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Bodmer und Breitinger
ОглавлениеGegen den Rationalismus Gottscheds und seine Weigerung, den schöpferischen Kräften des Dichters mehr Raum zuzugestehen, bildete sich in den vierziger Jahren eine schnell wachsende Opposition. Insbesondere die beiden in Zürich lebenden Schweizer Johann Jakob Bodmer und Johann Jakob Breitinger versuchten in der Auseinandersetzung mit Gottsched die Dichtung aus der Einengung normativer Bestimmungen zu befreien. Auch bei ihnen trat das Problem der Naturnachahmung, der Mimesis, in den Mittelpunkt aller Erwägungen. Bodmers Critische Abhandlung von dem Wunderbaren in der Poesie (1740) und Breitingers Critische Dichtkunst (1740) proklamieren den Gedanken, dass nicht allein die Welt des empirisch Sichtbaren nachahmenswert sei, sondern auch die des unsere Erfahrungen überschreitenden Möglichen. Der Mensch besitze das Vermögen der Phantasie, das ihm erlaube, poetische Erfindungen auch ohne empirischen Gehalt zu würdigen. Damit wird Gottscheds Mimesiskonzept aufgelockert. Nicht nur die Arbeit der Vernunftbestimmt die ästhetische Qualität eines Textes, sondern auch das imaginierte Überrationale. So kommt der Kreativität des Dichters eine größere Bedeutung als bei Gottsched zu. Das Ergötzen des Lesers, schreibt Breitinger, sei umso größer, je mehr es dem Dichter gelinge, die ‚betäubende Gewohnheit‘ zu überwinden, je neuer, unerwarteter eine Vorstellung sei. Während er selbst stilistischen Mitteln wie dem Vergleich und der Metapher, den ‚Macht-Wörtern‘ und ‚Bey-Wörtern‘, die geeignet sind, den Leser zu reizen und sein Gemüt zu erregen, viel Aufmerksamkeit widmet, konzentriert sich Bodmer auf die Betrachtung der Bezugsfelder des Dichtenden, und hier besonders auf das des Großen, des Ungestümen, des Wunderbaren (einige Zeit später von Baumgarten und Kant unter dem Begriff des Erhabenen diskutiert), denn gerade dieses Bezugsfeld erscheint ihm geeignet, die emotionale Bewegung des Lesers hervorzurufen. So verschiebt sich für die beiden Schweizer die Aufgabe der Dichtung insgesamt. Sie soll zwar nicht auf Belehrung verzichten, aber stärker doch das Vergnügen der Menschen berücksichtigen und deren Herzen rühren. Mit solcher Einstellung sprachen Bodmer und Breitinger innerhalb des Bürgertums im Übrigen ein breiteres, sich der Unterhaltung öffnendes Publikum an, und man mag darin einen Reflex ihrer republikanischen Überzeugungen erkennen.51