Читать книгу LANDLÄUFIG - Peter Kiefer - Страница 10
Herr Deng
Оглавлениеzüchtet Enten, die auf Märkten und im einen oder andern Chinarestaurant als besondere Delikatesse angeboten werden. Freilich hat Herr Deng, ein spindeldürrer Mittsiebziger, nur Spott für das übrig, was hierzulande unter chinesischer Küche verkauft wird. Alleine, dass man Suppen als Vorspeisen anbietet, statt sie wie überall in China verdauungsfördernd erst nach den festen Speisen zu servieren, ist ihm gänzlich fremd. Von der fehlenden Yin-und-Yang-Balance und dem fatalen Einknicken vor westlichen Geschmacksnormen einmal völlig abgesehen.
Im Übrigen ist Herr Deng Altmaoist. Er habe es, erzählt er, seit sein Namensvetter Xiaoping zum mächtigsten Mann im Staat aufgestiegen war, nicht mehr lange in seiner Heimat ausgehalten. Die Regierung habe das Land geradezu folgerichtig in den Raubtierkapitalismus getrieben. Man müsse sich nur mal vergegenwärtigen, wie die Volksmassen heute zur Wanderarbeit gezwungen würden, wie sie am Smog erstickten, den andere in ihren Luxuskarossen zusammenbrauten. Dafür habe er in seiner Jugend wahrlich nicht Der Osten ist rot gesungen. Herr Deng ringt, wenn er davon erzählt, ein wenig mit der Fassung. Hierzulande gehe es ehrlicher zu, hier trüge der Kapitalist keinen roten Stern am Jackenrevers, sondern einen steifen Hut und Glacéhandschuhe und sei von daher als Feindbild immer klar erkennbar. Herr Deng hätte ihm noch ein Paar Gamaschen anlegen können und ich gebe ihm zu bedenken, dass solche Dandykapitalisten einer ganz anderen Zeit angehörten.
Keineswegs, widerspricht mir Herr Deng, zieht ein Buch aus seiner Tasche, ein chinesisches, und deutet mit ausgestreckter Handfläche auf ein Foto, das exakt einen so geschilderten Mann zeigt. Das Bild ist etwas unscharf und in Sepia und das Buch stammt aus den sechziger Jahren, aus der Zeit der Kulturrevolution. Auf dem Einband vor einem goldenen Strahlenkranz oder dem, was häufiger Gebrauch noch davon übrig gelassen hat, ist der Vorsitzende Mao abgebildet. Für Herrn Deng gibt es daher keinen Zweifel an der Richtigkeit des Inhalts. Auch als ich ihn frage, ob er hierzulande einmal einem solchen Menschen mit Zylinderhut begegnet sei, sagt er, dass man einem wie dem nicht auf der Straße begegnen würde. Dergleichen verschanzten sich in ihren Villen, ihren Gärten, ihren Büros, ihren Freudenhäusern.
Und wie soll so einer wie der, frage ich, den Zorn des Proletariats wecken?
Ausbeutung ist nicht an Gesichter gebunden, belehrt mich Herr Deng und nimmt mich, obwohl wir hier mutterseelenallein an der Eingangspforte seines Hauses stehen, ein wenig zur Seite.
Die Arbeiter rüsteten sich bereits im Verborgenen für die nächste Krise, raunt er mir zu. Wenn es dann soweit sei, kämen sogar jahrzehntelang frustrierte Sozialdemokraten wieder aus ihrer Deckung. Ein Sturm würde über Europa einsetzen und bis nach China fegen. Der einbalsamierte Vorsitzende am Platz des Himmlischen Friedens würde seine Glieder ausstrecken, erhöbe sich und wandelte, ein Heilsbringer, in einer langen Kutte über das Land. Bald versänke alles wieder wie einst in einem roten Fahnenmeer. Aber er, Herr Deng, sei Realist, er werde das sicher kaum mehr erleben dürfen, er begnüge sich daher mit der Rolle des Propheten.
Herr Deng verneigt sich und schreitet auf nicht mehr ganz sicheren Beinen in sein Haus zurück. Trinkt er?