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1974

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Ostern. Nach drei Jahren Wartezeit hatten wir überraschend ein Visum bekommen, um nach Riesa in die Ostzone zu reisen. Muttern hatte da eine Tante, die sie besuchen wollte. Machten wir dann halt, obwohl Muttern vom Alten total angekotzt war und der als ‚Gegenmaßnahme‘ immer blau war.

Kurz vorher hatte der Alte einen knatzelorangen Passat aus der gerade herausgekommenen Passat-Serie von einem VW-Mitarbeiter abgekauft. Damit gondelten wir ‚rüber‘ und quartierten uns bei der Tante ein.

Die hatte ihre drei Zimmer bis zur Decke mit antiquarischen Möbeln zugestapelt. Viel Gequassel. Im Flur in einer Schale lag eine Sammlung Fluppen aus aller Welt. Indische, Russische, Arabische und aus der DDR. Davon bediente ich mich und vernebelte das Klo. Schmeckten echt Klasse.

Den Passat hatten wir im Hof geparkt. Als wir runtergingen, um irgendwo hinzugurken, standen mindestens hundert Leute im Hof und begafften die Karre.

Am nächsten Tag zuckelten wir nach Dresden, obwohl wir das eigentlich gar nicht durften. Dem Alten war aber auch das schnuppe. In Dresden wollten wir nach langem Rumgelatsche was Essen gehen, aber an allen Restaurants hing ein Schild mit der Aufschrift: ‚Wegen Überfüllung geschlossen‘. Konnte irgendwie nicht sein, da praktisch niemand unterwegs war. Da dem Alten wirklich alles egal war, sind wir in eins einfach rein und hochgegangen. Oben war eine riesige Halle mit unzählig vielen gedeckten Tischen. Die waren alle leer, außer an einem in der Mitte, da saßen die Angestellten und spielten Karten. Obwohl der Alte mit D-Mark Scheinen wedelte (peinlich), kriegten wir nichts zu futtern.

Frustriert gab sich der Alte die Kante in einer Eckkneipe. Muttern fluchte. Aber dem Alten war alles so schnuppe, dass er sogar Muttern nicht ans Steuer des neuen Wagens ließ, sondern es selbst besoffen nach Riesa zurückfuhr. Aber er hatte Glück, weil keiner uns stoppte.

Einmal taperte ich alleine durchs Städtchen. War ne echte Erfahrung. Alles war mit einer dicken Schicht Kohlenstaub überzogen. Menschenleere Straßen und keine Geschäfte. Ich fand aber eine Kneipe, die mir Fluppen der Marke Karo verkaufte. Duftes Spielkarten-Design, aber ohne Filter. Lange drehte ich die Packung hin und her und las alles durch was draufstand. Immerhin meine erste gekaufte Packung. Schmeckten aber nur mäßig.

Irgendwann entdeckte ich ein kleines Plattengeschäft mit Schrottplatten. Also kaufte ich drei Platten mit Bachs Orgelwerken, weil es ja fast nichts kostete. Würg!

Ich rief im Rathaus an und fragte naiv, ob sie nicht wüssten, wie man als Band an einen Übungsraum kommen könne. Die waren sehr freundlich und gaben uns in einer Schule in Döhren ein Klassenzimmer, in dem wir nachmittags üben durften. Meschan spielte die Telecaster von seinem Bruder, ich meine Epiphone-Gitarre und Carsten einen E-Bass. Statt Verstärker nahmen wir olle Röhrenradios vom Sperrmüll. Ging auch. Wir übten zwei Mal die Woche und machten einige Fortschritte.

Immer hinterher stellten wir die Radios in einen Holzschrank. Der Schrank war alt. Die Schule war modern. Der Raum war hell. Der Hausmeister war nett.

Muttern ging auf den Balkon und tat so, als prüfe sie das Wetter. In Wirklichkeit verabredete sie sich aber mit ihrem Geliebten, der in den Seitenflügel unseres Blocks gezogen war. Dann brachte sie mal den Müll runter. Nach einer halbe Stunde wurde der Alte wütend und stiefelte hinterher.

Als er wiederkam, hatte er eine blutige Nase. Er hatte bei dem Macker geklingelt, der hatte sogar aufgemacht und Muttern war tatsächlich dagewesen. Der Alte war noch viel wütender geworden, aber der Typ hatte einen schwarzen Gürtel in Karate und war ein Body-Building-Riese. So hatte der Alte eine verpuhlt gekriegt und war die Treppe runtergeflogen.

Das konnte er gar nicht verknusen. Deshalb zog er in eine Dachmansarde zwei Straßen weiter. Muttern reichte die Scheidung ein.

Der Alte wollte, dass ich bei ihm lebe. Das machte ich aber lieber nicht.

Muttern fing an Kunst zu studieren. Nach der Schule fuhr ich manchmal in die Kunsthochschule hinter den Herrenhäuser Gärten. Die Ateliers, der Geruch der Farben - ultrageil.

Meschan und ich besuchten Roland, einen Typ aus meiner Klasse. Der wohnte in Gleidingen. Dazu musste man ewig mit der Straßenbahn die endlose Hildesheimer Straße rauffahren. Nach der Südstadt kam Döhren, dann Laatzen, dann Rethen, dann Gleidingen. An der Endhaltestelle würde der Bus nach Hildesheim stehen.

Aber wir mussten schon eine vorher raus. Roland wohnte in einem Einfamilienhaus. Gerade mal im Garten angekommen, sprang mich auch schon ein blöder Boxer-Hund an und fing an, an meinem Bein zu wichsen. Zum Glück kam Roland und pflückte ihn von mir ab. Wir gingen rein.

Rolands Eltern waren im Urlaub. Wir fläzten uns also auf der Ledergarnitur und hörten Hard Rock. Erst ‚Thin Lizzy‘ dann ‚Ten Years After‘ – hatten Meschan und ich mitgebracht. In der Schule hatte Roland großkotzig mit den Alkoholschätzen seiner Eltern angegeben und dass wir uns mal so richtig die Kante geben könnten. Okay - es gab eine Bar, aber damit die Eltern nichts merkten, durften wir aus jeder Flasche nur ein klein bisschen trinken. Dieses Durcheinander von Brandy, Whisky, Gin und ekligen Likören ging Meschan und mir schnell auf den Senkel.

Trotzdem waren wir prima angetörnt, torkelten durch die Wohnung und hatten viel Spaß.

Leider war schon nach kurzer Zeit Schluss damit, weil Roland auf den Küchenboden kotzte. Er war ganz bleich und Meschan und ich mussten ihn aufs Sofa legen. Als es ihm wieder besser ging, machten wir ne Fliege.

Draußen kam sofort wieder der Boxer angefetzt, den ich total vergessen hatte. Diesmal war aber Roland nicht verfügbar, um ihn von meinem Bein zu reißen. Ich versuchte alles, um ihn loszuwerden, aber ich hatte kein Glück. In der Bahn tupfte ich mit einem Tempo an meiner spermanassen Jeans und den Sabberfäden am Parka rum. Meschan hatte einen lustigen Nachmittag gehabt.

Die Lüdersschule wurde eine gemischte Schule. In meine Klasse kamen drei Mädchen. Das waren einfach nicht genug um zwanzig Jungs aus der Patsche zu helfen. Egal.

Es war Sonntagmorgen und der Alte und ich klingelten bei Hans, weil er ein neuer Saufkumpel vom Alten war. Sie hatten sich bei einer lokalen SPD-Sitzung kennengelernt und nannten sich ‚Genossen‘. Höhö. Außerdem hatten sie beide schwabbelige Bierbäuche.

Von Beruf war Hans Beamter bei der Polizei. Polizist sein, konnte er aber nicht ausstehen. Deshalb nahm er immer Weiterbildungs-Urlaub und studierte Biologie. Außerdem schrieb er Lyrik und Kurzgeschichten, die er in einem Heft ‚die kleine Grauschrift‘ herausgab.

Seine beiden Töchter, sechs und sieben Jahre alt, gingen auf die Glockseeschule, ein ‚berüchtigtes‘ alternatives Projekt. Die Kinder durften selbst entscheiden, was sie tun wollten. Sie konnten zum Beispiel lernen, Fahrräder zu reparieren oder Mathe zu machen, oder was immer.

Kürzlich hatten die Töchter entschieden, gar nicht zur Schule zu gehen, sondern ihre Oma in Nienburg zu besuchen. Sie waren also losgelatscht, hatten sich eine Fahrkarte gekauft und waren hingefahren. Nach ein paar Tagen waren sie zurückgekommen.

Die Mutter war auch ganz fetzig, schon weil sie das alles mitmachte. In der Wohnung herrschte ein astreines Chaos. Alles war grellbunt gestrichen und dreckig. Auf jeden Fall nicht so abgeleckt, wie bei uns.

Erst klimperte ich etwas auf dem Klavier, dann gingen Hans, der Alte und ich zum Frühschoppen runter in die ‚Taverne‘.

Die zwei Holländer, die sie betrieben, waren stadtbekannt und die Leute kamen von überall, um da zu zechen.

Wir stellten uns an die Theke in die zweite Reihe und der Alte orderte kleine Biere (für mich auch). Die Holländer waren gut drauf und es gab für den Alten und Hans sofort einen Aquavitschnaps dazu - aufs Haus.

Grau melierte, feiste Tanten grapschten betrunkene Männer an und verwirbelten zu bayerischer Schunkelmusike den lückenlosen Zigarettennebel. Mit einem Zong riss eine Rocknaht an einem viel zu engen Minirock. Lachen. Schreien. Grölen. Bechern bis zum Abwinken.

Hans lag mir in den Ohren, dass ich auch schreiben sollte und außerdem würde ich doch in einer Band spielen und da könnten wir doch mal bei einer SPD Veranstaltungen auftreten. Nervte irgendwann, weil er im Suff spuckte.

Ein totaler Pechtag (was Fenster anging):

Am Morgen schüttelte Muttern eine Decke aus, als unten gerade ein Polizist langstiefelte. Der klingelte auch glatt und kam rauf. Alles war sehr peinlich und Muttern musste eine Strafe zahlen.

Abends kam Meschan. Da Monatsende war, hatten wir kein Taschengeld mehr. Außerdem war Wochenende und weil Muttern dann zu Hause war, konnte ich ihr kein Geld aus dem Portemonnaie klauen. Wir kratzten also unsere letzten Groschen zusammen und suchten leere Pfandflaschen. So schafften wir es, uns jeder ein Bier zu kaufen. Das legten wir auf den Heizkörper, bis es pisswarm war. Dann öffneten wir es vorsichtig und aschten die Asche einer ganzen Zigarette rein. Die Kippen schnipsten wir einfach aus dem Fenster. Kurz danach klingelte es. Es war der Nachbar von unten. Er hatte gerade aus dem Fenster gesehen, als plötzlich die Kippe seinen fast kahlen Kopf versengt hatte. Nun hatte er eine Brandblase und war böse.

Nachdem die Lage sich wieder beruhigt hatte, kippten wir das Gesöff so schnell es ging in uns rein. Dazu machten wir es im Zimmer dunkel und hörten volle Pulle ‚Lady in Black‘ von ‚Uriah Heep‘. Astreine Dröhnung.

Mit meiner Gitarre in einem ‚Gigbag‘, weil ja ein Gitarrenkoffer arschteuer war, marschierte ich zu einer Kirchengemeinde gleich bei uns in der Südstadt. So ein ätzender Betonbau, hässlich wie nur was. Es war erst elf Uhr morgens. Ich hatte einen schwarzen Klappzylinder auf, den ich auf dem Flohmarkt ertrödelt hatte. Meine Haare waren jetzt auch schon schön lang geworden. Hans begrüßte mich lauthals lachend und schon sprittig - logisch.

Der Tag lief zäh an. Es gab Torwandschießen für die Gören, einen SPD-Stand, Kuchenverkauf, Glücksradtombola und den ganzen anderen Zirkus. Später wurde der Bürgermeister erwartet. Auf der Bühne fanden erste Lesungen statt. Zwischendurch spielte eine Jazzband. Die war natürlich viel besser als wir - nicht gerade ermutigend.

In einem kleinen Raum hinter der Bühne stand ein Kasten Bier. Hans sorgte immer für genügend Stoff für die Akteure und damit er selbst genug hatte. Zu mir setzte sich dann Günter Wallraff oder war es Günter Grass? Null Erinnerung. Jedenfalls der Promi des Nachmittags. Günter und ich soffen zusammen den ganzen Kasten aus. Haben dabei gut über alles gequatscht: Literatur, Politik, Frauen, etc. Echt komisch, dass der sich mit mir abgab. Danach waren wir beide hacke und er lallte bei seiner Lesung.

Meschan und Carsten kamen und auch der Schlagzeuger, den wir nur für diesen Auftritt gebeten hatten, bei uns mitzumachen. Sofort fragte Hans, ob wir nicht auftreten wollten, da die Jazzband eine Pause bräuchte. Wir zierten uns, aber weil Hans weiternervte, stellten wir uns auf die Bühne, stöpselten unsere Instrumente in die Superanlage der Jazzband ein und spielten einige Stücke. Ich konnte die Gitarre kaum halten, so besoffen war ich. Wir spielten selbstgemachte Stücke und irgendwas von den ‚Rolling Stones‘. Aber das erkannte sowieso niemand. Hinterher klatschten die Leute - mehr so aus Höflichkeit und weil wir jung waren.

Meschan und Carsten waren zufrieden und wir feierten.

wie Hulle

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