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Olav Decker

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taucht auf Flohmärkten auf, ein Trödler. Seiner Bauernkate schließt sich im hinteren Teil ein Schuppen an, der vollgestopft ist mit so ungefähr allem, was man gemeinhin Schrott nennt. Vieles steckt in eingedrückten, rissigen Kartons, grob gezimmerten Kisten, anderes steht frei herum, alte Fahrräder, verstaubte Haushaltsgeräte, angerostete Schreibmaschinen, ein alter Destillierapparat und Unzähliges mehr. Keiner im Dorf, der mal etwas nicht mehr braucht und es nicht irgendwo noch verschachern kann, wirft es weg, sondern trägt es zu Olav, der dann einen missmutigen Blick darauf wirft und sagt: Lass es von mir aus hier.

Flohmärkte gibt es in der Gegend nicht viele. Olav hat einen uralten Lieferwagen mit geteilter Frontscheibe, mit dem er weite Strecken fährt, um seinen Trödel zu verhökern oder neuen aufzutreiben.

Würde einer gefragt, wie alt Olav wohl ist, käme er in Verlegenheit. Hinter seinem vergilbten Bart hat es ihn schon immer gegeben und immer schon war er griesgrämig, wortkarg und ein bisschen schmuddelig. Aber alle üben Nachsicht mit ihm und halten ihm zugute, dass er, als Salzgebers vierjährige Tochter plötzlich verschwunden war und damit das ganze Dorf in helle Aufregung versetzte, sich mit auf die Suche nach ihr gemacht und sie in dem nah gelegenen Waldstück aufgespürt hat. Dort, hat sie später erzählt, wollte sie Rotkäppchen spielen. Tatsächlich hatte sie einen Korb dabeigehabt und sich darin mit einer Flasche Wein abgeschleppt, die sie ihren Eltern aus dem Kühlschrank stibitzt hatte. Und wenn der böse Wolf gekommen wäre?, ist sie gefragt worden. Der liegt doch im Bett mit Omi, hatte sie geantwortet. Die Flasche Wein schenkten sie dann Olav.

Und nun ist da die Spargelstecherin Agnieszka aufgetaucht. Seit Anfang April wohnt sie in einem Container, den Bauer Masch für seine Arbeiterinnen und Arbeiter während der Spargelsaison hat aufstellen lassen. Agnieszka ist eine kräftig gebaute Frau von Anfang dreißig, sie hat große staunende Augen, die Wangen sind leicht gerötet und sie geht trotz ihres fülligen Busens aufrecht wie eine Tanne. Ein wenig erinnert sie an die Frauengestalten in Robert-Crumb-Cartoons, die Olav in seiner Jugend verschlungen und die ihn in pubertären Träumen so manches Mal verfolgt hatten.

Gerne würde er mit Agnieszka ins Gespräch kommen, weiß aber nicht, wie er das anstellen soll. Außerdem hat er gehört, dass sie Polin ist, vermutlich spricht sie gar kein Deutsch. Aber irgendwie ist ihm das auch egal, er möchte nur mal Tuchfühlung mit ihr aufnehmen.

Der Spargelacker liegt nicht weit von seinem Haus entfernt und täglich marschiert der kleine Trupp Spargelstecher, Polen und Ukrainer, an Olavs Haus vorbei. Olav macht sich kurze Zeit später selbst auf den Weg. Halb hinter einem Baum am Feldrain versteckt, sieht er dann in leichter Erregung der gebeugten Maloche von Agnieszka zu.

Irgendwann im Supermarkt, wo er sich seinen obligatorischen Wacholderbrand besorgen will, bemerkt er zufällig einige der Spargelstecher. Plötzlich hofft er, auch Agnieszka in diesem Kreis zu finden, zumindest könnte sie ganz in der Nähe sein. Wie auf einer Party, wo einer auf das Erscheinen seiner heimlich Angebeteten hofft, blickt er sich um.

Aber die Männer sind mit einem vollen Einkaufswagen bereits auf dem Weg zur Kasse. Olav trottet ihnen hinterher, er gibt die Hoffnung nicht auf. Erschiene sie jetzt, würde er einfach zu ihr gehen und sagen: Meine Taube, ich bin der von nebenan und würde dich gerne kennenlernen. Das fantasiert er sogar noch vor sich hin, als die Spargelstecher und dahinter er mit seiner Flasche Wacholderbrand die Kasse bereits passiert haben.

Draußen sieht er die Männer in einen Kleinbus steigen. Gerade als der Motor gestartet wird, kommt Agnieszka gelaufen.

Zaczekaj na mnie!4, ruft sie laut. Aber die im Bus scheinen von ihrer Anwesenheit nichts mitzubekommen und fahren trotz Agnieszkas heftigem Winken ahnungslos davon.

Nun hat Olav sie unverhofft ganz für sich allein. Ein Geschenk des Himmels, sagt er sich, obwohl er an den Himmel noch niemals geglaubt hat. Jetzt schon eher.

Zufällig stehe ich mit meinem Auto unweit entfernt und erlebe die Szene mit, sehe, wie Olav sich Agnieszka mit Schritten nähert, die mich ihres Vor und Zurück wegen an einen Balletttänzer erinnern. Ich wüsste gerne, was er ihr jetzt sagt, als sie sich ihm unentschlossen und wohl noch leicht verärgert wegen des abgefahrenen Busses zuwendet. Eine junge Frau und ein gealterter Zausel auf dem Parkplatz vor Rewe, das wäre für sich betrachtet nichts Besonderes, in diesem Fall jedoch geht es, zumindest für Olav, um alles oder nichts. Davon habe ich im Augenblick verständlicherweise keine Ahnung. Ich sehe nur Olav, wie ihn wohl keiner hier kennt, nämlich mit einem charmanten Lächeln und einer Frau, die etwas schwankt zwischen Was’n-das-für-Einer und einer aufgenötigten Freundlichkeit, weil er ihr vielleicht versprochen hat, sie nach Hause zu bringen. Und wirklich steigt sie in seinen klapprigen Kleintransporter ein und Olav – ich traue meinen Augen immer weniger – hält ihr sogar die Tür auf. Der in Polen übliche Handkuss würde das Bild sicher noch passend abrunden, unterbleibt immerhin.

Sie spricht kein einziges Wort Deutsch. Daher haben Olavs Versuche, mit ihr auf dieser höchstens zehnminütigen Fahrt ins Gespräch zu kommen, keinen Erfolg. So nah und trotzdem erfolglos leidet er ein bisschen. Sie sitzt aufrecht und stumm neben ihm, ein einziges Mal nur lächelt sie kurz. Aber als sie dann vor dem Wohncontainer stehen, sagt sie nicht nur artig Dziękuję Ci, dankeschön, sondern beugt sich sogar zu ihm hinüber und drückt ihm einen Kuss auf die Wange.

Olav ist völlig perplex, will wenigstens ihren Arm berühren, aber da ist sie schon ausgestiegen. Für den Rest des Tages treibt ihm der Wacholderbrand jedenfalls die tollsten Visionen ins Hirn.

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