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Heimspiel

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gegen Sparta 2000, den Tabellenführer und heißen Aufstiegsaspiranten, gegen den man sonst gar nicht angetreten wäre, weil eine 0:3-Niederlage auf dem Papier sich weit besser liest als ein zweistellig mieses Ergebnis, mit dem man rechnen müsste. Ein gewisser Hermann Stollbruch steht heute auf dem Berichtsbogen des FC. Hermann fällt durch seinen entschlossenen Blick und seine dynamisch nach vorn gebeugte Haltung auf, bei der man an ein grimmiges Huftier erinnert wird.

Gleich nach dem Anstoß schnappt er sich den Ball und tankt sich an zwei Sparta-Verteidigern vorbei. Sein Schuss streicht jedoch knapp am rechten Torpfosten vorbei. Die fünf zahlenden Zuschauer aus dem Dorf klatschen aufmunternden Beifall, fragen sich natürlich auch, wo dieser Bursche plötzlich herkommt.

Das 1:0 fällt erwartungsgemäß auf der anderen Seite. Ein leicht adipöser Verteidiger des FC lässt sich austanzen und unser Torhüter steht unzulässig weit vor seinem Kasten. Anschließend misslingt eine weite Flanke aus dem Anstoßkreis auf Hermann. Stattdessen fahren die Spartaner einen Konter: 2:0. Molka, der in einem fort am Spielfeldrand mit den Armen rudert oder mit ausgestreckten Fingern Zeichen gibt, die noch nie einer kapiert hat, kann sich nach dem bald erfolgten 3:0, einem bekloppten Eigentor, lediglich noch Hermann verständlich machen. Der rückt nun in die Verteidigung. Er zeigt auch gleich, wie es geht, und begeht ein zwar leichtes, aber leider auch taktisch inspiriertes Foul und das wird mit einer Gelben Karte bestraft. Macht nichts. Hermann zieht weiter die Fäden, bringt es zu einem doppelten Doppelpass mit Jungbauer Goltz, der sich kurz umschaut, ob’s auch alle gesehen haben, lässt wieder zwei Spartaner aussteigen und trifft dieses Mal satt ins obere rechte Eck. Der Jubel ist groß und die Jungs auf dem Platz tun das, was andere in dieser Situation immer tun, sie fallen über den Torschützen her, umarmen und küssen ihn. Hermann steckt es weg und der Club ist erst mal fünfundzwanzig Euro los. Bei Halbzeit steht es 1:3 gegen Viktoria.

An sich betrachtet ist das kein schlechtes Ergebnis. Hermann entzieht sich der verständlichen Neugierde seiner Mitspieler, indem er am Spielfeldrand Dehnübungen macht. Ein vom Ehrgeiz Beseelter. Aber solange er Tore schießt …

Das Spiel wird zur zweiten Halbzeit angepfiffen. Molka, der wieder hitzig auf seine Spieler eingeredet hat, steht vor seiner Trainerbank, die in diesem Fall nur ein simpler Biergartenstuhl ist, und fuchtelt herum. Hermann leitet jetzt artistisch einen Ball mit der Hacke weiter, ein Mitspieler nimmt ihn dankbar an, will zeigen, dass er nicht schlechter als Ballwuseler Hermann ist, bleibt aber prompt an der gegnerischen Abwehr hängen. Doch da ist erneut Hermann zur Stelle, erobert den Ball zurück und schlägt eine weite Flanke in Richtung Sparta-Strafraum. Zwei FC-Spieler recken die Hälse. Weil zu klein und sichtbar übergewichtig, erreichen sie das Spielgerät nicht wie erhofft mit dem Kopf. Aber auch der gegnerische Torwart fliegt darunter durch und der Ball landet für alle überraschend im Tor. Die paar erschienenen FC-Fans recken die Bierdosen in die Höhe und umarmen sich. Hermann kriegt wieder Küsse.

Das 3:3 erzielt nicht Hermann, sondern der schon genannte Goltz, nach zwei Spielzeiten sein erstes Tor in der Liga! Hermann küsst jetzt zurück und die FC-Fans tanzen Sirtaki. Noch mal Hermann, der einen schwach geschossenen Eckball seiner Mannschaft so gerade noch erreicht, den herausgelaufenen Torwart umkurvt, nun alleine vor dem Tor steht, aber anstatt den Ball humorlos ins Drahtgehäuse zu hauen, erst noch auf seine Stirn lupft und dann einköpft. Eine Showeinlage, wie man sie auf diesem Platz noch nie erlebt hat, es ist der helle Wahnsinn. Aber Sparta, zornig und gefrustet, kommt noch einmal vor das FC-Gehäuse. Der Sparta-Mittelstürmer steht jetzt zwei Meter vor der Torlinie und muss nur noch einschieben, doch Hermann, immer wieder Hermann, rauscht von hinten heran und holt ihn brutal von den Beinen. Die Entscheidung ist klar: Elfmeter und glatt Rot für den Übeltäter. Ein Schrank von Mittelstürmer aufseiten der Spartaner tritt an. Der FC-Torwart hechtet in die rechte Ecke. Der Schuss wäre jedoch in der linken gelandet. Wäre – hätte ihn nicht irgendein Fußballgott um den Pfosten gelenkt.

Leider sind die FC-Spieler bei dieser Aktion zu früh in den Strafraum gesprintet, der Elfer muss wiederholt werden. Der Wind, möchte man poetisch einfügen, wirbelt die verzweifelt ausgerissenen Haare der FC-Anhänger über das Spielfeld, kann aber noch mehr, denn er bläst den zweiten Strafstoß erneut am linken Torpfosten vorbei. Schlusspfiff.

Den FC Viktoria kostet dieser 4:3-Sieg fünfundsiebzig Euro für Hermanns drei Tore und die Mannschaft gibt sich einer bierseligen Siegesfeier hin. Jetzt fragen natürlich alle, wo Hermann, der unbestrittene Held des Tages, sich aufhält. Musste dringend weg, erklärt Molka. In Wahrheit verwandelt Hermann sich auf dem Dixi-Klo für Damen gerade wieder in Gabi Sonnenstern.

Sie hat tatsächlich noch einen Termin, muss in einem Flutlichtspiel mit ihren »Mädels« antreten. Drei Tore benötigt sie noch, um ewige Rekordhalterin in ihrer Liga zu werden. Aber dort werden die Tore, wenn überhaupt, schlechter bezahlt. »Männer« lohnt sich deswegen eher. Eine Geschlechtsumwandlung, fügt sie scherzhaft an, wäre trotzdem zu teuer für einen Nebenjob bezahlt. Von ihrem Freund, den ihre Mannschaftskolleginnen gern ihr kleines Schoßhündchen oder einfach Idefix nennen, lässt sie sich verwöhnen. Er liebt nun mal ihren Schweißgeruch, ihre fabelhaft muskulösen Schenkel, ihre Härte, ihre blauen Flecke.

Der FC Viktoria, der auch nach dem Sparta-Spiel weiterhin mit großem Abstand das Schlusslicht in der Tabelle bildet, lässt es sich in Gestalt von Masch, Bommerland und Künzing dennoch nicht nehmen, mit Hermann, ihrem Racheengel, bereits munter von einem kommenden Aufstieg zu träumen. Man überlegt, ob man die grün-weißen Vereinsfarben nicht verändern soll, um Blauweiß, den Großbauern, an dessen Tür man zuvor vergeblich geklopft hat, vielleicht doch noch als Sponsor zu gewinnen. Molka steht nun freilich die schwierige Aufgabe bevor, seinen Spielern zu erklären, wer Hermann in Wahrheit ist. Viel Freibier wird fließen müssen.

Masch, Bommerland und Künzing überlegen, was passieren wird, wenn der Schwindel auffliegt, wiegen wieder die Köpfe und kommen zu dem Ergebnis, dass in diesem Fall die überregionale Presse erschiene und genüsslich über Viktoria, den Skandalclub, berichten würde. Sie selbst würden es ebenfalls genießen, denn der Name des Clubs könnte angesichts der aktuellen Genderdebatte in die Annalen des Fußballsports Eingang finden. Das wiederum schlüge positiv bei den Einnahmen, zumal den möglichen Werbegeldern, zu Buche und man könnte eines nicht so fernen Tages mit seiner Vorreiterrolle Berühmtheit erlangen.

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