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Katharina Waldmann

Parikia, Paros

Katharina Waldmann schaltete gerade die Alarmanlage ein und griff nach ihrer Jacke, um nach einem langen Tag in ihrer Dienststelle endlich den Feierabend einzuläuten, als sie von einem heftigen Klopfen an der Eingangstür unterbrochen wurde. Es war ein eher ruhiger Tag gewesen in der Polizeidienststelle. Die Insel schüttelte langsam die letzten Urlauber ab, sodass nach drei überaus betriebsamen Monaten, der langersehnte Paroanische Alltag wieder einkehren konnte. Ab nächstem Montag würde der Winterfährplan gelten, und das war immer der Startpunkt für die stillere Zeit des Jahres. Zur Zufriedenheit der Bevölkerung hatte der Tourismus auch in diesem Sommer wieder zugelegt, was allen auf Paros guttat und ein wenig über die spürbaren Folgen der Krise hinweghalf. Die Presse sprach zwar davon, dass das Schlimmste überstanden sei, doch bei den normalen Leuten war bisher wenig davon zu spüren. Die hohen Steuern und das Verschwinden des staatlichen Gesundheitssystems hatten viele Insel­bewohner an den Rand des Ruins getrieben.

Erneut klopfte jemand ungestüm an die Tür. Katharina stand missmutig auf. Ihr gesamtes Team, welches aus vier männlichen Polizeibeamten und einer Kollegin bestand, war schon vor einiger Zeit gegangen, und sie hatte sich daran gemacht ihren Schreibtisch zu ordnen. In der Hektik von Juli bis September war daran nicht zu denken, und dementsprechend sah das Chaos an ihrem Arbeitsplatz auch aus. Fast zwei Jahre waren jetzt schon vergangen, seit sie die Leitung der Dienststelle in der Hauptstadt von Paros übernommen hatte, und nach wie vor bereute sie es keine Sekunde Athen den Rücken gekehrt und sich auf ihrer Lieblings­insel neu eingerichtet zu haben. Ihr neuer Lebensmittelpunkt war jetzt Paros, ganz besonders Ambelas, der kleine Ort in der Nähe von Náoussa im Norden der Insel, der ihr so richtig ans Herz gewachsen war. Anfangs hatte sie noch etwas mit den einsamen Wintermonaten in dem beschaulichen Dorf gehadert, aber nachdem Dawid, ihr neuer Lebenspartner, bei ihr eingezogen war, hatte ihr Privat­leben nach langer Durststrecke eine positive Wendung genommen. Sie war rundum zufrieden.

Sie lief die Treppe ins Erdgeschoss hinunter, um dem ungeduldigen Fremden die Tür zu öffnen. Draußen dämmerte es bereits, vor lauter Aufräumarbeiten hatte sie total die Zeit vergessen.

»Kalispera. Was gibt’s so Dringendes?«

»Ich brauche Ihre Hilfe! Mein Mann …«

»Was ist mit ihm?«

Vor Katharina stand eine Frau mit ängstlich aufgerissenen Augen. Sie trug einen schwarzen kurzen Rock und hohe Stöckelschuhe. Ihr Haar war wild zerzaust.

»Mein Mann ist weg!«

Mit einer knappen Handbewegung bat Katharina die ihr fremde Person einzutreten. »Mein Mann ist verschwunden!«, wiederholte die Unbekannte aufgebracht. Katharina zeigte ihr den Weg in das Büro ihres Stellvertreters Filippos, das als nächstes zur Eingangstür lag. »Setzen Sie sich erst einmal.«

»Ich will eine Vermisstenanzeige aufgeben «, sagte die Frau mit verzweifelter Stimme. Katharina zeigte auf den Stuhl, auf dem die Fremde Platz nehmen sollte. »Helfen Sie mir!«, flehte sie und legte ihre große rote Handtasche auf den Schreibtisch.

Katharina lies ihre Jacke auf den Bürostuhl fallen und berührte behutsam die Schulter der verängstigten Frau.

»Wie heißt Ihr Mann?« Die Stimme der Kommissarin klang professionell.

Die Frau rutschte nervös auf ihrem Stuhl hin und her.

»Kostas.«

»Und sein Nachname?«

»Aristidis.«

Katharina wurde ungeduldig.

»Wie lange vermissen Sie ihren Mann denn schon?«

»Noch nicht sehr lange«, erklärte die verunsicherte Frau verlegen, während sie aus ihrer Handtasche ein Smartphone hervorkramte und begann nach Bildern zu suchen. »Mein Kostas …«, flüsterte sie leise und legte das Gerät auf den Tisch, um mit Hilfe ihres Zeigefingers und Daumen ein Bild zu vergrößern.

Katharina betrachtete eine Weile das Foto: Ein Mann, Anfang Fünfzig mit schwarzen Haaren und Oberlippenbart lächelte in die Kamera. Seine braunen Augen leuchteten im Sonnenlicht, ein dunkles kleines Muttermal saß markant auf seiner rechten Wange. »Kann es einen Grund für sein Verschwinden geben?« Ohne eine Antwort abzuwarten zog sie ein Formular aus einer Schublade um die Personalien aufzunehmen.

»Was für einen Grund sollte es geben?« Ein beleidigter Blick richtete sich auf die Kommissarin. »Kostas kommt immer sehr pünktlich nach Hause!«

»Wie heißen Sie?«

»Wieso fragen Sie mich nach meinem Namen?« Die Frau blickte Katharina fragend an. »Mein Mann ist verschwunden! Den sollen Sie suchen! Kostas! Kostas Aristidis, heißt er«, wiederholte sie und zeigte hektisch auf das Bild.

Katharina musste sich zusammenreißen. Dramatische Auftritte konnte sie nicht leiden, schon gar nicht um diese Zeit. »Ich muss Ihre Personalien aufnehmen, liebe Frau.«

Die Besucherin erschrak über den bestimmenden Ton der Kommissarin.

»Also! Wie ist ihr Name?«

»Rika«, antwortete die Frau und griff sich in ihr verstrubbeltes Haar. Eine wilde, blond gefärbte Mähne fiel jetzt über ihre Schultern.

»Rika?«, hinterfragte die Beamtin mit leichter Verwunderung. »Das ist doch kein Name! Höchstens ein Kosename!«

»Natürlich ist es ein Kosename!«, bestätigte die Frau aufgewühlt und fügte leise hinzu: »Eine Abkürzung von Marika, aber ich werde immer Rika gerufen.«

»So, so! Marika. Und Ihr Nachname lautet ebenfalls Aristidis?«

»Nein, Psará!«, antwortete die Frau mit brüchiger Stimme.

Die Kommissarin schrieb den Namen in das vor ihr liegende Formular. »Ihren Personalausweis bitte!«

Die Besucherin reagierte nicht, sie saß in sich versunken auf ihrem Stuhl.

Katharina schaute leicht entnervt auf die Uhr an der Wand im Hintergrund. Die Zeiger standen auf 19:10 Uhr, sie wollte endlich nach Hause. Die zierliche Frau schluchzte plötzlich ungehemmt los und betrachtete dabei mit Sehnsucht das Foto ihres Ehemanns auf dem Display ihres Handys.

»Seit wann vermissen Sie Ihren Mann schon?« Die verstörte Frau holte ein Taschentuch aus ihrer Tasche.

Katharina nahm sich zusammen und wartete geduldig, bis Marika sich ihre Nasse geputzt hatte. Danach betrachtete diese sich im Spiegel des Smartphones, schob eine blondierte Strähne aus dem verweinten Gesicht und korrigierte den verschmierten Lidschatten mit ihrem Taschentuch. Dann tippte sie mit dem rot lackierten Zeigefinger auf die Wahlwiederholungstaste ihres Telefons und hielt es ans Ohr. »Sehen Sie! „Er hebt nicht ab!«

»Ihr Mann?« Katharina war irritiert von der späten Besucherin, die mit ihrem farbenfrohen Make Up, ihrer ungestümen Frisur und ihrem Sexappeal auf jede Theaterbühne gepasst hätte.

»Der Kostas, panajá mou! Der Kostas!« Sie bekreuzigte sich und blickte zur Decke, als suche sie nach Erlösung.

Katharina verdrehte ihre Augen, sie konnte es überhaupt nicht leiden, wenn Gott, oder, wie gerade geschehen, die Panajá – die Muttergottes – ins Spiel gebracht wurde. Eine typische Angewohnheit der Griechen, die sie nicht akzeptierte, immer, wenn es tragisch wurde, verlangten sie Hilfe von oben. »Wann haben Sie das letzte Mal mit Ihrem Mann gesprochen?« fragte sie und hoffte, dass das weinende Dornröschen endlich aufhören würde ihr Gesicht in ihrem Smartphone zu begutachten.

»Seit seinem Mittagessen in der Taverna Georgios. Von dort kam sein letztes Lebenszeichen. Die haben die leckerste Keftedakia auf Paros …«

»Und am welchen Tag war dieses besagte Mittagessen?«

Die Katzenaugen von Marika nahmen einen gekränkten Ausdruck an. »Ja, heute, natürlich!«

»Heute?« Katharina legte den Stift beiseite. »Sie vermissen Ihren Mann erst seit heute Mittag?« fragte sie erzürnt.

»Panajá mou!«, Marika bekreuzigte sich wieder mehrfach. »Ja, seit heute Mittag! So gegen 13:00 Uhr hat er sich bei mir gemeldet, wie gesagt, aus dem Restaurant. Danach musste er zurück ins Büro und seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört.«

Katharina riss nun endgültig der Geduldsfaden. »Feierabend!« Sie wollte endlich nach Hause. Das Verschwinden dieses Mannes war gerade einmal ein paar Stunden her. Sie unterbrach das Geschwätz der Besucherin abrupt, was ihr einen tödlichen Blick von Rika bescherte. » Ich werde für einen erwachsenen Mann, der gerade einmal ein paar Stunden verschwunden ist, keine Vermisstenanzeige auf­nehmen. Kommen Sie Morgen wieder!» Für Katharina war die Angelegenheit erledigt.

»Was fällt Ihnen ein?«, mokierte sich Marika. »Das ist ja unerhört!« »Ich verlange sofort einen anderen Beamten!«

»Sehen Sie hier jemanden außer uns? Alle sind weg, und das machen wir jetzt auch.« Sie legte das Aufnahmeprotokoll verärgert zur Seite, schnappte sich ihre Jacke und ihre schwarze Ledertasche und klickte die Tischlampe aus.

»Aber, ich will eine Vermisstenanzeige aufgeben.«, beklagte sich Marika verzweifelt und beobachtete, wie die Kommissarin mit schnellen Bewegungen einen Lichtschalter nach dem anderen ausschaltete und zum Verlassen des Büros aufforderte. »Sein Auto steht im Hafen unten auf dem Parkplatz. Verstehen Sie nicht?«

»Liebe Frau Psará«, Katharina packte nun die späte Besucherin sanft an ihrem Elenbogen und geleitete sie in Richtung Ausgang. »Sie machen sich sicher umsonst Sorgen.«

»Aber ich kenne doch meinen Kostas!« Die Frau wollte immer noch nicht aufgeben. »Er geht immer ans Telefon, wenn ich anrufe.«

»Ich kann und werde keine Vermisstenanzeige aufnehmen, weil ihr Mann sich seit fünf Stunden nicht mehr bei Ihnen gemeldet hat!«, erklärte Katharina noch einmal mit Nachdruck. Sie komplementierte die kleine Frau nach draußen und schaute noch einmal zurück ins Gebäude. Alle Lichter waren aus.

»Sie verstehen mich nicht …«

»Nach so kurzer Zeit kann ich da leider noch nichts unternehmen.« Die Kommissarin kannte solche Situation aus Athen und konnte sich gut vorstellen, dass die gesuchte Person nach einem Rausch oder Ehekrach spätestens am nächsten oder übernächsten Tag wieder auftauchen würde. Wahrscheinlich saß ihr Gatte betrunken in einer Taverne und hatte Zeit und Raum hinter sich gelassen. Und mit einer versetzten Ehefrau wollte und konnte sie sich jetzt nicht einlassen. »Bitte telefonieren Sie zunächst alle ihre Bekannten ab«, sagte sie in aller Förmlichkeit und verriegelte die Eingangstür des Polizeigebäudes. »Wenn er bis morgen nicht zu Hause erscheint oder sich meldet, können sie gerne wieder kommen und wir nehmen den Fall auf.«

Zu diesem Zeitpunkt konnte noch niemand wissen, dass das Verschwinden dieses Mannes aus Parikia nur ein kleines Mosaiksteinchen in einem skrupellosen Verbrechen darstellte.

Süßes Wasser

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