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Einem Bauern namens

Borstel

laufen die Hühner neuerdings im Kreis. Er weiß nicht, was er machen soll, denn jedes Mal, wenn er sie nach draußen lässt, reihen sie sich schon nach kurzer Zeit in einen Kreis von vielleicht fünf Metern Durchmesser ein und legen los. Wie aufgezogenes Spielzeug.

Borstel fragt den Tierarzt Doktor Reiter. Der misst, einer Ahnung folgend, die Länge der Hühnerbeine, schüttelt aber anschließend den Kopf. Die Beinpaare, meint er, sind bei allen gleich lang, infolge dessen könnten sie genauso gut geradeaus laufen.

Tun sie aber nicht.

Es wäre freilich denkbar …, sagt Doktor Reiter, lässt den Satz aber in der Luft hängen und winkt ab.

Borstel sieht ihn fragend an.

Ein Schlaganfall ist es nicht, sagt Doktor Reiter. Die können ja nicht alle auf einmal … nein, nein.

Beide, er und Borstel, blicken wieder mit einigem Verdruss auf die im Kreis tippelnden sieben Hühner. Nur der Hahn steht ein wenig abseits, ähnlich einem Ballettmeister, der die Schrittfolgen seiner Truppe mit kritischen Blicken verfolgt.

Wir könnten sie hypnotisieren, schlägt Doktor Reiter vor.

Borstel, der lediglich davon gehört, es aber noch nie ausprobiert, geschweige denn eine Ahnung hat, was es bewirken könnte, nickt eifrig.

Das wäre vielleicht der einzige Weg, meint er beflissen.

Beim Hypnotisieren, erklärt Doktor Reiter, zieht man vor der Schnabelspitze eine vertikale Linie und gibt damit gewissermaßen die Laufrichtung an, der das Huhn, wenn es wieder zu sich kommt, folgen muss.

Er holt ein Huhn nach dem anderen aus der Umlaufbahn, drückt es mit der Brust auf den lehmigen Boden, während Borstel streng nach Anweisung mit einem Stock jeweils die besagte Linie zieht. Ist das geschehen, hört jedes Huhn auf, mit den Beinen zu strampeln und verhält sich vollkommen reglos. Bald liegen sieben Hühner auf dem Bauch, sieben Linien gehen ihnen wie Fäden, an denen sie gezogen werden, voraus. Das Ganze erinnert an den Tiefstart bei einem Kurzstreckenrennen.

Aber das ist nicht alles. Doktor Reiter lässt es sich nicht nehmen, zusätzlich ein paar beschwörende Worte zu sprechen: Relinquate circulos, sequimini rectis1.

Bauer Borstel hat den Mund halb geöffnet. Er hat noch nie an einer Séance teilgenommen, aber das Wort spukt noch in seinem Kopf und er meint gleich zu wissen, worum es dabei geht. Doktor Reiter legt die Stirn in tiefe Falten und sagt sich, dass die Welt, selbst wenn der Versuch fehlschlagen sollte, nun endlich einmal von seinen lateinischen Talenten erfahren würde. Borstel wird es nämlich seiner Frau erzählen und die allen anderen.

Die Hühner liegen noch immer flach, der Hahn hält sich von ihnen fern. Sie sind ihm nicht recht geheuer, obwohl er sie nun doch ganz bequem begatten könnte.

Doktor Reiter sagt: Wenn ich in die Hände klatsche, werden sie loslaufen.

Er tut es. Die Hühner, aufgeschreckt gackernd, erheben sich und jedes läuft in eine andere Richtung.

Doktor Reiter reibt sich die Hände. Na bitte, sagt er.

Bauer Borstel bittet ihn, weil’s guter Brauch ist, auf einen Schluck mit ins Haus zu kommen. Als Doktor Reiter, angetan von Borstels Klarem, sicher noch mehr von sich selbst, später das Haus wieder verlässt, laufen die Hühner erneut im Kreis. Das Merkwürdige ist nur, dass der Hahn jetzt reglos in der Mitte dieses Kreises steht. Man fühlt sich unwillkürlich an den Kriegstanz um einen Marterpfahl erinnert. Doktor Reiter begreift, dass seine auf Latein geäußerte Beschwörung nicht ausreicht. Er wird sich jedoch Schritt für Schritt vorarbeiten, paulatimque discessum.

In der Folgezeit ist Borstels Hof von lauter kreuz und quer verlaufenden Linien durchzogen. Wer diesen betritt, denkt unwillkürlich an ein System magischer Zeichen und Bauer Borstel wird zum Gegenstand der dörflichen Gerüchteküche, die Sprüche des Doktor Reiter, mit denen Borstels Frau inzwischen hausieren geht, tun ein Übriges. Früher hätte man solche Leute auf den Scheiterhaufen geschickt, hat es im Dorf schon geheißen.

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