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Ein knappes Jahr vorher – Oktober 2012

Europazentrale der AquaTop AG, Amsterdam, Niederlande

Dr. Alexander Brünner hatte gegen 15:00 Uhr zu einer Videokonferenz geladen und konnte es kaum erwarten seinen neuesten Coup öffentlich zu machen. Seit Sechs Uhr in der Früh rannte er schon wie ein aufgeblasener Pfau durch seine Abteilung und raunzte seinen Mitarbeitern Anweisungen zu. Sogar sein Hemd hatte er schon wechseln müssen, so sehr hatte ihn seine innere Erregung zum Schwitzen gebracht. Alle Top-Analysten hatten zugesagt, und er würde einmal mehr zeigen, wer hier der kreative Kopf in diesem Unternehmen war. Schon dreimal hatte er die Videoanlage hoch- und runtergefahren, um absolut sicher zu gehen, dass alles funktionierte. Sogar einen Mitarbeiter aus der IT-Abteilung hatte er zur Sicherheit bestellt, damit im Falle eines Falles auch jemand mit technischem Sachverstand zur Stelle war. Schon mehrfach hatte er die gesamte Konferenz in seinem Kopf durchgespielt, und auf einen Punkt war er ganz besonders stolz. Die Eröffnung der Videokonferenz würde von Tom Polster persönlich – dem CEO der AquaTop AG – direkt live aus dem Headquarter in New York durchgeführt werden um der Bedeutung dieses Deals auch den richtigen Rahmen zu geben. Dabei würde sicherlich auch mehrfach sein Name erwähnt werden, denn er war es ja schließlich, der dieses Projekt federführend zum Abschluss gebracht hatte. Der Gedanke daran erregte ihn enorm, und er plante gedanklich schon den nächsten Sprung auf seiner Karriereleiter. Das wurde auch langsam Zeit, zumal er schon fast zwei Jahre auf seiner jetzigen Position verharrte. Davor hatte er 18 Monate die deutsche Niederlassung geführt, jetzt war es endlich Zeit für etwas Größeres. Hinter vorgehaltener Hand war schon davon die Rede, dass er die Leitung der soeben akquirierten Unternehmung übernehmen sollte, und das war genau der Job, den er brauchte, um in naher Zukunft ganz nach oben zu kommen. Es würde ein hartes Stück Arbeit werden die Firma auf den richtigen Kurs zu bringen, so wie es den Leitlinien der AquaTop AG entsprach, aber genau die richtige Aufgabe um später ins Headquarter nach New York berufen zu werden. Er berauschte sich immer wieder an dem Gedanken, aber jetzt galt es zunächst einmal die erfolgreich abgeschlossene Akquisition gebührend zu verkaufen und zu feiern. OsmoTec, so hieß das mittelständische High Tech Unternehmen mit circa 400 Mitarbeitern, welches nach zähen Verhandlungen nun, wie zahlreiche andere Firmen auch, zu dem Imperium der AquaTop AG gehörte und eine Produktlücke schloss, die dem Konzern auch die Marktführerschaft bei der Meerwasserentsalzung sicherte. Nachdem die Übernahme so gut wie sicher war, hatte man innerhalb von nur zwei Wochen eine eigene Abteilung zusammengestellt, die sich in Zukunft um den bestehenden Kundenstamm der OsmoTec kümmern sollte. Dieser bestand fast ausschließlich aus Betrieben, die ihr Geld mit der Lieferung von Trinkwasser, aufbereitet aus Meerwasser, in vielen Regionen auf der ganzen Welt verdienten. Schon lange plante die Firma in dieses lukrative Business einzusteigen, doch bislang fehlte die richtige Technik und Tom Polster hatte bereits mehrfach das für neue Zukäufe verantwortliche Management ausgetauscht. Erst mit Alexander Brünner war Bewegung in die Sache gekommen, und schnell hatte sich OsmoTec als die geeignete Firma herausgestellt, galt sie doch weltweit als Top-Hersteller von Entsalzungsmodulen zur Trinkwassergewinnung.

Besonders in Südeuropa und in Südostasien war das kreative Unternehmen in den letzten Jahren ­gewachsen und hatte sich dort viele Lorbeeren auf dem Gebiet der Meerwasser­entsalzung verdient. Umso betroffener reagierte die gesamte Belegschaft, als sie von dem geplanten Verkauf ihres so erfolgreich geführten Familienunternehmens überrascht wurden. Zahlreiche Umstrukturierungen ­wurden befürchtet, so wie es bereits ähnlichen Betrieben ihrer Branche ergangen war, die im Laufe der letzten Jahre von der AquaTop übernommen worden waren. Der alte Eigentümer hätte gerne eine andere Lösung gehabt, aber es fehlte ganz einfach an einem geeigneten Nachfolger und mit seinen 82 Jahren war sein Ausstieg aus der Firma schon lange überfällig. Sein Ziel bestand in der Einbindung seines Lebenswerkes in einen liquiden, weltweit operierenden Konzern und mit diesem Konzept konnte er schließlich auch seine Mitarbeiter überzeugen. Die Verhandlungen dauerten fast ein ganzes Jahr, bis der Deal schließlich in trockenen Tüchern war. Die nächsten Schritte nach einem neuen Einkauf waren bei der AquaTop AG in einer Standardarbeitsanweisung – auch SOP genannt – genauestens dokumentiert und folgten einem festen Muster.

Als allererste Maßnahme würde die Geschäfts­führung ausgetauscht und mit einem führenden Angestellten der AquaTop AG besetzt werden, der, wenn alles klappte, Dr. Alexander Brünner heißen sollte. Er rechnete mit der Ernennung innerhalb der nächsten Tage, denn Tom ­Polster hatte sich für Ende der Woche in Amsterdam angekündigt, und dann würden wohl alle geplanten Personalien im Zusammenhang mit dem Kauf der OsmoTec GmbH offiziell bekannt gegeben werden. Den Gedanken, dass eventuell jemand anderes für diese Position in Betracht gezogen werden könnte, ließ Dr. Brünner erst gar nicht zu, denn die Vorstellung in der zweiten Reihe zu agieren war für ihn vollkommen unakzeptabel. So wie er allgemein nur wenige in seinem direkten Umfeld akzeptierte, darunter zwangsläufig das Seniormanagement der AquaTop AG und Madame Karen, die Betreiberin eines kleinen Domina-Studios in der Kerkstraat. Zu dieser Frau pflegte er eine ganz besondere Beziehung, er war ihr bedingungslos verfallen. Sie war seine Vertraute, bei ihr hatte er sich schon so manches Leid von der Seele geredet. Hierhin verschwand er regelmäßig, wenn sein innerer Druck wieder einmal zu groß wurde und er nach der harten Hand der resoluten Dame gierte. Sie war sein Ventil, und unter dem strengen Blick von Madame Karen konnte er sich der aufgestauten Dinge entledigen um dann, nicht nur um ein paar Hundert Euro erleichtert, wieder an sein Tagesgeschäft zu gehen. Dass er dabei neben seinen kleinen Beichtgeständnissen auch noch Lust empfand, machte einen Besuch in dem intimen Studio ganz besonders attraktiv. Das würde er vermissen, wenn er denn irgendwann einmal in die heiligen Hallen des Headquarters in New York wechseln würde. In dem neuen Unternehmen würde er freie Hand haben, um die im Vorfeld akribisch analysierten Einsparpotentiale schnellstens umzusetzen. Noch in dieser Woche würden zwei Mitarbeiter von Human Resources, der Personalabteilung von AquaTop, sich in dem ehemaligen Familienunternehmen umsehen und von allen Führungskräften ein Profil anlegen. Dabei würden schon in der ersten Runde ein paar kritische Angestellte auf der Strecke bleiben. Kein Job, bei dem man sich Freunde machte, aber das wurde auch nicht von ihnen verlangt, ganz im Gegenteil, hier setzte die AquaTop AG nur auf Köpfe, die ohne Zaudern alle erforderlichen Maßnahmen ohne Rücksicht umsetzten. Die Ergebnisse würde man Brünner sodann sofort zur Verfügung stellen, damit er sich mit seinem neuen Team alsbald an die Arbeit machen konnte. Unter strenger Beobachtung würde er dabei in den nächsten Wochen stehen, und er wusste, dass er sich keinen Fehler erlauben durfte, was das Erreichen der gesteckten Ziele betraf. Der hoch motivierte Manager war nicht zufällig für diese anspruchsvolle Aufgabe ausgewählt worden, so wie auch alle anderen wichtigen Entscheidungen bei der AquaTop AG nicht dem Zufall überlassen wurden. Entscheidend war ein kleiner Vermerk in seiner Personalakte gewesen, dass ihn für heikle Aufgaben wie diese geradezu prädestinierte. Er gehörte zu dem Managertyp mit ausgeprägten soziopathischen Merkmalen, das hatte ein eigens für die AquaTop entwickelter Persönlichkeitstest ergeben. Der hauseigene Konzernpsychologe hatte seinerzeit sogar von einer Einstellung abgeraten, doch höchst angetan von Brünners souveränem Auftritt hatte sich die weibliche Leitung von Human Resources darüber hinweggesetzt. Die entscheidende Stimme kam von Sonja Roberts, der globalen Direktorin der Abteilung, die in Brünner einen exzellenten Nachwuchsmanager sah, der dem Unternehmen nur zu guttun würde. Inwieweit ihre persönlichen Präferenzen für den, von ihr mehrfach als attraktiv und sexy bezeichneten Brünner dabei eine Rolle gespielt hatten, konnte nie geklärt werden. Auf jeden Fall war er bestens geeignet für großangelegte Umstrukturierungen, bei denen die Gefühlswelt gekränkter und verunsicherter Mitarbeiter völlig ausgeblendet werden musste.

Für Dr. Alexander Brünner war es ein Problem, sich in andere Menschen hinein zu versetzen, geschweige denn in deren Seelenleben, was ihm völlig fremd war, so wie er auch äußerst selten von Schuldgefühlen ereilt wurde. Im Fokus seines Handelns stand stets er selbst, immer darauf bedacht im Sinne seiner Auftraggeber zu glänzen. Seiner narzisstischen Neigung folgend, eilte er auf die Toilette um sich im Spiegel zu mustern. Seine Krawatte saß korrekt, er sah weder zu blass aus, noch hatte er Schweißflecken auf seinem Hemd. Jetzt, um Gottes Willen keine Schwäche zeigen, dachte er. Der zugeschaltete Konzernpsychologe würde dies sofort erkennen und ihm negativ auslegen. Er betrachtet sich von allen Seiten, es gab nichts zu mäkeln und so betrat der ehrgeizige Manager mit kühlem Blick wenige Minuten vor 15:00 Uhr den Konferenzraum.

Süßes Wasser

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