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2.9 Automatisiert ablaufende Prozesse

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Es wird in Anlehnung an Kanfer, Reinecker und Schmelzer (2000) davon ausgegangen, dass die Verknüpfungen zwischen Situation, Erleben und dem Verhalten „Konsum von Alkohol“ weitgehend automatisiert vollzogen worden waren. Kanfer und seine Mitautoren unterscheiden zwischen automatisierter und kontrollierter Informationsverarbeitung. Unter automatisierter Informationsverarbeitung werden Abläufe verstanden wie Auto fahren, Essen oder das Führen eines Alltagsgespräches. Weil das Bewältigen dieser Alltagsroutinen im Rahmen von automatisierten Abläufen wenig Kapazität fordert, würden Menschen dazu neigen, sich schnell in solche Routinen zu ergeben.

Auch das Bewältigen von Problemen würde schnell automatisiert ablaufen; der Nachteil wäre jedoch, dass untaugliche Versuche der Problemlösung automatisiert abliefen, obwohl sie nicht mehr zielführend wären. Solche automatisierten Abläufe stellen sich außergewöhnlich schnell ein. Aus den Grundlagen der Informations-Verarbeitungs-Theorien weiß man, dass einmal gefundene Lösungen für eine bestimmte Klasse von Problemen auch dann noch verwendet werden, wenn es für ein einzelnes Problem aus dieser Klasse geschicktere Lösungsmöglichkeiten gibt.7 Im Grunde wird die Wirkung der therapeutischen Anstrengungen darin gesehen, dass Patienten diejenigen automatisiert ablaufenden Prozesse identifizieren, die das eigene Trinkverhalten angestoßen und aufrechterhalten haben.

Auf einen ähnlichen Sachverhalt hatten schon Watzlawick, Beavin und Jackson (1974) hingewiesen, als sie sinngemäß vom neurotischen Mehr sprachen, wenn sie daraufhin verwiesen, dass eine erfolglose Vorgehensweise zum Lösen von Problemen nur in der Intensität erhöht wird, statt mit einem Wechsel der Strategie eine zielführendere Lösungsmöglichkeit auszuprobieren.

Kanfer, Reinecker und Schmelzer (2000) nennen den in der Therapie erwünschten alternativen Weg der Problemlösung (zur automatisierten Informationsverarbeitung) eine kontrollierte Informationsverarbeitung. Diese kontrollierte Informationsverarbeitung würde jedoch erheblich mehr Kapazität fordern. Außerdem würde sie in der Phase des Einübens, einer alternativen Vorgehensweise zur Problemlösung, unzulängliche Ergebnisse produzieren, die immer wieder nachjustiert werden müssten.

Grawe (1998, 2004) dringt gewissermaßen in die Blackbox der Informationsverarbeitung ein, wenn er die Menge der Gedächtnisprozesse ordnet, die Prozesse der Informationsverarbeitung anstoßen und moderieren. Sehr stark vereinfacht unterscheidet er zwischen impliziten bzw. perzeptuellen Gedächtnisanteilen und expliziten bzw. konzeptuellen Anteilen. Behandlungsrelevant im Sinne einer Selbstmanagement-Therapie sind diese Überlegungen aus mehreren Gründen.

Die konzeptuellen Gedächtnisanteile werden als besonders kontextsensitiv beschrieben. Zu den mitgespeicherten Kontexten gehören psychische Befindlichkeiten bzw. Gefühle ebenso, wie motivationale Zustände. Grawe spricht hier ausdrücklich vom „zustandsabhängigen Lernen“.8 Grawe belegt, dass die konzeptuellen Gedächtnisanteile einer konzeptgetriebenen Verarbeitung im Gespräch (top-down) zugänglich sind. Eine inhaltliche Thematisierung kann also dazu führen, dass diese Gedächtnisanteile grundsätzlich bearbeitbar sind. Eine einfache Form der Bearbeitung kann eine Neubewertung der Gedächtnisinhalte und der damit verbundenen Erlebnisse sein. Zu den impliziten oder perzeptuellen Gedächtnisanteilen sei wohl nur Zugang über eine prozessuale Aktivierung zu gewinnen; es muss also die Reizsituation wieder hergestellt werden, die diese Gedächtnisinhalte generiert hatte. Da unbestreitbar jede einzelne Lebenssituation unwiederholbar ist, wird man in der Therapie sich mit dem Herstellen einer möglichst ähnlichen Reizsituation bescheiden müssen. Eine datengetriebene Verarbeitung (bottom-up) kann grundsätzlich dazu führen, dass eine zuvor unbewusste Informationsverarbeitung innerhalb des therapeutischen Prozesses grundsätzlich bearbeitbar wird. Therapeutische Hausaufgaben, insbesondere für das wochenendliche „Realitätstraining“ (siehe Kapitel 6.6.7), zielen häufig darauf ab, dass der Patient sich mit erhöhter Aufmerksamkeit in Situationen begeben möge, die kritische Erregungsmuster auslösen können bzw. ausgelöst hatten.

Für die therapeutische Praxis innerhalb einer stationären Kurzzeit-Entwöhnung sind weitere Vereinfachungen nötig: In der Behandlung wird besondere Aufmerksamkeit auf die intrapsychischen Bedingungen gelegt, die zwischen den situativen Aspekten und dem Verhalten „Konsum von Alkohol“ vermitteln. Operationalisiert werden diese mit Gedanken und Gefühlen des Patienten. Einfluss auf automatisiert ablaufende Gedanken oder Gefühle (oder beides) wird gesucht und erprobt. Und zu dem Verhalten „Konsum von Alkohol“ werden Alternativen gesucht und erprobt.

In dem Beispiel oben (Vermeiden von Konflikten mit der Partnerin) wird der Patient keine bewusste Entscheidung auf dem Boden systematischer Beobachtungen getroffen haben, dass die Situation grundsätzlich konfliktträchtig sei, sodass in solchen Situationen ohne weiteres Nachdenken der Konflikt vermieden wurde und dass das Vermeiden durch den Konsum von Alkohol vollzogen wurde. Über das Erleben einer real konfliktträchtigen Situation mit der Partnerin, z.B. im Realitätstraining, hoffen Therapeut und Patient Zugang zu denjenigen Gefühlen zu finden (und den mit diesen Gefühlen assoziierten Gedanken), die handlungsleitend wurden und zu einem Vermeiden des Konfliktes führten.

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