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Katharina Waldmann

Parikia, Paros

Katharina drehte sich im Halbschlaf noch einmal auf die Seite, ihre Hand tastete nach Dawid um die letzten Minuten gemeinsam das warme Bett zu genießen. Doch sie griff ins Leere, denn er war schon vor einer Stunde aufgestanden und frühzeitig zu seiner Werkstatt aufgebrochen. Eine wichtige Arbeit musste nach Naxos geliefert werden, und somit entfiel das gemeinsame Frühstück, an das sie sich so gewöhnt hatten und – bis auf wenige Ausnahmen – auch täglich zelebrierten. Der Wecker hatte jetzt schon das zweite Mal geklingelt und es wurde Zeit aufzustehen, das gab ihr auch Karl, ihr verwöhnter Kater eindeutig zu verstehen. Sie schaltete den Alarm aus und schwang sich aus ihrem großen Bett, das Dawid kurz nach seinem Einzug gebaut hatte.

Den heutigen Tag würde sie auch wieder nutzen um ihre während der Sommerzeit liegen gebliebene Ablage zu sichten und aufzuräumen. Es war Freitag, und sie freute sich auf ihre langjährige Kollegin und Freundin Angelikí, mit der sie so lange in der Athener Mordkommission zusammengearbeitet hatte. Ihr Besuch war schon mehrfach angekündigt, aber immer wieder verschoben worden. Diesmal schien es tatsächlich zu klappen, und sie hoffte eine Menge Neuig­keiten aus ihrer alten Dienststelle zu erfahren. Außerdem schien Angelikí ihr etwas wichtiges Privates mitteilen zu wollen, so geheimnisvoll wie sie am Telefon geklungen hatte. Katharina war schon ganz neugierig. Hektisch schaute sie auf die Uhr – für ein ausgiebiges Frühstück blieb keine Zeit mehr, wenn der Morgen ruhig verlief, könnte sie das aber vielleicht später gemeinsam mit ihrem Team nachholen. Ein gesponsertes Arbeitsfrühstück mit der ganzen Mannschaft, den drei Beamten Takis, Konstantinos und Spyros, die sie von ihrem Vorgänger und Freund Adonis Georgidis übernommen hatte, sowie ihrem Stellvertreter Filippos aus Athen und ihrer Sekretärin Xenia, war stets eine gern gesehene Geste. Eine kleine Entschädigung für die früher stattgefundene Beköstigung durch Adonis’ Frau Nektaria, einer begnadeten Köchin, die es sich nicht nehmen ließ, ihren Mann und dessen Mitarbeiter regelmäßig in der Dienststelle zu bekochen. Katharina wusste von den Kochkünsten Nektarias, war sie doch während ihrer Urlaube auf Paros häufig bei den Georgidis eingeladen gewesen. Nektaria hätte an der langgepflegten Tradition auch gerne festgehalten, doch für die Kommissarin kam das nicht in Frage, sie waren ja schließlich kein Restaurantbetrieb, sondern eine Polizeidienststelle. Eine ihrer ersten Maßnahmen, um etwas frischen Wind in die behäbige Truppe zu bekommen. Die drei alteingesessenen Polizisten hatten es mürrisch zur Kenntnis genommen.

Schnell machte sie sich auf den Weg von Ambelas nach Parikia, eine Strecke, die, wenn es gut lief, in zwanzig Minuten zu schaffen war. Ihr Autoradio dudelte leise vor sich hin, und während sie die Abzweigung in Richtung Parikia nahm, hörte sie in den Morgennachrichten von erneuten Protestkundgebungen in Athen und Thessaloniki. Der Grund dafür war die geplante Privatisierung der öffentlichen Trinkwasserversorgung, und das erregte seit einigen Wochen die Gemüter. Die Bevölkerung befürchtete weitere Kostensteigerungen und wehrte sich mit allen Mitteln, aber unter dem Druck der Troika waren bereits beide großen Versorger in Aktiengesellschaften umgewandelt worden um eine Übernahme durch einen privaten Investor vorzubereiten. An vorderster Front mit dabei war auch die AquaTop AG, und das verantwortliche Management wartete schon ungeduldig auf die Unterzeichnung der entsprechenden Verträge. Katharina missfiel der Gedanke zutiefst, sie hatte Freunde in Großbritannien, die sich oft über die ständig steigenden Trinkwassergebühren beschwerten, seitdem die Thatcher-Regierung in einer großen Welle viele behördlichen Einrichtungen, so auch die öffentliche Trinkwasserversorgung, privatisiert hatte. Doch nicht nur die großen Städte in Griechenland standen auf der Einkaufsliste der AquaTop AG, auch viele Kykladen Inseln waren seit längerem im Visier des Großkonzerns. Besonders auf Mykonos war man aufmerksam geworden, nachdem die Negativschlagzeilen zu Trinkwasserengpässen in den Sommermonaten immer häufiger in der Presse erschienen. Große Tankschiffe mussten mittlerweile jedes Jahr für teures Geld gechartert werden, um den immer weiter sinkenden Grundwasserspiegel auszugleichen und eine einigermaßen ausreichende Trinkwasserversorgung auf der Touristeninsel sicherzustellen. Auch auf Paros hatte der Grundwasserspiegel mittlerweile eine kritische Grenze erreicht, und es bedurfte dringend neuer Konzepte um auch in Zukunft die Insel mit genügend Trinkwasser zu versorgen.

Sie stellte ihren Wagen auf dem für sie reservierten Parkplatz, direkt vor der Polizeistation ab und eilte an die Eingangstür. Schon beim Öffnen der Tür vernahm sie einen angenehmen Kaffeegeruch. Die gute Xenia, von Anfang an ihre Verbündete, war schon da und hatte wie jeden Morgen frischen Kaffee zubereitet. Katharina betrat mit einem fröhlichen »Kalimeraaa« ihre Dienststelle und ging direkt in Richtung Küche.

»Kakí iméra!«, hörte sie eine Stimme aus dem ersten Büroraum und Katharina schaute fragend ihre Sekretärin an, die gerade eine Tasse Kaffee einschenkte und sie ihr übereichte.

»Kaliméra, Katharina«, begrüßte Xenia ihre Chefin und deutete mit einem Kaffeelöffel in der Hand auf das benachbarte Büro.

»Wer ist da drin?«

»Xenias abfällige Handbewegung verhieß nichts Gutes. »Takis nimmt gerade eine Vermisstenanzeige auf«. Sie flüsterte fast.

»Und?« Katharina schürfte an ihrem Kaffee.

»Die Frau sucht ihren Ehemann und … und ist sehr sauer, weil …. ja, weil …«Sie suchte nach den richtigen Worten.

»Weil ich sie gestern weggeschickt habe!«, ergänzte Katharina.

»Genau!« Xenia war sichtlich erleichtert, dass sie keine weitere Erklärungen liefern musste »Takis gibt sein Bestes!« Sie ist seine Nachbarin.«

»Oh, je!« Katharina seufzte tief. Die Insulaner kannten sich fast alle, waren verwandt, verschwägert und vielfach trugen sie Familienfehden über Generationen aus. Sie selbst war in der Paroanischen Gesellschaft eine »Neue« und musste oft feststellen, dass die Bewohner untereinander mit einem sanfteren, manchmal recht kumpelhaften Verhalten ihre Beziehungen zueinander pflegten. Ganz anders, als sie es aus Athen gewohnt war.

»Es ist alles OK«, sagte Xenia beruhigend und lächelte. Die gute Seele der Dienststelle war wie sie, eine »Fremde« vom Festland und obwohl verheiratet mit einem Paroaner, hatte sie manchmal das Gefühl, dass sie nicht wirklich zu den Einheimischen gehörte. Sie hatte das eine oder andere Mal mit Katharina darüber gesprochen, und das verband die beiden Frauen. Katharina, die in Athen aufgewachsen und Jahre lang im Dschungel der Millionenstadt gearbeitet hatte, pflegte einen raueren Ton gegenüber Verbrechern, Straftätern oder Gesetzesbrechern im Allgemeinen als ihre Kollegen aus Paros. Takis, ihr Dienstältester Mitarbeiter, war da genau das Gegenteil. Seine Art, mit den Insulanern zu sprechen, war demonstrativ brüderlich und familiär. Ausdrücke, die Katharina zum Rasen brachten und am Anfang für viel Zoff zwischen den beiden gesorgt hatte. Dabei spielte natürlich auch die Tatsache, dass Takis nicht den Posten des Stellvertreters bekommen hatte, eine große Rolle. Mittelweile hatten sich die Wogen geglättet und Katharina verstand besser, wie die Paroaner tickten. In vielen Fällen überlies sie dann Takis das Feld und agierte im Hintergrund, was der wohlwollend registrierte.

Mit der Erkenntnis, dass wieder einmal ein »Familienfall« vorlag, also ein Fall für Takis, ging sie mit großen Schritten Richtung Flur. Mit der Tasse Kaffee in der Hand lief sie weiter in ihr Büro ohne einen Blick in Takis Zimmer zu werfen, wo der mit sanfter Stimme versuchte der Frau neuen Mut zu geben. Als eine gefühlte Stunde später Takis Marika Psará bis zur Ausgangtür begleitete – rührend und fürsorglich, so als wäre sie seine Schwester – hörte sie ihn mit einer Stimme, die echte Anteilnahme vermuten ließ sagen: »Ich kümmere mich persönlich darum, Rika.«

»Danke, Takis« kam die gehauchte Antwort und das schnell leiser werdende Klacken der Stilettos signalisierte, dass die Psará sich entfernt hatte.

»Kalimera, Katharina« Takis blieb an der geöffneten Tür ihres Büros stehen.

»Der Ehemann ist wohl immer noch nicht aufgetaucht!«, bemerke die Kommissarin knapp, bevor er etwas sagen konnte. »Im Grunde genommen ist selbst nach einer Nacht noch kein dringender Handlungsbedarf gegeben!«

»Aber ich kenne Kostas und Rika persönlich«, protestierte der rundliche Polizist

»Dann solltest wohl auch du die Nachforschungen einleiten!«, sagte sie prompt und führte ihre Kaffeetasse an ihre Lippen.

Takis brauchte einige Sekunden um zu begreifen, dass Katharina ihm gerade offiziell den Fall zugewiesen hatte und er die Vermisstenanzeige, die er aufgenommen hatte, nun abarbeiten durfte.

»Ja, ja sofort«, sagte er zufrieden, »ich beginne bei seiner Arbeitsstelle.«

»Danke, dass du dich um Frau Psará kümmerst«, erwiderte Katharina und damit war die Angelegenheit für Sie erledigt. Ein Routinefall, der sich bestimmt schnell aufklären würde.

Takis blieb mit einem merkwürdigen Gefühl im Bauch zurück. Dieses »Danke« aus Katharinas Mund irritierte ihn. Vielleicht weil er es so selten hörte, ein Danke von seiner Vorgesetzten. War es ironisch oder herzlich gemeint?

Katharina widmete sich wieder dem Chaos auf ihrem Schreibtisch. Beim Anblick des Notizzettels, auf dem die Ankunftszeit von Angelikí vermerkt war, glitt ein Lächeln über ihr Gesicht. Das Wochenende stand vor der Tür.

Süßes Wasser

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