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Heinz-Otto Krusche

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besitzt auf Menorca eine Finca. Er spricht ein leidlich gutes Spanisch und wird dort, wie er gelegentlich einfließen lässt, gerne Don Otto genannt. Das ist mittlerweile auch sein im Dorf gebräuchlicher Spitzname.

Don Otto ist der Bürgermeister, ein leutseliger Mensch und passabler Schauspieler, der sich immer darum bemüht, seinen Wählern das Gefühl zu vermitteln, ihre Belange ernst zu nehmen. Genauso seinen Nichtwählern, so es welche gibt. Und nun steht er vor uns im Gemeinderat und fragt, indem er bereits am oberen Knopf seines Hemdes nestelt und, wenn seine Krawatte nicht zu straff gebunden wäre, das Hemd über seiner Brust vollends öffnen würde, um allen zu zeigen, dass er nichts zu verbergen, dass er jedem diese Brust darbieten kann, fragt also: Habe ich je zum Nachteil der Gemeinde gehandelt? War ich nicht immer ums Gemeinwohl bemüht? Oder wer hat, ich darf sagen, leidenschaftlich für die Ansiedlung von Schleckes gekämpft – und gesiegt?

Schleckes, von dem er spricht, ist ein mittelständischer Betrieb, der Haustiernahrung produziert und dafür Schlachtabfälle im Umland aufkauft, die dann zu schlecksy plus für Hauskatzen und schleckerli premium mit Biss für Hunde verarbeitet werden.

Und nun das: Über Nacht sind Plakate aufgetaucht, auf denen Don Otto mit glühend roter Schrift auf schwarzem Grund zutiefst und öffentlich gebrandmarkt wird. Überschrieben sind sie mit Hi-hi, da macht’s uns einer nach und dann ist – immer mit Hi-hi eingeleitet – die Rede von überhöhten Maklergebühren beim Verkauf des örtlichen Gewerbegeländes und dass daran Don Otto sich bereichert habe, dass er sich im Gegenzug zu weitreichenden Zugeständnissen habe bewegen lassen, etwa einer mehr als großzügigen Auslegung der Abwasserbestimmungen. Außerdem habe er sich den Vorsitz im Schützenverein mit Geldmitteln des Großbauern Blauweiß erschlichen, damit es möglich ist, dass diesem immer wieder die kapitalsten Böcke vor die Flinte getrieben werden und er, Don Otto, mit teuren Lendenstückchen bedacht werde. Unterschrieben sind die Plakate mit Weiter so! Die Freunde vom Räuber Hotzenplotz.

Don Otto lässt die Plakate auf dem schnellsten Weg entfernen und spricht ungehalten von einer Tat der Neider und Wadenpisser. Dennoch – man ist hellhörig geworden.

Don Otto muss sich bald darauf mit einer anonymen Anzeige herumschlagen. Erste Beweise sind aufgetaucht: ein vertrauliches Memorandum mit einem Schleckes-Manager und die Kopie der handgeschriebenen Rechnung eines illegalen Wildfängers, der für Blauweißens Zehnender gesorgt hat. Die Lokalpresse wird aufmerksam. Sonst mit Jubiläumsfeiern, Häkelgruppen und Altenheimleseabenden befasst, hat sie plötzlich mal was Aufregendes zu berichten.

Don Otto probiert es ein weiteres Mal mit der Ich-habe-ein-reines-Gewissen-Nummer und erscheint bei der nächsten Gemeinderatssitzung in Begleitung seiner attraktiven Frau, wegen ihrer Haarfarbe gewöhnlich nur »seine Blondine« genannt. Heute trägt er keine Krawatte, muss aber zu seinem Leidwesen feststellen, dass er versehentlich ein Unterhemd angezogen hat. Sich dieses erst noch aus der Hose zu reißen, um seine Brust entblößen zu können, würde die verkehrten Stellen der Beschau freigeben, er muss sich daher wieder mit einer verbalen Beschwörung seiner Unschuld begnügen. Die Blonde steht mit eingefrorenem Blick an seiner Seite, daneben die junge Tochter, der sie die Hand auf die Schulter legt. Das Bild erinnert an einen amerikanischen Wahlkampfabend, wo Frauen das heroisch schillernde Pendant ihrer Ehemänner sind. Die Parteifreunde, die von Don Otto stets gut versorgt worden sind, ergreifen der Reihe nach für ihn das Wort, eine Opposition gibt es nicht, was, nebenbei, bislang noch niemandem im Dorf so richtig aufgefallen ist.

Aber die Situation beruhigt sich nicht, denn es tauchen neue Papiere auf, die Heinz-Otto Krusche belasten. Die Staatsanwaltschaft hat sich eingeschaltet und mittlerweile scheint klar: Der Bürgermeister ist über kurz oder lang geliefert.

Wer aber hat das alles aufgedeckt? Helena, die Wirtin aus der Brutzelbox, hat eine simple Erklärung: An so was kommt man nur mit reichlich Sex. Sie spricht es kennerhaft aus und sagt es jedem, der bei ihr in eine Wurst beißt. Dieser Spruch macht schnell die Runde und auf einmal begründet er einen bestimmten Verdacht.

Man erinnert sich wieder daran, dass Korbinian Kropp einmal gegen Heinz-Otto Krusche kandidieren wollte, aufgrund seiner absehbaren Chancenlosigkeit aber kurz vor der Wahl seine Ambitionen eingestellt hatte. Gerüchte, die freilich längst wieder verpufft waren, besagen, dass er der Liebhaber von Don Ottos Blondine gewesen sei. Kropp, Vermieter von Ferienaufenthalten auf dem Land, hatte damals allerdings selbst dieses Gerücht gestreut: Er wollte damit gegenteiligen Gerüchten begegnen, um seine homophilen Neigungen zu kaschieren.

Auch jetzt kann er sich wieder ein wenig als Frauenheld profilieren, indem er die Rolle des gesuchten Maulwurfs annimmt. Don Ottos Frau bringt er damit natürlich in Verruf, man unterstellt ihr hinter kaum noch vorgehaltener Hand, Verrat an ihrem Ehegatten zu begehen. Don Otto taucht aus diesem Grund plötzlich ins geläuterte Licht des mitleiderregenden Opfers.

Nunmehr muss er alles versuchen, seine Frau wieder mit an Bord zu holen, er muss sie reinwaschen. Bei der folgenden Gemeinderatssitzung präsentiert er sie als Schwurzeugin in eigener Sache. Er hält sich bewusst kurz, denn das hier ist ihr Auftritt, und was zählt, sind ihre rührenden Tränen der Unschuld. Sie lösen die nötigen Emotionen aus und können die Gemüter der Versammelten letztlich überzeugen.

Weshalb die staatsanwaltlichen Ermittlungen bald mehr oder weniger im Sand verlaufen, lässt sich wohl damit erklären, dass Krusche, um einer Strafe zu entgehen, einen etwas höheren Betrag an die Staatskasse entrichten wird. Man kann davon ausgehen, dass die Firma Schleckes ihm dafür kollegial unter die Arme greift. Die Dorfbewohner haben ihn bald wieder ins Herz geschlossen, auch wenn er sich – aber die andern tun’s ja auch – kleine Fehltritte erlaubt hat. Niemand ist geschädigt worden, Don Otto hat weiterhin ein offenes Ohr für seine Nachbarn und die Gewerbesteuer beschert dem Dorf zuletzt zwei perfekt geteerte Dorfstraßen samt Blumeninseln vor den Ortseingängen.

Korbinian Kropp begegnet im Supermarkt Tage später zufällig Don Ottos blonder Frau. Beide starren sich einen Moment lang erschrocken an, dann ergreift Letztere die Flucht. Kropp hingegen ist so unverschämt, ihr hinterherzurufen und dabei einen Kosenamen zu benutzen, den er sich gerade ausgedacht hat. Sollte zufällig einer aus dem Dorf etwas mitgehört haben, könnte die Diskussion um Sexaffären und Verrat schon bald wieder in Gang kommen. Was mich jedoch angeht, erzähle ich es niemandem weiter.

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