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Dezember 2012

Koh Samui, Provinz Surat Thani, Thailand

Michael Kober stand in der geschäftigen Lobby des Sun Flower Ressorts und winkte einen Kofferboy heran, der seinen Eltern bei dem Transport ihres Gepäcks behilflich sein sollte. Sie waren gerade eingetroffen, und er freute sich riesig, dass sie sich endlich einmal dazu durchgerungen hatten den Jahreswechseln bei ihrem Sohn auf Koh Samui zu verbringen. Gut gelaunt hatte er seine alten Herrschaften persönlich an dem liebevoll angelegten Inselflughafen abgeholt. Der lange Flug von Deutschland nach Bangkok mit anschließendem Weiterflug auf die Insel hatte das Ehepaar deutlich geschafft, und sie wollten sich zunächst etwas hinlegen, um sich von den Strapazen der langen Anreise zu erholen.

Fast ein Jahr war seit ihrem letzten Treffen vergangen, und Michael Kober hatte viel Zeit eingeplant, um ihnen seine Wahlheimat etwas näher bringen zu können. Irgendwie würde er das schon in seinem vollgestopften Terminkalender unterbringen, denn von Dezember bis Februar herrschte Hochsaison in Thailand, und in seinem Ressort gab es kein einziges freies Bett mehr. Die letzten Hand­werker hatten wider allen Befürchtungen – Gott sei Dank – alle Renovierungsarbeiten fristgerecht abgeschlossen, sodass er sich jetzt voll auf das Wohlbefinden seiner Gäste konzentrieren konnte. Das gesamte Team war auf Spur, und sie hatten sich zum Ziel gesetzt, in diesem Jahr bei den Hotelbewertungen mindestens eine 9,0 einzufahren, was für alle eine riesige Herausforderung bedeutete. So war dann auch die neue Trinkwasseraufbereitungsanlage pünktlich Ende November in Betrieb genommen worden, und seitdem konnten sie ihre Gäste mit frischem Wasser aus eigener Produktion versorgen. Daran hatte Michael Kober bis zuletzt nicht geglaubt, denn der Installationstermin war von Seiten der Firma OsmoTec mehrfach nach hinten verschoben worden. Es gäbe umfangreiche Umstrukturierungen, hatte man ihm per Mail mitgeteilt und alle Projekte wären um wenige Wochen verzögert. Diese Mitteilung traf den Hotelchef hart, hatte man ihm doch noch bei den Verkaufsverhandlungen fest zugesagt, bis Anfang Dezember mit allen Arbeiten fertig zu sein. Er hatte es sogar schriftlich und erst nach mehreren Telefonaten mit der Zentrale in Hamburg und der Androhung von dem Auftrag zurück zu treten, lenkte OsmoTec schließlich ein und man einigte sich auf den zugesagten Termin. Nun lief das Aggregat reibungslos, und der hoteleigene Haustechniker war nach einem zweitägigen Training in der Niederlassung in Bangkok auch in der Lage, die moderne Umkehrosmose-Anlage selbstständig zu bedienen. Stolz hatte ihm sein Mitarbeiter das während der Schulung erworbene Zertifikat präsentiert, das ihm eine erfolgreiche Teilnahme an der Fortbildung bescheinigte. Jedem gegenüber, der sich seinem neuen Spielzeug näherte, gab er dann auch gern das gelernte Fachwissen ungefragt zum Besten, so auch seinem Chef, der von technischen Anlagen wie dieser wenig verstand.

»Osmose basiert auf einem natürlichen Vorgang«, begann er, als würde er aus einem Lehrbuch vorlesen, und Michael Kober ahnte schon Schlimmes.

»Das weiß ich. Erklär mir ganz einfach, wie das Ding funktioniert!«, unterbrach er den Techniker daher sofort, für wissenschaftliche Referate hatte er weiß Gott keine Zeit.

»Pflanzen nehmen so über ihre Wurzelzellen Feuchtigkeit aus dem Boden auf«, setzte der allerdings unbeirrt seinen Vortrag fort. »Der gleiche Vorgang findet auch im menschlichen Körper statt und bewirkt einen Austausch von Stoffen über die Zellmembran.«

Kober nickte mechanisch, obwohl es ihn kein Stück interessierte. Naturwissenschaften hatte er schon in der Schule gehasst. »Hört sich ziemlich kompliziert an«, er schaute den Techniker ratlos an.

»Ist eigentlich ganz simpel.« fuhr der Angestellte begeistert fort. »Bei der Trinkwasseraufbereitung aus Meerwasser setzt man salzhaltiges Wasser einem Druck aus, sodass nur die Wassermoleküle über eine Membran austreten können und Verschmutzungen oder Salze wie zum Beispiel Natriumchlorid zurückgehalten werden.«

»So wie ein Filter.«

»Ja genau, nur mit viel Druck drauf, je nachdem wie salzhaltig das Wasser ist.« Sein Mitarbeiter freute sich über die Rückmeldung und verbuchte das als Ansporn für weiter­gehende Erklärungen.

Der Hotelmanager winkte schnell ab, es reichte ihm, mehr brauchte er nicht zu wissen. Die Hauptsache war, dass sein Techniker die Details kannte, dazu hatte er ihn ja schließlich eingestellt. Aber eine Frage lag ihm noch auf den Lippen. »Wenn das denn alles so einfach ist, warum ist die Anlage dann so teuer?«

Als hätte der Handwerker auf diese Frage gewartet, legte er jetzt richtig los, um doch noch ein Teil seines Fachwissens loszuwerden. »Das Herzstück einer solchen Aufbereitungsanlage ist die Umkehrosmose-Membrane, deren Qualität von entscheidender Bedeutung ist«, antwortete er begeistert.

»Und die ist so teuer?«, hakte Kober nach.

»Genau! Diese Membrane, oder nennen wir es Filter, macht auf jeden Teil einen großen Teil der Investition aus, weil die zur Herstellung benutzten Polymere in unterschiedlichen Ausführungen angeboten werden. Dabei spielen die Porenweite, der Durchsatz des produzierten Trinkwassers und die reduzierte Salzfracht eine große Rolle.«

Michael Kober klopfte seinem Mitarbeiter lobend auf die Schulter, die Trainer der Firma hatten einen guten Job gemacht, so begeistert hatte er seinen Haustechniker bislang noch nicht erlebt. OsmoTec sei der Marktführer auf diesem Gebiet, sie hätten die beste Membrane weltweit und das hätte natürlich auch seinen Preis, ergänzte sein Mitarbeiter noch, bevor Kober wieder in seinem Büro verschwand.

Zu dem Modul gehörte ein Servicepaket, welches eine regelmäßige Wartung durch Techniker der Firma OsmoTec vorsah, die erstmalig vier Wochen nach Inbetriebnahme und dann nur noch alle sechs Monate durchgeführt werden musste. Diese erste Wartung stand nun an, und der Servicetechniker von OsmoTec hatte sich für den heutigen Tag bei ihnen angekündigt. Neben dem Sun Flower Ressort gab es bereits drei weitere Hotelanlagen auf Koh Samui, die mit den Aggregaten der Firma betrieben wurden, und so konnte der Wartungstechniker während seines Besuchs auf der Insel direkt mehrere Anlagen betreuen.

Eigentlich nichts von besonderer Bedeutung für den Hotelmanager, gab es doch zahlreiche technische Einrichtungen in seinem Hotel, die einer regelmäßigen ­Überprüfung bedurften, die komplexe Poolanlage stellte dabei das größte Arbeitspaket dar. Doch diese Anlage war neu und teuer und somit war Kober schon sehr an dem Ergebnis interessiert. Die Koordination dieser Arbeiten überließ er stets seinem Haustechniker, eine verantwortungsvolle Aufgabe, deshalb hatte er bei der Besetzung dieses Postens besonders kritisch hingeschaut und sich schließlich für John Rigby entschieden. Der Mann hatte bereits in verschiedenen großen Hotels in Europa gearbeitet und konnte erstklassige Zeugnisse vorweisen. Er war nicht nur ein exzellenter Techniker, sondern wusste auch, wie man in einem First-Class-Hotel mit technischen Problemen umging, ohne dass die verwöhnten Gäste etwas davon mitbekamen.

Die Überprüfung der Aufbereitungsanlage würde circa zwei Stunden in Anspruch nehmen und war für den frühen Nachmittag geplant. Die meisten Gäste befanden sich zu dieser Zeit entweder am Pool oder am Strand. An diesem Tag hatte Michael Kober nichts weiter geplant, seine Eltern sollten sich akklimatisieren und er würde mit ihnen den Abend im Hotel verbringen. Sie waren das erste Mal in ihrem Leben in Asien, und an die vielen exotischen Eindrücke sollten sie sich langsam gewöhnen. Den schönsten Tisch auf ihrer Sonnenterasse hatte er reservieren lassen, und vorher würden sie zusammen mit einer Pina Colada oder einem Mai Tai auf ihr Wiedersehen anstoßen.

Bis dahin blieb noch etwas Zeit, und er wollte sich gerade in sein Appartement zurückziehen, als ihm John Rigby mit dem Servicetechniker der Firma OsomTec entgegenkam. »Alles klar mit der Anlage«, rief John ihm entgegen und zeigte breit grinsend mit seinem Daumen nach oben.

Gegen 18:00 Uhr war der Hotelchef schließlich mit seinen alten Herrschaften an der Poolbar verabredet, er war schon etwas früher dort und beobachtete, wie vier seiner Mitarbeiter Obst und kleine Blumenarrangements für die anstehende Happy Hour vorbereiteten. Diese bunten Verzierungen machten die süffigen Cocktails zu einem sinnlichen Vergnügen, und zahlreiche Gäste nutzten das Event, um den bevorstehenden Abend einzuläuten. Eine leichte Brise wehte vom Meer hinüber, die Sonne stand schon tief, trotzdem zeigte das Thermometer immer noch dreißig Grad. Der Manager hoffte, dass seine Eltern nicht allzu große Probleme mit dem tropischen Klima hatten. Seine Befürchtungen wurden rasch zerstreut, als er das ergraute Ehepaar freudig winkend Richtung Bar kommen sah. Ganz in Weiß gekleidet, machte das alte Paar einen weitaus jüngeren Eindruck als es tatsächlich war. Sie lächelten beide, als sie an der Poolbar eintrafen, waren sie doch glücklich, dem so fernab der Heimat arbeitenden Sohn für eine kurze Zeit etwas näher zu sein. Michael Kober machte ein kurzes Handzeichen und sofort erschien ein Kellner mit einem großen Tablett in der Hand, darauf drei Cocktails, liebevoll dekoriert mit Orchideen und frischen Ananasstückchen.

»Na dann, auf ein paar schöne Tage hier bei mir!« Er drückte den beiden je ein Glas in die Hand und sog kräftig an seinem Strohhalm. Seine Mutter nahm ihn in den Arm und gab ihm einen Kuss auf die Wange, sein Vater griff gierig nach dem eisgekühlten Drink, trank einen großzügigen Schluck und verzog verzückt seinen Mund.

Es war voll geworden an der Bar und nachdem alle Gäste mit Cocktails versorgt waren, wurde es immer fröhlicher in der internationalen Runde. Gäste aus allen Ecken der Welt kamen hierhin, unter ihnen auch zwei Tauchcrews, die von Koh Samui aus regelmäßige Trips zum Angthong Marine National Park unternahmen. Eine hoteleigene Tauchschule gehörte von Anfang an mit zu dem Ressort und man konnte zahlreiche Tauchgänge mit und ohne Equipment buchen. Sotírios Kourzounáris gehörte zu einer der beiden Gruppen und genoss bereits seit einer Woche zum wiederholten Mal das Ambiente des Sun Flower Ressorts. Ein passionierter Taucher, der in den vergangenen Jahren schon zahlreiche bekannte Tauchreviere in aller Welt bereist hatte und mit dem Hotelmanager im Sun Flower Ressort eine lockere Freundschaft pflegte. Die Gruppe, zu der er gehörte, bestand aus fünf Tauchern, die sich alle einen alkoholfreien Drink bestellt hatten, da sie am frühen Morgen zu einem weiteren Tauchgang aufbrechen wollten. Sotírios hatte am heutigen Abend zunächst gezögert an der Happy Hour ­teilzunehmen, aber der Rest seiner Truppe hatte ihn schließlich überredet. Ihm war übel und er hatte das Gefühl, dass mit seinem Magen etwas nicht stimmte. Ganz plötzlich war es da gewesen, aber noch hatte er die Hoffnung, dass es genauso schnell auch wieder verschwinden würde. Doch nachdem er mehrmals lustlos an seiner Fruchtsaftmischung genippt hatte, gab er diesen Gedanken auf. Sein Magen revoltierte, und er wurde überraschend von heftigen Krämpfen geschüttelt. Der kräftige Grieche krümmte sich vor Schmerzen und seine Tauchkollegen blickten ihn erschrocken an. Sotírios versuchte sich zusammenzureißen und grübelte, was ihm wohl diesen Zustand eingebrockt haben konnte, als er plötzlich einen fürchterlichen Druck in seiner Darmgegend verspürte. Mit gebückter Haltung rannte er zu der nahe an der Bar gelegenen Toilette und schaffte es gerade noch die Tür hinter sich zu schließen. Verärgert über seinen elenden Zustand und mit schweißnasser Stirn hakte er den für morgen geplanten Tauchgang ab und schlich erschöpft zu seinem Zimmer davon.

Michael Kober hatte mittlerweile mit seinen Eltern an dem reservierten Tisch Platz genommen, nachdem er mit ihnen einen kurzen Rundgang durch die Anlage unternommen hatte. Zur Einstimmung erwartete die drei ein frisch zubereiteter Larb Gai, ein knackiger scharf zubereiteter Hühnchensalat sowie eine große Platte mit gegrillten Tiger Prawns über die sich seine Mutter und er freudestrahlend hermachten. Sein Vater hingegen pickte nur lustlos zwischen den Speisen herum, irgendwie schien er wenig Appetit zu haben. Es folgten verschiedene Currys, alle mit extra zurückhaltender Schärfe angerichtet, seine Eltern kamen schließlich direkt aus Europa.

»Warum isst du nichts?«, fragte Michael Kober seinen alten Herren, während er sich hungrig eine große Portion Gemüse auf seinen Teller lud.

»Ich glaube, ich habe den kalten Cocktail zu schnell getrunken«, gab sein Vater leise zur Antwort und hielt sich dabei eine Hand auf seinem Bauch. »In meinem Alter sollte man doch etwas vernünftiger sein…« Er sah blass aus, und seine Augen schauten gequält in die Runde. Seiner Mutter machte der Zustand ihres Gatten schon einige Minuten länger Sorgen. Dann ging alles furchtbar schnell. „Ich glaube mir wird übel“, stöhnte Kobers Vater plötzlich und schwankte gefährlich, als er sich aus seinem Stuhl erheben wollte. „Lass dir helfen! Du bist ja kreidebleich“, bemerkte seine Frau, und mit einem leichten Schubs bugsierte sie ihn zurück in seinen Stuhl. „Michael Kober erschrak, als er in das fahle Gesicht seines Vaters blickte. Alle Warnungen ignorierend versuchte dieser erneut aufzustehen um zu der im hinteren Teil des Restaurants gelegenen Toilette zu gelangen. Er wankte, klammerte sich mit beiden Händen an der Tischkante fest. Instinktiv ließ Kober sein Besteck fallen, sprang auf um ihm zur Hilfe zu eilen. »Vorsicht«, rief er und riss einen Teller mit sich. Aber es war schon zu spät. Der angeschlagene Mann sackte seitlich weg und schlug hart auf dem steinernen Terrassenboden auf.

»Oh Gott!« Fassungslos hatte Kobers Mutter den Zusammenbruch ihres Gatten miterlebt Sie schlug ihre Hände vors Gesicht und schrie: »Einen Arzt! Wir ­brauchen einen Arzt«. Blut sickerte aus einer Wunde am Kopf des Gestürzten und bildete eine langsam größer werdende Lache. Michael Kober war einen Moment lang wie gelähmt, so schnell hatte sich alles abgespielt, doch dann besann er sich schnell auf seine Erste-Hilfe-Ausbildung. Mit sicherem Griff brachte er seinen Vater in die stabile Seitenlage. Einer seiner Angestellten rief unterdessen eine Kollegin hinzu, eine ehemalige Krankenschwester, die sich sogleich daran machte die blutende Kopfwunde notdürftig zu versorgen. Der alte Mann röchelte, und sein Körper wurde von starken Krämpfen geschüttelt, sein Puls war schwach, und der Hotelchef machte sich schwere Vorwürfe. War es ein Fehler gewesen, seine betagten Eltern hierher zu holen? Er hatte sie immer wieder bedrängt, ohne dabei ihr hohes Alter zu berücksichtigen. Nun hoffte er, dass es sich nur um ein Kreislaufproblem handelte. Hektisch suchte er nach seinem Handy und wählte die Nummer eines im Ort ansässigen Arztes, der stets zur Stelle war, wenn einer seiner Gäste medizinische Hilfe benötigte.

»Gibt es hier denn keinen Krankenwagen?« In Frau Kobers Augen stand die pure Verzweiflung.

»Mutti wir sind nicht in Europa!«. Er nahm sie in den Arm und versuchte sie zu trösten, noch einen Zusammenbruch konnte er jetzt nicht gebrauchen. »Der Arzt ist schon unterwegs, mach dir keine Sorgen.«

Süßes Wasser

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