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2.12 Der therapeutische Dreisprung (Typisch? Kritisch? Verändern?)
ОглавлениеWeiter vorne wurde bereits dargelegt, dass es gute Gründe gibt, Alkoholabhängigkeit im Rahmen eines bio-psycho-sozialen Krankheitsmodells zu betrachten, wenn es darum geht, intrapsychische Variablen zu identifizieren, die dauerhaft zu verändern wären, um die Chancen auf Bewältigung der Alkoholabhängigkeit zu verbessern. (Im klassisch-medizinischen Krankheitsmodell würde die Aufgabe des Identifizierens von Veränderungsbereichen dem Behandler zufallen. In der Selbsthilfeorganisation der „Anonymen Alkoholiker“ wäre diese Aufgabe jedem einzelnen der Betroffenen überlassen. „Wir machten eine furchtlose und vollständige Bilanz in unserem Inneren“, heißt es in einem der zwölf Schritte der „Anonymen Alkoholiker“ sinngemäß).
In enger Anlehnung an die Selbstmanagement-Therapie werden in der beschriebenen Vorgehensweise Patient und Therapeut gemeinsam zu einem Plausiblen Modell über die Entstehung der Abhängigkeit kommen. Teil dieses Modells werden änderungsbedürftige intrapsychische Variablen sein.
Das Erarbeiten eines individuellen Plausiblen Modells über Entwicklung und Bewältigung der Störung Alkoholabhängigkeit ist ein systematischer Weg, den Patienten in den Prozess des Identifizierens von individuellen Therapiezielen einzubeziehen.
Die zweite Quelle für das Identifizieren von individuellen Therapiezielen ist das Alltagsleben innerhalb der Klinik. (Aus diesem Grund ist das Tagesprogramm für Patienten auch nicht vollständig mit Vorgaben gespickt; es bleiben Zeiten, in denen Patienten auch ohne Anregung von außen die eigene Individualität präsentieren.) Im Klinikalltag findet ein fortlaufendes „Scannen“ der Patientenvariablen statt. Auch dieser Prozess soll von Patienten und Therapeuten gemeinsam getragen werden. Jede Auffälligkeit im Erleben und Verhalten von Patienten wird unter dem Gesichtspunkt bewertet, ob es sich bei dieser Auffälligkeit um eine Bedingung handeln könnte, die die Abhängigkeitsentwicklung angestoßen oder aufrechterhalten hat. Alle Auffälligkeiten im Verhalten und Erleben des Patienten werden dem Patienten zur ausdrücklichen Bewertung angeboten.
Ergebnis dieser Bewertung wird sein, ob die gezeigten Auffälligkeiten etwas Personentypisches sind oder sich aus der Situation oder aus der Wechselwirkung von Situation und Person ergeben haben. Eine Teilmenge der typischen Personenmerkmale sind dann kritische Merkmale, das heißt, diese Merkmale könnten die Abhängigkeitsentwicklung gefördert haben. Aus dieser Menge wiederum werden nur wenige mit großer Intensität verändert werden können. Die veränderungswürdigen Personen-variablen werden möglicherweise vom Therapeuten vorgeschlagen, ausdrücklich als Arbeitspunkt jedoch erst benannt nach einer Entscheidung des Patienten.
Wenn sich die psychotherapeutische Intervention nicht in die gewünschte Richtung entwickeln lassen sollte, wäre es die Aufgabe des Therapeuten, diese Beobachtungen zu einer Hypothese zu verdichten und sie in seinen internen Pool von Hypothesen aufzunehmen. Bei weiteren psychotherapeutischen Interventionen mit diesem Patienten wären diese Hypothesen immer wieder zu testen.
Der Therapeut beobachtet z.B., dass der Patient Konflikte vermeidet. Der Therapeut entwickelt die Hypothese, dass der Patient die mit einem Konflikt verbundenen unangenehmen Gefühle vermeidet.
Im weiteren Verlauf der Behandlung müsste der Therapeut entscheiden, ob er von sich aus diesen möglichen Arbeitspunkt häufiger in den Vordergrund der Aufmerksamkeit bringt oder ob er andere Arbeitspunkte bevorzugt, weil jene vordringlicher oder Erfolg versprechender zu bearbeiten sind.
Der Patient könnte denken, dass er nur besonders oft seine Interessen benennen müsste, um dadurch die Menge seiner Konflikte gewissermaßen automatisch zu verringern. Der Arbeitspunkt des Patienten wäre dann nicht das Aushalten oder Verändern unangenehmer Gefühl im Konfliktfall, sondern das Üben des Thematisierens eigener Interessen bzw. Bedürfnisse.
Auch diese therapeutischen Entscheidungen sind grundsätzlich mit dem Patienten verhandelbar oder wenigstens transparent zu gestalten.