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2.11 Offene oder vorgegebene Wahlen

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Wie bereits weiter vorne in allgemeineren Zusammenhängen dargestellt wurde, sind Entscheidungen in offenen Problemfeldern wesentlich schwieriger zu treffen als zwischen gut definierten Wahlmöglichkeiten.

Wenn der Therapeut im Rahmen seiner psychotherapeutischen Tätigkeit einem Patienten ein Teilproblem präsentiert, wird er abwägen, wie offen er die Problemdefinition halten kann. Grundsätzlich wird der Therapeut auch prüfen, inwieweit seine Sichtweise und die Implikationen seiner Sichtweise die des Patienten widerspiegeln. Dabei wird er sich von seiner Einschätzung des Leistungsvermögens des jeweiligen Patienten leiten lassen und von seiner Einschätzung, in welchem Maße der jeweilige Patient den intendierten therapeutischen Prozess verstanden hat. Außerdem wird zu bedenken sein, dass dem Patienten Erfolgserlebnisse zu vermitteln sind. Die therapeutische Intervention wird also so zu setzen sein, dass der Patient nach Möglichkeit weder über- noch unterfordert ist.

Aus dieser Intervention sollen sich neue Arbeitspunkte ergeben. Es wird entweder Unterstützung zu organisieren sein über die Vernetzung mit der örtlich zuständigen Beratungsstelle oder der Schuldnerberatung oder ähnliches. Außerdem ist festzulegen, wann die Aufmerksamkeit vom sozialen Feld und dessen Belastungs- bzw. Unterstützungspotenzial wieder auf die intrapsychischen Variablen des Patienten gerichtet werden soll.

Um die eigene Entscheidung des Patienten zu fördern, wäre aber auf jeden Fall eine Frist zu setzen, wann eine Entscheidung formuliert werden sollte; eine Entscheidung in der aktuellen Gesprächssituation wäre in der Regel in einer gemeinsam festgelegten Frist noch einmal zu überprüfen. Um den Entscheidungsprozess beim Patienten für diesen besser durchschaubar zu machen, kann man sich entschieden, als Hausaufgabe ein Besprechen des Problems mit Vertrauten zu vereinbaren. Aufgrund der Möglichkeit der (unbeabsichtigten) Manipulation des Patienten ist eine Problemreduktion mittels vorgegebener Wahl idealerweise im Behandlungsteam zu besprechen.

Die Abhängigkeitsprobleme eines Patienten sind z.B. verbunden mit erheblichen sozialen Schwierigkeiten. Nach einer Trennung von Partnerin und Kind steht eine Scheidung bevor, der Entzug der Fahrerlaubnis hat zu einer Verschlechterung der Chancen auf Wiedereingliederung in das Erwerbsleben geführt, wegen der schlechten wirtschaftlichen Situation muss das neu erworbene Eigenheim verkauft werden, die zukünftige Ex-Frau zahlt vertragswidrig ihre Beiträge zur Finanzierung nicht und fordert andererseits sofort hohe Unterhaltsleistungen. Zusätzlichist der Patient unsicher, ob er vordringlich ein Abhängigkeitsproblem hat oder ob er wegen der belastenden Situation in depressive Verstimmungen abgeglitten ist.

Aus der Menge der Interventionsmöglichkeiten, die dem Therapeuten zur Verfügung stehen, sollen beispielhaft einige genannt werden:

 der Therapeut kann Anstrengungen zur Differenzialdiagnostik erbringen und sorgfältig Doppeldiagnosen dokumentieren

 der Therapeut kann vom Patienten eine Entscheidung fordern, welches Problem aus der gesamten Menge der vorliegenden Probleme vorrangig zu bearbeiten wäre (was ist am wichtigsten?)

 der Therapeut kann vom Patienten eine Entscheidung fordern, ob vordringlich das Abhängigkeitsproblem oder die sozialen Probleme zu bearbeiten wären (erst Abhängigkeit oder erst soziale Probleme?)

 der Therapeut kann vom Patienten eine Entscheidung fordern, ob zuerst die belastenden Bedingungen aus der Sicht der sozialen Situation verringert werden sollten oder ob vordringlich das protektive Potenzial der sozialen Situation zu stärken wäre (zuerst Schulden bearbeiten oder zuerst Unterstützung durch die Herkunftsfamilie verbessern?)

 der Therapeut kann fordern, der Patient möge mit Hilfe der Bezugsgruppe oder des verbliebenen Stützsystems der Herkunftsfamilie oder des Freundeskreises zu einer Entscheidung kommen (im stillen Kämmerlein nachdenken oder mit der Bezugsgruppe oder Familie oder mit Freunden besprechen?)

 der Therapeut kann fordern, dass vordringlich das Abhängigkeitsproblem bearbeitet wird

 der Therapeut kann für den Patienten wegen der sozialen Probleme aktive Hilfe oder Hilfe zur Selbsthilfe oder beides über die Sozialarbeiter der Einrichtung organisieren.

Die Formulierung fordern hat natürlich einiges an Ruppigkeit, das innerhalb des therapeutischen Settings auch Unbehagen hervorruft. In der therapeutischen Praxis werden die Forderungen in Vorschläge gekleidet. Der Patient wird entscheiden, ob die vom Therapeuten vorgeschlagene Sicht der Problemlage sich mit der eigenen Sichtweise deckt.

Natürlich können hier wieder Prozesse zur Fehlerminimierung eingesetzt werden. Der Patient kann ermuntert werden, die Problemlage in der Bezugsgruppe zu besprechen. Der Therapeut wird sich in seinem Team vergewissern, welche Erfolgsaussicht der Wahl des Ansatzpunktes aus der Sicht der anderen Mitglieder des Teams innewohnt. Therapeut und Patient werden dann gemeinsam verhandeln, welcher Ansatzpunkt dann zu wählen wäre.

Die Notwendigkeit zur Gestaltung des psychotherapeutischen Prozesses durch den Therapeuten ist in der Einbindung in wirtschaftliche und rechtliche Systeme begründet. Die gesetzlichen Kostenträger können nicht so viel Behandlungszeit genehmigen, dass ausschließlich der Patient Rhythmus und Geschwindigkeit der Entwicklung bestimmen könnte. Der Therapeut wird versuchen, die subjektiv empfundene Not des Patienten soweit aufzunehmen, dass das Bemühen um den Aufbau tragfähiger Arbeitsbeziehungen erfolgreich bleibt. Er wird darüber hinaus weiterhin sorgfältig darauf achten, dass er sich durch die Menge der sozialen Probleme des Patienten, die Arbeit am intendierten therapeutischen Prozess nicht abhandeln lässt.

Der mündige Trinker

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