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September 2013

Parikia, Paros

Kostas Aristidis hatte sich für den heutigen Nach­mittag extra eine Stunde früher frei genommen. Er wollte pünktlich an dem vereinbarten Treffpunkt erscheinen, zu dem man ihn mit Nachdruck hinzitiert hatte. Früher wäre er einfach so aus seinem Büro in der Stadtverwaltung von Parikia verschwunden, doch diese Zeiten waren endgültig vorbei, seitdem man das Personal rigoros zusammengestrichen hatte. Einen dringenden Arztbesuch hatte er seinem Kollegen vorgegaukelt und sich auch kurz in dem immer vollen Wartebereich der städtischen Krankenstation sehen lassen. Dann hatte er sich auf den Weg nach Lefkes gemacht, zu dem kurzfristig anberaumten Termin.

Er hatte schlecht geschlafen, nachdem er gestern Abend den Anruf auf seiner Mailbox vorgefunden hatte und die ganze Nacht darüber gegrübelt, was so dringend war und keinen Aufschub zuließ. Eine vage Ahnung hatte er schon, warum man sich mit ihm so kurzfristig treffen wollte und das machte ihm ein wenig Angst, zumal der ausgewählte Treffpunkt eindeutig mit seiner Aufgabe in der Behörde zu tun hatte. Es musste mit dieser sonderbaren Nachricht zu tun haben, die er schon Anfang des Jahres erhalten hatte und mit der er zunächst nichts hatte anfangen können. Wie eine Warnung hatte sie damals geklungen, und jetzt, gute acht Monate später, bekam sie für ihn eine ganz neue Bedeutung. Kostas Aristidis war kein ängstlicher Mensch und hatte sich zu dem Treffen durchgerungen. Er wollte endlich ein paar Antworten haben, nachdem er erst neulich mehrfach vergeblich versucht hatte, den damaligen Absender zu kontaktieren.

Es war zwar nur eine Vermutung, aber vorsichtshalber hatte er umgehend seinen alten Schulfreund Sotírios beauftragt, ihm bei der Aufklärung behilflich zu sein. Morgen früh würde er ihn anrufen und ihm die Details erklären. Vielleicht war man aber auch nur auf seine Forderung eingegangen und wollte die Angelegenheit schnell und ohne große Aufmerksamkeit aus der Welt schaffen. Als technischer Angestellter kümmerte er sich seit vielen Jahren um alle Belange der öffentlichen Trinkwasserversorgung auf Paros, seiner Heimatinsel im Zentrum der Kykladen in der südlichen Ägäis. Vorbei an ein paar spielenden Kindern passierte er den Ortsausgang des idyllischen Bergdorfes und fuhr weiter in Richtung der höchsten Inselerhebung des Ágii Pantes zu der großen Zisterne. Diese hatte früher einige Ortschaften und einzelne Gehöfte mit Trinkwasser versorgt, wurde heute aber bis auf wenige Ausnahmen nur noch zur Bewässerung der Felder genutzt. Der große Wasserspeicher lag weit hinter dem letzten Wohnhaus von Lefkes und war von der ansteigenden Straße nur für Ortskundige wie ihn zu finden. Versteckt hinter mehreren großen Ginsterbüschen, die einen im Sommer grell entgegen lachten, lag der kleine Pfad, der zu dem alten Reservoir führte.

Er parkte seinen Wagen im Schatten der großen Sträucher, seine Augen suchten unruhig die unmittelbare Umgebung ab, Ausschau haltend nach dem unbekannten Anrufer, der ihm in gebrochenem Englisch die Nachricht hinterlassen hatte. Doch er konnte keinerlei Anzeichen von einem weiteren Besucher in der verlassenen Gegend ent­decken, so wie meistens, wenn ihn eine Routine­begehung des großen Speichers nach hier oben führte. Diese machte er regelmäßig, um sicherzustellen, dass sich keine Vögel oder sonstiges Getier Zugang zu dem verschlossenen Behälter verschafft hatten und für eine Verunreinigung des ­Wassers sorgten.

Er war eine gute Viertelstunde früher zu dem Treffen erschienen, um die Ankunft des Anrufers beobachten zu können, und sein Plan schien aufzugehen, dachte er, als er den steinigen Weg bis zu dem kleinen Tor entlanglief, das den Zugang zu dem eingezäunten Areal frei gab. Doch das verwitterte, alte Holzgatter, welches normalerweise mit einer rostigen Eisenkette versperrt war, stand offen, was ihm äußerst seltsam vorkam. Außer ihm hatte nur noch sein Kollege einen Schlüssel, und der saß zweifelsohne in seinem Büro in Parikia und ärgerte sich darüber, den Rest des Nachmittages allein die anstehenden Arbeiten erledigen zu müssen. Vorsichtig betrat er das eingezäunte Gelände, immer damit rechnend den Unbekannten anzutreffen. Er ging langsam weiter auf die beiden massiven Felsblöcke zu, hinter denen sich die dicke Stahltür, die den Zugang zu der eigentlichen Zisterne freigab, versteckte. Fast hätte es ihm den Atem verschlagen, als er erkennen musste, dass auch diese Tür offenstand, und eine innerliche Stimme drängte ihn den Rückzug anzutreten. Doch er wollte wissen, wer sich da unerlaubten Zutritt zu dem Wasserbehälter verschafft hatte und näherte sich vorsichtig der halb geöffneten Tür. Zögerlich setzte er den ersten Schritt in das dunkle Innere des großen, von außen vollständig bewachsenen, unterirdischen Gebäudes. Seine Augen, noch geblendet von der hellen Sonne, konnten schwach die Umrisse der ­steilen Treppe erkennen, die hinunter zu der Wasseroberfläche führte. Dann nahm er noch für den Bruchteil einer Sekunde einen schwarzen Schatten seitlich von ihm wahr, und ein dumpfer Schlag auf seinen Kopf ließ ihn kopfüber die modrigen Treppenstufen hinabstürzen.

Süßes Wasser

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