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Bernardo Tirpitz

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ist der Pfarrer des Dorfes. Seine Kirche liegt freilich in einem der Nachbarorte und ist regelmäßig schlecht besucht. Um hin und wieder hier im Dorf einen Gottesdienst abhalten zu können, hat er keine geeignete Räumlichkeit gefunden. Nun kommt ihm eine Idee und er macht sie durch einen Flyer bekannt.

Darin werden die Bauern gebeten, ihren Kuhdung von der Weide zu kratzen. Der sei nämlich ein guter und nachhaltiger Baustoff. Bernardo Tirpitz ist einige Jahre missionarisch in Ostafrika unterwegs gewesen und hat gesehen, dass man Bauziegel mit einfachen Mitteln herstellen kann. Man braucht nur den Dung mit Lehm und Stroh zu vermischen und erhält ein hervorragendes und in besonderem Maße naturverträgliches Material. Tirpitz denkt an eine Kapelle.

Der Bürgermeister hat bereits durchblicken lassen, dass die Gemeinde Interesse daran hat. Heinz-Otto Krusche stellt sich ein fremdartig anmutendes Kirchlein vor, vielleicht mit einem Dach aus Haferstroh, jedenfalls etwas Afrikanisches. Das könnte im Hinblick auf mögliche Touristen ein echtes kleines Highlight werden.

Tirpitz’ Idee verleitet bald zu gemeinschaftsgeistigem Eifer. Bauern, gläubig oder nicht, heben angetrocknete Kuhfladen sorgsam, als seien es Vogelnester, von den Wiesen auf und bringen sie zu einem dafür vorgesehenen Anger. Dort stapelt sich allmählich der Dung und es liegt ein süßlicher Geruch in der Luft.

Aus Scheiße Geld machen, dieser Gedanke hat blitzartig von Großbauer Blauweiß Besitz ergriffen. Zwar hat er anfänglich ebenfalls seinen Kuhfladentribut geleistet. Dann aber geht er mit seinem Dung eigene Wege. Seine Absicht macht nicht schon bei Ziegeln halt, er denkt an Töpfe und Vasen, an Kunst. Man müsste das Ganze natürlich entsprechend promoten. Die Dorfkapelle wäre das Pilotprojekt und Blauweiß könnte ähnliche Objekte auch anderweitig verscherbeln. Seine Werbeagentur ist bereits aktiv und hat dazu geraten, gezielt auf die Kirche zuzugehen. Die bekäme dann für ihre Abnahmebereitschaft drei Kapellen für den Preis von zwei.

Blauweiß, der seine Kühe jetzt gern mit Na, ihr kleinen Scheißerchen! begrüßt, ist in seinem Element. Er gründet die Firma Stone Bovine GmbH. Außerdem gibt er allen kund, dass er das Dach der Kapelle finanzieren wird, denn er will seine Finger von Anfang an werbewirksam im Geschäft haben.

Das Projekt wird freilich durch die Einlassung des Pfarrers verkompliziert. In Afrika, sagt er, werden solche Ziegel an der Sonne getrocknet, eine Brennerei sei daher nicht im Sinne der Idee. Man hält ihm entgegen, dass wir uns hierzulande schließlich nicht in einer tropischen Gegend befinden.

Aber in einer, die ihre Nachhaltigkeit pflegen muss, entgegnet Tirpitz, verschränkt seine Hände und sagt: Vertrauen wir auf unseren Herrn. Den Klimawandel hat er bereits eingeleitet.

Die Aktion gerät ins Stocken. Man erhebt nämlich Einspruch mit einem lutherischen Kirchenlied, in dem es heißt: Eine feste Burg ist unser Gott. Diese Burg brauche gebrannte Ziegel. In einer leidenschaftlichen Rede vor dem Gemeinderat verweist Bürgermeister Don Otto auf den Fleiß, den guten Willen, gar die Leidenschaft, mit der die Dorfbewohner jeden Kuhfladen aufgelesen hätten, um die großartige Idee einer Kapelle ins Werk zu setzen. Das dürfe nicht einfach vom Regen weggespült werden. Wir haben, fügt er hinzu, nicht Granit noch Marmor, aber auch wir können es mit teuflischen Naturgewalten aufnehmen. Das »teuflisch« bewusst an Tirpitz' hyperökologische Sturheit gerichtet.

Letzterer gerät in eine strategische Zwickmühle. Zwar findet auch er eine Handvoll Unterstützer, Grete Hülsenbeck zum Beispiel, die notorische Apokalyptikerin, die jede modernistische Strömung im Höllenfeuer verglühen sieht, oder die Städterin Katharina, die sich auf melancholische Weise der Vergänglichkeit ausgeliefert weiß. Aber die Mehrzahl der Dorfbewohner stimmt für festes Mauerwerk, will »Härte zeigen«. Und diese Schäfchen gilt es doch für Tirpitz, in seinen Gottesdienst zu locken.

Er schichtet ideologisch um. Natürlich, verkündet er, braucht es starke Mauern, darin sei er sich mit allen einig. Aber im Fall der Kapelle gehe es nicht um eine Festung, sondern um ein Abenteuer des Glaubens.

Anders gesagt, man wird auf uns schauen, man wird neugierig sein und sicher in größerer Zahl anreisen. Wer hat schon einmal die Gelegenheit, eine ländliche Kapelle in Afrika zu besuchen? Liebe Brüder und Schwestern, beachtet den lukrativen Eventcharakter, den das hat.

Jetzt werden doch einige hellhörig. Korbinian Kropp, der vermeintliche Liebhaber der Bürgermeistersgattin, zum Beispiel. Er vermittelt Ferienaufenthalte in der Gegend und mit einer solchen Kapelle könnte er in seinen Prospekten sicherlich punkten. Helena – man begegnet ihr nur noch selten – lässt sich im Sarong zu ihrer verwaisten Wurstbude in der schwarzen Limousine ihres Liebhabers kutschieren. Sie will in Vorbereitung zu den Baumaßnahmen roast nyama nyama6 anbieten. Ihr Liebhaber Toketalagi, der von Gerüchten umrankte Südseediktator, wird ebenfalls kurz erscheinen und Autogramme verteilen. Außerdem, gibt Helena nebenbei kund, könne man sich durchaus vorstellen, später in dieser Kapelle zu heiraten.

Die bevorstehende Hochzeit eines Prominenten ist eine Nachricht, die sich in Windeseile im Dorf verbreitet. Die harte Mehrheit bricht rasch zusammen, jetzt richtet man den Blick ganz auf Publicity und Abenteuer.

Aber derlei Träume zerrinnen mit einem Mal. Niemand hat sich bislang mit den Tücken einer Baugenehmigung auseinandergesetzt. Nun aber schlägt sie mit voller bürokratischer Härte zu, weil Kuhdung kein zertifiziertes Material im Sinne der EU-Bauprodukteverordnung Nr. 305/2011 ist. Soviel dazu.

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