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2.6 Saisonalität, Arbeitsspitzen und -flauten

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Der Anfall der landwirtschaftlichen Arbeit im Verlauf des Jahres war und ist ungleich, das Agrarjahr weist eine ausgesprochene Saisonalität auf. Dies ist noch ausgeprägter in den Ackerbauregionen zu beobachten, gilt im Grundsatz aber auch für unsere Gebiete, abgesehen davon, dass die Stallarbeit, wie vorstehend beschrieben, jeden Tag gleichmässig anfällt. Wie bewältigte man die Arbeitsspitzen zeitlich, was machte man, wenn es saisonal bedingt wenig Beschäftigung gab?

Die einzige ausgesprochene Arbeitsspitze im Grasbaugebiet stellt die Futterernte, das Heuen, dar. Sie fällt fast immer in den Juni. Ihr folgt etwas später eine zweite Ernte im Hochsommer, das Emden. Schliesslich kommt meist noch eine dritte, kleinere im Herbst hinzu. In dieser Jahreszeit, aber auch schon im Sommer, können sich ferner Arbeitsspitzen ergeben, wenn, wie in Obwalden, zusätzlich Obstbau betrieben wird: Die Früchte müssen geerntet, sortiert und in vielfältiger Form weiter verarbeitet und konserviert werden.

Die strenge Zeit des Heuens – für Details der Arbeitsvorgänge kann auf Fuchs verwiesen werden60 – begann mit Frühaufstehen, noch früher als für die Stallarbeit, nämlich in der ersten Morgendämmerung um 4 oder gar schon um 3.30 Uhr. Es war immerhin die Jahreszeit mit den längsten Tagen und daher früh hell. Das Schneiden des Grases war Männerarbeit, nachher gingen sie in den Stall. Für die weiteren Arbeiten der Trocknung (Worben, Wenden, Mahden machen, Heinzen aufschichten usw.), die wegen der nie sicher voraussehbaren Wetterlage möglichst rasch erfolgen musste, wurde die gesamte abkömmliche Familie eingesetzt: Frauen und Kinder, eventuell weitere Verwandte und Bekannte unter den Nichtbauern. Soweit nicht bereits Ferien waren, versäumten Bauernkinder dabei nicht ungern sogar die Schule, ein Verschulden, das damals vermutlich noch der häufigste Konfliktpunkt der Eltern mit den Lehrern war. Die Männer fanden sich nach Erledigung der Stallarbeit sofort wieder auf dem Feld ein. Unter dem hohen Arbeitsdruck versuchte man, bei den übrigen alltäglichen Tätigkeiten etwas Zeit einzusparen. Viele Bauern gingen in dieser Zeit bei der Stallarbeit etwas rascher und flüchtiger als sonst vor. Insbesondere unterliess man gerne das Putzen der Tiere. Auch im Hause liess man den alle Tage anfallenden Schmutz für einmal grösstenteils liegen und beschränkte sich beim Kochen noch mehr als sonst auf einfache Gerichte. Alle übrigen nicht unbedingt notwendigen Hausarbeiten verschob man auf kommende Schlechtwettertage. Selbst die täglichen Gebete wurden teilweise unterlassen und dem beruflich dafür zuständigen Personal, insbesondere Nonnen und Mönchen, zugeschoben. «Man lässt die Kapuziner beten» meinte ein Gewährsmann dazu.61 Auch der Sonntag musste bei ungünstiger Witterung für das Einbringen des Heus – dies wiederum grösstenteils Männerarbeit – herhalten. Auf die dazu notwendige kirchliche Dispens wird später noch eingegangen.62 Im Übrigen holte man an diesem Tag den an den Werktagen zu kurz gekommenen Schlaf nach. Konnte doch das Heuen einen Zwölf- bis Vierzehnstundentag bedeuten!

Zeiten mit wenig Arbeit waren einerseits die monatelange Winterruhe und andererseits die kürzeren relativ ruhigen Perioden in den übrigen drei Jahreszeiten, insbesondere während des Heranwachsens des Grases zwischen dem Düngen im Frühling und dem Heuen im Frühsommer. Irgendetwas gab es immer zu tun, sagten zwar einige Interviewpartner (vermutlich die besonders fleissigen). Im genannten Zeitraum zwischen den absolut notwendigen Tätigkeiten reparierte man insbesondere die Lattenzäune. Man nahm Bodenverbesserungen vor: Unkraut («Blacken») war zu beseitigen, die von den Kühen bei nassem Wetter in den Boden getretenen Löcher zu stopfen, kleinere Rutschungen nach ausgiebigem Regen wieder zu sichern, gegebenenfalls Steine zusammenzulesen.63 Besonders eifrige und sorgfältige Bauern suchten Unebenheiten auf ihren Bodenflächen zu beseitigen, sammelten trockene Kuhfladen zur gezielten Wiederverteilung und nahmen sogar grössere Dränierungen in Angriff. Es gab zwar Klauenschneider im Nebenberuf, viele Bauern besorgten diese regelmässig anfallende Arbeit an den Tieren aber auch selber. Einige kümmerten sich um entferntere Heimweiden oder gingen nach der Schneeschmelze für Ausbesserungs- und Vorarbeiten bereits kurz auf die Hochalpen. Obstbauern mussten sich der Schädlingsbekämpfung widmen.64 Im Herbst schnitt man Riedgras oder sammelte Laub für die Einstreue.

Die Winterruhe war, wie überall, den Arbeiten im Wald gewidmet. Im Appenzellischen begannen sie die Bauern gelegentlich bereits im Herbst, um nicht in der grössten Kälte draussen arbeiten zu müssen, und führten im hohen Winter nur noch die Transporte aus.65 Wenn man keinen eigenen Wald besass, so konnte man in den Korporationsund Staatsforsten Arbeit finden. Besonders für die Transporte zu den Verbrauchsstellen (Sägereien oder Brennholzaufbereitung) arbeitete man oft für andere Waldbesitzer. Etwas weniger Bedeutung als anderswo (besonders in den Inneralpen) hatte der mit Schlitten erfolgende winterliche Transport von Heu aus entfernter gelegenen Stadeln. Einmal wurde erwähnt, dass man darauf geachtet habe, dass die Kälber im Winter geboren wurden, wo man eher für sie Zeit hatte.66 Selbstverständlich konnte man auch im Haus etwas reparieren oder verbessern. Diese Tätigkeit wurde aber kaum erwähnt.67 Von einigen befragten Bauern in Innerrhoden wurde im Gegenteil die Winterruhe betont: Zwischen den beiden fixen Zeiten der Stallarbeit sass man einfach auf dem Sofa oder beim Ofen in der Wohnung, las ausgiebig Zeitung, rauchte die Pfeife, schaute zum Fenster hinaus oder jasste mit anderen. Auch hier kam also wieder die Mussekomponente zum Tragen. Nicht wenige Bauern allerdings suchten einen Nebenverdienst, ja waren darauf angewiesen. Diese Möglichkeiten sind nun im Folgenden zu prüfen.

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