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2.5 Minimale Intervention
ОглавлениеDiese Argumentation von Kanfer, Reinecker und Schmelzer (2000) findet Entsprechungen in dem Denkgebäude des Rechtsstaates (durch das Rechtsprinzip der Verhältnismäßigkeit der Mittel ist z.B. die Exekutive gehalten, zur Abwehr von Gefahren das so genannte mildeste Mittel anzuwenden). Das ist übrigens keine Errungenschaft einer modernen Verfassung; der Volksmund wusste um solche vernünftigen Vorgehensweisen schon lange (Man schießt nicht mit Kanonen auf Spatzen).
Für die Rehabilitation von Alkoholabhängigen heißt das, dass nur jeweils so viel Therapie angeboten wird, wie unbedingt nötig ist. Dieses Prinzip bezieht sich sowohl auf die Intensität der Intervention (Beratung, ambulante Therapie, Entzug, stationäre Rehabilitation) als auch auf die Dauer der Maßnahme unter der jeweiligen Intensität. Das Prinzip der minimalen Intervention bedeutet für die Praxis, dass der Therapeut gemeinsam mit dem Patienten bei der Wahl der Interventionen und Maßnahmen jederzeit berücksichtigt, ob ein milderes Mittel ebenfalls Erfolg versprechend sein könnte.
Alle Überlegungen zu Interventionen innerhalb der stationären Rehabilitation sind eingebunden in die Vorgaben der Kostenträger zur Erfolgsaussicht der Maßnahme. Wenn aus fachlicher Sicht eine Maßnahme mit einer bestimmten Zeitdauer und einer bestimmten Intensität angezeigt zu sein scheint (auf dem Boden des jeweils gültigen Konzeptes), finden diese fachlichen Überlegungen jedoch ihre Grenzen in der Motivation des jeweiligen Patienten.
Ein Patient will nur eine möglichst kurze Abwesenheit aus dem gewohnten sozialen Feld hinnehmen; aus fachlicher Sicht ist aber eine längere fachliche Intervention geboten,
z.B. wegen der Hinweise auf eine verlangsamte Lerngeschwindigkeit (z.B. Abgang aus der Schule nach der achten Klasse ohne Abschluss oder Berufsausbildung als Teilfacharbeiter beendet oder wegen beidem) oder
wegen der außerordentlich belastenden Bedingungen des sozialen Feldes (z.B. Belastungen durch eine psychisch kranke Ehefrau in professioneller Behandlung, Schulden, Ausbildung der Kinder in der Sonderschule) und den daraus folgenden höheren Ansprüche an die Lernergebnisse, z.B. Fähigkeiten zur Bewältigung besonderer sozialer Schwierigkeiten.
Der individuelle Motivationszustand wird in Beziehung zu setzen sein zu einem Mindestmaß an Erfolgsaussicht der Maßnahme, wie sie von Kostenträgern gefordert wird. Grundsätzlich könnte man einen solchen Patienten wegen zu geringer Erfolgsaussicht für unsere Kombitherapie mit einer relativ kurzen stationären Aufenthaltsdauer und einer längeren ambulanten Rehabilitationsphase ablehnen. Unter Berücksichtigung dieser Überlegung kann es jedoch sinnvoll sein, auch dann einen Patienten in die stationäre Rehabilitation aufzunehmen, wenn Konzept und Erfahrungen eine längere Behandlungszeit erwarten lassen, der Patient innerlich aber nur auf eine kürzere Behandlungszeit eingestellt ist.
Hinter dieser Überlegung steht auch wieder die ethische Orientierung der Einrichtung und der Therapeuten: Bei Behandlungsbedürftigkeit ist eine möglicherweise unvollständige Behandlung besser als gar keine Behandlung.
Den gesetzlichen Kostenträgern fällt es grundsätzlich relativ leicht, über ihre rechtliche Anbindung an das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, ethisch untermauerten Argumenten zu folgen. Außerdem besteht die Chance, dass der betreffende Patient in der Behandlung eine Einstellungsänderung vornimmt.
Kanfer (1984–1997) sprach ausdrücklich von der Technik, „einen Fuß in die Tür zu bekommen“. In diesem Zusammenhang sprach er von der wechselseitigen Abhängigkeit zwischen den Rollen Patient und Therapeut und verkündete als Leitsatz, man könne nur mit anwesenden Patienten arbeiten (siehe auch Kanfers Gesetze der Therapie im Kapitel „Beziehungen Patient-Therapeut“ Kapitel 1.3.1).