlehrerin zu petzen, dass er mit mir Dope geraucht habe. Der hat ja wohl nicht alle Tassen im Schrank! Sofort wurde ich von den Lehrern interviewt, ob ich Probleme hätte und so was. Erst sträubte ich mich dagegen, aber auf dem Rückweg im Zug, dachte ich, dass es vielleicht gar nicht so unklug sei, ihnen zu sagen, was sie ohnehin hören wollten.

Im Abteil, in dem sie zusammen glucksten (wenn die mal nicht ein Techtelmechtel hatten ...?!), drückte ich kräftig auf die Tränendrüse, erwähnte die Scheidung meiner Eltern unter der ich immer noch litte, die Freundin, die mir weggelaufen sei, dass ich ne Zeitlang immer verhauen worden sei, der schlechte Einfluss einiger Freunde außerhalb der Schule, halt alles, was mir so einfiel. Ich versprach Schluss mit den Drogen zu machen und wurschtelte symbolisch das inzwischen leere Stanniolpapier aus dem FDJ-Tuch, riss das Fenster runter und warf es aus dem fahrenden Zug.

Klappte total: Meine Eltern erfuhren nichts von dem Vorfall und von den Lehren wurde ich fortan wie ein rohes Ei behandelt. Die Blödies aus der Klasse schnitten mich noch mehr. Recht so.

Auf den Flohmarkt gezischt. Niemand Bekanntes getroffen, weil alle auf der Demo gegen Fahrpreiserhöhungen waren. Also bin ich da hin und mit Shorty und anderen vom Kollektiv durch den Schneematsch marschiert. War aber mager besucht die Demo, vielleicht einige hundert. Kein Wunder bei der brutalen Kälte. Überall von den Kaufhäusern runter wurde man von den Kameras des Verfassungsschutzes gefilmt. Trotzdem wurden die Straßenbahnen gut blockiert. Zwischendurch bin ich zu ‚Horten‘ rein und habe mich aufgewärmt. Bei der Gelegenheit eine Platte von ‚Rush‘ aus dem Sonderangebotskasten erworben. Nur vier Mark.

Als ich wieder bei der Demo war, laberte mich ein Vollbärtiger damit zu, wie dufte früher die Rote-Punkt-Aktionen gewesen seien und so. Fand ich ja Schnee von gestern. Immerhin d a m a l s hatten fast alle Autos den roten Punkt gehabt und hatten jeden mitgenommen. Die Fahrgäste in den Öffis waren deutlich zurückgegangen. Die Fahrpreise waren dann doch nicht erhöht worden. Ich war neun gewesen. Jacke wie Hose. Nickte also solidarisch dem Typen zu. Immerhin hatten wir an unserem Käfer auch so einen roten Punkt gehabt. Außerdem hatte ich damals immer auf dem Schulweg einfach die Hand rausgehalten und schon hatte einer angehalten und schwupps mich hingefahren.

Plötzlich ging Tobias neben mir.

„Meine Eltern sind Silvester weg. Also dachte ich, ich mach‘ ne Party. Du bist eingeladen“, sagte er zu mir. Da er nicht mehr mit Lene zusammen war, überlegte ich hinzugehen.

Abends alleine ins Apollo Kino gezuckt - ‚Uhrwerk Orange‘ gesehen. Zum Glück fuhren die Bahnen wieder. Komisches Gefühl, allein im Kino.

Als Meschan und ich gegen neun auf Tobias‘ Silvesterparty ankamen, war irre was los. Überall saßen Leute auf dem Boden und standen in der Küche - bestimmt achtzig. Es wurde hemmungslos gezecht und gekifft. Meschan und ich pflanzten uns zu Elke. Bonzo saß da auch. Tobias sah mich und hockte sich auch zu uns. Elke wurde von Bonzo vollgelabert. Also quatschte ich vorsichtig mit Tobias über die Demo vor zwei Wochen.

„Habe ich dir Lene ausgespannt?“ fragte mich Tobias direkt.

„Klar“, antwortete ich ernst.

„Hast du nichts verpasst“, scherzte er.

„Bestimmt“, nickte ich nur mal so. Eine kurze Pause, dann lachten wir uns kaputt.

Um zwölf schleuderte Tobias massive Kanonenschläge aus dem Fenster. Andere waren rausgestürmt und warfen mit Chinaböllern nur so um sich. Ganze Plastiktüten voller Böller explodierten. Osse zündete einen Vulkan in einem Aschenbecher an. Als die Funken drohten, die Wohnung in Brand zu stecken, warf er alles raus. Die unten schrien auf.

In Hochstimmung wurde weiter gezecht.

Einer nahm sich eine edle Meerschaumpfeife aus der Sammlung von Tobias‘ Vater und stopfte Gras rein. Sie fiel aber runter und zerbrach. Kretchs Lederjacke lag seit Stunden auf einem mit grünen Tauchlack bestrichenen Strahler. Sie fing wie irre an zu qualmen. Shorty schüttete Bier drüber und die Birne zerplatzte. Die Fenster wurden aufgerissen. Kretch fischte aus den versengten Resten ein angeschmolzenes Einwegfeuerzeug, das bestimmt um ein Haar hochgegangen war. Er grinste breit.

Yogi hing überall mit Reißzwecken Kondome auf. Bonzo kotzte in den Hof runter und schmiss ganze Klopapierrollen hinterher.

Die Bar der Eltern war inzwischen alle. Thomas gab aber nicht auf. Er suchte mehr Alkohol und riss dabei die Türen vom Schuhschrank ab, weil er nicht kapiert hatte, wie sie aufgingen.

Mieza war total stoned und versuchte Weißbrot zu toasten. Er hatte schon mindestens acht Packungen aus der Kühltruhe geholt. Aber sie wurden immer zu schwarz und er ließ sie wie Diskusse durch die Gegend segeln.

Manche fraßen Zeug (Pizzen) direkt aus der Gefriertruhe. Irgendwer streute überall Niespulver hin. Dauernd reiherten welche auf die Teppiche.

Gegen Morgen wurde es ruhiger. Es kursierte das Gerücht, dass es auf einer anderen Party in der Nähe noch was zu saufen gab. Woher wollten die das denn wissen? Trotzdem düsten immer mehr da hin.

Ich half etwas aufräumen. Dabei fand ich unter einem Schrank eine Weinflasche, die jemand gebunkert und im Suff vergessen hatte. Die leerte ich mit Elke und Tobias.

Als ich loszuckte, war es längst hell.

wie Hulle

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